Ganz plötzlich tauchen vor uns drei Streifenwagen auf. Straßensperre. Carmen und ich sind auf dem Weg nach Andorra, als die bewaffneten, ernst dreinblickenden Herren ihre Fahrzeuge quer über die Fahrbahn stellen. Sie rollen etwas auf der Erde aus, das mich und die anderen Fahrer zum Stehenbleiben zwingen soll. Brav halten alle Autos an. Schließlich gibt uns einer der Uniformierten ein Zeichen, dass wir uns nähern dürfen. Offenbar suchen sie etwas oder jemanden. Zwei Wagen vor mir werden durchgewinkt, einer muss rechts ran fahren.

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Ganz genau sehen sie sich jeden einzelnen Fahrer an. Dann sind wir dran. Ich fahre vor und kurbele das Fenster runter. „Bon dia“ grummelt er und guckt in den Wagen. Ich grüße auch. Dann macht er eine Handbewegung, die wohl „weiterfahren!“ heißen sollen. Also fahre ich langsam an.

Schon klopft es wütend und erbost auf dem Autodach. Ein herrisches Dong Dong erklingt auf dem Blech. Ich bleibe sofort stehen. Innerlich stehe ich förmlich stramm. Was ist denn nun los? Was habe ich gemacht? Mein Rückspiegel ist angeknackst. Ob er mich deswegen jetzt anhält? Aber eigentlich beschäftigen die sich nicht mit solchen Kleinigkeiten. Es sind keine Verkehrspolizisten, sondern die anderen. Ich muss an meinen katalanischen Schwiegervater denken, der früher die Straßenseite wechselte, wenn ein solcher spanischer Polizist nur aus der Ferne zu sehen war.

„Habe ich gesagt, du darfst weiterfahren?“, bellt mich der Mensch in Uniform auch schon an. „Nein Entschuldigung. Ich dachte …“ „Weiterfahren!“ blafft er, ohne mich überhaupt ausreden zu lassen. Und genau das mache ich auch. Bloss schnell weg hier. Mein Gott, warum sind die nur immer so unfreundlich?

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Andorra und Escaldes Engordany
Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir kurze Zeit später die Grenze. Und schon sind wir in Andorra. Mein erster Eindruck ist eher gemischt. Rechts und links hohe Berge. Das ist ja ganz schön, aber in der Mitte, wie in einem engen Schlauch, ziehen sich mehrspurige Straßen und eng gebaute Häuser durch ein schmales Tal. Andorra wirkt auf mich sehr eingequetscht. Eigentlich logisch, denn viel Platz ist hier nicht.

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Wir suchen und finden unser kleines Apartment in Escaldes-Engordany. Aber wo um Himmels willen kann ich parken? Im ganzen Tal finden wir keinen Parkplatz. Es hilft nichts, ich muss fünfzehn Euro für den Stellplatz in einer Garage zahlen.

Zu Fuß machen wir uns auf zu einer ersten Entdeckungstour. Carmen hatte mich vorgewarnt. Andorra La Vella sei eine einzige lange Shoppingstraße, ohne große Sehenswürdigkeiten. Escaldes scheint nur eine Verlängerung davon zu sein. Auf jeden Fall sind beide Orte so miteinander verschmolzen, dass ich nicht bemerkt habe, wann wir Andorra La Vella verlassen haben und wann wir in Escaldes angekommen sind.

Ein kleines Altstadtviertel soll es immerhin geben. Wir finden eine Thermalquelle, in der das Wasser mit heißen 70 Grad aus dem Boden sprudelt, eine schöne romanische Brücke und ein paar verfallene abbruchreife Häuser. Die meisten Gebäude sind offensichtlich in den fünfziger Jahren entstanden. Zu dieser Zeit erlebte Andorra seinen ersten Boom. Von den damals rund 6.000 Einwohnern wuchs die Zahl auf mittlerweile 76.000. Und die wohnen nicht alle oben in den Bergen, sondern meist hier unten im Tal, auf wenigen Quadratkilometern zusammengepfercht.

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Bis jetzt bin ich noch nicht so wirklich begeistert. Schnell machen wir uns also auf den Weg, raus aus der Stadt, die Natur suchen. Irgendwo muss die ja hier sein.

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Engolasters

Wir fahren zum Llac d’Engolasters. Mit dem Auto kommt man ziemlich schnell ganz in die Nähe. Rund um den kleinen See herum treffen wir immer mal wieder auf andere Spaziergänger und Radfahrer. Und zwei Angler. Um die beiden fischenden Herren nicht zu stören, lasse ich mich zum Fotografieren ein paar Meter weiter links am Ufer nieder.

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Ganz versunken in meine Arbeit, beschäftigt damit, einen bestimmten Ausschnitt von See und Bergen scharf zu stellen, erscheint einer der Herren plötzlich direkt vor mir im Sucher. Er stellt sich mitten ins Bild. Ich blicke auf und sehe gerade noch, wie er mit seiner Angelroute ausholt. Erschrocken falle ich mit dem Popo ins Gras, um dem Haken auszuweichen. Hey! Der Typ dreht sich kurz – wortlos – zu mir um und sofort wieder zurück, den Blick fest aufs Wasser geheftet. Und holt ein zweites Mal aus! Wieder ducke ich mich gerade noch rechtzeitig. Der andere Angler fragt, ob ich verletzt sei. „Nein. Zum Glück ist nichts passiert. Danke!“ antworte ich und entferne mich schnellstmöglich. Der Routenwerfer dreht sich nicht einmal um. Leute gibt es! Vorsichtshalber mache ich jetzt erst mal keine Fotos mehr.

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Am Ende des Sees gibt es ein kleines Café. Da es heute viel heißer ist, als ich erwartet hatte, und wir idiotischerweise kein Wasser dabei haben, erklimmen wir also die kleine Aussichtsterrasse, um dort oben unseren Durst zu löschen. Wieder überkommt mich dieses fünfziger Jahre Gefühl. Genau so müssen die Ausflugsziele meiner Großeltern ausgesehen haben.

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Der Kellner ist ein total netter, junger Typ, mit Lockenkopf und dem typischen Akzent der Leute aus Lleida. Ein katalanischer „Gastarbeiter“ scheinbar. Wie zwei Verdurstende stürzen Carmen und ich uns auf das Wasser, das er uns bringt. Ich hätte echt nicht gedacht, dass es hier oben dreißig Grad warm werden würde. Von wegen Abkühlung in den Bergen! Unser netter Kellner gibt uns sogar noch einen guten Tipp. Wenn wir Natur und Berge sehen wollen, sollten wir mit der Seilbahn in Encamp durch das Vall dels Cortals fahren. Auf fast 2.500 Meter Höhe gäbe es dort jede Menge Wanderwege.

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Funicamp in Encamp
Encamp ist ein ähnlich enges Dorf wie Escaldes-Engordany. Unter der Seilbahnstation gibt es ein großes Parkhaus, das wir direkt ansteuern. Wenn die Skifahrer im Winter mit der Seilbahn zu den Pisten hinauf fahren, scheint hier wesentlich mehr los zu sein. Aber jetzt sind Carmen und ich fast allein unterwegs. Prima!

Fünf Euro kostet das Ticket für die fünfundzwanzig Minuten dauernde Fahrt nach oben. Unter uns verschwindet das Dorf langsam im Tal und bald sehen wir nur noch Berge. Total fasziniert bestaunen wir die Landschaft unter uns. Ganz leise ruckelt unsere Kabine durch die Luft. Wie angenehm still es hier ist! Kleine Trampelpfade und Wanderwege führen entlang der Seilbahnstrecke. Eigentlich könnte man den Weg sicher auch laufen! Zu Fuß würde das allerdings an die vier oder fünf Stunden dauern. Bei mir wahrscheinlich noch etwas länger. Aber es sieht wunderschön aus. So hatte ich mir Andorra vorgestellt!

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Oben angekommen haben sich alle größeren Bäume und Büsche längst verabschiedet. Hier wachsen nur hartgesottene Kräuter und Moose, ansonsten besteht die Landschaft aus Geröll. Und aus Skipisten. Jetzt im Sommer wirken all diese Lifte ziemlich hässlich und verlassen. Weiter unten vor uns liegt ein kleiner Teich im Tal, der Orri del Cubil. Jeeps fahren lauffaule Besucher den kurzen Weg, den man in fünfzehn Minuten auch zu Fuß erreicht, hinunter.

Pferde grasen und Kuhglocken bimmeln. Rundherum erheben sich mächtige Berggipfel. Plötzlich taucht ein Hubschrauber auf. Wahrscheinlich ist das die andorranische Bergwacht. Laut rotieren die Rotorblätter, als er schnell unter uns im Tal verschwindet.

Carmen und ich verschwinden auch wieder. Wir fahren mit der Seilbahn runter bis zur Zwischenstation. Dort ist die Landschaft grüner und die Wanderwege sind schöner, als oben auf dem Gipfel. Total glücklich, endlich grüne Landschaft gefunden zu haben, spazieren wir zwischen einsamen Berghütten an einem kleinen Gebirgsbächlein entlang. Jede Menge distelartige Blumen wachsen am Wegesrand in den prächtigsten Farben. Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten flattern zwischen den bunten Blüten hin und her. Es ist echt bilderbuchschön!

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Andorra Tipps und Wissenswertes

  • Andorra – mit dem Auto sind es von Barcelona nur rund drei Stunden Fahrt. Vom Flughafen El Prat fahren sogar Busse direkt in die Berge. Aber auch mit dem Auto ist es ganz leicht zu finden. Die Straßen sind ziemlich leer, viel los ist da oben nicht gerade. Es gibt auch keine Autobahn nach Andorra. Meist geht es über einfache Landstraßen.
  • Wenn Du die Natur suchst, solltest Du am besten eine Übernachtung außerhalb der Stadt suchen. Unser Apartment lag in Engolasters, also am Ende der lang gezogenen Ortschaft im Tal. In der Nacht war es so laut, dass ich kaum ein Auge zugemacht habe. Wenn ich noch einmal nach Andorra kommen sollte, dann werde ich mir eine Pension direkt in den Bergen suchen!
  • Viele Leute kommen vor allem zum Shopping nach Andorra. Einiges ist hier billiger als in den benachbarten Ländern Spanien und Frankreich, wie zum Beispiel Alkohol, Tabak, bestimmte Medikamente, elektrotechnisches Zeug und Motorradzubehör. Daher hat sich Andorra la Vella wohl auch in ein einziges, großes Einkaufsparadies verwandelt.
  • Andorra liegt in einem Hochtal der Pyrenäen. Fünfundsechzig Gipfel liegen höher als 2000 Meter.
  • Die offizielle Amts- und Landessprache ist Katalanisch. Aber Spanisch und Französisch versteht hier glaube ich auch jeder.
  • Obwohl Andorra schon seit dem Mittelalter existiert, hat es erst seit Anfang der neunziger Jahre eine Verfassung. Erst seit 1993 ist Andorra eine parlamentarische Demokratie. Das Besondere an diesem Land ist jedoch, dass es gleich zwei Staatsoberhäupter hat. Diese beiden Kofürsten sind der Bischof von Urgell und François Hollande, als französischer Präsident! Diese Ämter haben aber nur eine repräsentative Funktion, denn die Staatsgeschäfte werden von einem Regierungschef in Andorra geführt. Die Rolle des französischen Präsidenten als Ko-Oberhaupt Andorras geht auf Napoleon zurück, der den Andorranern 1806 ihre Vorrechte wiedergab, die ihnen während der Französischen Revolution aberkannt worden waren.
  • Auch wenn Andorra nicht zur Europäischen Union gehört, ist sie Teil der Währungsunion. Offizielle Währung ist der Euro. Für Sammler gibt es zwar noch eine Kunstwährung den Diner (vom Katalanischen diners, das schlicht und einfach Geld bedeutet), aber diese Münzen sind nicht im Umlauf.

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