Eine Kuh kommt gerade um die Ecke, als ich aus der Tür trete. Meine Schritte versinken im Sand der Hauptstraße. Irgendwo in der Ferne schreit ein Esel. Mühsam versuche ich mir einen Weg zu bahnen. Ich stampfe durch die weiche Masse, als wäre es ein zäher Brei. Schnell kommt in Atins niemand vorwärts. Fahrradfahren geht gar nicht. Transporte funktionieren nur mit Ochsenkarren. Oder in der modernen Version, mit Quad. Wer weder das eine noch das andere hat, geht eben zu Fuß. Es ist also nicht weiter erstaunlich, wenn hier Kinder und ältere Damen und Hausfrauen mit ihren vierrädrigen Monstern lautstark durch die dünenartigen Straßen knattern.

Eine abenteuerliche Anfahrt
Eigentlich ist es schon merkwürdig, dass es hier überhaupt Hostels und Herbergen gibt, denn Atins liegt wirklich und wahrhaftig am Ende der Welt. Um hierher zu kommen, musst Du in Barreirinhas ein Boot nehmen, das eine Stunde lang bis zur Mündung des Rio Preguiças fährt. Aus irgendeinem Grund fahren diese Boote jedoch nur bis zur Mittagszeit. Wer später ankommt, hat Pech und muss in Barreirinhas bis zum nächsten Tag warten. Da unser Minibus aus São Luís leider viel zu lange gebummelt hat, bis er endlich alle Fahrgäste eingesammelt hatte, kommen wir eine halbe Stunde nachdem das letzte Boot den kleinen Hafen verlassen hat, dort an. Was nun? Das war so nicht geplant.

In Barreirinhas übernachten wollen wir jedenfalls nicht. Der Ort ist weder besonders schön noch besonders ruhig. Touranbieter für Ausflüge in den Naturpark Lençóis Maranhenses gibt es dort wie Sand am Meer. Und natürlich wollen Dir alle etwas aufschwatzen. Wir sind ja auch hier, um den Park zu besuchen, aber eben nicht von Barreirinhas aus. Wenn wir heute noch Atins erreichen wollen, müssen wir in den sauren Apfel beißen. Entweder wir mieten ein Boot nur für uns, was teuer werden kann, oder wir finden noch einen Jeep, der uns durch die wilde Dünenlandschaft fährt. Nach einigem Hin-und Herlaufen finden letztendlich nur noch ein Quad, und selbst das ist nicht gerade billig. Aber irgendwann ist uns fast alles egal und wir wollen einfach nur noch los.

Was ich bis dahin nicht wusste: Es gibt keine Straße nach Atins! Unser junger Quadfahrer knattert ungelogen quer durch die Dünen. Mir ist nicht so wirklich klar, wie er sich hier orientiert. Für mich sieht alles gleich aus. Natürlich bleiben wir irgendwann mitten im Nirgendwo im Sand stecken. Dann heißt es absteigen und schieben, bis die Räder wieder greifen. Aber unser Fahrer macht das ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal und bringt uns schließlich mehr oder weniger heil nach Atins.

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In Atins gehen die Uhren anders

Der kleine Ort liegt wie gesagt in der Mündung des Rio Preguiças und zieht sich sehr in die Breite. Angeblich soll es hier jedes Jahr ein wenig anders aussehen, je nachdem wie und wo der Fluss sich nach den Regenfällen seinen neuen Weg durch den Sand bahnt. Wer zu nah am Ufer baut, muss damit rechnen, dass er dort nicht lange steht. Denn am Strand kann man tatsächlich einige Ruinen entdecken, die das Wasser bereits mitgenommen hat. Je nachdem, wie der Fluss sich entscheidet, ins Meer zu münden, verändern sich der Strand, die Wege und das Dorf.

Erstaunlicherweise gibt es in Atins aber einige kleine Pousadas, wie das Convento Arcádia, und mehrere Restaurants. Sogar einen winzigen Tante-Emma-Laden habe ich entdeckt. Außer Wasser, Klopapier und ein paar Keksen gibt es dort allerdings nicht viel zu kaufen. Die Auswahl ist eher klein. Alles andere muss man sich besser aus Barreirinhas mitbringen.

Egal wohin ich in diesem kleinen Ort am Ende Welt auch gehe, immer versinken meine Schritte tief in weißem Sand. Die Sonne scheint unbarmherzig vom Himmel. Nur der Wind, der in den Palmen rauscht, sorgt für eine kühle Abwechslung. Überhaupt ist Atins ein Dorf des Windes. Deswegen kommen vor allem Kitesurfer hierher. Sie lieben das Brausen der Luft, die sie aufs Meer hinaus trägt.

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Als Gegensatz zur Geschwindigkeit in der Luft, geht es am Boden dafür umso gemächlicher zu. Der feine Sand bremst jedes Tempo aus. Hier kommt man nur langsam vorwärts. An keinem anderen Ort der Welt habe ich so deutlich die Kraft der Elemente gespürt wie hier, am Rande des Parque dos Lençóis: Feuer, Wasser, Wind und Erde, in seiner fein gemahlenen Form: Sand.

sand atins

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Der Sand ist aber nicht nur auf den Straßen. Er ist überall und kommt durch jede Ritze. Eine feine Sandschicht bildet sich auf dem Bett, auf den Klamotten, auf der Kamera und auf dem Laptop. Wenn man nicht aufpasst, auch auf dem Essen. Alles, was länger als eine Minute stillsteht, wird eingesandet. Der Sand fliegt Tag und Nacht.

kirche atins

Auch das Geräusch des Windes ist allgegenwärtig. So als wolle er sagen „Unterschätze mich nicht“. Unnachgiebig und wild hört er nicht auf, sein ungestümes Spielchen mit Pflanzen, Tieren und Menschen zu treiben. Während ich gemütlich in der Hängematte schaukele und zusehe, wie er mit den Kronen der Palmen spielt, versuche ich runterzukommen, mich dem Rhythmus von Atins anzupassen.

strand atins

Loslassen und die innere Hektik ablegen, die sonst mein täglicher Begleiter ist. In der Hängematte liegend erreichen mich von irgendwoher die Klänge brasilianischer Schlager, die laut aus einem klapprigen Radio schallen. Noch ist der Drang nach Aktivität in mir sehr stark. Ich muss etwas machen, mich bewegen. Doch hier ist das Ende der Welt. Der Wind, die Sonne und der Sand bestimmen den Tagesablauf und das Tempo. Als kleiner Mensch bin ich hier nichts verglichen mit der Kraft der Elemente.

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In Atins hat der Mensch es noch nicht geschafft, die Natur zu bezwingen und ihr seinen Stempel aufzudrücken. Noch bewahren die Naturelemente das verschlafene Nest vor der Hektik der modernen Welt. Bislang ist Atins ein versteckter Schatz. Ich hoffe, dass der Weg durch die Dünen nicht bald einer geteerten Straße weichen muss, denn die schwierige Anfahrt hält sicher viele Menschen davon ab, den Ort durch Zufall zu entdecken. Nach Atins muss man schon gezielt kommen wollen. Aber genau darum ist Atins eben so perfekt zum Abschalten. Hier fährt jeder einen Gang runter, ganz automatisch.

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Infos zu Atins

Unsere Unterkunft:
Die kleine Pousada liegt direkt an der Hauptstraße. Auf dem Weg zum „Hafen“ gibt es mehrere Restaurants, denn in Atins ist man durchaus schon auf Besucher eingerichtet. Noch sind es allerdings vorwiegend Brasilianer, die hier unterwegs sind. Europäische und nordamerikanische Touristen sind noch in der Minderheit.

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Im Convento kümmern sich Adri und Marie um das leckere Frühstück und die Zimmer. Es gibt frisches Obst, Toast, Kuchen, Kaffee, Saft, Tapioka und gebratene Bananen. Valerio ist so etwas wie der Rezeptionschef und Organisator. Wenn Marie mit dem Frühstück fertig ist, geht sie an den Strand, wo sie eine kleine Strandbar betreibt. Außer Reis mit Bohnen und Fisch oder Fleisch gibt es dort Salat und Sandwiches. Und natürlich frische Kokosnuss – lecker!

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Convento do Arcádia
Rua Esperança, 3
Povoado Atins
Barreirinhas – MA, 65590-000
Website: www.convento-arcadia.com
Mehr Infos darüber, wie Du von Barreirinhas oder von Jericoacoara aus nach Atins kommst, findest Du auf www.atins.me

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Wenn Du von Barreirinhas aus nicht mit dem Boot, sondern per Jeep oder Quad fährst, musst Du zunächst den Fluss überqueren. Es gibt eine Auto- und eine Fußgängerfähre. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg war das Übersetzen bereits im Fahrpreis inbegriffen.

Unsere Ausflüge in der Nähe von Atins: 

Parque dos Lençóis
Von unserem Tagesausflug in den Park erzähle ich in Vom Winde verweht. Wenn Du länger Zeit hast als ich, dann kannst Du die Wüste zu Fuß zu durchqueren! Das hätte ich mega gern gemacht, allerdings muss man dazu schon relativ fit sein, denn allein das Gehen im Sand ist echt anstrengend. Diese mehrtägige Tour sollte man natürlich nur mit einem ortskundigen Guide unternehmen. Aber es muss wirklich mega-genial sein!

Parque_Nacional_dos_Lençóis_Maranhenses

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Der Flug der roten Ibisse

Auf einem kleinen Eiland in der Flussmündung landen jeden Abend bei Sonnenuntergang die roten Ibisse. Man kann fast die Uhr danach stellen. Ein Guide bringt uns rechtzeitig mit seinem kleinen Boot vom Hafen zu der richtigen Stelle. In Atins verdienen sich viele der jungen Männer mit Jeep oder Bootstouren in die Umgebung etwas Geld. Schließlich kennen sie sich ja auch am besten aus. Bis die Ibisse sich ihr Plätzchen für die Nacht suchen, haben wir noch eine halbe Stunde Zeit und schlendern auf dem Eiland umher. Auch hier türmt der Wind wieder mächtige Sanddünen auf. Sobald die Sonne ihren Abstieg vom Himmelszelt beginnt, um halb sechs Uhr am Nachmittag, macht unser Guide uns ein Zeichen. Wir sollen uns an eine ganz bestimmte Stelle begeben. Von dort hätten wir den besten Blick.

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Atins

Es geht los. Wir nehmen unsere Position ein. Pünktlich, als sei es so abgesprochen, erheben sich die ersten Vögel zu unserer Rechten aus dem Wald, flattern über unsere Köpfe hinweg und verschwinden dann Links in den Bäumen. Die untergehende Sonne strahlt die scharlachroten Ibisse an wie ein Scheinwerfer und lässt sie besonders schön aussehen. Meist kommt erst einer, ein kleiner roter Punkt, und dann kurz danach eine Gruppe, ein kleiner Schwarm. Schnell ziehen die leuchtenden Vögel über das blaue Wasser der Lagune hinweg, ehe wir sie im dichten Grün der Wälder aus den Augen verlieren.

Der abendliche Flug dauert wirklich nur einen kurzen Augenblick. Doch immer wieder erhebt sich eine neue Schar Vögel und überquert den Fluss. Einige fliegen so tief, dass ich ihre winzigen roten Bäuchlein erkennen kann. Und die Sonne unterstreicht diese unglaubliche Knallfarbe mit dem letzten Licht des Tages. Es ist ein sehr beeindruckendes Schauspiel. Warum hat die Natur diese Vögel nur so bunt gemacht? Und wieso fliegen sie jeden Abend zur exakt gleichen Zeit zu denselben Plätzen?

atins roter ibis Guará – roter Ibis

roter ibis atins
ausflug

Die Sonne geht so nahe am Äquator sehr schnell unter. Nach wenigen Minuten ist das Spektakel schon wieder vorbei. Nur noch ein einzelner Ibis, ein Nachzügler, dann waten wir durch das sandige Flussbett zurück zum Boot, das geduldig im Wasser vor uns schaukelt.

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Wie Madlen unsere Reise nach Atins erlebt hat, kannst Du auf ihrem Reiseblog puriyhier und hier, lesen.

Vielen Dank an das Convento do Arcádia für die Übernachtungen und an TAP  für die Unterstützung beim Flug nach Brasilien. Meine Meinung ist davon nicht beeinflusst und die hier dargestellten Ansichten beruhen einzig und allein auf meiner persönlichen Erfahrung.