Der Klappstuhl, auf dem ich sitze ist über hundert Jahre alt. Um mich herum viel roter Samt und Gold. Über mir, unter der Decke des Opernhauses, mischt sich europäische Mythologie mit den Legenden des Amazonas. Artemis, die griechische Göttin der Jagd, zielt mit Pfeil und Bogen auf eine onça-pintada, einen Jaguar. Vor mir auf der Bühne stimmen die Musiker ihre Instrumente. Langsam werden es immer mehr, bis alle Stühle besetzt sind. Die Orchesterprobe in der Oper von Belém beginnt.

opernhaus Belém

glanz oper belem

Belém theatro da paz oper

Während einer Führung durch das altehrwürdige Theatro da Paz darf ich eine Weile den Proben zuhören. Still sitze ich in dem großen Saal und lasse mich einfach von der Musik tragen, weit weg, in eine andere Zeit.

Das Theater in Belém ist das älteste Opernhaus im Amazonas, älter noch als die Oper in Manaus. Der Name Paz, also Frieden, stammte eigentlich von Nossa Senhora da Paz. Doch die katholische Kirche wollte kein so weltliches Theater nach einer Heiligen benannt haben, und so erinnert der Name heute eben an das Ende des Krieges mit Paraguay. Gebaut wurde die Oper zu Zeiten des Kautschukbooms, als Belém seine Blütezeit erlebte. Reich und prächtig war die Stadt damals im neunzehnten Jahrhundert. Man eiferte den europäischen Metropolen nach, ließ Künstler aus Frankreich und Italien per Schiff herbringen. Die sollten pompöse Gebäude im Stil der Belle Epoque wie sie in Berlin, Wien, Paris oder Florenz modern waren, errichten.

theatro da paz Belém

glanz oper belem

Im großen Festsaal des Theaters trafen sich die reichen Adeligen und Gutsbesitzer. Auf dem Balkon verbrachten die Herren die Theaterpausen damit, dicke Zigarren zu rauchen. Ihren Wohlstand zeigten sie ganz ungeniert und zündeten protzig ihre Zigarren mit Geldscheinen an.

Belém Oper Theatro da paz

Doch der alte Glanz ist längst verblasst. Mit der Erfindung des Kunststoffs aus Erdöl verlor das Naturprodukt Kautschuk schnell an Bedeutung. Sehr bald rutschte Belém, die vielversprechende Schönheit, die Stadt am Rande des Urwalds, in die Bedeutungslosigkeit ab. Und mit ihr wurden auch die Menschen von der Welt irgendwie vergessen.

 oper belem
glanz oper belem

Während die Reichen ihre Investitionen nun anderswo tätigten, blieben die Landarbeiter, die ehemaligen Sklaven, die einfache arme Bevölkerung hier und kämpften ums Überleben. Das merkt man der Stadt heute noch an. Belém ist keine leichte, einfache Stadt, in die man sich auf Anhieb verlieben kann. Kein Ort, dessen Schönheit Dich sofort bezaubert. Belém spielt nicht, sondern ist sehr ernst. Es fällt schwer, diese Stadt ins Herz zu schließen.

Wenn man wie ich gerade aus dem Amazonas kommt, ist sie geradezu ein Schock.

 

Belém stinkt

Nach der unbändigen Schönheit der Natur im Urwald ist Belém ein Schock. Gerade noch im Paradies, landen wir in dem heruntergekommenen Hafenviertel einer Großstadt. Krasser könnte der Kontrast gar nicht mehr sein. Fast alle Häuser in der Altstadt sind kaputt und könnten dringend einen neuen Anstrich gebrauchen. Die alten Fischerboote liegen im Schlamm und aus Lautsprechern schrillt laute Musik.

Zu Zeiten des Kautschukbooms und Goldrausches soll Belém eine der schönsten Städte gewesen sein. Aber das ist lange her. Und ganz sicher hat es damals nicht so bestialisch gestunken wie heute. Denn das Schlimmste ist nicht, dass Belém etwas abgerockt aussieht. Etwas kaputt und in die Jahre gekommen sind viele andere Städte auch, wenn man nicht gerade in den Vorzeigevierteln unterwegs ist. Aber das, was in Belém wirklich unangenehm ist, ist der Geruch. Im Hafen riecht es nach Pisse, nach Dreck und Verwesung. Statt Möwen oder Tauben streiten sich hier schwarze Aasgeier um die Abfälle. In ihrem unverkennbaren, tollpatschigen Gang hüpfen sie an der Uferpromenade entlang, auf der Suche nach etwas Fressbarem.

Belém boote hafen

Es gibt Orte, in die ich mich schon auf den ersten Blick verliebt habe. Aber Belém gehört nicht dazu. Manchmal ist es ein Lächeln der Menschen, schöne alte Häuser, ein besonderes Licht, was auch immer. Es gibt viele Gründe, einen Ort auf Anhieb zu mögen. Belém hat eigentlich wunderschöne alte Häuser und einen fast schon malerischen kleinen Hafen. Wenn überall die Farbe abblättert und dies und das dringend repariert werden müsste, kann so ein halb verfallenes Ambiente ja auch sehr charmant sein. Es muss nicht immer alles perfekt aussehen. Leider nur dominiert dieser schlimme Gestank das historische Viertel. Die ganze Altstadt wirkt dadurch total schmuddelig und irgendwie unangenehm.

Belém Uhr

Belém Markt

Als wir noch überlegen, den Markt anzusehen, auf dem ein buntes Gedränge herrscht, entdecken wir in einer Hausecke eine Gruppe junger Männer mit nacktem Oberkörper. In Handschellen, gefesselt und von der Polizei in die Ecke gedrängt, sitzen sie auf dem Boden. Da haben sie wohl ein paar kleine Dealer festgenommen. So wirklich sicher fühle ich mir hier nicht. Mehrfach hat man uns geraten, besser nicht nach sechs Uhr auf die Straße zu gehen. Die Taschen fest an uns gedrückt, gehen wir also an dem Markt vorbei. Meine Kamera lasse ich lieber eingepackt. Fotos mache ich heute nur mit dem Handy.

Wir eilen mehr oder weniger schnellen Schrittes an dem alten Fischereihafen, dem Ver-o-peso und dem Fleischmarkt vorbei, bis zu den modernen Docks, einem seelenlosen aber sauberen Einkaufscenter am Ufer der Baía do Guajará. Alte Ladekräne strecken sich in die Höhe und eine ausrangierte Lokomotive steht etwas verloren wirkend an der Promenade. Außer ein paar Restaurants und jede Menge Souvenirläden mit belanglosen Andenken gibt es in diesem Shoppingcenter aber nichts zu sehen.

Belém ver o peso markt

Belém Docks

Je mehr ich über Belém lese, umso mehr wundere ich mich über diese Stadt. Von Vielen wird sie gelobt und bewundert. Besonders die Küche des Amazonas soll hier unglaublich gut und sehr besonders sein. Doch das, was sich mir zeigt, ist vor allen Dingen eine sehr zurückgezogene Stadt. Eine Seele, die sich nicht jedem gleich erschließt. Ich erlebe Verschlossenheit, schüchtern und misstrauisch dreinblickende Menschen und diesen bestialischen Gestank.

Belém(Urubu de cabeça preta – schwarze Rabengeier im Hafen)

Vielleicht braucht eine Stadt wie Belém einfach mehr Zeit. Zeit, um sie wirklich kennenzulernen. Durch die vielen Feiertage rund um die Círio de Nossa Senhora de Nazaré, die gerade vor ein paar Tagen stattgefunden hat, ist leider Vieles geschlossen. Dadurch wirken manche Straßen noch verlassener und gefährlicher als sie es ohnehin vermutlich schon sind.

Erst an meinem letzten Abend in Belém, als wir uns am Ver-o-Rio leckere tapiocas holen, lerne ich doch noch die freundliche Seite der Stadt kennen. Kinder spielen am Strand und verliebte Pärchen betrachten Arm in Arm den Sonnenuntergang am Fluss. Für einen Augenblick erlebe ich so etwas wie Normalität. Belém ist eben nicht Europa. So ist es das Leben hier nun mal im Delta des Amazonas.

ver o rio Belém

  ver o rio Belém

Mehr Infos zu Belém :

Madlen (von puriy), mit der ich in Brasilien unterwegs war, erzählt ihre Eindrücke von Belém hier:  Das Tor zum Amazonas. Da wir genau genommen zwei Mal in der Stadt waren, haben wir auch in zwei verschiedenen Pousadas übernachtet, beide findest Du bei booking.com.

Hotel Le Massilia
Rua Henrique Gurjão, 236
Reduto, Belém – PA, 66053-100

hotel le masilia Belém

Hotel Portas da Amazônia
Rua Dr. Malcher, 15
Cidade Velha, Belém – PA, 66020-250
Website: portasdaamazoniabelempara.com.br

hotel portal amazonia

Theatro da Paz:

An der Praça de la Republica sieht Belém schon etwas anders aus. Hier riecht es nicht mehr so streng wie im alten Hafen. In der Mitte des grünen Platzes stehen bunte Pavillons. Ganz am Ende erhebt sich das prachtvolle Theatergebäude und weckt in mir Bilder von Damen in langen Kleidern Gentlemen mit Hut und Sonnenschirmen. Viele der Vorstellungen, die hier stattfinden, sind für die Einwohner kostenlos. Ein Kulturprogramm, das sich jeder leisten kann. Dienstag bis Samstag kann man das Theater für sechs Reais besichtigen.

Theatro da Paz
Rua da Paz/ Praça de la Republica
Centro, Belém – PA, 66017-210
Website: theatrodapaz.com.br

Açaí: 

Die lila Superfood – Beere kommt aus dem Amazonas. In Belém gibt es einen Markt, der schon früh morgens beginnt, kurz nachdem die Schiffe im Hafen ankommen. Dann werden die Beeren körbeweise abgeladen. Leider zu früh für mich. Stattdessen habe ich aber das Restaurante Point do Açaí gefunden, ein wahres Açaí Paradies. Vor der Tür steht eine lila Kuh. Drinnen sind die langen Tische voll: Familien, Freunde, viele Einheimische, alle essen hier zu Mittag. Die Speisekarte besteht aus Açaí mit Fisch, mit Fleisch oder mit Müsli. Es gibt alle erdenklichen Varianten.

açaí Belém

Restaurante Point do Açaí
Av. Blvd. Castilhos França, 744
Campina, Belém – PA, 66010-020
Website: www.pointdoacai.net

Círio de Nossa Senhora de Nazaré

Wir sind gerade zum Ende eines besonderes Festes in Belém gelandet. Jedes Jahr im Oktober findet hier die Prozession der Heiligen Nazaré statt. Viele Tausend Gläubige kommen in die Stadt, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Sie pilgern, beten und feiern. Die eigentliche Prozession haben wir allerdings um ein paar Tage verpasst. Es muss eine ganz besondere Feier sein, eines der größten katholischen Feste in Brasilien überhaupt. Ein superschön geschriebener Artikel  „Círio de Nazaré o chorar sem entender“ berichtet einfühlsam davon, wie leidenschaftlich die Menschen für die Gesundheit eines kranken Kindes, für einen Verwandten oder für einen großen Wunsch die mehrere Kilometer lange Pilgerstrecke der Prozession auf Knien zurücklegen. Von anderen Gläubigen und vielen freiwilligen Helfern werden sie angefeuert und motiviert, mit Wasser und allem versorgt, was ihnen helfen kann, ihr Versprechen der Heiligen gegenüber einzuhalten.

Eine ganz wichtige Rolle spielt das Seil, mit dem die Heilige Nazaré festgehalten wird, während die Pilger sie ein letztes Stück des Weges bergauf ziehen. Wenn die Statue am Ende an ihrem Platz angelangt ist und das Seil reißt, versucht jeder ein kleines Stück davon zu erlangen. Es soll Glück und Gesundheit für ein ganzes Jahr bringen, bis zum nächsten Oktober, wenn die Prozession wieder losgeht.

kirche Belém catedral da seCatedral do Seu

Tor zum Amazonas: 

Auf alle Fälle ist Belém DAS Tor zum Amazonas. Es ist die Eingangspforte in den brasilianischen Regenwald. Der schnellste und direkteste Weg von Europa in die grüne Wildnis ist ein Flug von Lissabon nach Belém. Vom Amazonasdelta aus kannst Du dann mit dem Boot weiter bis Santarém, Alter do Chão oder Manaus fahren.

 Vielen Dank an TAP Airlines für den Flug nach Brasilien. Meine Meinung ist davon nicht beeinflusst und die hier dargestellten Ansichten beruhen einzig und allein auf meiner persönlichen Erfahrung.