Störche brüten auf dem Dach, Gänse watscheln am Ufer des kleinen Mühlteichs. Fröhlich läuft ein Hund hinter den Gänsen her und verscheucht das Federvieh. Die Gänse fliehen prompt aufs Wasser. Dann kommt die alte Mühle eben ohne Gänse auf mein Foto. Hier auf der Finca Castell del Remei gibt es zum Glück noch genügend andere romantische Ecken, die ich fotografieren kann.

alte muehle hund-castell del remei siedlung

Ein echtes Schloss sollte es schon sein. Zum Glück hatte die Familie Girona gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts auch das passende Kleingeld dafür. Die zum wohlhabenden katalanischen Bürgertum Barcelonas zählende Familie ließ an historischer Stelle in der Ebene von Lleida, rund 130 km vor den Toren Barcelonas, einfach eine Burg nach ihren Vorstellungen bauen.

Als die Familie Girona den Grund und Boden erwarb, auf dem schon Iberer und Römer ihre Spuren hinterlassen hatten, wurde hier längst schon Weinanbau betrieben. Doch die Gironas wollten mehr, als nur eine Weinkellerei. Sie errichteten eine komplette Agrarkolonie, in deren Mitte sie eine prächtige Burg, mit vier Türmen bauten. Die ziert bis heute das Etikett der Castell del Remei Weine. Neben der neu errichteten Burg für die Hausherrn und den Gebäuden der Weinkellerei, entstanden weitere Gebäude wie Lager, Ställe, Wohnhäuser der Arbeiter und eine kleine Kirche. Es war ein richtiges kleines Dorf, in dem die Menschen fast wie in einer großen Familie zusammenlebten und arbeiteten.

castell del remei burg

Damals zur letzten Jahrhundertwende gab es rund um Barcelona viele solcher Projekte, mehr oder weniger autonome Arbeiterkolonien außerhalb der Stadt anzusiedeln. Mit der Industriellen Revolution waren auch viele soziale Probleme nach Barcelona gekommen. In der Stadt herrschte Unruhe, ein Pulverfass sozialer Spannungen, dem viele Industrielle nur zu gern ausweichen wollten. Vor allen Dingen in der Textilindustrie entstanden Siedlungen wie die Colonia Güell mit der Krypta von Antoni Gaudi.

Auf dem Hof vor dem Schloss treffen wir Mireia, die heutige Chefin des Weingutes. Jung, sportlich in legeren Jeans, mit langen blonden Haaren und klugen Augen kommt sie uns fröhlich strahlend entgegen. In den achtziger Jahren verkaufte die Familie Girona die Finca an die Familie Cusiné, die seitdem die Weinproduktion auf dem Castell del Remei übernommen hat.

Mireia führt uns in die alten Weinkeller. Riesige, sehr beeindruckende alte Gewölbe, in denen endlos scheinende Reihen an Weinfässern lagern. Es riecht nach steinigem Keller und dem Holz der Fässer. Ein ganz besonderer, herber Duft, den ich total gern mag, weil ich sofort an alte Ritterburgen denken muss. In einem der Räume stehen noch alte Utensilien, Traubenpressen und Blechschilder, die wie die Papierplakate heute Werbung für den guten Wein machen.

Weinkeller fass Castell del Remei Lleida

castell del remei plakat

castell del remei weinkeller faesser

weinkeller Castell del Remei

Während Mireia die Geschichte des Weinguts erzählt, entdecke ich ein paar Weinflaschen, die nicht das traditionelle Etikett der Burg, das Castell del Remei ziert, sondern mit einem Hasen-Etikett versehen wurden. Den Wein kenne ich! Ein sehr leckerer Tempranillo. Mireia bemerkt meine Überraschung natürlich sofort und erklärt, dass zum Castell del Remei mittlerweile vier verschiedene Weinkellereien gehören. Tomàs Cusiné ist nicht nur Chef des Weinguts Castell del Remei, Winzer, Oenologe und Mireias angetrauter Ehemann, sondern er betreibt noch andere Weingüter. Eines davon ist das relativ junge Weingut Tomàs Cusiné, von dem unter anderem der Llebre, der Rotwein mit dem Hasen, stammt. Die anderen beiden Marken unter dem Dach des Castell del Remei sind Cérvoles und Cara Nord. Etwas später beim Essen werden wir Tomàs sogar noch persönlich kennenlernen.

In dem Restaurant des Weinguts essen wir Mittag. Es gibt sehr leckere regionale Küche und Wein. Da ich den Gotim Bru und den Llebre schon kenne, empfiehlt Mireia uns einen Weißwein für die Vorspeise und einen Rotwein für das Hauptgericht. Und so koste ich zum ersten Mal einen Weißwein, der fast ein Rotwein sein könnte. Oda ist schon bei dem ersten Duft, der in meine Nase gelangt anders als andere Weißweine. Statt fruchtiger Zitrusnoten rieche ich sofort die schweren Eichenfässer, in denen der Wein gelagert wurde. Diese Komposition aus Chardonnay und Macabeo Trauben ist absolut gelungen.

ODa Wein blanc castell del remei

Zum Hauptgang öffnen wir dann den 1780 Rotwein. 1780 war das Jahr, in dem der Weinanbau auf der Finca begann. Damit ist Castell del Remei auch der älteste katalanische Weinkeller, der Crianza Weine produziert. Dem Namen entsprechend ist dieser Rotwein elegant, rund und wirkt irgendwie edel. Die kräftige Farbe unterstreicht die vielfältigen Aromen, würzig und nach reifen Früchten, erdig und mit leichten Vanillenoten, bin ich sofort begeistert von diesem guten Tropfen.

 Kirche Castell del remeicastell del remei verge del remei

Da das Weingut nach der Verge del Remei, der heiligen Jungfrau de los Remedios, benannt wurde, ist ihr natürlich auch die kleine Kapelle der ehemaligen Agrarsiedlung gewidmet. Mireia hat den Kirchenschlüssel und zeigt uns das gar nicht so kleine Gotteshaus. Sobald wir das Kirchenschiff betreten, erklingen von irgendwo chorale Gesänge. Es ist die Pregaria de la Verge del Remei, ein Lied zur Anbetung der Jungfrau de los Remedios. Während ich so die ländlichen Motive der Malereien ansehe und dabei den Chor singen höre, kriege ich ein bisschen Gänsehaut. Es kommt mir vor, als könne ich diese Welt der Weinbauern fühlen. Als ob hinter mir die inbrünstig singenden Frauen und Kinder in den Kirchenbänken säßen. Ich bin völlig unerwartet echt beeindruckt, denn eigentlich mache ich mir nicht sonderlich viel aus Kirchen. Aber diese hier ist so … lebendig.

Hand Verge del remei Kirche Castell del remei

 Kirche Castell del remei

Wieder draußen im Sonnenschein spazieren wir noch um einen alten Mühlteich und zu den in der Nähe des Castell del Remei liegenden Weinbergen, die jetzt im März natürlich noch ziemlich kahl und leer in die Ferne erstrecken. Im Herbst, kurz vor der Traubenernte muss das hier ein fantastisches Bild sein! Mireia erzählt, dass es hier jedes Jahr am zweiten Sonntag im Oktober ein richtiges Dorffest gab und immer noch gibt – darauf ist sie besonders stolz. Eine Festa Major auf dem Castell del Remei. Ich merke mir innerlich den Termin schon mal vor. Das will ich mir unbedingt ansehen!

wein felder im Winter castell del remei

In dem kleinen Laden der Finca kaufe ich noch schnell etwas ein. Ich verlasse Mireia schließlich mit zwei Kisten Wein im Kofferraum. Der weiße Oda, und die roten 1780, Gotim Bru und Llebre kommen jetzt mit zu mir nach Hause.

Weine Castell Remei Laden

Finca Castell del Remei – von der Agrarsidelung und der heiligen Jungfrau:

castell del Remei roemische steine galerie alte römische Inschrift, gefunden 1743:
ATILIAE SPURI F. VOILLAE M. ANTONIUS NACHUS

Finca Castell del Remei
25333 – Castell del Remei (Lleida)
Website: http://www.castelldelremei.com/

Leider steht die imposante Burg der Finca heute leer. Mireia und Tomàs haben schon viele der alten Gebäude restauriert, kümmern sich um Gänse und Störche und haben noch viele Ideen, auch für die Burg. Mir fallen spontan natürlich auch zwei bis drei tolle Sachen ein, die man hier machen könnte. Also bitte alle ordentlich von dem guten Wein trinken, denn so eine Burg zu renovieren kostet Geld. 🙂

D.O. Costers del Segre

Die Weine des Castell del Remei gehören zur D.O. Costers del Segre, einem der spanischen Weinanbaugebiete mit geschützter Herkunftsbezeichnung. Benannt ist das Anbaugebiet nach dem Rio Segre, einem Fluss, der sich von den ersten Höhenzügen der Pyrenäen bis in die Ebene Lleidas erstreckt. Auf einer Fläche von über viertausend Hektar, in rund tausend Meter Höhe gelegen, entstehen hier ganz besondere Bergweine. Und eine Weinroute gibt es natürlich auch. Die ruta del vi de Lleida führt von Weinkeller zu Weinkeller, vorbei an mittelalterlichen Schlössern und Burgen durch die Landschaften Lleidas: www.rutadelvidelleida.cat

castell del remei

Hand Verge del remei Kirche Castell del remei

Pregària a la Verge del Remei:

Die Jungfrau de los Remeidos ist eigentlich eine Schutzheilige für Schwangere. In vielen Dörfern Kataloniens, aber auch in anderen spanischen Regionen und in Lateinamerika wird sie nach wie vor von den Gläubigen verehrt. Die pregària a la verge del Remei ist ein Lied aus der Feder Lluís Millet, dem Gründer des Volkschors Orfeó Català. Zu dem „Projekt“ Ende des neunzehnten Jahrhunderts altes, katalanisches Liedgut auch den ärmeren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, gehörte auch der Bau des Palau de la Música Catalana in Barcelona.

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Dieser Artikel entstand im Rahmen eines dreitägigen Blogtrips durch Lleida, zu dem Carmen und ich  von der Diputació de Lleida eingeladen wurden. Die hier dargestellten Ansichten sind davon unbeeinflusst. Sie beruhen auf meinen persönlichen Erfahrungen und spiegeln ausschließlich meine eigene Meinung wieder.