Als ich am Morgen aufwache, hüllt sich der Cristo Redentor in dicke Wolken. Dabei soll es doch erst am nächsten Tag regnen. Wieso ist der Himmel dann heute schon so zu? Bei meinem letzten Besuch in Rio konnte ich den Cristo aus Zeitmangel schon nicht sehen. Dieses Mal soll es unbedingt klappen. Und nun das. Gestern hatte ich schon online versucht mir ein Ticket zu buchen. Das hat aber nicht funktioniert, weil das Formular auf der Webseite eine brasilianische Personalausweisnummer von mir haben wollte. Am Infostand, dem Posto 3 an der Copacabana. habe ich auch schon erfolglos versucht, eine Tour auf den Corcovado zu kriegen. Das ging aber auch nicht, weil ich meinen Reisepass am Strand nicht dabei hatte und mit Bargeld kann man leider sowieso nicht zahlen, nur mit Kreditkarte. Pass und Kreditkarte lagen aber brav zu Hause, bei meiner Freundin Vanessa in Ipanema.

cristo Redentor-Rio-de-Janeiro

Angesichts der trüben Aussichten gehe ich also erst einmal mit der vierjährigen Chloé einen Café da manha trinken. Chloé ist Vanessas Tochter. Während mich die Kleine fachmännisch zu ihrem Lieblingscafé führt, kann die Mama ausnahmsweise noch ein Stündchen länger schlafen. Ich freue mich über Chloés quirlige und überraschend entschlossene Art. Sie weiß ganz genau wohin sie will und nimmt mich einfach ins Schlepptau. Sie führt mich zu einer kleinen Bäckerei mit Cafébetrieb gleich um die Ecke. Brot wollte ich eigentlich nicht kaufen.

Die Kommunikation ist etwas erschwert, weil Chloé nur Portugiesisch spricht – und ich nicht. Aber dafür scheinen alle Angestellten die kleine Prinzessin bestens zu kennen. Sie wird überall und von jedem lächelnd begrüßt. Chloé hat wirklich das ganze Viertel um den Finger gewickelt. Ich kaufe ihr einen kleinen Kakao und wir setzen uns in das Café nebenan. Es dauert eine Weile, bis ich herausfinde, dass ich erst in der Bäckerei ein Ticket kaufen muss, mit dem ich dann hier am Tresen meinen Kaffee bestellen kann. Ach so geht das!

Nach dem abenteuerlichen Frühstücksausflug bringt Chloé mich sicher und wohlbehalten wieder nach Hause. Mittlerweile haben sich die Wolken über dem Cristo etwas verzogen. Vielleicht wird es doch noch was mit dem Cristo heute. Bevor es morgen dann wahrscheinlich regnet, entscheide ich einfach, dass heute der Tag ist, das berühmte Weltwunder aus der Nähe zu bestaunen. Ich warte nicht länger. Die Frage ist nur, wie komme ich hin?

Mein Weg zum Cristo Redentor:

Es gibt drei klassische Möglichkeiten zum Cristo Redentor zu gelangen. Von Cosme Velho fährt der trenzinho, eine alte Straßenbahn, die zwar sehr schön sein soll, aber auch für die langen Warteschlangen bekannt ist. Dann gibt es Minibusse, die von der Copacabana aus starten. Aber dafür habe ich vergeblich versucht ein Ticket zu kriegen. Bleibt noch die dritte Möglichkeit: Irgendwie mit dem Auto oder Taxi zu einem großen Parkplatz, etwas unterhalb des Gipfels, zu gelangen. Der Platz heißt Paineiras und von dort sind es nur noch zwei Kilometer zur Statue.

Eigentlich gibt es auch noch eine vierte Möglichkeit, nämlich zu Fuß vom Parque Lage. Aber die Option ist heute mal nichts für mich. Ich entscheide mich stattdessen, mit dem Taxi zum Parkplatz zu fahren und von da aus dann zu Fuß das letzte Stück bis zum Cristo Redentor zu wandern. Die Taxifahrt geht schnell. In wenigen Minuten erreiche ich den Paineiras und stehe vor einem verfallenen Gebäude. Etwas weiter unten fahren Minibusse alle paar Minuten zum Gipfel. Manche kommen von der Copacabana und fahren direkt nach oben, manche fahren auch erst hier los.

cristo Redentor Corcovado Vans Paineiras

Ich frage einen Parkwächter nach dem Eingang, wenn man zu Fuß bis zum Gipfel des Corcovado gehen will. “Da oben in dem Gebäude”, erklärt er mir. Für den Besuch des Monuments muss ich dort so oder so Eintritt zahlen. Klingt logisch. An einem Container vor dem verfallenen Bauwerk kaufe ich mir also ein Ticket. Nur die Option “zu Fuß” gibt es irgendwie nicht. Ich kriege eine Karte für die kurze Fahrt mit dem Minibus, Hin- und Zurück, für achtunddreißig Reias, ungefähr zehn Euro. Dann fahre ich eben hoch. Ich will mich ja nicht streiten und es ist sowieso ziemlich heiß.

Mit dem Ticket in der Hand muss ich dann im Zickzack durch das offene Erdgeschoss der verfallenen Halle. Das Gebäude ist total leer. Auf der anderen Seite komme ich wieder nach draußen und stehe am Ende einer Warteschlage. Vor mir wird die Schlange schnell kürzer, hinter mir wächst sie. Offenbar bin ich hier heute die einzige Ausländerin. Das hier scheint der Eingang der Brasilianer zu sein. Um mich herum sprechen alle Portugiesisch. Ich bin zwar etwas verwundert, aber zum Glück geht es echt schnell vorwärts.

Nach nur zehn Minuten sitze ich bereits im Minibus. Während der kurzen Fahrt sehe ich rechts und links des Weges dann doch einzelne, verschwitzte Gesichter von Touristen, die den Berg per pedes erklimmen. Keine Ahnung wie sie den Weg zu Fuß gefunden haben, aber sie sehen sehr erschöpft aus und ruhen meistens Wasser trinkend und schnaufend am Wegesrand. War wohl doch gut, mit dem Minibus zu fahren. Ich bin jedenfalls happy mit meiner Entscheidung. Als wir nach kurzer Fahrt ankommen, tummeln sich dort schon Hunderte Besucher. Es ist richtig viel los. Aber das war ja zu erwarten, denn der riesige Christus aus Stahlbeton zählt seit 2007 zu den neuen sieben Weltwundern.

Cristo Redentor von hinten

Über ein paar Treppen geht es zu dem hohen Podest, auf dem die Statue dreißig Meter in den Himmel ragt. Ich nähere mich dem Cristo Redentor zunächst von hinten. Vor ihm liegen die Leute rücklings auf dem Boden. Aber sie tun das nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern weil sie versuchen, den perfekten Schnappschuss zu erwischen. Sieht lustig aus, wie sie da alle platt liegen. Andere Besucher bilden einen wahren Wald aus Selfiesticks oder stellen sich mit ausgebreiteten Armen, in Cristo-Position, vor die Kamera eines Familienangehörigen oder eines Freundes. Den Erlöser lässt das alles ziemlich kalt. Er blickt in stoischer Ruhe in die Ferne.

Cristo Redentor Rio de Janeiro Corcovado

Cristo Redentor Rio de Janeiro

Trotz des ganzen Trubels bin ich stolz, den Cristo nun endlich mit eigenen Augen zu sehen. Mit dreißig Metern ist er zwar längst nicht mehr die höchste Christusstatue  (das war der Cristo Redentor nur von 1931 bis 1981), aber immer noch die sechsthöchste der Welt. Obwohl ich ihn mir irgendwie größer vorgestellt hatte. Sicher, er ist alles andere als klein, aber irgendwie dachte ich, er sei höher, mächtiger. Ich weiß es auch nicht so genau. Egal. Die Aussicht ist trotz des diesigen Wetters beeindruckend. Rio liegt unter mir. Ich gehe einmal ganz um das Monument herum und entdecke den Zuckerhut, die Lagoa und Ipanema.

 Cristo Redentor Aussicht Rio de Janeiro Lagoa
cristo Redentor Corcovado Aussicht auf Rio de Janeiro Zuckerhut

Dann mache ich mich wieder auf den Rückweg. Die Minibusse fahren durchgehend. Einer wechselt den anderen ab. Dieses Mal dröhnt portugiesischer Hardrock in voller Lautstärke aus den altersschwachen Boxen, während wir die kurvige Straße bergab fahren und ich von meinem Fenster aus in das vorbeirasende grüne Dickicht blicke. Als ich wieder an der Zwischenstation Paineiras angelangt bin, sehe ich mich suchend nach einem Taxi um. Vergeblich. Der Rückweg scheint nicht ganz so einfach zu sein, wie der Hinweg.

Die Leute kommen fast alle mit den Bussen hoch und fahren mit demselben, vorgebuchten Ticket auch wieder zurück. Oder sie haben ein Auto hier irgendwo geparkt. Wenn man, wie ich, auf eigene Faust mit dem Taxi kommt, ist das natürlich längst weg. Ich muss also zusehen, dass ich ein freies Taxi finde, denn warten die dürfen die hier oben nicht. Schließlich habe ich Glück: Ein eifriger Taxifahrer bietet mir seine Dienste an. Der Preis ist zwar wesentlich höher als auf dem Hinweg, aber ich bin jetzt nicht wählerisch. Als Touri zahlt man immer etwas mehr. Dafür habe ich jetzt endlich im dritten Anlauf den Cristo gesehen.

aussicht Corcovado Cristo Redentor

Website: www.cristoredentor.org

Hinweis: Der Flug nach Rio de Janeiro wurde von Condor Airlines unterstützt.