Also das war so… Im Grunde genommen bin ich nur als Begleitung in Edinburgh gelandet. Eigentlich ist Lina nämlich diejenige, die dieses Mal Recherche betreibt und diverse Termine hat. Ich laufe einfach nur mit, gucke und genieße die Stadt – auch mal schön. Lina arbeitet an einem Projekt über die gälische Sprache, also das schottische „Gàidhlig“. Sie untersucht, wie die Schotten zu dieser Minderheitensprache stehen, wie und wo Gaelic unterrichtet wird, ob man die Sprache noch retten kann, oder ob sie vielleicht schon zum Aussterben verdammt ist. So viel zum Hintergrund der Geschichte.

Highlands Schottland

Das größte Problem bei der Recherche scheint es zu sein, dass die letzten Regionen, in denen tatsächlich noch Gaelic gesprochen wird, auf den schottischen Inseln oder weit ab, in den Highlands zu finden sind. Die Institutionen, Ämter, Schulen, Universitäten, etc.  befinden sich aber in den Städten, also in Edinburgh und Glasgow. Theoretisch hätten wir also noch einen Abstecher zu den Highlands & Islands machen müssen. Das hätten wir ja auch gern, vor allem, weil es wunderschön dort ist, aber bei der knappen Zeit und einem bis ans Limit gestreckten Budget, reicht es einfach nicht mehr für eine Fahrt in den hohen Norden.   🙁

Dafür kriegen wir aber einen anderen Tipp: in einem Stadtteil von Glasgow soll es besonders viele „Highlander“ geben, die von den Bergen in die Stadt gezogen sind, um dort Arbeit zu finden. Angeblich sollen sie sich dort in gewissen Pubs treffen, in denen man noch Gaelic spricht. Da uns verschiedene Leute denselben Tipp geben und dieselben Pubs nennen, scheint da was dran zu sein. Wir kaufen uns also eine Zugticket für den nächsten Tag nach Glasgow.

Highlander Glasgow Street

Sobald wir aus dem Queen Center Station raus sind, müssen wir erstmal dieses Einwanderer-Viertel finden. Ein netter Typ an der Metro kann uns leider nicht weiterhelfen. Wir kommen uns schon ein wenig komisch vor, mit unserem Anliegen fremde Leute anzuquatschen. Eigentlich ist es ja auch gar nicht mein Projekt, aber im Laufe dieser Tage fiebere ich mit und identifiziere ich mich langsam immer mehr mit der Geschichte. Gern würde ich irgendwie mithelfen, diese schöne, alte Sprache irgendwie zu „beschützen“, auch wenn ich nur einen ganz kleinen Minibeitrag leisten kann.

Da wir ohne Hilfe wohl nie ans Ziel kommen werden, heißt es allen Mut zusammen nehmen und weiterfragen. Ein junger Mann weiß schließlich Bescheid. Endlich! Die Argyle Street, ganz am Ende des Stadtplans, circa eine halbe Stunde Fußweg vom Zentrum entfernt – das ist unser Viertel! Wieder zählt uns der nette Mensch dieselben Pubs auf, von denen wir schon gehört haben. Prima! Wir sind kurz vor dem Ziel! Nur noch eine halbe Stunde trennt uns davon, die ersten gaelic speaker zu interviewen.

Erstaunlicherweise ist Glasgow sehr hügelig. Das überrascht mich. Und windig ist es. Die Kaputze sollte man hier auch im Sommer besser über die Ohren ziehen! Schließlich finden wir die gesuchte Straße, aber keines der Pubs ist in Sicht. Die Argyle Street ist lang, sie scheint fast unendlich lang… so ein Mist. In welcher Richtung fangen wir an? OK, zunächst nach rechts. Da steht an einer Ecke ein Pub namens Ben Nevis, unter dem Namensschild etwas auf Gaelic. Ben Nevis steht zwar nicht auf unserer Liste, aber wenn Gàidhlig draußen dran steht…

Wir gehen also rein. Bei kaltem Wind aber immerhin schöner Mittagssonne öffnen wir die Tür ins dunkle, muffige Innere. Pubs sind echt für kalte Winterabende, aber an einem schönen Sommertag, auch wenn er etwas kühl und frisch  ist,  kommt man sich merkwürdig vor, so als ob man in ein dunkles Loch klettern würde. Die echten Pubs haben irgendwie etwas von Höhlen, nur dass sie nicht mit Fellen auslegt sind. Aber es ist warm, es ist dunkel, es gibt zu Essen und zu Trinken…

Egal. An der Theke zapft ein Mann ein Bier. Am Thresen steht nur ein älterer Herr, sonst ist die Bar leer. Wir grüßen ganz freundlich und Lina erlärt ihr Anliegen  (… auf der Suche nach gaelic speakern, blabla…)  Ich spreche kein Gälisch, ist seine Antwort. Das versteh ich noch. Der Rest der Erklärung des Barkeepers ist mir ein Rätsel. Irgendwas mit Fish kriege ich noch mit, und dabei zeigt er auf die andere Straßenseite. Wir bedanken uns artig und schätzen mal, dass er meinte in einem Fischläden gegenüber würde der Inhaber Gaelic sprechen, oder zumindest aus dem Norden sein. Ok. Möglich wär das.

Wieder auf der Straße ist weit und breit kein Fischladen zu sehen. Wir fragen einen Passanten … Die Leute sind so herzlich und freundlich, aber leider verstehe ich echt nur einen Bruchteil von dem, was sie sagen.  Dabei hört sich dieser Singsang so nett an!

Highlander Glasgow

Jedenfalls weiß der Passant auch nichts und kennt keinen Fischladen hier in der Nähe. In einem echt alt aussehenden Antiquitätenladen versuchen wir es weiter. Vielleicht ist der Inhaber ja auch schon älter und kann uns weiterhelfen. Lina geht allein rein, denn er der Laden ist klein und bis oben gefüllt mit zerbrechlichem Gerümpel. Zu zweit mit Taschen und Kamaras ist da kein Platz. Nach fünf Minuten kommt sie mit einem jungen glatzköpfigen Mann wieder raus. Total nett, leicht punkig aussehend, scheint es der Besitzer zu sein. In breitestem Schottisch schlägt er vor, wir sollten unser Glück doch mal in den Pubs versuchen. Wieder nennt er die uns schon bekannten Namen, dieses Mal zeigt er uns aber auch wo genau sie zu finden sind. Gut. Das Stück können wir auch noch laufen. Vielen Dank!

Auf dem Weg kommen wir an einer ganz kleinen Bar vorbei. Groß und fett leuchtet ein aufgemalter Fisch vorne an der Scheibe. Fisch?! Meinte der Ben Nevis Typ vielleicht diese Bar? Wir gehen rein. Ja, der Besitzer kommt aus dem Norden und ist ein native speaker. Nein, leider ist er gerade nicht da. Ob wir nächste Woche wiederkommen könnten? So ein Mist. Eine Dame, die an einem der Tische mit einer Freundin plauscht, springt begeistert auf: Ihr sucht Gaelic speaker? Mein Mann ist ein native speaker. Kann ich euch helfen? Er kommt morgen wieder! Ach miste. So nah dran. Leider verlassen wir Glasgow heute bereits wieder, da morgen schon der Flug nach Hause geht. (Meinen Vorschlag, dass sie sich doch per Mail bei Lina melden könnten, ignorieren irgendwie alle.) Wieder bedanken wir uns und ziehen mittlerweile echt frustriert, noch ein paar Häuser weiter.

Endlich stehen wir vor der berühmt berüchtigten Park Bar, dem Pub in dem es vor Gaelic speakern nur so wimmeln soll. An der Theke werden wir von einer jungen Frau nach unseren Wünschen gefragt. Wir erklären kurz, um was es geht. Sie spricht mit einer älteren Dame, die wohl die Chefin sein muss. Die dreht uns den Rücken zu, murmelt von der Seite irgendwas Unverständliches und geht weg.  Hm? Die junge Dame kommt zurück: – Tut mir sehr leid, aber heute sind gerade keine Gaelic speaker anwesend. Wie bitte???? Aber was sollen wir tun? Mit den Füßen stampfen hilft ja auch nicht weiter.

Eine letzte Chance bleibt uns noch, das Islay (Islays sind übrigens meine Lieblingswhiskys, nur mal so nebenbei). Kurz bevor wir die Tür erreichen, geht diese auf und eine struntzbetrunkene Frau torkelt heraus. Sie hält sich noch einen Moment lang an einer Laterne fest, dann fällt sie um, Beine in die Höh‘. Eine zweite Frau, ihre Freundin wie es aussieht, kommt ihr zu Hilfe, redet mit ihr und stellt sie wieder hin. Ehm… ob das ein guter Moment ist da aufzutauchen? Helfen können wir nicht. Die Dame ist zwar sturzbetrunken, aber ihre Freundin und der Wirt haben das alles im Griff (sie hat sich nicht verletzt und ist am Ende in ein Taxi geschoben worden). Es sieht alles sehr routiniert und eingespielt aus. Aber der Inhaber scheint doch leicht genervt zu sein. Mist, Mist, Mist.

Nach ein paar Minuten gehen wir trotzdem rein, bestellen eine Cola und setzen uns in eine Ecke. Die Laune ist so ziemlich am Nullpunkt angelangt. Irgendwie ist mir gerade nicht mal nach Whisky. Wie in den anderen Pubs auch, riecht es stickig und ist dunkel. Und es ist voll. Alles ist mit Teppich ausgelegt und erinnert mich wieder an eine Höhle. Als wir unsere Getränke kriegen (ich glaube wir sind die Einzigen, die kein Bier trinken) frage ich die Bedienung doch noch, ob sie vielleicht jemanden kennt, der Gàidhlig spricht. Die Bedienung holt den Chef. Lina erklärt zum zigten und letzten Mal an diesem Tag ihr Projekt. In einer Stunde geht unser Zug zurück nach Edinburgh.

Highlander Glasgow

Ohne das Gesicht zu verziehen, zeigt uns der Wirt den erhobenen Zeigefinger. Moment? Achtung? Eins? Einen? Wenn ich doch nur besser Schottisch verstehen würde. Schließlich kapieren wir es:  eine Minute, ich hole ihn! Wir trauen unseren Ohren nicht!!

Keine Minute später kommt ein rüstiger, 70er jähriger Mann auf uns zu. Er sagt etwas auf Gaelic und grinst bis über beide Ohren. Er freut sich richtig über unser Interesse. Wir strahlen auch – und wie! Endlich haben wir einen gefunden! Einen echten Highlander, der auch noch Gaelic spricht!  Lina interviewt ihn glücklich und fast ein wenig ungläubig. Unser Highlander beantwortet alles geduldig und erzählt sogar noch ein bisschen mehr: dass er zuhause nur Gälisch gesprochen hat, bis er 5 Jahre alt war, dass er erst in der Schule Englisch lernen musste, … Er liebt seine Sprache und ist stolz darauf. Es macht richtig Spaß ihm zuzuhören. Am liebsten würde ich ihn umarmen. Dann berichtet er uns stolz, dass er auch schon mal in Barcelona war, in Sitges auf Hochtzeitsreise. Und dass es ihm sehr gefallen hat.  🙂

Nach einer Weile sind alle Fragen gefragt und wir sind total happy. Der Highlander geht,  dreht sich noch mal um und ruft etwas, das sich wie „tappaluu “ anhört. „tapadh leatleibh“ heißt es  wohl, ist natürlich Gaelic und bedeutet Danke schön. Oder so. Wir rufen tappaluu zurück!

Obwohl ich ausnahmsweise mal nicht muss, muss ich doch auf  die Toilette, denn dort sind die Damen- und Herrenklos auf Gàidhlig beschriftet. Das will ich fotografieren. Auf dem Weg zum Örtchen komme ich an dem Tresen vorbei, an dem unser Freund mittlerweile wieder Platz genommen hat. Unser Highlander grinst mich an und winkt mich zu sich. Ich gehe hin. Er nimmt meine Hand und fängt an zu hüpfen. Und zu singen. Auf Gàidhlig. Seine Freunde grinsen. Das ist mein Lieblingstanz meint er, steht immer noch hüpfend, strahlend und mich immer noch an der Hand haltend, auf.

Hui. Was mache ich, wenn ein fast 80er jähriger Mann an meiner Hand zu hüpfen anfängt? Mithüpfen natürlich! Er singt ein Lied von einer Frau, die Katherina heißt, ein Liebeslied scheinbar. Dabei dreht er mich unter seinem Arm durch, hüpft mit mir nach rechts und links. Wir drehen uns im Kreis. Er dreht mich unter seinem Arm hindurch – Highlander sind ganz schön groß – und so tanzen wir ein paar Minuten zu zweit, im Pub. Dann ist das Lied vorbei. Er ist jetzt ganz still, hält aber immer noch meine Hand, immer noch mit einem herzlichen, lieben Lächeln auf den Lippen und einem strahlenden Blick in den Augen. Ich bin völlig fasziniert, einfach hin – und weg.  Zu gern würde ich ihm jetzt auch etwas Nettes in seiner Sprache sagen können. Am liebsten würde ich ihn glatt mit nach Hause nehmen, diesen wunderbaren, echten, unglaublichen Highlander.

Es tut mir so leid, jetzt gehen zu müssen. Fast traurig, stehe ich wieder vor der Tür, im Sonnenschein, im kalten Wind. Ich habe ihn richtig liebgewonnen. Als ich immer noch halb verdattert, im Bus zum Bahnhof sitze, fällt mir siedendheiß ein, dass ich nicht mal seinen Namen weiß! Oh nein!!! Aber ich werde ihm schreiben! Ich werde eine Postkarte aus Barcelona an das Pub schicken und hoffen, dass sie ihn erreicht.

Highlander Glasgow

Highlander Glasgow