Chronik der Grafen von Barcelona:

Eigentlich ist die Geschichte Barcelonas natürlich viel länger, aber irgendwo muss man ja anfangen. Statt bis zu den den römischen Siedlern, oder gar noch weiter, bis zu den verschiedenen Stämmen, die dereinst auf dem Gebiet des heutigen Kataloniens lebten, zurück zu gehen, fange ich meine Geschichte Kataloniens mit Wilfried dem Haarigen, Guifré el Pelós, an.

Es war die Zeit kurz vor dem Beginn der christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel, die bis dahin fest in den Händen der Mauren lag. Im Norden des heutigen Spaniens, gleich hinter den Pyrenäen, hatte Karl der Große bereits einige Versuche gestartet, die maurischen Kämpfer in ihrem ungebremsten Eroberungsdrang zu hindern. Allerdings hatte er dabei nur mäßigen Erfolg, denn die Kalifate waren zu diesem Zeitpunkt eine sehr starke Macht, sowohl kulturell, als auch politisch und militärisch. Um das Frankenreich vor ihnen zu schützen, richtete er daher die Spanische Mark ein. Ein Gebiet, das als Pufferzone zwischen den Kalifaten im Süden und den christlichen Reichen Europas dienen sollte.

So lange Karl lebte, funktionierte das mehr oder weniger gut. Nach dem Tod des großen Herrschers zerfiel das Imperium jedoch bald unter seinen Söhnen. Genau das ist der Moment, in dem Guifré el Pelós die Bühne der Geschichte betritt. In Carcassonne geboren, wurde der engagierte und sehr kämpferische junge Mann von seinem König, dem Nachfolger Karls des Großen, bald zum Grafen von Barcelona ernannt. Die Geschichtsschreiber sind sich nicht ganz einig, ob es Ludwig der Fromme oder Karl der Kahle war, der Wilfried adelte. Auf jeden Fall aber waren die Grafschaften der Spanischen Mark auf Lebenszeit verliehene Titel der karolingischen Krone.

Statue Heiliger Karl der Grosse Sant Carlemany
Carlmagne im Museum der Kathedrale von Girona

Über das Privatleben Guifrés weiß man nur sehr wenig. Mit Sicherheit weiß man nur, dass er sehr behaart war. Angeblich habe ihn seine Mutter nach längerer Abwesenheit sofort wiedererkannt, weil er „Haare an einer Stelle hatte, an der Männer sonst keine Haare haben“. Ob das an den Füßen, auf der Nase oder hinter den Ohren gewesen sein mag, ist allerdings nicht überliefert. Seinen Beinamen „der Behaarte“ trug er wohl nicht umsonst.

Guifré el Pelós (840-897):

Guifré war also Graf von Barcelona, und wie gesagt, ein sehr engagierter und kämpferischer Typ. Er besiegte die sporadisch immer wieder angreifenden Truppen aus dem Süden und brachte bald auch die Grafschaften von Osona, Girona, Urgell, Cerdanya und Conflent in seine Macht. Damit herrschte er über einen großen Teil der Spanischen Mark, diese wichtige Grenzregion, die Kaiser Karl der Große 801 gegen das sich immer weiter ausbreitende Reich der maurischen Kalifate ins Leben gerufen hatte. Von hier aus sollte die Reconquista, die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel, die dann aber doch noch ein paar Jahrhunderte auf sich warten ließ, beginnen.

Guifré war jedoch nicht nur in den Kämpfen gegen die Mauren sehr erfolgreich. Als einen seiner größten Erfolge betrachtet man heute die von ihm betriebene Besiedlungspolitik. Seine Strategie, die ihm verliehenen Ländereien gegen Angriffe der Mauren zu sichern, bestand darin, die ziemlich öden und einsamen Gebiete, die er zurückerobert hatte, möglichst schnell mit möglichst vielen Bauern neu zu besiedeln. Zusätzlich gründete er in diesen Gegenden zahlreiche Klöster, die bald zur Entstehung weiterer Siedlungen führten. So entwickelten sich immer mehr Dörfer und Burgen, die Bewohner beackerten erfolgreich das Land, trieben Handel und verteidigten ihr Territorium selbst gegen die gelegentlichen Übergriffe der Mauren.

Das wohl bedeutendste von Guifré gegründete Kloster ist Santa Maria in Ripoll. Die Katalanen betrachten es als Wiege des Vaterlandes. Es war ein Hort des Wissens, der Bildung und der Kultur. Bald entwickelte sich das nur wenige Kilometer entfernte, ebenfalls von Guifré gegründete Kloster San Joan de les Abadesses unter der Herrschaft von Guifrés jüngster Tochter Emma de Barcelona zu einem zweiten, wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Region.

kreuzgang kloster ripoll Guifré el Pelós
Kreuzgang Kloster Ripoll

Auch wenn Guifré also ein bedeutender Mann in der Spanischen Mark war, war er nach wie vor ein Vasall des karolingischen Herrschers, der ihm seine Ländereien und Titel verliehen hatte. Geschickt konnte Guifré jedoch die Schwäche des französischen Königreichs unter der Regierung Ludwig des Frommen nutzen, um seine eigene Macht zu stärken und die ihm verliehenen Ländereien und Titel an seine Nachkommen zu vererben.

Guifré gilt den Katalanen bis heute als ein pare de la pàtria, Vater des Vaterlandes. Nach seinem Tod teilte er die Titel und Ländereien seiner Grafschaften unter seinen Söhnen auf. Seine Töchter Emma und Xixilona ernannte er zu Äbtissinnen und stattete sie, bzw. die Klöster, ebenfalls mit großen Ländereien aus. Das schlichte Grab des ersten Grafen von Barcelona befindet sich übrigens im Kloster Ripoll.

Guifre comte Kloster Ripoll

Die Legende:

Einer beliebten Legenden zufolge, soll der französische König seinem tapferen Untertan aus Dankbarkeit für die erfolgreichen Kämpfe gegen die Mauren ein Wappen verliehen haben. Bei dem Besuch des Königs am Sterbebett des in der Schlacht tödlich verletzten Guifré, berührte der Monarch die Wunde mit der Hand. Mit seinen nun vom Blut Guifrés gefärbten Fingern, zog er vier rote Streifen auf das bis dahin leere Schild des Grafen. So entstand ein gelbes Schild mit vier roten Streifen, der Legende nach die Geburtsstunde der katalanischen Fahne. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte ist zwar umstritten, aber kaum eine andere Legende erfreut sich hier größerer Beliebtheit.

Guifré el Pelós Legende Kloster Ripoll Interpretationszentrum
Gemälde der Legende – Ausstellung in Ripoll zur Geschichte Kataloniens

Fortsetzung folgt: In Teil 2 der Geschichte Kataloniens geht es demnächst weiter mit Guifrés Enkel Borrell II und dem Urenkel Ramon Borrell.