Sie träumten davon ein ideales Dorf zu bauen, harmonisch, mit allem, was man eben so braucht: einer Kirche, einem Rathaus, vielen kleinen hübschen Häusern und natürlich mit echten Handwerkern und Restaurants. Also machten sie sich auf die Suche nach den perfekten Zutaten. Dafür fuhren die beiden Architekten Francesc Folguera und Ramon Raventós und die beiden Künstler Miquel Utrillo und Xavier Nogués, durch ganz Spanien. So erklärt es jedenfalls das kurze Video am Eingang des Poble Espanyol den Besuchern.

Miquel Utrillo hatte nur wenige Jahre zuvor bereits für einen amerikanischen Millionär namens Deering ein ähnliches Projekt in Sitges umgesetzt: Utrillo hatte für den exzentrischen Amerikaner Teile von Häusern aus dem ganzen Land gesammelt und zu einem Palast, dem Palau Maricel, zusammengesetzt. Als der berühmte Modernist Puig i Cadafalch dann mit der Planung des spanischen Pavillons für die Weltausstellung 1929 betraut wurde, schickte er Utrillo, der ja schon Erfahrung in diese Richtung gesammelt hatte, gemeinsam mit den anderen auf die Suche.

Poble Espanyol Montjuïc boden

Die Umsetzung dieser Idee des idealen Dorfs ist den Abenteurern am Ende so perfekt gelungen, dass sich die harmonische Ansammlung verschiedenster Bauten aus allen Teilen des Landes zum Star der Weltausstellung mauserte. Das Poble Espanyol war 1929 der meistbesuchte Pavillon. Ein guter Grund ihn nicht – wie die meisten anderen Bauten – einfach abzureißen.

Poble Espanyol de Montjuïc

“Das eigentlich Interessante ist,” verrät mir Silvia, “dass nicht die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten nachgebaut wurden, sondern dass man versucht hat, die einfachen, aber typischen Gebäude der Regionen so detailgenau wie möglich zu bauen”. Hin und wieder gab es natürlich kleine Veränderungen, schließlich war das Hauptziel ja ein ideales Dorf zu kreieren. Das Rathaus zum Beispiel, vor dem wir stehen und unseren Rundgang beginnen, ist wesentlich größer als das Original in Vall-de-roures (Terol), damit es zur Größe des Dorfplatzes passt (In diesem Ayuntamiento des Poble Espanyol wurde übrigens das Ende des Films „Das Parfum“ gedreht, den ich aber leider nicht gesehen habe).

poble espanyol rathaus
rathaus Poble espanyol Montjuic

Direkt neben dem Rathaus befindet sich ein Gebäude mit einem hübsch begrünten Balkon. Die Ecke des Traurigen, “El Rincon del Triste” steht auf einem Schild. Silvia erzählt mir die Geschichte dieses ungewöhnlichen Namens für so ein schönes Plätzchen. „Ein Mann hatte eine so hässliche Tochter, dass niemand sie heiraten wollte. Sie wurde daraufhin ganz traurig und ging auch nicht mehr aus dem Haus. Um seine Tochter aufzuheitern, verkleidete sich der Vater und schlich sich abends zum Balkon seiner Tochter. Dort brachte er ihr Ständchen dar und tat so, als werbe er um sie. Der Trick gelang, sie wurde wieder fröhlicher und erkannte den Vater nicht. Als der dann aber einiges Tages unerwartet starb und gleichzeitig der vermeintliche Verehrer nicht mehr erschien, starb auch die Tochter vor lauter Trauer.“ Das ist aber wirklich eine traurige Geschichte – und etwas merkwürdig ist sie auch.

Pobel Espanyol Barcelona

Und dann stehen wir vor einem Pilger mit Jakobsmuschel. Nun geht es also in Richtung Galizien. Hinter dem Pilger befindet sich eine Tafel, auf der die Bedeutung des Jakobswegs erklärt wird. Unser Weg führt uns vor die Treppen der Kirche aus Santiago de Compostela. Natürlich sind nicht alle Stufen nachgebaut worden, dann müsste man hier eine Etage anbauen, aber man kann den unteren Teil der Treppen genau erkennen. Rechts und links säumen typische Häuser aus Galizien und Asturien mit weiten Balkonen, unter denen man vor Regen Schutz findet, den Weg.

poble espanyol Treppen Galizien

Oben angekommen stehen wir vor der Kirche der Carmelites d’Alcanyís. Rechts davon, in einem kleinen Kloster, befindet sich etwas ganz Unerwartetes: Ein modernes Kunstwerk des katalanischen Künstlers Josep Guinovart. Es ist ein bunter Wald, aus Holz und Plastik, der über mehrere Etagen reicht. Eine Schulklasse wandelt gerade zwischen den Stämmen umher und die Kinder versuchen verschiedene Figuren und Pflanzen zu erkennen. Spannend!

poble espanyol barcelona espai Guinovart

Einmal um die Ecke sind wir schon wieder in einer ganz anderen Welt. Die Torre d’Utebo ist der Glockenturm einer Kirche aus Saragossa. Bei diesem Campanar de los Espejos ist der maurische Einfluss nicht zu übersehen. Der bunte, detailreiche Turm mit vielen geometrischen Mustern ist im Gotischen Mudéjar Stil errichtet. Dieser so hell und freundlich wirkende Mix aus maurischen und christlichen Kunstrichtungen war damals für viele Gegenden Spaniens sehr typisch. Silvia berichtet, dass die aus dem sechzehnten Jahrhundert stammende Kirche in Utebo leider völlig zerstört wurde. Um das Gotteshaus möglichst originalgetreu wieder aufzubauen, kamen die Planer nach Barcelona und kopierten die Kopie im Poble Espanyol!

Poble espanyol Montjuic spanisches Dorf
poble espanyol barcelona maurischer Kirchturm

An einer Wand der Kirche hängen lange Eisenketten. Ich frage natürlich nach der Bedeutung und Silvia klärt mich auf. Zu Zeiten der Reconquista, der christlichen Rückeroberung der spanischen Gebiete und der Vertreibung der Mauren, hängten befreite christliche Gefangene diese Fesseln als Zeichen ihrer wiedergewonnenen Freiheit an die Kirchenmauern. Also keine Kunst sondern ein „Statement“.

Was nur Wenige wissen, mitten im Poble Espanyol befindet sich ein Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst, das Museu Fran Daurel. Der Eintritt ist bereits im Poble Espanyol mit inbegriffen, denn der Stifter dieser privaten Kunstsammlung wollte, dass diese Werke einem breiten Publikum zugänglich sein sollten. Und so wandle ich etwas überrascht durch die Galerie der Picassos, Mirós, Dalís, Tàpies und anderer berühmter Gemälde und Skulpturen katalanischer Künstler.

poble espanyol Museu art

Wieder wechseln wir die Region. Nun geht es durch ein andalusisches Viertel. Enge Gassen schlängeln sich zwischen weiß getünchten Häusern entlang. Kleine Bögen spenden etwas Schatten. Sogar Flamenco Vorführungen gibt es hier – und das in Barcelona!

Am Ende der andalusischen Gasse stehen wir vor einem schicken Palast mit teils echten, teils aufgemalten Fenstern. Ich bin erstaunt, als Silvia mir erklärt, dass die Fenster auch im Original nur aufgemalt seien, und dass es sich hier nicht etwa eine Sparmaßnahme der Bauarbeiten zur Weltausstellung handelt. Der Palau del Marquès de Peñaflor (Sevilla) aus dem achtzehnten Jahrhundert wurde mit diesen gefakten Fenster versehen, um Geld zu sparen. Früher musste auf jedes Fenster eine Steuer gezahlt werden. Also entschlossen sich viele Bauherren nur so viele Öffnungen für den Lichteinfall zu bauen, wie unbedingt notwendig. Zur optischen Symmetrie malte man die restlichen Fenster dann einfach an die Außenwand.

poble espanyol barcelona andalusische Gasse
poble espanyol barcelona Andalusien

Natürlich wollten die vier unternehmungslustigen Architekten und Künstler, die für das Projekt Poble Espanyol durch ganz Spanien reisten, auch ein typisches Gebäude der Balearen in ihrem perfekten Dorf nachbauen. Für eine Reise nach Mallorca reichte das Budget jedoch nicht. Also nahm man ein ein Foto zur Hand und baute das Haus danach ziemlich originalgetreu nach. Wie sich erst viele Jahre später herausstellte, hat das Mallorquiner Haus im Poble Espanyol allerdings die falsche Farbe, es ist nämlich gelb, während das Original weiß ist. Das Foto, an dem sich die Planer orientiert hatten, hatte einen Gelbstich!

Eine super Idee hatten die Einwohner in dem kleinen Dorf Prades (Tarragona). Der Dorfbrunnen, der das ganze Jahr über Wasser spukt, wird jedes Jahr zur Festa Mayor entleert und mit Cava, dem spanischen Sekt, gefüllt! Da will ich auch hin!

poble espanyol barcelona champagner Brunnen font de Cava

Durch ein Stadttor geht es hinaus auf einen kleinen ruhigen Platz. Von hier hat man einen super Ausblick auf Barcelona! Über eine Brücke geht es zum Kloster. Das Kloster ist allerdings kein nachgebauter Komplex, sondern ein Mix, denn die Fassade ist der Santa Maria de Porqueres (Girona) nachempfunden, der Glockenturm stammt jedoch aus Taradell (Barcelona).

Im Innenraum der Klosterkapelle hat man romanische Malerei nachempfunden, wie man sie noch heute in vielen Dörfern finden kann. In einer Ecke sitzt ein Mönch an einem Schreibpult und es erklingen gregorianische Gesänge. Durch eine kleine Tür gelangt man in einen winzigen Kreuzgang. Aber wie wunderschön! Es ist richtig still hier und total „romantisch“. Silvia meint, dass sich hier oft Leute trauen lassen. Die Kirche ist nämlich geweiht, so dass hier tatsächlich Hochzeiten stattfinden können.

poble espanyol barcelona Kloster
poble espanyol barcelona kreuzgang kloster

poble espanyol barcelona baskische Häuser

Dann treten wir auch fast schon wieder den Rückweg an. In der “Geschäftsstraße” erinnern die Häuser an die Dörfer oben im Baskenland. Hier darf ich noch einen Blick in die Läden werfen und einigen Handwerkern bei der Arbeit zusehen. Da ist zum Beispiel Pedro, der Meister des Leders, der Taschen und der Gürtel. Ein echter Künstler! Nebenan gibt es Korbflechter, Gitarrenbauer, Weber, Graveure und eine Stickerin. Encarna, eine ältere Dame, die die Stickereiwerkstatt im Poble Espanyol betreibt, ist schon seit vielen, vielen Jahren hier. Jeden Tag kommt sie zu Fuß den Berg hinauf, stickt den ganzen Tag und geht erst am Abend wieder zu Fuß nach Hause.

poble espanyol barcelona Handwerk Leder poble espanyol barcelona Handwerker Korbflechter  poble espanyol barcelona Handwerk Werkzeug
Am beeindruckendsten von allen Handwerkern sind natürlich die Glasbläser. In ganz Katalonien gibt es nur noch sehr wenige Glasbläsereien, denn kaum jemand erlernt diesen körperlich anstrengenden Beruf heute noch. Umso faszinierter schaue ich den beiden Künstlern bei der Arbeit zu. Es geht alles so schnell. Jede Bewegung sitzt. Flink drehen und ziehen, kneifen und blasen sie das heiße Glas. Sie müssen ein unglaubliches Gespür für dieses sensible Material haben. Eine falsche Bewegung und das Glas würde platzen. Aber die beiden hier haben jahrelange Erfahrung. Da geht nichts mehr schief. Vor meinen Augen verwandelt sich ein glühender Klumpen in wenigen Sekunden in einen Schwan, eine Katze, ein Pferd. Auch wenn ich so ein Tierchen wohl nicht zu Hause in mein Regal stellen werde, kann ich mich kaum von diesen geschickten Händen losreissen, die da so flink, grazile und zerbrechliche Dinge erschaffen können.

poble espanyol barcelona Glasbläserei

glasbläser

Nützliche Infos:

El Poble Espanyol de Montjuïc
Avinguda Francesc Ferrer i Guardia, 13
08038 Barcelona
Website: www.poble-espanyol.com
Metro L1 und L3: Plaça Espanya
+ ca. 10 Minuten Fußweg oder
+ von der Metrostation mit dem Bus Linie 13, 23 oder 150 auf den Montjuïc fahren

poble espanyol barcelona Leder Kunstkleines Leder-Kunstwerk von Pedro Sañudo

Poble Espanyol Eintritt:
Eintritt Erwachsene: 12 Euro
Eintritt Kinder zwischen 4 und 12 Jahren: 7 Euro
Familie (2 Erwachsene + 2 Kinder) 33 Euro
Nachts (ab 20 Uhr): 7 Euro
Mehr Infos zum Eintritt und Preisnachlässen findet Ihr auf der Website.
Video- und Audioguides auf Deutsch kann man von 9 bis 18 Uhr leihen:
Preis Videoguide: 4,50 Euro
Preis Audioguide: 3,50 Euro

poble espanyol Montjuic barcelona Strasse

Poble Espanyol Öffnungszeiten:
Das Museumsdorf ist das ganze Jahr über geöffnet.
Mo von 9 bis 20 Uhr
Di, Mi, Do von 9 – 24 Uhr
Fr von 9 – 3 Uhr
Sa von 9 – 4 Uhr
Sonntags von 9 – 24 Uhr

Wer bei so viel Kultur hungrig wird, findet auch diverse Restaurants, Bars und Cafés. Es ist ja schließlich ein echtes Dorf. Im Sommer kann man in der Picnic Area auch sein mitgebrachtes Brötchen futtern. Wie mir Sílvia erzählt hat, kommen nämlich auch viele Familien und ganze Schulklassen aus Barcelona hier her, denn gerade für Kinder gibt es viel zu sehen.

Pilger Poble Espanyol