Hoch oben in der Luft kann ich sie gerade noch so erkennen, die Geier. Ohne Fernglas sind die Nester auf den Felsen nur mit blossen Augen gar nicht mehr zu sehen.

„Wären Sie ein Geier, dann könnten Sie dahinten auf dem Gipfel, in dreihundert Metern noch ein totes Kaninchen auf der Erde liegen sehen“, erklärt der Guide des Besucherzentrums gerade einer älteren Dame, die beeindruckt durch eines der Fernrohre schaut, die auf der Terrasse aufgebaut sind.

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Suchend drehe ich an meinem Fernrohr und versuche es so auszurichten, dass ich die Nester oben in den Felsen sehen kann. Näher kommt man nämlich an die Viecher gar nicht heran. Schließlich sollen die Vögel nicht beim Brüten gestört werden.

Geier müssen wirklich unglaublich gute Augen haben. Wahrscheinlich kompensieren sie mit diesem messerscharfen Blick die fehlende Nase. Besonders gute Krallen, wie Adler oder andere Greifvögel sie haben, stehen den Geiern ja auch nicht zur Futtersuche zur Verfügung. Ihre einzige Waffe sind praktisch die Augen. Sogar die Verständigung untereinander erfolgt mittels des gut ausgebildeten Sehvermögens. Wenn ein Geier anfängt zu kreisen und sich abwärts bewegt, sehen seine Kollegen das sofort. Sie lesen praktisch seinen Flug aus der Entfernung. Im Nullkommanix ist eine ganze Horde da, um die gefundene Beute gemeinsam zu verspeisen. Haben die Geier beispielsweise ein totes Schaf entdeckt, ist schon nach rund fünfzehn bis dreißig Minuten nichts mehr davon übrig.

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Geier lassen wirklich nichts umkommen. Sie sind Allesfresser, die Putzkolonne der Natur. Einige Arten haben sich darauf spezialisiert, die weichen Innereien der toten Tiere zu fressen. Die Weichteilfresser sind die, die einen langen Hals ohne Federn haben, wie die Gänsegeier. Federn würden beim Fressen nur stören. Mönchsgeier hingegen haben sich mit ihrem starken Schnabel darauf spezialisiert, zähe Teile wie Muskeln oder Haut zu fressen. Und Bartgeier schlucken sogar Knochen. Bis zu dreißig Zentimeter lange Knochen schlucken sie einfach so weg und zersetzen sie erst im Magen. Ist ein Knochen doch mal zu groß, fliegen sie hoch, lassen den Knochen fallen, sodass er zerbricht, und fressen dann die kleineren Stücke.

Aber es gibt auch Geier, die ein bisschen von allem fressen und Kleintiere, Früchte oder Eier auf dem Speisezettel haben. Schmutzgeier sollen manchmal sogar auf Müllkippen nach Nahrung suchen.

Erstaunlicherweise gehen, bzw. hüpfen diese Vögel auch ziemlich viel. Allerdings ist ihr Gang alles andere als elegant. Sie watscheln eher tollpatschig und wirken dabei irgendwie bedrohlich.

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Eigentlich, so erzählt der Guide, waren die Geier im Lozère und in ganz Frankreich schon ausgestorben. Teilweise sind sie zwar von Menschen gejagt worden, aber vor allem war das Verschwinden ihrer Nahrungsgrundlage schuld daran, dass die Vögel hier nicht mehr leben konnten. Als aus hygienischen Gründen kein verendetes Vieh mehr in der Gegend herumlag, fanden sie nichts mehr zu fressen. Auch die Tatsache, dass manche Bauern Gift auslegten, um Füchse und andere kleine Räuber daran zu hindern, ihre Hühner zu fressen, schadete der Population der Putzkolonne. Die Geier fraßen die vergifteten Füchse und verendeten.

Erst Mitte des letzten Jahrhunderts begann man mit zaghaften Wiedereinführungsversuchen. Alle scheiterten jedoch kläglich. Schließlich ging man planvoller vor und hielt die Aasfresser zunächst in einer Art riesigen Voliere. Gleichzeitig sorgte man dafür, dass ausgewählte Bauern ihr totes Vieh an ganz bestimmten Plätzen ablegten. Dann ließ man die Vögel frei, sodass sie gezielt Nahrung finden konnten.

Der Plan ging auf. Die Strategie funktionierte so gut, dass es mittlerweile wieder eine einheimische Population gibt. Geier sind zwar Zugvögel und verbringen den Winter im warmen Afrika, aber viele Pärchen kommen jeden Sommer hierher. „Geier sind treue Tiere. Sie suchen sich einen Partner und mit dem kehren sie immer wieder zu ihrem Nest zurück.“

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Eine Geierdame legt nur ein Ei pro Jahr. Mama und Papa wechseln sich dann mit dem Brüten ab. Nur gerade mal eine Hand groß, wenn es schlüpft, hat so ein Junges nach nur zwei Monaten fast schon die Größe der Eltern erreicht. Dann kommt der schwierige Teil der Erziehung, der Nachwuchs muss fliegen lernen. Geier können nämlich nicht einfach so von Geburt an fliegen. Sie nutzen die Thermik beim Gleitflug und das müssen die Kleinen erst einmal üben. Mit dieser Flugtechnik können diese großen Greifvögel übrigens gar nicht fliegen, wenn es regnet oder sehr neblig ist. Dann müssen sie irgendwo so lange ausharren und abwarten, bis das Gefieder getrocknet ist.

Geschlechtsreif ist ein Geier überraschenderweise erst mit vier Jahren. Bei diesem langsamen Erwachsenwerden ist es kein Wunder, dass das mit der Erhaltung der Art so schwierig ist. Aber zum Ausgleich werden die Aasfresser dafür ziemlich alt. An die vierzig, fünfzig Jahre kann so ein Tier alt werden.

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Infos zum Thema Geier im Lozère:

Jedenfalls läuft das Projekt der Wiedereingliederung der Geier in die Naturlandschaften des Lozère sehr erfolgreich. Das kleine Besucherzentrum, von dem aus man einen Blick auf die Berggipfel mit den Nestern werfen kann, zeigt auch Filme und gibt ausführliche Erklärungen zum Leben der Tiere.

gorges-de-la-jonte-lozere-freibeuter-reisenDie Maison des Vautours liegt in den Gorges de la Jonte, ganz in der Nähe der Gorges du Tarn.

Maison des Vautours
(früher: Belvédère des vautours)
Le Truel
48150 Saint-Pierre-des-Tripiers
Lozère/ Frankreich

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Am Abend habe ich in dem kleine Dörfchen Le Rozier im Restaurant L’Alicanta gegessen. Fürstlich gespeist muss ich eigentlich sagen, denn sowohl die Vorspeise als auch die Hauptspeise waren echte Delikatessen.

Restaurant L’Alicanta – Hotel Doussiere
Website: www.hotel-doussiere.com

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Übernachtet habe ich in einem kleinen Chambre d’hôtes, Hotel Garni „La Pause“, auch in Le Rozier.

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Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips durch das Lozère.