Laut heult der Wind um die Burgzinnen. Es ist kalt hier oben auf dem Wehrgang der Festung von Carcassonne. Ein raues Klima herrscht auf dem Hügel, auf dem sich die Häuser der Altstadt in einer mächtigen, uneinnehmbaren Burg zusammengedrängt haben. Schon auf dem Weg hierher hat sich der Himmel plötzlich hinter einer Decke dicker, schwarzer Wolken versteckt. Ich kuschele mich in meine dünne Jacke und hoffe, dass es nicht regnen wird. Doch schon nach zehn Minuten hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft und scheint nun wieder auf die alten Mauern, und auf mich, hinab.

Carcassonne cite und bruecke

Im Mittelalter lebten hier in der Gegend um Carcassonne die Katharer. Sie waren zwar Christen, aber sie glaubten vor allem an das neue Testament und verehrten das Evangelium des Johannes. Sie predigten unter freiem Himmel und ihre Priester und Priesterinnen verpflichteten sich zu asketischem Leben. Die Katharer, oder Albigenser, wie sie auch genannt wurden, waren so etwas wie ein christlicher Gegenpol zur damals eher korrupten und mächtigen katholischen Kirche. Die war im Mittelalter mehr Machtinstrument der Reichen als Seelsorger der Armen.

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Die einfache asketische Lebensweise und sicher auch die Tatsache, dass die Katharer auf der Landessprache, nämlich in Okzitanisch, statt auf Latein predigten, brachte ihnen im ganzen Süden Frankreichs viele Anhänger. Besonders die einfache Bevölkerung nahm diese christliche Religion an, wenn auch oft erst auf dem Sterbebett. Viele Menschen vermachten der Katharer Kirche ihre weltlichen Güter, sodass diese über ein stattliches Vermögen verfügte.

Die meisten Markgrafen Okzitaniens ließen die Katharer gewähren und boten ihnen Schutz. Die Gegend war wohlhabend und der Handel florierte. Südlich der Pyrenäen hatten sich aus der Spanischen Mark unter der Herrschaft der Grafen von Barcelona das Königreich Aragon und Katalonien entwickelt. Seit Jahrhunderten bestand eine enge Bindung der Grafschaften diesseits und jenseits der Pyrenäen. Guifré el Pelòs, Urvater der Katalanen, und Ermessenda, eine der mächtigsten Damen des Mittelalters, stammten aus Carcassonne. Auch die Sprache, Okzitanisch, ist näher mit dem Katalanischen verwandt als irgendeine andere Sprache. Zu Beginn des zwölften Jahrhunderts war Raimond-Roger von Trencavel*, Herr über die Burg und Vizegraf von Carcassonne.

Da Papst Innozenz III. in Rom die kleine Gruppe religiöser Rebellen ein Dorn im Auge war, rief er 1209 zum Kreuzzug gegen die Katharer auf. Simon de Montfort, ein kleiner Adeliger vom Hofe des französischen Königs Louis III, der damals lediglich über die eher kleine Gegend rund um Paris herrschte, setzte sich an die Spitze des Kreuzzuges gegen die Albigenser.

Zunächst zieht das Heer gegen die Stadt Béziers. Als er gefragt wird, wie die Soldaten denn die Christen von den Katharern unterscheiden können, hat er laut Überlieferung geantwortet „Tötet sie alle! Gott wird die seinen schon erkennen.“ („Tuez les tous, Dieu reconnaîtra les siens„) Und so wurde die Stadt in Brand gesteckt, Männer, Frauen und Kinder in einem Blutbad gemetzelt. Rund 20.000 Menschen wurden brutal ermordet. Dann stand das Heer vor den Toren von Carcassonne, damals noch eine normale Burg, keine Megafestung. Obwohl Raimond-Roger Trencavel selbst Katholik war, hatte er die in seinem Gebiet lebenden Katharer toleriert und geschützt. Das reichte aus, um zur Zielscheibe der Kreuzritter zu werden.

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Als sich mit dem heranrückenden Heer auch die Nachricht vom Blutbad in Béziers verbreitete, suchte die Bevölkerung Schutz auf der mittelalterlichen Burg. Trencavel wollte ein Massaker wie das in Béziers vermeiden und versuchte mit den Kreuzrittern zu verhandeln. Doch der Plan schlug fehl. Zwar ließ man die Bevölkerung ziehen, doch der Graf wurde gefangen genommen und auf der eigenen Burg festgesetzt. Dort herrschte von nun an Simon de Montfort und leitete von hier aus seine Truppen. Drei Monate später starb Graf Raimond-Roger plötzlich, angeblich an Magenverstimmung, wahrscheinlicher aber wohl, wurde er vergiftet. Die Burg von Carcassonne und die dazugehörigen Ländereien fielen nun in die Hände des französischen Königs Louis VIII. Der begreift langsam, welche Vorteile ihm aus diesem Kreuzzug des Papstes erwachsen können und welche Ländereien ihm da in den Schoss fallen können.

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Nacheinander wurden immer mehr Burgen und Schlösser im Languedoc erobert. 1211 nahm Simon de Montfort die Châteaux de Lastours ein und ließ sie bis auf die Grundmauern zerstören. 1212 greift der Graf von Barcelona und König von Aragón Pere el Catòlic in das Geschehen ein. Selbst überzeugter Katholik, springt Pere wenn auch spät, mit seinen Truppen schließlich dennoch den Grafen im benachbarten Okzitanien zur Seite. Bevor er militärisch eingreift, versucht er jedoch zu verhandeln. Er bietet Simon de Montfort an, seinen damals dreijährigen Sohn und potenziellen Thronfolger Jaume, mit der Tochter Montforts zu verheiraten. Der in Montpellier geborene Jaume wird den Armen seiner Mutter entrissen und in die Obhut Montforts überstellt.

Als nur zwei Jahre später 1213 Pere el Catòlic in der Schlacht von Muret stirbt, befindet sich der Thronfolger der Krone von Aragón in den Händen des Feindes auf der Burg von Carcassonne. Es dauert noch Jahre, bis Jaume nach Barcelona gebracht und dort erzogen wird.

Als Louis IX, der Heilige seinem Vater Louis VIII 1226 mit nur zwölf Jahren auf den Thron folgt, sind Okzitanien, Languedoc und die Provence bereits Frankreich unterworfen. Die Katharer fliehen in andere Gegenden. Viele von ihnen versuchen die Pyrenäen zu überqueren und über den Camí dels Bons Homes nach Katalonien und Aragón zu gelangen.

Da die Kirche der Katharer zwar über viele Anhänger aber nur über wenige spirituelle Anführer verfügte, waren die Gläubigen bald in alle Winde zerstreut. Doch gänzlich ausgerottet war die Sekte nach dem Albigenserkreuzzug nicht. Es folgte erst noch die Inquisition. Die katholische Kirche kannte keine Gnade. 1321 wurde der letzte Parfait* auf einem Scheiterhaufen verbrannt.

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Carcassonne: La Cité und la Bastide

Aus Carcassonne wurde unter der Herrschaft des französischen Königs eine uneinnehmbare Festung. Die Cité wurde durch eine mächtige Außenmauer verstärkt, die die Stadt gegen Angriffe aus dem südlichen Königreich Aragón schützen sollte. Doch innerhalb der Mauern baute man eine weitere Festung mit Burggraben und Schießscharten, die das eigentliche Schloss umgab. Dieser Schutzwall sollte zwar auch mögliche Feinde abhalten, diente aber vor allen Dingen dazu, die neuen Bewohner der Burg vor den Einwohner der Stadt von Carcassonne zu schützen.

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1240 stellt sich der Ausbau dieser Festung als kluge Entscheidung heraus. Denn als Raimond Trencavel, Sohn des ermordeten Grafen Raimond-Roger, versuchte, Carcassonne zurückzuerobern, hielt die Bevölkerung der Stadt zu ihm und kämpfte an der Seite des ehemaligen Burggrafen. Leider erfolglos. Um seine rebellischen Untertanen zu bestrafen, verbannte König Louis IV die Bewohner der Cité an den Fuß des Hügels. Dort ließ er in einem schachbrettartigen Muster die Unterstadt, la Bastide, errichten.

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Während sich oben auf dem Hügel, vor allem im Sommer, die Besucher aus aller Welt in den niedlichen Gassen der alten Burg drängen, bleibt die Unterstadt meistens recht unbehelligt vom Trubel dort oben. Kaum einer der Touristen nimmt sich die Zeit, durch die kleinen Straßen der Unterstadt zu bummeln oder die Umgegend zu erkunden. Dabei gibt es im Land der Katharer so viel zu entdecken!

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In der „neuen“ kleinen Siedlung erheben sich mehrere Kirchen und eine große Kathedrale. Auf dem zentralen Place Carnot findet gerade ein Gemüsemarkt statt. Auf den Neptunbrunnen mitten auf dem Marktplatz sind die Bewohner besonders stolz.

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König Louis XIII sorgte mit dem Bau des Canal du Midi für ein weiteres Weltkulturerbe in der kleinen Stadt. Das Prestigeobjekt des Sonnenkönigs sollte den Atlantik mit dem Mittelmeer verbinden. Große Schiffe verkehren hier jedoch nicht. Auf dem Kanal tuckern Ausflugsboote gemächlich durch die grüne Landschaft.

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Châteaux de Lastours

Nicht weit von Carcassonne entfernt, in den Montagne Noirs, den schwarzen Bergen, liegt das Dorf Lastours. Dort erheben sich auf einem Felskamm die Ruinen ehemaliger Katharerburgen. Die Festungen, in denen die Katharer damals Schutz gesucht hatten, ließ König Louis IV dem Erdboden gleichmachen. Es sind das Château de Cabaret, die Tour Régine, das Château de Surdespine und das Château de Querthineux.

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Vom Dorf führt ein Wanderweg zu den Ruinen. Die Tour dauert nur zwei Stunden. Ich stehe auf einem Hügel gegenüber des Felskamms und habe von hier aus einen Blick auf alle Burgen gleichzeitig. Es sieht schon sehr beeindruckend aus, wie die alten Steine nach so vielen Jahrhunderten noch immer trutzig aus dem dunkelgrünen Wald emporragen. Auf den Wegen dazwischen kann ich die Wanderer nicht nur sehen, sondern sie sogar hören. Was für eine Akustik! Leider geht in wenigen Stunden mein Zug nach Hause. Aber ich nehme mir ganz fest vor, bald wieder zu kommen, und auch zwischen den alten Burgen umherzuwandern.

Mehr Infos zu Carcassonne:

(*) Bereits einige Generationen vor Raimond Roger hatte einer seiner Vorfahren den Spitznamen Trencavel erhalten (Okzitanisch: trenca avelana / Katalanisch. trenca avellana = bedeutet der Knacker von Haselnüssen = „Nussknacker“), der sich dann zum Familiennamen der damaligen Herren von Carcassonne entwickelte.

(*) Parfait = ein Vollkommener, ein „guter Mensch“, bon home : So nannte man die betenden Asketen, die predigend durch das Land zogen

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Nette kleine Restaurants und Cafés zum Essen:
Freaks
30 rue de Verdun
11000 Carcassonne

Le Petit Moka
4 Place Carnot
11000 Carcassonne

Geschlafen habe ich im Hôtel du Château, das sich direkt am Eingang zur Cité befindet. Beim Frühstück am Morgen kannst Du schon den Blick auf die alte Burg genießen.

Hôtel du Château
2 Rue Camille Saint-Saëns
11000 Carcassonne
Website: www.hotelduchateau.net

Interessante Links zum Thema Katharer: 

Die Katharer verteilten sich auf verschiedene Gruppen im Süden Frankreichs. Oft werden sie auch Albigenser, nach der Stadt Albi, genannt.

www.katharer.de
www.okzitanien.de
www.camidelsbonshomes.com

Dieser Artikel entstand im Rahmen des #FrenchCultureAward 2017 auf Einladung von Atout France und Carcassonne Tourisme. Meine Meinung ist davon unberührt. Mit diesem Beitrag nehme ich am French Culture Award 2017 teil.