Im Hafen von Marseille erhebt sich seit 2013 das Museum für die Kulturen Europas und des Mittelmeers kurz Mucem genannt. Ein spektakuläres Gebäude, das spannende Ausstellungen beherbergt.

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Eigentlich beginnt die Geschichte des Mucem schon in den neunziger Jahren mit der Schließung eines anderen Museums. Das Gebäude des Musée national des Arts et Traditions Populaire (ATP), das sich seit den siebziger Jahren im Bois de Boulogne in Paris befand, musste wegen Asbestverseuchung geschlossen werden. Statt wie in vielen Völkerkundemuseen damals üblich, exotische Exponate aus allen Ecken der Welt zu sammeln, war die Grundidee des ATP Alltagsgegenstände der französischen Kultur zu bewahren. Ein „Louvre des Volkes“ nannten die Franzosen das Museum.

Nach der Schließung überlegte man in Paris lange, wohin die umfangreiche Sammlung des ATP verlegt werden kann und entschied sich schließlich für Marseille als neuen Standort. In der alten Metropole am Mittelmeer suchte man zu der Zeit gerade eine neue Verwendung für das alte Fort Saint Jean, das bis dahin eine Militärkaserne war und nun als Kulturerbestätte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Marseille schien die perfekte Wahl für ein Museum, das von nun an das Gedächtnis der Kulturen des Mittelmeers und Europas bewahren würde. So schrieb man 2002 den Bau eines neuen Gebäudes aus und das erste nationale Museum Frankreichs machte sich auf den Weg Paris zu verlassen.

Sechs Architekten reichten ihre Pläne ein. Den Zuschlag erhielt der ungewöhnliche Entwurf von Rudy Ricciotti, einem der kreativsten und experimentierfreudigsten Architekten Frankreichs.

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Im Mucem bin ich mit Tilman Reichert verabredet, einem deutschen Architekten aus dem Büro Ricciottis, der mit für diesen Bau verantwortlich ist. Er erklärt mir, wie dieses außergewöhnliche Gebäude entstanden ist.

Rudy Ricciotti hatte eine extravagante Idee: Er wollte ein bis dahin ganz neues, kaum benutztes Material einsetzen und das Museum mit einem ultrafesten Beton (UHPC) bauen. Bisher hatte man dieses Material nur in Atomkraftwerken verwendet. Ein gewagtes Projekt, doch das UHPC hat entscheidende Vorteile, die Ricciotti zu nutzen weiß. Das neue Material ist durch die extrem feine Körnung wesentlich druckfester und belastungsfähiger als herkömmlicher Beton. Gleichzeitig ist es gegen die Witterung, das aggressive Salzwasser und starke Winde gefeit. Ein schwarzer Beton, der keinen Anstrich braucht und Kosten spart. Auch die Ökobilanz des Museums ist durch ein ausgeklügeltes Belüftungs- und Kühlsystem einzigartig, erklärt Tilman.

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Aus diesem ultrafesten Beton ein Gebäude zu entwickeln, das sich in die Umgebung einfügt, zu dem alten Fort passt und ausreichend Platz für die Ausstellungen bietet, war eine Herausforderung. Den Architekten gelingt in einer Mischung aus trickreicher Technik und Kreativität ein bahnbrechendes Projekt. Der ultraharte Beton eröffnet ganz neue Möglichkeiten.

Ricciotti wollte von Anfang an ein offenes und transparentes Gebäude schaffen. Über verschiedene Wege, Treppen und Brücken können die Besucher das Gebäude begehen, ohne dabei das Museum selbst zu betreten. Dank des ausgeklügelten Sonnenschutzes entstand ein offener Raum. Die Form der Betonteile, die das eigentliche Museum wie ein verzweigtes Werk aus Adern, Wurzeln oder Algen umziehen, ist bewusst unbestimmt, offen gelassen worden. Die unregelmäßigen Muster sorgen dafür, dass sich die äußere Haut des Mucem fast selbst trägt, ohne an eine konkrete Form zu erinnern.

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Der Effekt ist fantastisch. Durch den transparenten Sonnenschutz verbindet das Gebäude Himmel und Meer, ist ein Teil von beiden. Wolken und Meer scheinen zum Greifen nah. Der ultraharte Beton wirkt leicht, fast schon verträumt, wenn er mit Licht und Schatten spielt wie auf den Dachterrassen Marokkos.

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Ein schlichter, schwarzen Bogen verbindet das moderne Gebäude mit dem alten Fort Saint Jean. Über die Brücke, die sich leicht und beinahe schwerelos über das Wasser biegt, gehe ich zu der alten Festung.

Das Fort aus dem siebzehnten Jahrhundert wurde unter König Louis XIV zu einer großen Festung umgebaut. Einerseits sollte diese Anlage den Hafen gegen Angreifer und Piraten schützen, die damals auf dem Mittelmeer ihr Unwesen trieben. Anderseits jedoch waren die Kanonen auf die Stadt, nicht auf das Meer gerichtet. Louis XIV fürchtete mögliche Aufstände der Bewohner, denn Marseille gehört erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert zu Frankreich und die Einwohner der Stadt waren bekannt für ihren stolzen, rebellischen Charakter.

FEStung Saint Jean Marseille Mucemdie jahrhundertealte Kapelle des Johanniterordens ist Teil des Fort Saint Jean 

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Von der alten Festung aus werfe ich noch einen letzten Blick auf das Mucem. Was aus der Ferne noch wie ein schwarzer Würfel aussah, hat sich bei näherem Hinsehen als eine vielschichtige Überraschung entpuppt. Ein Gebäude, das sich scheinbar mühelos mit seiner Umgebung verbindet und dabei so unglaublich stark ist, dass es Meer und Winden trotzt. Der Entwurf des Mucem ist mehr als die geniale Nutzung eines neuen Materials. Den Architekten ist es gelungen ein Gebäude zu schaffen, das das Mittelmeer regelrecht in sich aufnimmt und gleichzeitig ein Teil davon wird.

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Nützliche Infos zum Mucem :

Das Mucem liegt an der Esplanade du J4 im alten Hafen von Marseille.

Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée
7 Prom. Robert Laffont
13002 Marseille
Website: www.mucem.org

Von der alten Festung aus kann man gratis über die Brücke zum MuCem, durch das Museum oder um das Museum herum gehen, ohne die Ausstellungen selbst zu besuchen. Die Ausstellungsräume des Museums befinden sich sozusagen im Kern, im inneren Bereich des modernen Komplexes. Ein Konzept, das komplett auf offene Räume und öffentliche Nutzung angelegt ist.

Eintritt Mucem: 9,50 Euro
Ermässigter Eintritt: 5 Euro
Multimedia-Guide: 3,50 Euro

Noch mehr interessante Links:
Focus TV5 monde: Entretien avec Tilman Reichert
Rudy Ricciotti Website: rudyricciotti.com
Deutschlandfunk: 40.000 Quadratmeter Mittelmeer-Union
Süddeutsche: Architektur – Louis Vuitton übernimmt den Louvre des Volks

In den Archiven des Mucem lagern endlos viele Schätze, die zu den jeweiligen Ausstellungen noch mit Leihgaben erweitert werden. Insgesamt besteht das Archiv des Mucem aus neun verschiedenen Themengebieten, wie Landwirtschaft, Religion, Alltag, Politik, Sport, Körper und Sexualität, etc. zu denen die Kuratoren wechselnde Ausstellungen, Aktivitäten und Programme organisieren.

Die Abenteurer der Meere:

Im Moment zeigt das Mucem gerade eine Ausstellung über die Abenteurer der Meere. Die muss ich mir natürlich ansehen. Beim Betreten des Raums stehe ich zunächst vor einer riesigen Leinwand auf der sich meterhohe Wellen in einem wilden Ozean türmen. Die Aufnahmen sind unglaublich beeindruckend und wirken richtig bedrohlich. Um mich herum sind Gegenstände, Bilder und Legenden von Seemonstern aufgebaut.

Auf den Meeren lauerten viele bekannte und unbekannte Gefahren. Zur See zu fahren war kein Kinderspiel. Dennoch wagten mutige Seefahrer und Entdecker sich immer wieder hinaus aufs Meer und suchten neue Ufer. Auf wunderschönen alten Landkarten kann man sehen, wie sich die bekannte Welt im Laufe der Jahrhunderte veränderte. Mit den immer genauer werdenden Karten wuchs auch das Wissen. Die verschiedenen Kulturen kamen über das Meer zusammen, indem sie ihre Angst vor dem Unbekannten und die Gefahren überwanden. Sie begannen Handel zu treiben und voneinander zu lernen. Unterschiedliche Handwerkstechniken, die Herstellung von Glas und Keramik verbreiteten sich. Kenntnisse und Fertigkeiten wurden geteilt, verfeinert und weiterentwickelt.

Eine sehr spannende Ausstellung, die deutlich macht, wie sehr die verschiedenen Kulturen seit Jahrhunderten durch die Meere verbunden sind.

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In der Nähe des Bahnhofs befindet sich das Archiv des Mucem. Das Gebäude hat die exakt gleiche Grundfläche wie der schwarze Quader am Hafen. Bei den Führungen durch die Archive kannst Du sehen, welche Bandbreite an Gegenständen die Sammlung umfasst. In den Regalen stapeln sich polnische Krippen, die aussehen wie Walt Disney Schlösser, Skateboards und alte Werkzeuge. Religiösen Figuren ruhen neben Tellern und Vasen aus verschiedenen Jahrhunderten. Aus der ursprünglichen Sammlung französischer Volkskunst des ATP ist in Marseille ein Museum der Zivilisationen geworden, ein echtes Gedächtnis der mediterranen und europäischen Kulturen.

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MUCEM – Centre de Conservation et de Ressources
1 rue Clovis Hugues
13003 Marseille
Anfahrt:
Bus Linie 49 (Haltestelle Belle de Mai La Friche) oder Linie 52 (Haltestelle Pôle média oder Archives municipales)
Metro Linie 1 oder 2  Station Gare St-Charles

Dieser Artikel entstand im Rahmen des #FrenchCultureAward 2017. Die Übernachtung in Marseille erfolgte auf Einladung von Atout France und Mucem. Meine Meinung ist davon unberührt. Mit diesem Beitrag nehme ich am French Culture Award 2017 teil.