Joan ist ein waschechter Archäologe und hat fast alles ausgegraben, was es an der Costa Brava so auszugraben gibt, von mittelalterlichen Burgen bis zu römischen Siedlungen. Naja vielleicht nicht ganz alles, aber auf jeden Fall hatte er an den meisten und beeindruckendsten Ausgrabungsstätten seine Finger im Spiel. Mit dieser fachmännischen Begleitung begebe ich mich heute auf eine Burgentour durch die Comarca La Selva. Mal sehen, was es mit den Feudalherren damals so auf sich hatte.

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Burgen-Route: Castell de Farners

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Mitten in den wilden Bergen der Guilleries, in denen der berüchtigte Räuber Serrallonga im sechzehnten Jahrhundert sein Unwesen trieb, steht eine kleine Kapelle. Sie gehört zu der weiter oben auf dem Hügel liegenden Burg, dem Castell de Farners. Von hier unten sieht die Burg, die immerhin aus dem elften Jahrhundert stammt, überraschend gut erhalten aus. „Offenbar hat sie viel Glück gehabt und sämtliche Angriffe überstanden. Der Innenhof ist allerdings nicht mehr so vollständig“, meint Joan. Wir machen uns auf den Weg, den Hügel hinauf zur Burg.

Zunächst ist der kurze Schotterweg gut begehbar. Fast könnte man auch mit dem Auto hier entlang fahren. Doch für die kurze Strecke lohnt sich das nicht. „So eine Burg war nicht nur Wohnsitz und bot den Einwohnern der Gegend Schutz im Falle eines Angriffs“, erklärt mir der Fachmann während des kurzen Aufstiegs. „Vor allem waren die Burgen ein Verwaltungsort. Von hier aus wurden die Abgaben der Bauern eingetrieben und es wurde Gericht gesprochen wurde.“ So ein Burgherr regierte über seine Untertanen wie ein kleiner König. Er hatte die Macht, das Geld und die Soldaten.

Joan meint, in den meisten Filmen werden Burgen immer ziemlich groß dargestellt. Mit vielen Rittern, Soldaten, großen Pferdeställen und üppigen Banketts. Das sei völliger Quatsch. „Die meisten Burgen waren in Wirklichkeit ziemlich klein.“ Die eigentlichen Feudalherren lebten schließlich gar nicht hier. Sie hatten Verwalter, die sich um die Steuereintreibung und alles, was es eben noch so zu verwalten gab, kümmerten. Die eigentlichen Herren kamen nur ab und zu auf ihren Ländereien vorbei. Aber sie hatten ihre Untertanen in einem eisernen Griff. Für die Bauern damals, war das Leben kein Zuckerschlecken.

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Als wir auf dem Hügel ankommen, wird der Weg immer enger. Der Zugang ist wirklich schwierig. Nur über einen schmalen, in den Felsen gehauenen Grat können wir den Eingang der Burg erreichen. “Die Burg wäre ja auch sinnlos, wenn jeder Angreifer einfach direkt mit Pferden da hineinstürmen könnte“ bemerkt Joan und weist mich auf die vielen Löcher in der Mauer hin. Der gesamte Weg liegt nämlich in der Schußlinie dieser Maueraussparungen, durch die die Verteidiger der Burg ihre Waffen gezielt auf die unerwünschten Besucher richten konnten. „Eigentlich ist es fast unmöglich zum Eingang zu gelangen, ohne erschossen zu werden.“ Ich gucke mich kurz um. Es gibt wirklich keinen Winkel, in dem man sich verkriechen könnte. Ein gut ausgeklügeltes Überwachungssystem. Da käme nicht einmal ein MacGyver rein.

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Das Innere des Castells ist wirklich überraschend klein. Genau wie Joan gesagt hat. Die Überreste von zwei oder drei Zimmern kann ich noch erkennen und den riesigen Turm in der Mitte. Der wurde allerdings restauriert. In luftiger Höhe befindet sich eine Tür. „Die Burgbewohner hatten bewegliche Holzleitern, die sie bei Gefahr einziehen konnten. So war der Turm eine Burg in der Burg“ erklärt Joan. Zum Glück gibt es heute eine feste Treppe. Die ist allerdings auch nur an dünnen Eisenstäben in der alten Mauer befestigt. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte vielleicht besser unten warten. Die Stufen scheinen nämlich eher an der Turmwand zu schweben. Natürlich ist es ganz ungefährlich und gut abgesichert, aber es ist doch schon recht hoch…

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Ich erklimme also rasch die Stufen und stehe auch gleich mitten im Turm. Viel Platz ist hier nicht. Gegenüber der Treppe führt eine noch steilere Treppe noch ein Stockwerk höher, auf den Turm hinauf. Diese Stiege erinnert mich an eine Hühnerleiter, nur dass sie eben aus Eisen ist. Als ich auch diese letzten Stufen erklommen habe, bietet sich mir ein wahnsinnig schöner Blick über die gesamte Landschaft. Unendlich weit ziehen sich die grünen Hügel bis zum Horizont. Rings um uns herum sind nur Wälder. Bei gutem Wetter und klarer Sicht soll man sogar noch mehr sehen können, meint Joan. Aber ich bin so schon total beeindruckt!

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Nachdem wir unseren kurzen Rundgang beendet haben, ist mir auch klar, warum die Kapelle so weit unten errichtet wurde. Oben auf dem Hügel war einfach kein Platz mehr für eine Kirche.

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Burgen-Route: Castell de Sant Iscle

Unser nächstes Ziel ist das Castell de Sant Iscle. Was für ein ungewöhnlicher Name. Verschlungene Waldwege führen zu den Ruinen der Burg hinauf. Man muss den Weg schon gut kennen und am besten noch einen Jeep dabei haben, um hier heraufzugelangen. Oder man wandert.

Errichtet wurde diese Festung von einem der einflussreichsten Männer damals in Katalonien, dem Vicomte von Cabreras. Der Vicomte war ein Vasallen des Grafen von Barcelona. Im zwölften Jahrhundert regierte Alfons der Keusche gerade von Barcelona aus über die katalanischen Grafschaften. Er war der Enkelsohn Ramon Berenguers IV und nach der Vereinigung mit dem Königreich Aragon der erste Graf der gleichzeitig die Königswürde trug. Es war die Blütezeit Kataloniens, das gerade damit begann, das Mittelmeer zu erobern.

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Joan strahlt förmlich. Diese Ausgrabungsstätte scheint eine seiner liebsten zu sein. „Jeden Sommer graben wir hier sechs Wochen lang“, erzählt er. „Als wir anfingen, war gerade mal diese Mauer zu sehen.“ Alles andere, das gesamte Innenleben der Burg, hat er in jahrelanger Arbeit dem Erdboden entlockt. Und dabei ist er mit seinem Team auf spannende Entdeckungen gestoßen.

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Bis heute ist die Burg von einem tiefen Graben umgeben. Der ist wie die Burg selbst, im Laufe der Jahrhunderte zwar deutlich von Pflanzen überwuchert, aber es gibt ihn noch immer. Die Stelle an der sich eine Zugbrücke befunden haben muss, konnte Joan bisher zwar nicht finden. Aber dafür hat er dem alten Gemäuer andere Geheimnisse entlockt. Einer der freigelegten Räume entpuppte sich, nicht wie zunächst angenommen als Gefängniszelle, sondern diente offenbar als Müllhalde. Eine wahre Fundgrube für Archäologen! Teller und Vasen aus Keramik, metallene Stücke wie Pfeile oder Teile einer Armbrust kamen da zum Vorschein. Um zu rekonstruieren, wer hier wann und wie gelebt hat, ist so ein Fund natürlich eine unschätzbare Hilfe!

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Joan erzählt, eines Tages seien sie bei den Ausgrabungen auf ein Skelett gestossen. Das ist eigentlich recht ungewöhnlich, denn auf den engen Burgen hat man damals niemanden begraben. Zuerst nahmen sie also an, es sei möglicherweise ein verstorbener Gefangener gewesen. Doch dann kamen am nächsten Tag weitere Skelette zum Vorschein. Das war schon sehr merkwürdig. Ein Rätsel für die Archäologen. An einem anderen Tag legten sie dreizehn weitere Skelette frei, dann fanden sie wieder fünf. Es wurden immer mehr. Nachdem schließlich fünfunddreißig Gebeine ausgegraben worden waren, beschloss Joan einen C14 Test machen zu lassen. Mit dieser Radiokarbonmethode können Archäologen das Alter ihrer Funde bestimmen.

Bei den Tests stellte sich heraus, dass diese Gräber aus dem neunten Jahrhundert stammten. Von der Burg wusste man jedoch, dass sie erst im zwölften Jahrhundert errichtet wurde. Joan kann also anhand dieser Funde seine längst vermutete Theorie mit Beweisen untermauern: „Hier muss sich ein Friedhof befunden haben, und zwar lange, bevor die Burg errichtet wurde!“

Nun gibt es eine Legende, nach der eine Truppe katalanischer Landesherren eines Tages nach Córdoba reiste, um dort gegen die Mauren zu kämpfen. Die hatten bereits im achten Jahrhundert damit begonnen, die iberische Halbinsel von Süden aus zu erobern und kämpften sich erfolgreich immer weiter gen Norden vor. Bis kurz vor Barcelona war praktisch das heutige Spanien fest in der Hand der Kalifen. Nur in der Gegend südlich der Pyrenäen leisteten die Einwohner noch erfolgreich Widerstand. Karl der Große richtete aus diesem Grund schon im neunten Jahrhundert die Spanische Mark ein, als Grenzregion zur Verteidigung gegen die Angreifer von Al-Andalus.

Es war im Mittelalter also durchaus üblich, dass christliche Herrscher aus dem Norden von Zeit zu Zeit gegen die Mauren im Süden in die Schlacht zogen. In Córdoba hatten die Kalifen ihre Hauptstadt errichtet. Dort fanden die Katalanen während der Kämpfe offenbar das Grab eines Märtyrers, das des Heiligen Acisclus, Sant Iscle auf Katalanisch. Kurzentschlossen nahmen sie diese christlichen Gebeine mit nach Hause und errichteten eine Kapelle für die Reliquien.

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Die Funde, die Joan und sein Team in den Ruinen des Castells gemacht haben, stützen die Theorie, dass sich an dieser Stelle, die besagte Kirche der Legende befunden haben könnte. Außer dem Friedhof haben sie neben der Burg nämlich die Überreste mehrerer übereinander gebauter Kapellen ausgegraben. Das alles zusammen würde auch den ungewöhnlichen Namen der Burg erklären, denn die wurden normalerweise nach einem Ort, nicht nach einem Heiligen benannt. Hier könnte es also so gewesen sein, dass die Burg neben der bereits vorhandenen Kapelle errichtet wurde und den Namen einfach übernahm.

Irgendwann wurde die Festung dann verlassen, wie so viele andere Burgen auch, als die Erfindung großer Kanonen und härterer Feuerwaffen die dicken Mauern praktisch hinfällig machten. Die Burgherren zogen das bequemere Leben in den Dörfern vor. Von den Burgen bleiben nur Ruinen, wie diese hier, die Joan von der wuchernden Vegetation befreit und wieder aus dem Wald hervorgezaubert hat.

Burgen-Route 3: Sant Joan in Blanes

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Die dritte Burg auf unserer Route findest Du in meinem Artikel über Blanes.

Nützliche Infos zu den mittelalterlichen Burgen:

Castell de Farners
17430 Santa Coloma de Farners
La Selva/ Girona

Castell de Sant Iscle
Vidreres
La Selva/ Girona

Website La Selva mit Infos und Routen zu allen Burgen: the-castles-of-the-county-of-selva

Wenn er nicht gerade bei einer Ausgrabung ist, organisiert Joan verschiedene kulturelle Wanderrouten: Website www.atri.cat

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La Selva Turisme hat mich zu dieser Burgentour eingeladen, vielen Dank dafür. Ein ganz besonderes Dankeschön an Joan, für diese Führung ins Mittelalter!