In den alten Gassen von Montpellier verlaufe ich mich mehr als nur einmal. Sobald ich von einem der breiten Boulevards abbiege, bin ich verloren. Aber es ist wunderschön und macht sogar richtig Spaß. Wie ein Kind entdecke ich mit großen Augen hinter jeder Straßenecke etwas Neues, Schönes. Hier eine alte Laterne, dort einen Brunnen und da drüben eine alte Tür. Ich habe Zeit. Nichts treibt mich und so kann ich die Altstadt gemütlich schlendernd entdecken. Es gibt oft nichts Besseres, um eine neue Stadt kennenzulernen, als sich absichtlich zu verlaufen.

altstadt montpellier

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In einer der Gassen komme ich schließlich zu einem kleinen Platz voller kleiner Cafés und nett aussehender Restaurants. Eines davon ist das l’Appart’thé, eine Mischung aus Teesalon und Restaurant. Drinnen werden die ungewöhnlichsten Teesorten in einem gemütlich wirkenden Saal mit dicken, schweren Sesseln serviert. Es ist zwar schon September, aber noch angenehm warm. Wer weiß, wie lange ich dieses Jahr noch draußen essen kann. Also setze ich mich an einen der Tische draußen und bestelle das Tagesmenü. Es gibt Ravioli als Vorspeise und Fisch mit provenzalischem Gemüse als Hauptspeise.

montpellier

Alles ist frisch gekocht und schmeckt einfach himmlisch! Dem kleinen Restaurant verleihe ich glatt meinen persönlichen goldenen Kochlöffel! Nachdem ich beide Teller leer geputzt habe bin eigentlich schon satt. Aber dann lasse ich mich von der netten Kellnerin doch noch dazu überreden, ein Dessert zu kosten. Die Chefin bringt einen ganzen Kuchen an unseren Tisch! Der ist ja fast zu schön, um angeschnitten zu werden. Vor unseren Augen teilt sie mit einem großen Messer ein Stück von der köstlichen, frisch gebackenen Tarte ab. Doch das Schlimme ist, es schmeckt genauso gut, wie es aussieht!

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In der Altstadt – Écusson:

Auf der zentralen Place de la Comédie treffe ich mich mit Elena, meinem Guide. Sie zeigt mir versteckte Hinterhöfe in der Altstadt und erzählt mir, wie sich Montpellier vom Mittelalter bis heute entwickelt hat.

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Während der Hugenottenkriege, der guerres de religion wie sie in Frankreich heißen, kämpften im ganzen Land Katholiken und Protestanten gegeneinander. Bei den blutigen Kämpfen gab es viele Tote. Viele Kirche und Klöster wurden zerstört. Anstelle der abgerissenen Gotteshäuser baute man in Montpellier neue Wohnhäuser, Märkte oder nutzte die freien Plätze, um Licht und Luft in die mittelalterlichen Gassen zu bringen.

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Eine kleine Kapelle, die Papst Urban V im vierzehnten Jahrhundert gegründet hatte, wurde im sechzehnten Jahrhundert zur Cathédrale Saint-Pierre umgebaut. Direkt neben der Kapelle befand sich im Mittelalter bereits ein kleineres Gebäude, in dem die Mönche und einige Medizinstudenten lebten. Medizin wurde damals nicht zentral an einer großen Fakultät gelehrt, sondern die Doktoren unterrichteten in kleinem Kreis, oft bei sich zu Hause. Jeder hatte seine eigene kleine Studentenschar. Große Veranstaltungen oder wichtige Prüfungen wurden einfach in der Kirche abgehalten.

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Das Medizinstudium in Montpellier war hoch angesehen, denn die Stadt stand in dem Ruf, das Wissen der arabischen und jüdischen Gelehrten geerbt zu haben. Anfang des dreizehnten Jahrhunderts strömten Studenten aus ganz Europa an die Universität in Montpellier, um von den Ärzten und Gelehrten unterrichtet zu werden. Bis vor Kurzem wurden die Mediziner noch in den ehemaligen Klosterräumen neben der Kathedrale unterrichtet, wo sie kurz nach der Französischen Revolution eingezogen waren. Doch gerade erst hat die Stadt nun ein ganz neues, modernes Universitätsgebäude eröffnet.

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Über den Boulevard Henri IV gelangen wir schließlich zum Triumphbogen. Der wurde unter der Herrschaft des Sonnenkönigs Louis XIV errichtet, dessen Bildnis und Taten überall auf dem Bauwerk prangen. Elena hat den Schlüssel zum Inneren des Triumphbogens. Ich darf mit ihr das alten Gemäuer betreten und steige über die enge Treppe immer höher hinauf. Dann stehe ich ganz oben auf dem Triumphbogen. Der Blick reicht über die Dächer der Stadt, bis weit in die Landschaft. Ganz Montpellier kann ich von hier aus sehen.

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Zu unseren Füßen erstreckt sich ein großer Platz, die Place Royale du Peyrou. Während der Hugenottenkriege hatte bereits König Louis XIII das Viertel Peyrou mehr oder weniger dem Erdboden gleichmachen lassen. Sein Sohn und Nachfolger Louis XIV, der Sonnenkönig, ließ an genau dieser Stelle dann eine große Promenade anlegen. Immerhin ist dies der höchste Platz in der Stadt. In die Mitte steht bis heute ein Denkmal des Sonnenkönigs.

Das neue Montpellier: Antigone

Die Zahl der Einwohner Montpelliers hatte sich in den siebziger Jahren verdoppelt und wuchs stetig weiter. Es musste etwas geschehen. Die Stadtväter beschlossen langfristig angelegte Pläne zur Stadterweiterung. Die sahen vor, dass sich Montpellier entlang zweier Achsen ausdehnen sollte, einer Querachse, östlich der Altstadt, und einer Längsachse, die am Fluss Lez entlang führt.

antigone montpellier

Am Nachmittag gehe ich durch das Antigone Viertel, das sich östlich der Altstadt entwickelt hat. Entworfen wurde es von dem katalanischen Architekten Ricardo Bofill 1978. Dass Antigone in einem Guß, von der Hand eines Architekten stammt, merkt man dem Viertel natürlich an. Nichts ist organisch gewachsen, alles ist detailliert geplant. Ein Stadtteil vom Reißbrett, der an die klassizistischen Linien der griechischen Antike erinnern soll.

antigone

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Port Marianne:

Das Antigone Viertel endet am Fluss. Entlang der Lez baut man noch an der nächsten Erweiterung der Stadt. Modernste Gebäude wachsen hier förmlich aus dem Boden. Eines der spektakulärsten Projekte ist l’Arbre Blanc (der weiße Baum) des japanischen Architekten Sou Fujimoto. Der hat ein elegantes Wohnhaus als eine Art Artischocke entworfen, in dem jede einzelne Wohnung über eine große Terrasse verfügt. Mal sehen, wie es aussieht, wenn es fertig ist!

antigoen

Seit der groß angelegten Umstrukturierung des alten Viertels und der Flussbegradigung vor dreißig Jahren sieht die Gegend sehr aufgeräumt aus. Erst als wir an der juristischen Fakultät und einer Brücke vorbei sind, darf die Lez wider in ihrem natürlich Betten fließen.


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Auf einem kleinen See schnattern jede Menge Enten. Dazwischen futtert ein Biber (oder ist es ein Castor?) ungeniert ein Stück Brot. Menschenscheu ist das Tierchen jedenfalls nicht. Ganz in der Nähe steht das neue große Rathaus Montpelliers. Elena führt mich durch das Gebäude hindurch. Die Decke im Erdgeschoss ist mit überdimensionalen alten Dokumenten bemalt. Im Innenhof plätschert ein Arm der Lez und das Grün scheint fast ins Rathaus hineinzuwachsen. Das Aluminium der Fassade sorgt für unterschiedliche Farben. Je nach Lichteinfall wechseln die Farbtöne zwischen Schwarz und Blau.

decke rathaus montpellier

   rathaus montpellier

Etwas weiter schwebt ein Gebäude von Philippe Starck, le nuage, wie ein dicke Wolke, oder vielmehr wie ein Marshmallow, am Rande des neuen Stadtteils. Als wir das Restaurant im Erdgeschoss betreten, zeigt Elena nach oben. Dort unter der Decke befinden sich mehrere Fenster. Sie sehen aus wie Bullaugen. Doch ich gucke hier natürlich nicht aufs Meer, sondern in ein Schwimmbad, das sich im Stockwerk über uns befindet. Leider schwimmt gerade niemand, aber was für eine verrückte Idee! Theoretisch kannst Du hier während des Essens den Leuten beim Baden zusehen. Oder umgekehrt.

nuage montpellier


le nuage montpellier

Neben le Nuage reihen sich einige bizarr wirkende Figuren aneinander. Es dauert eine Weile, bis ich verstehe, dass sie Buchstaben darstellen. Sie bilden das Wort Tolerance!

T wie Tolerance

Der Schriftsteller Stendhal soll einst über Montpellier geschrieben haben, wie hässlich diese Stadt doch sei. Das hat die Einwohner damals offenbar tief getroffen. Seither bemühen sie sich darum, Montpellier immer schöner zu machen, jede Epoche in ihrem eigenen Stil.

 montpellier „Seit das Mucem gebaut wurde, sind diese Sonnenschutz-Fassaden bei den Architekten total angesagt“

Infos zu Montpellier:

Écusson heißt die Altstadt, weil sie die Form eines alten französischen Ecus (eine alte französische Währung) hat.
Antigone ist ein Wortspiel zwischen Polygone, dem vohrherigen Namen des Geländes und der Vorliebe des ehemaligen Bürgermeisters für die griechische Antike.
Ricardo Bofill : Von ihm stammen unter anderem auch das Hotel Vela und das neue Terminal des Flughafens in Barcelona
Port Marianne: Eigentlich sollten hier sogar Schiffe anlegen, daher auch der Name Port, also Hafen.

Mein Restaurant Tipp für Montpellier:
L’Appart’thé
Restaurant & Salon de Thé
6 rue Glaize
34000 Montpelliers
(leicht zu finden, hinter dem Musée Fabre)

restaurant montpellier

Dieser Artikel entstand im Rahmen des #FrenchCultureAward 2017 auf Einladung von Atout France, dem Musée Fabre und Montpellier Tourisme. Meine Meinung ist davon unberührt. Mit diesem Beitrag nehme ich am French Culture Award 2017 teil.