Mysteriös wirkt sie im Licht der untergehenden Sonne. Die kleine Kapelle von Eunate ist irgendwie anders als andere Kirchen. Ein alter Kreuzgang führt rund um den achteckigen Bau herum. Einige sagen, der Name Eunate bedeutet „100 Tore“, andere behaupten, es heiße „das gute Tor“ – je nachdem, wie man den Namen aus dem Baskischen herleitet.

Natürlich hat diese winzige Kapelle keine hundert Türen. Zählt man die Bögen des Kreuzgangs als Pforten, so kommt man auf dreiunddreißig. „Aber“, sagt Fran, unser Guide „Es heißt, die gläubigen Pilger sollen die Kirche dreimal umrunden, bevor sie durch die Hauptpforte eintreten. Also 3 x 33 + 1=100“.

Eunate Kreuzgang navarra spanien camino de santiago

Viele Geschichten und Legenden rangen sich um diesen alten Bau aus dem zwölften Jahrhundert. Mich erinnert die kleine Kirche ein wenig an die Rosslyn Chapel bei Edinburgh. Wie in Schottland finde ich hier viele florale Dekorationen und noch mehr mysteriöse Figuren.

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Auch die Säulen und Bögen sind alle doppelt. Das könnte eigentlich ein Zeichen dafür sein, dass Eunate einmal im Besitz der Tempelritter gewesen sein könnte. Doch in den alten Archiven des Ordens taucht die romanische Kapelle leider nicht auf. Wahrscheinlich hatten sie gar nichts mit dieser kleinen Kirche zu tun. Doch so vehement manche Fachleute diese Theorie auch ablehnen, so glühend verehren Gläubige aus allen Teilen der Welt dieses kleine Heiligtum. Eine ganz besondere Energie soll es hier geben. Eine Kraft, die die Santa Maria de Eunate mit anderen mystischen Orten auf der Welt, wie die Pyramiden in Ägypten, Stonehenge oder Machu Picchu, verbindet.

Fest steht, Euante ist bis heute ein Ort, der endlosen Stoff für Legenden, Sagen und die wildesten Spekulationen geliefert hat. Irgendetwas muss hier anders sein, als bei anderen Kirchen.

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Neugierig umkreise ich die Kapelle. Die alten Steine und Mauern werden von den letzten Sonnenstrahlen erleuchtet und scheinen in diesem warmen Licht geradezu zu glühen. Um uns herum ist nichts, kein Ort, keine Siedlung, nur weite Felder auf denen mannshohe Maispflanzen dicht an dicht stehen. Fast wirkt es hier schon ein wenig unheimlich. Und ich bin froh, als der merkwürdige Wärter uns die Tür aufschließt und ich die Kapelle endlich betreten kann.

Drinnen brennen ein paar Kerzen und werfen ein angenehm schummriges Licht auf den Altar. Die alten Holzbänke füllen fast den gesamten Raum der Kirche aus, nur am Rand und in der Mitte sind Gänge frei. Vorn auf dem Altar thront ruhig und majestätisch eine Marienstatue. Die steht hier schon seit über zweihundert Jahren. Andächtig sehe ich mich um, und drehe eine Runde in dem kleinen Saal.

Kapelle Eunate Spanien Navarra

Camino de Santiago

Die kleine Kapelle befindet sich auf dem berühmten Jakobsweg, dem Camino de Santiago, der von Frankreich aus durch Navarra bis nach Galizien führt. Dort in der Wallfahrtskirche von Santiago de Compostela, befindet sich die Grabstätte des Heiligen Jakob. Das behauptet es jedenfalls die Legende.

Kapelle Eunate Spanien Navarra

Der Codex Calinixtus, das Jakobsbuch, war so eine Art Reiseführer des Mittelalters. Neben den Erzählungen über den Heiligen Jakobus und Berichten über diverse Wunder enthielt dieses Buch auch ganz praktische Tipps und Hinweise zum Pilgerweg. Wo man entlang gehen sollte, wo man Herberge fand, und so weiter.

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Fran erzählt, dass der Jakobsweg im Mittelalter nicht nur einer der beliebtesten Pilgerwege der Christen war, sondern auch eine politische Bedeutung hatte. Er war von Anfang an eine Art Schutzwall gegen das Voranschreiten der maurischen Taifas aus dem Süden. Entlang des Pilgerwegs entstanden nämlich Herbergen, Klöster und kleine Dörfer. Militärische Soldatenorden wie die Templer ließen sich entlang des Caminos nieder, um die pilgernden Christen vor Überfällen zu schützen. Genau aus diesem Grund wurde der ursprünglich weiter nördlich an der Küste verlaufende Weg, etwas mehr in den Süden verlegt. Und hier entlang geht er heute noch.

Nach der religiösen Blütezeit im Mittelalter wurde es jedoch in der Neuzeit immer stiller um den Camino de Santiago. Neue Ideen und christliche Glaubensrichtungen wie der Protestantismus kamen auf. Seuchen wie die Pest rafften die Menschen dahin. Immer weniger Christen hatten das Bedürfnis zu pilgern. 1971 zählte man nur noch sechsundvierzig Gläubige, die sich im gesamten Jahr auf den mühsamen Weg von Roncesvalles nach Santiago de Compostela gemacht hatten.

Kapelle Eunate Spanien Navarra

Doch dann kam 1982 Papst Johannes Paul II zu Besuch und die Stimmung schlug wieder um. Hape Kerkeling schrieb sein bewegendes Buch „Ich bin dann mal weg“, und im Fernsehen pilgerten bald sogar die Promis. 2010 kam auch noch Papst Benedikt vorbei.

Immer mehr und mehr Menschen aus der ganzen Welt haben sich in den letzten Jahrzehnten wieder auf den Jakobsweg gemacht, um hier zu sich selbst zu finden. Die Mehrheit der heutigen Wanderer ist allerdings nicht mehr aus religiösen Gründen unterwegs. Viele Pilger sind gar keine Christen. Es geht um den Weg zu sich selbst, um eine innere Reise. „Die Menschen sind auf der Suche. Der Weg ist dabei wie ein Spiegel der Seele“, erklärt Fran.

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Der erste Teil der Reise führt durch Navarra. Die Landschaft hier ist grün und abwechslungsreich. Fröhlich und energiegeladen starten die Menschen das Abenteuer ihres Lebens, lernen andere Wanderer kennen, machen Bekanntschaften. Dann kommen sie nach Kastilien. Dort ist die Landschaft eintöniger, trockener und stiller. Die Pilger treten dann in die zweite Phase des Weges ein, werden ruhiger. Hier und da haben sie Beschwerden, müssen kämpfen, um weiterzukommen. Manche geben auf, manche halten durch. Wenn sie in Galizien, auf dem letzten Teil des Weges ankommen, werden die Landschaften wieder grüner und lebendiger. Die Freude, es geschafft zu haben, sich selbst, all die Zweifel und Probleme überwunden zu haben, gibt ihnen Kraft. Sie sind erfüllt und strahlen innerlich vor Glück.

„Der Weg holt alle ungeweinten Tränen aus dir raus“, sagt Fran. „Egal ob aus Wut, Trauer oder Freude.“ Während ich ihm zuhöre, wie er so einfühlsam aber auch gleichzeitig aufregend und spannend über den Camino de Santiago spricht, kriege ich selbst große Lust, auf Wanderschaft zu gehen und diese Reise zu mir selbst anzutreten. Fran erzählt, was sein Vater ihm beigebracht habe. Nämlich dass es die Pflicht der Menschen sei, die am Jakobsweg leben, für die Wanderer zu sorgen.

Infos zu Eunate :

Kapelle Eunate Spanien Navarra

Santa Maria de Eunate
Carretera de Campanas
31152 Muruzábal
Eintritt kostet 1 Euro und ist seit einiger Zeit nicht mehr frei, sondern nur noch mit Guide möglich
Website: santamariadeeunate.es

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Puente de la Reina
Puente de la Reina ist ein kleines Dorf nicht weit von der Kapelle Eunate entfernt. Hier führt der Camino de Santiago über eine alte romanische Brücke, die unter Königin für die Pilger gebaut wurde. In der Mitte stand bis vor einigen Jahren eine Figur. Für einen Besuch des kleinen Ortes bleibt leider keine Zeit mehr, denn es wird schon dunkel. Angeblich ist die Brücke auf dem Zehn-Euro-Schein nach dieser romanischen Brücke hier entworfen worden. Hast Du einen dabei? Dann sieh doch mal schnell nach!

Puente de la reina Spanien Navarra
puente de la reina

Figuren, Fratzen und Symbole aus der Santa Maria de Eunate: 

eunate engel saeuleIn der Kapelle, Säule auf der rechten Seite: Engel, auf der linken Seite: tanzende Frauen und Musiker

eunate saeule

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Fran, Francisco Glaria Baines, ist Reiseführer und ein wunderbarer Geschichtenerzähler aus Pamplona, Navarra. Im Netz kannst Du ihn hier finden: www.pamplonafiesta.com

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise, zu der ich von Turismo Navarra eingeladen wurde. Die hier dargestellte Meinung ist davon unbeeinflusst und beruht ausschließlich auf meinen ganz persönlichen Ansichten.