Überrascht höre ich auf dem Weg nach Olot im Radio die Wettervorhersage. Für heute sei Schnee angesagt. Schnee? An der Costa Brava? Oben in den Bergen kann es natürlich auch mal schneien, aber Olot liegt nur circa fünfzig Minuten von der Küste entfernt. Diese Gegend mit den schönen Naturparks und alten Vulkanen gehört zum Pyrenäenvorland, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass hier und heute wirklich Schnee fallen soll. Gestern noch schien jedenfalls die Sonne, heute ist der Himmel zwar bewölkt, aber bis jetzt ist es trocken.

Kunst und Kitsch – Christus von der Stange

Als ich in Olot ankomme, treffe ich mich gleich mit Mireia, die mir heute ihre Stadt zeigen will. Wir marschieren auch schnurstracks los. Der erste Weg führt uns in das Museu dels Sants, das Museum der Heiligen. In Olot werden nämlich Heilige am laufenden Band hergestellt. Alles fing damit an, dass Joaquim Vayreda und Josep Berga die Idee hatten, den vielen begabten Künstlern ihrer Zeichenschule eine berufliche Perspektive zu bieten, indem sie eine Firma zur Produktion religiöser Figuren gründeten. 1880 entstand in Olot also die erste Werkstatt für kunstvoll gefertigte Heilige. Bald schon eröffnete ein zweites Atelier, dann ein weiteres, bis sich die Produktion der religiösen Figuren mit vierzig Werkstätten zu einem florierenden Industriezweig entwickelt hatte.

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Bereits vor dem Spanischen Bürgerkrieg wurden Hunderte von Christus- und Marienstatuen in alle Welt verkauft. Die Verwendung eines neu entwickelten Materials wurde vom Vatikan als besonders wertvoll eingestuft. Diese offizielle Anerkennung des Papstes half dem Verkauf und trug sicherlich dazu bei, dass diese Heiligen aus Olot so reißenden Absatz fanden. Während des Kriegs erlebte die Branche eine schwere Krise. Viele der kleinen Werkstätten mussten schließen. Doch die Handwerkskunst überlebte und so gibt es noch heute ein paar Ateliers, in denen Heilige produziert und von Olot aus nach Sevilla, Venezuela, Kuba oder Italien verschickt werden.

Im Keller des Museums befindet sich eine dieser letzten Werkstätten, in der nach wie vor von Hand gearbeitet wird. Wir schauen den Künstlern über die Schulter. Nagelneue Madonnen, Engel und Christusfiguren werden aus den uralten Formen gegossen. Jeder Handwerker hat so etwas wie ein Spezialgebiet. Die einen gießen die Figuren, die anderen bemalen sie und wieder andere setzen die Augen ein – was schon eine Kunst für sich ist, denn die Heiligen sollen ja nicht schielen. Richtig positioniert erwecken die Augen nämlich einen ganz bestimmten Gesichtsausdruck. Diesen verträumten, leidenden oder bittenden Blick zu zaubern, erfordert schon einige Erfahrung.

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Im Lager stehen die betenden oder segnenden Figuren still und brav in endlosen Reihen hintereinander. Eine stumme Armee der Heiligen. Das sind die Modelle, von denen bei Bedarf die neuen Abdrücke genommen werden. Es gibt kleine und große, kniende und stehende Figuren, mit Kronen und Heiligenschein oder mit vergoldeten Kreuzen. Hier gibt es Christus praktisch von der Stange.

Die teilweise über hundert Jahre alten Modellfiguren sind echte Meisterwerke, von den besten Bildhauern ihrer Zeit geschaffene Vorbilder. Neue Kreationen gibt es zwar auch, aber es sind relativ wenige. Die fast lebensgroßen Heiligen werden ihren Platz sicher in einer Kirche finden, doch wer kauft all diese kleinen Marienstatuen? Die bunt bemalten, handgefertigten Figürchen finden trotz des stolzen Preises nämlich zahlreiche Abnehmer. Religiöser Kitsch ist offenbar immer noch ein gut funktionierender Markt.

Christus von der Stange

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Auf dem Markt: Olot gastronomisch

Nach dem Museum gehen wir auf den Markt, wo Mireia mir die regionalen Spezialitäten Olots vorstellt. Der Markt ist voll, die Leute kaufen hier offenbar gern ein. „Jeder, der hier einen Stand auf dem Markt betreibt, produziert seine Waren selbst“, erklärt mir Mireia. Ein Metzger hält Schweine, eine besondere Rasse namens Duroc, ein anderer Kälber und wieder ein anderer verkauft Hühner und anderes Geflügel. Nur der Fisch kommt aus Roses, denn Olot liegt ja schließlich nicht am Meer, sondern in den Bergen.

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Während Mireia von der Vorliebe der Olotiner für die regionalen Fleisch- und Wurstwaren spricht, reicht mir der Metzger ein Stückchen Wurst zum Probieren. Das Rezept stamme aus dem Mittelalter, erzählt er mir stolz. Ich bin ja kein großer Fleischesser, aber ich muss sagen, die Butifarra medieval ist echt lecker. Wahrscheinlich schmeckt man einfach die Liebe zum Produkt, denn auf Nachhaltigkeit gerade auch bei den Lebensmitteln legt man hier viel Wert. Obwohl sich ein großer Supermarkt im Keller des Marktes befindet, kaufen die Leute ihr Gemüse, ihr Fleisch und den Fisch lieber bei den Markthändlern.

Eine andere Spezialität aus Olot ist übrigens die Butifarra de perol, eine Wurst, die im Gegensatz zu den anderen Butifarras, gekocht wird.

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Schokolade

Bei unserem nächsten Stopp darf ich gleich wieder etwas probieren. Dieses Mal halten wir in der zweihundert Jahre alten Schokoladen-Konditorei Callis. In der Auslage gibt es passend zur Region, vulkanische Schokolade und Gebäck. Olot liegt nämlich im Naturschutzpark Vulkane der Garrotxa. Mitten im Zentrum der Stadt soll es sogar einen Vulkan geben. Der Volcà Montsacopa ist natürlich längst nicht mehr aktiv, aber sein Kraterrand sei noch deutlich zu erkennen. Das muss ich mir bei einem Ausflug im Sommer mal genauer ansehen!

Jetzt koste ich aber erst einmal die Virutas, ein mit Schokolade überzogenes Mandelgebäck, und Vulkangestein, das aussieht wie Schokocrossies, nur sehr viel leckerer. Sehr typisch sei es in Olot die traditionelle Coca, eine Art Zuckerkuchen, mit etwas Salzigem wie Fuet oder Schinken zu essen, gesteht mir Mireia.

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Auf dem Weg zu unserer nächsten Schokostation, kommen wir an der imposanten Kirche Sant Esteve vorbei. Die heutige Kirche ist neoklassizistisch. Von dem romanischen Bau, der hier früher einmal stand, ist nicht viel erhalten geblieben, nachdem Olot im fünfzehnten Jahrhundert durch ein heftiges Erdbeben total zerstört worden war. Mittelalterliche Bauten sucht man hier also vergebens. Langsam wurde die Stadt wieder aufgebaut, aber der große Boom setzt erst später ein, als während der industriellen Revolution zahlreiche Leute aus dem Umland nach Olot zogen, um in einer der vielen neuen Fabriken zu arbeiten.

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Dann sind wir auch schon bei Lluís angekommen, einem der jungen Chocolatiers hier in Ort. In seiner Backstube Cacau ist immer was los, denn Lluís ist nicht nur total sympathisch, sondern er ist vor allem sehr engagiert und überall dabei. Wenn er gerade keine Kuchen oder Schokolade zubereitet, schreibt er Gedichte oder spielt Theater. Seine Spezialität ist ein traditionelles Gebäck, das früher in ganz Katalonien sehr beliebt war, aber irgendwann in Vergessenheit geraten ist. Nur auf Ibiza und in ein paar anderen Orten gibt es noch flaonas, die mit Creme gefüllten Halbmonde. Lluís ist der Einzige hier in Olot, der dieses über zweihundert Jahre alte Rezept noch backt, allerdings nur freitags, und heute ist Mittwoch. So ein Mist. Die flaona kann ich also heute nicht probieren.

Bekannt ist Lluís in Olot aber noch für etwas anderes. Jedes Jahr zu Ostern macht er nicht nur die traditionellen Monas, die man dann in jeder Konditorei Kataloniens kaufen kann, sondern er baut bis zu zwei Meter große und sechzig Kilo schwere Schokoladenfiguren. Diese Schokoriesen werden dann am Ostermontag pünktlich um zwölf Uhr mittags auf dem Marktplatz von den Olotinern zerschlagen und gemeinsam aufgegessen! Was für ein Spektakel!

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Bummel durch die Altstadt 

Bei unserem Bummel durch Olot kommen wir an ein paar wunderschönen modernistischen Gebäuden vorbei. Leider sind diese Häuser alle in Privatbesitz und können nicht besichtigt werden. Schade eigentlich, aber wenn ich so ein Haus hätte, würde ich wahrscheinlich auch lieber in Ruhe darin selbst wohnen wollen.

Fassade Casa Sola Morales Modernisme Olot freibeuter reisenBild: Casa Solà Morales

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modernisme olot nicole foto by mireiaBild: Casa Solà Morales – Foto by @Mireia

Die Fassade der Casa Solà Morales ist übrigens das Werk des modernistischen Stararchitekten Domènech i Montaners. Die beiden Frauenfiguren stammen vom Bildhauer Eusebi Arnaud, der schon gemeinsam mit Domènch i Montaner am Palau de la Música Catalana gearbeitet hat.

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In der Casa Pujador befindet sich ein wunderschöner Gemischtwarenladen, in dem sie neben regionalen Spezialitäten auch alte Getreidesorten wie farro oder farina de fajol verkaufen!

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Die Casa Trincheria ist zwar nicht modernistisch, aber dafür kann man sie besichtigen. Das Haus wurde im achtzehnten Jahrhundert errichtet und beherbergt heute ein Museum. Über eine steinerne Treppe steigen Mireia und ich in den ersten Stock. Sofort stehe ich inmitten pompöser Malereien, mit rotem Samt bezogenen Stühlen, hölzernen Truhen und eleganten Möbeln.  Von den Wänden blicken die Vorfahren der Familie Trincheria auf mich herab. Einer der alten Herren war ein Anführer der Miqueletes, der Rebellengruppe, die im spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) in den Wäldern verborgen, gegen die Bourbonen kämpften.

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Mireia steuert gleich auf den hinteren Teil des Hauses zu. Einer der drei Söhne dieser reichen Familie saß im Rollstuhl, erklärt sie mir. Wir kommen in einen Raum, der über und über mit Krippenfiguren gefüllt ist. Die Wände sind eine einzige riesengroße Krippenlandschaft. Das Sammeln der unzähligen Figuren und die ständige Erweiterung dieser Krippe war der Zeitvertreib des an den Rollstuhl gefesselten Nachkömmlings der Familie. Während seine Brüder auf die Jagd oder zum Ball gingen, bastelte der junge Mann mit seinem Diener oder Gehilfen hier in diesem Zimmer an der Entstehung der Krippe.

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Mittlerweile ist es Mittag geworden, Zeit zum Essen! In dem ältesten Viertel Olots, dort wo einst die Stadtmauer stand, schlendern wir durch mittelalterliche Gassen. In dem ehemaligen Karmeliterkloster ist die Kunst- und Designschule untergebracht. Wir werfen nur kurz einen Blick auf den alten Kreuzgang, dann beginnt es plötzlich zu schneien! Zum Glück ist es von hier nicht mehr weit zu unserem Restaurant els Catòlics. Wobei das Lokal im ersten Stock eines schönen alten Hauses neben einer normalen Gaststätte auch noch ein Kulturverein ist. Außer dem gemütlichen Restaurant gibt es nämlich noch einen Ausstellungsraum und ein kleines Theater!

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Ich lerne noch eine weitere regionale Spezialität kennen, die Patatas d’Olot. Während wir uns die hauchdünn geschnittenen, mit Fleisch gefüllten Kartoffeln schmecken lassen, fallen draußen richtig große Flocken vom Himmel. Die Dächer der Häuser sind schon weiß! Da hatte die Wettervorhersage heute Morgen also doch recht!

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Infos und Adressen in Olot:

In der Vila Vella, dem ältesten Stadtteil Olots findet man noch alte Gassen und aus schwarzem Vulkanstein gebaute Häuser. Hier steht auch die Kirche der Schutzpatronin der Stadt, die Esglesia Mare de Dèu del Tura, eine sitzende Madonna, die immer mit einem Stier an der Seite dargestellt wird.

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Museu Sants
Carrer Joaquim Vayreda, 9
17800 Olot, Girona
Website: www.museusants.cat

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Pastisseria Callis
Carrer Sant Esteve, 25
17800 Olot, Girona

Pastisseria Cacau
Plaça Major, 4
17800 Olot, Girona

Casa Trincheria 
Carrer Sant Esteve, 29
17800 Olot, Girona

Restaurant Els Catòlics
Carrer Clivillers, 7
17800 Olot, Girona
Website: www.elscatolicsolot.cat