Mein Uropa hat in Brasilien Kanarienvögel verkauft. Mit Säcken voller Kaffeebohnen kam er wieder zurück nach Deutschland. Die halb vergilbte Hülle für das Ticket, mit dem der Uropa sich vor über hundert Jahren auf den Weg nach Rio de Janeiro gemacht hat, liegt noch heute bei meinen Eltern im Schrank. Während seine Überfahrt damals mehrere Wochen dauerte, habe ich es da etwas leichter. Mit der Air France fliege ich in „nur“ vierzehn Stunden ins Land der Kaffeebohnen.

Rio de janeiro fenster

Am Morgen nach unserer Ankunft weckt mich der Regen, der in dicken Tropfen in den kleinen Urwald vor meinem Fenster plätschert. Rio de Janeiro ist unglaublich grün. Überall zwischen den Hochhäusern wachsen steile, grüne Hügel aus dem Boden. Oft liegen auf diesen kleinen Bergen die Favelas, in denen die ärmsten Einwohner Rios leben, nur wenige Meter von den reichen Vierteln entfernt, aber eben in höheren Lagen. Meistens sind die Favelas, die früher ein recht gefährliches Pflaster waren, nur über steile Treppen zu erreichen. Viele dieser Armenviertel sind heute „befriedet“ worden und gelten mittlerweile als sicher. In Ipanema hat man sogar eine Rolltreppe gebaut, die den täglichen Weg zwischen den Vierteln der Armen und der Reichen erleichtern soll.

Morro Hügel rio de Janeiro

In Rio de Janeiro Hügel

Lange bevor wir uns kennengelernt haben, hat Michi, mein Mann, für eine Weile in einer brasilianischen Familie gelebt. In Manguinhos, einer der Favelas im Norden Rios, hat er das Leben der Bewohner dort geteilt. Eine Erfahrung, die ihn bis heute geprägt hat. “Der Gringo gehört zu uns”, musste er bei den Jugendlichen mit Maschinenpistolen, die das Viertel damals kontrollierten, angemeldet werden, um sich mehr oder weniger gefahrlos dort bewegen zu können. Seit ich Michi kenne, erzählt er immer wieder Geschichten aus dieser Zeit. Es sind menschlich sehr beeindruckende und schöne Erinnerungen vom Zusammenhalt und der Hilfsbreitschaft der Menschen, die das Wenige das sie haben, gern miteinander teilen. Diese Erzählungen habe ich nun auch im Kopf. Darum kommt es mir auch ziemlich geschmacklos vor, dass heute touristische Touren durch die Favelas angeboten werden.

Rio de Janeiro Centro Altstadt Regen

Am Busbahnhof Rodovíario treffe ich Roberto. Der in Zürich lebende Italiener findet Rio gar nicht so toll. “Nur Hochhäuser und schlechter Kaffee”, erzählt er mir enttäuscht und hofft an den Stränden von Búzios und Cabo Frio auf besseres Wetter. Mit dem Kaffee hat er recht und Hochhäuser gibt es auch ziemlich viele. Aber zwischen den Hochhäusern wachsen überall meterhohe Bäume. Das Grün bahnt sich wie in einem Dschungel seinen Weg durch die Großstadt. Rio ist tropisch und brodelnd. Selten habe ich eine so lebendige Stadt erlebt. Auch wenn sie vielleicht keine klassische Schönheit ist, fasziniert sie mich total. Halb verfallene Kolonialbauten werden von Betonburgen überragt, die in Nebelschwaden fast zu verschwinden scheinen. Dazwischen Menschen aller Größen, Formen und Farben, jeder mit seinem eigenen Ziel, in seinem ganz eigenen Tempo.

rio de Janeiro Zentrum Nebel

Hanna, bei der wir in Rio ein paar Tage wohnen, rät uns auf keinen Fall am Wochenende ins Centro zu fahren. Wenn die Geschäfte geschlossen sind, sei es dort wirklich gefährlich. Also fahren Elke (die Meerbloggerin) und ich vorsichtshalber an einem Donnerstag ins alte Stadtzentrum. Nach den vielen Warnungen habe ich schon ein wenig Respekt und schaue mich vorsichtig um. Allerdings sieht bei Regenwetter wahrscheinlich keine Großstadt besonders einladend aus.

Confeitaria Colombo

Mit dem Regenschirm bewaffnet machen wir uns in den bunten Gassen voller Menschen auf die Suche nach der Confeitaria Colombo. Zwischen den zerfallenen Häusern und den vielen kleinen Läden finden wir sie schnell. Ein großer Saal mit einer hohen Decke, fast wie ein Opernhaus. Die Wände sind mit Spiegeln bedeckt, das Mobiliar besteht aus dunklem Holz. Weiß gekleidete Kellner eilen beflissen hin und her. Kleine Törtchen und Kuchen warten in den Vitrinen darauf, verzehrt zu werden. Sehr mondän und altmodisch elegant – ein echtes Wiener Kaffeehaus, nur eben mitten in Rio de Janeiro. Elke bestellt einen Pastel de Caipirinha und ich muss unbedingt einen dieser köstlich aussehenden Kokoshäuflein namens Queijadinha probieren.

In meinem Kopf entstehen Bilder von vornehmen Damen in langen Kleidern und Kolonialherren in schwarzen Anzügen. Dieser Laden passt eigentlich überhaupt nicht an diesen Ort und auch nicht in diese Zeit. Er wirkt wie eine wunderschöne Zeitkapsel, die irgendwie zufällig hier gelandet ist. Ich ertappe mich bei einem Gedanken: Ob mein Uropa wohl damals auch hier eingekehrt ist? Vielleicht hat er ja, genau wie ich jetzt, hier eine Tasse Kaffee getrunken, nachdem er seine Kanarienvögel verkauft hatte …

confeitaria colombo rio de janeiro

Confeitaria Colombo Rio de Janeiro Decke

Queijadinha Confeitaria Colombo Rio de janeiro

Vitrine Confeitaria Gebäck Rio

Nützliche Infos zum Nachreisen:

Confeitaria Colombo
Rua Gonçalves Dias, 32
Centro
Rio de Janeiro
Website: www.confeitariacolombo.com.br

dampfer TicketUr-Opas Dokumentenhülle für wichtige Papiere und die Fahrkarte nach Rio 

kaffebohnen Rio de janeiro
Ein Rest der ungerösteten Kaffeebohnen, die mein Ur-Opa aus Brasilien mitgebracht hat

Von den Stränden in Ipanema und der Copacabana, von unserem Besuch im Botanischen Garten und dem Abstecher nach Búzios berichte ich auch ganz bald!flug nach rio

Auf dem Flug nach Rio habe ich übrigens drei (!) komplette Filme geguckt. Kurze Pausen habe ich nur zum Essen und beim Anflug auf Rio de Janeiro gemacht!

Hinweis: Die Reise nach Rio de Janeiro wurde von Air France und Nightswapping unterstützt. Nightswapping ist ein internationales Netzwerk zum Austausch von Übernachtungsmöglichkeiten bei Einheimischen.