Es gab einen lauten Knall. Drei heftige Eruptionen ließen die Erde beben. Der Mont Pelé war explodiert. Eine giftige Glutwolke raste mit der gewaltigen Kraft eines Hurrikans auf die Häuser und Straßen von Saint Pierre zu. Dicke Mauern wurden einfach hinweggefegt. Gnadenlos begrub die Wolke alles unter sich. Eine ganze Stadt, so schön wie Paris, sagt man, war in wenigen Minuten dem Erdboden gleich gemacht. Saint Pierre existierte nicht mehr.

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Am Morgen des 8. Mai 1902 um 7.50 Uhr zerstörte der Ausbruch des Vulkans die damalige Hauptstadt der Karibikinsel Martinique. Der Himmel verdunkelte sich und eine große Hitzewelle verbrannte alles, was ihr in den Weg kam. Einige der Destillerien, in denen Rum produziert und gelagert wurde, explodierten und sogar das Meer begann zu kochen. Rund zwanzig Schiffe, die in dem sonst ruhigen Hafen lagen, um ihre Waren zu löschen oder neue Handelsgüter zu laden, versanken in den Fluten. Ein kanadischer Frachter hatte erst eine Stunde vorher in Saint Pierre Anker geworfen.

„Warum hatten sich die Menschen nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht? Gab es keine Anzeichen des bevorstehenden Ausbruchs?“ Das frage ich Laurent, den Guide, der uns durch diesen kleinen Ort mit der tragischen Geschichte führt. „Natürlich gab es Anzeichen“, antwortet er und erklärt mir, wie es zu dem dramatischen Ereignis in Saint Pierre kommen konnte.

Bereits einige Zeit vor dem schicksalshaften Himmelfahrttag im Jahre 1902 hatte der Mont Pelé begonnen, sich zu verändern. Die kleinen Anzeichen mehrten sich im Laufe der Wochen. Erste Zeitungen warnten vor einem möglichen Ausbruch. Doch in Saint Pierre herrschte Wahlkampf. Die Stadtherren und Politiker hatten Angst, ihnen könnten die Wähler weglaufen. Während sich die Insekten schon scharenweise auf den Weg machten, und aus der Umgebung des rumorenden Vulkans flohen, blieben die Menschen zunächst hier.

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Am Montag vor Himmelfahrt hatte bereits eine Schlammlawine zahlreiche Menschenleben gekostet. Langsam kam Panik in der Bevölkerung auf. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts lebten immerhin um die 28.000 Einwohner in dieser prächtigen Stadt. Die prachtvolle Promenade am Hafen, ein botanischer Garten, ein großes Theater „La Comédie“, und sogar eine Pferdebahn gab es in Saint Pierre. Nach dem Vorbild der französischen Hauptstadt war in der Karibik eine moderne Metropole entstanden.

Um die Menschen zu beruhigen, wurde eine Expedition unter der Expertise des Schullehrers auf den Mont Pelé entsandt. Prompt kehrte die Gruppe mit der Versicherung zurück, es gehe keine Gefahr vom Vulkan aus. Die Einwohner können bedenkenlos in Saint Pierre bleiben, um am 11. Mai ihre Stimmen abzugeben. Eine dramatische Fehleinschätzung.

Dennoch machten sich viele Leute auf den Weg, um im Süden Sicherheit zu suchen. Sie wollten einfach möglichst weit weg sein, von dem schlafenden Vulkan. Polizeikräfte wurden ausgeschickt, die Fliehenden zurückzuhalten. Noch am Vortag des Vulkanausbruchs warnte ein italienischer Kapitän aus Neapel: “Wenn der Vesuv so aussehen würde, wie euer Berg hier, würde ich schleunigst machen, dass ich hier wegkomme.“ Als der erfahrene Seemann gleich wieder Segel setzen ließ, ohne seine Ladung gelöscht zu haben, drohte man ihm mit strengen Strafen. Er fuhr dennoch ab und rettete damit sich und seiner Besatzung das Leben.

Als schließlich am Morgen des 8. Mai aus dem kleinen Paradies ein Albtraum wurde, entkam fast niemand der Katastrophe. Menschen starben in der Kirche, wo sie sich zum Gottesdienst versammelt hatten. Sie starben in ihren Häusern, auf den Straßen oder auf den Schiffen im Hafen.

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Saint Pierre nach 1902:

Nachdem Saint Pierre so gut wie vom Erdboden verschwunden war, konnte zunächst niemand auch nur in die Nähe der ehemaligen Hauptstadt gelangen. Zu groß war die Hitze in den Ruinen. Als erste Trupps die verwüstete Stadt erreichten, fanden sie nur wenige Überlebende. Einige Schiffe hatten sich noch rechtzeitig auf hoher See in Sicherheit bringen können. Ein Schuster entging dem Unglück, weil er am Stadtrand lebte, und der giftige Strom sein Haus verfehlt hatte. Ein kleines Mädchen hatte Schutz auf einem winzigen Boot gesucht, mit dem sie sich in einer Höhle verstecken konnte. Der spektakulärste Überlebende der Katastrophe war jedoch ein junger Mann, den man nach ein paar Tagen in der Ausnüchterungszelle der Gefängnisruine fand. Mit schweren Verbrennungen hatte Louis-Auguste Cyparis den Vulkanausbruch mitten in der Stadt überlebt. Später zog Cyparis mit einem Zirkus durch die Vereinigten Staaten, wo er sich als einziger Überlebender den Zuschauern präsentierte.

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Viele Jahre lang wollte niemand mehr hier leben. Die Martinikaner mieden den Ort. Saint Pierre war und blieb eine traurige Ruine. Es dauerte lange, bis die ersten Einwohner sich langsam wieder hier ansiedelten. Da die Stadt verlassen war und die Ruinen niemandem gehörten, bauten sie ihre neuen Behausungen einfach auf den alten Mauerresten.

Während ich so durch Saint Pierre spaziere, entdecke ich überall noch alte Ruinen, die an die traurige Geschichte dieser kleinen Stadt erinnern. Die einstige Pracht ist Vergangenheit. Heute leben nur etwas über 4.000 Einwohner in der Stadt, gerade mal ein Sechstel der Einwohnerzahl von 1902. Längst hat Fort-de-France die Rolle der Hauptstadt übernommen und Saint Pierre ist heute ein niedliches, aber verschlafenes Nest.

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Von dem eindrucksvollen Theatergebäude ist nur noch die Eingangspforte übrig geblieben. Statt in Oper- oder Ballettaufführungen führt der prachtvolle Treppenaufgang heute ins Leere. Im Hintergrund leuchtet ein dicht bewachsener Hang in wildem Grün. Nur vereinzelt ragen alte Ruinen als Steinhaufen aus dem üppig wuchernden Wald heraus.

mont-pele-martinique-credits-monika-fritsch-atout-france(Foto by ©Monika Fritsch Atout France)

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Es regnet. Dicke schwarze Wolken hängen über dem sonst so klaren Himmel. Selbst das sanfte Meer der Karibik scheint heute aufgewühlt zu sein. Doch die drohenden Wolkenschwaden über dem Meer verleihen Saint Pierre gerade jetzt, wo ich seine Geschichte gehört habe, irgendwie auch etwas Schönes und Geheimnisvolles.

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Infos zu Saint Pierre:

  • Total beeindruckt und sehr hellhörig bin ich geworden, als man mir von all den versunken Schiffen berichtete, die noch heute in der Bucht von Saint Pierre zu finden sein sollen. Stumme Zeugen dieses über hundert Jahre vergangenen Ereignisses. Leider blieb mir keine Zeit für einen zweiten Tauchgang auf Martinique, aber Anja von Happy Backpacker war hier und hat sich auf dem Grund des Meeresbodens umgesehen. Ihren spannenden Bericht findest Du hier: Mit einer Legende in die Tiefen vor Martinique
  • Der „Mont Pelé“ wird auch „la Montagne Pelée“ genannt. Beides bedeutet so viel wie „Kahler Berg“
  • Das kleine Museum „Franck Perret“ erklärt die Geschichte und den Vulkanausbruch in Saint Pierre. Der amerikanische Vulkanologe trug hier 1933 diverse Dokumente und Fotos zusammen

Musée Franck Perret
Rue Victor Hugo
97250 Saint-Pierre
Martinique

  • Office du Tourisme de Saint Pierre  „ville historique“: www.otsp.fr
  • „How volcanoes work“ Beispiel Montagne Pelée (auf Englisch) : www.geology.sdsu.edu
  • Der kleine Markt von Saint Pierre ist zwar schon geschlossen, als wir dort ankommen, aber in den kleinen Restaurants der oberen Etage wird noch gearbeitet. Freundlich werden wir „Chez Marie Claire“ begrüßt und mit Fisch nach kreolischer Hausfrauenart verwöhnt.essen-auf-dem-markt-saint-pierre-freibeuter-reisenkleine-kueche-markt-saint-pierre-freibeuter-reisen

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Dieser Artikel entstand dank einer Pressereise, zu der ich von Atout France, CMT Martinque und Condor Airlines eingeladen wurde. Vielen Dank!