Dank Gaudi, dem berühmtesten Vertreter des katalanischen Jugendstils, ist der Modernisme weltbekannt geworden. Weniger bekannt ist die auf diese eher romantische Strömung folgende Bewegung des Noucentisme, eine sehr katalanisch geprägte Mischung aus weiterentwickeltem Modernisme und einer Art neoklassizistischem Baustil.

Girona Rückseite Casa Maso OnyarRückseite Casa Masó, vom Onyar aus gesehen (das einzige weiße Haus)

In Girona werde ich von Jordi, dem Direktor der Stiftung Rafael Masó, durch das Haus geführt. Die Casa Masó ist kein Museum. Darauf legt Jordi viel Wert. Der Unterschied zwischen diesem komplett original eingerichteten Haus und einem Museum ist die gesamte Atmosphäre. Schon als wir die Wohnung im ersten Stock betreten, verstehe ich, was er damit meint: Wir betreten eine Wohnung, die aussieht, als hätte die Familie sie gerade nur kurz zum Einkaufen verlassen. Dadurch dass ich nicht nur ein einzelnes, aus seinem ursprünglichen Kontext gerissenes Ausstellungsstück betrachte, sondern rundherum vom Werk Masos und dem Geist des Noucentisme umgeben bin, ist es wie ein Eintauchen in seine Ideen. Die Wände, die Lampen, die Möbel, alles ist vom Architekten genaustens geplant und aufeinander abgestimmt. Nur so sind bestimmte Effekte, wie zum Beispiel ein ganz bestimmter Lichteinfall, zu erzielen.

Rafael Masó war einer der ersten und bedeutendsten katalanischen Architekten, die sich trauten, mit dem zu Anfang des Jahrhunderts vorherrschenden Modernisme zu brechen und ihn zu verändern. Masó war ein Bewunderer Gaudís und hatte viel von den Künstlern des Jugendstils gelernt. Aber er wollte mehr, er wollte etwas Neues und war begeistert von den überall in Europa hervorbrechenden Ideen. In England gab es das Arts and Crafts Movement, in Deutschland und Österreich entstand gerade die Bauhausbewegung und der Schweizer Le Corbusier begann damit, seinen ganz neuen, eigenen Stil zu entwickeln.

Rafael Masó stammte aus einem gebildeten, eher konservativen Elternhaus. Seine dreimonatige Hochzeitsreise verbrachte er damit, durch Europa zu ziehen und diese neuen Strömungen in sich aufzusaugen.

Noucentisme Casa Maso Wohnzimmer Girona

Eines seiner ersten Projekte war die Umgestaltung des Familienwohnsitzes im Carrer Ballesteries 29. Das Haus war insgesamt 180 Jahre im Besitz der Familie Masó. Nach und nach hatten die Masó die anschließenden Gebäude gekauft und ihr Heim vergrößert. Rafael Masó begann zunächst mit dem Entwurf einiger Möbelstücke und baute schließlich sein Geburtshaus, das heute die Stiftung beherbergt, ganz nach seinen Vorstellungen und Idealen um.

Wichtig war es ihm vor allem einheimische Materialien, zum Beispiel die Verwendung von Eisen für die Geländer und andere, typisch katalanische Elemente in diesen neuen Stil miteinzubringen. Neben den Ideen der Geradlinigkeit und der Funktionalität, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte, war für Masó besonders die Verbindung zur katalanischen Kultur von großer Bedeutung. Die Noucentisten legten Wert darauf, ein neues, katalanisches Bewusstsein zu schaffen, das in ihren Werken Ausdruck finden sollte. Es war eine Bewegung, die stark mit dem wohlhabenden, gebildeten Bürgertum und der Politik verwoben war.

Arbeitszimmer noucentisme Casa Maso

Die Jahrhundertwende ist in Katalonien eine unruhige Zeit, voller Aufstände, Rebellionen und Revolten. Den bürgerlichen Noucentisten ist es daher wichtig, eine Art innere Ordnung in die Wohnungen, in das zu Hause der Menschen zu bringen. Das Glück besteht für  sie in einem ruhigen, arbeitsamen Leben. Schlichtheit und Austerität der Einrichtung sollen dieses ideale Leben fördern. Einige der Vertreter des Noucentisme, vor allem aus dem Bereich der Literatur und der plastischen Kunst, verfassen sogar genaue Beschreibungen, wie es in einer Wohnung auszusehen hat, welche Art von Möbeln, Bildern oder Statuen dazu beitragen können, inneren Frieden und eine ruhige Ausgegleichenheit zu finden.

Casa Maso Teegedeck Noucentisme Girona

CAsa Maso Küche Noucentisme Girona

Während Jordi mir die Zimmer zeigt und alles erklärt, fällt einer der Räume deutlich aus dem Rahmen: Das Zimmer der Gemäldesammlung des Vaters. Hier hat der alte Herr dem Filius wohl nicht gestattet Hand anzulegen, denn es ist der einzige Raum in dem nichts von dem modernen, fortschrittlichen “Geist” des Noucentisme zu spüren ist.

Wir spazieren mitten durch das Wohnzimmer, das Esszimmer, die Arbeitszimmer, die Gemäldesammlung und das Stick-und Nähzimmer. Ganz praktisch und profan frage ich mich, ob die Familie denn auch ein anständiges Klo hatte. Ich sehe jedenfalls keins. Das nächste Zimmer ist die Küche. Eine ganz helle und richtig gemütliche Küche. So eine hätte ich selbst gern. Total fantastisch finde ich einen kleinen Schlauch in der Ecke: ein Sprechleitung. Damit konnte die Haushälterin sich mit den Herrschaften in anderen Räumen verständigen, ohne die Treppe hoch und runter laufen zu müssen. Cool!

Von einem kleinen Flur, mit einem super Ausblick direkt auf den Fluss Onyar, fällt viel Licht in den Raum, der ja eigentlich „nur“ für die Bediensteten gedacht war. Immer noch ist kein Klo in Sicht. Ich traue mich gar nicht, Jordi etwas so Triviales zu fragen. Wir gehen in das obere Stockwerk. Hier befinden sich noch mehr Schlafzimmer. Wieder zeichnen sich alle Möbel durch einen schlichten, geradlinigen, fast schon asketischen Stil aus. Selbst die zu dieser Zeit noch sehr neumodischen Stromleitungen sind aber stilgemäß hübsch verlegt.

moderne technik noucentisme

Und dann stehen wir im allerletzten Raum, dem Badezimmer. Durch ein Fenster zum Fluss fällt helles Sonnenlicht herein. Es gibt eine Wanne, ein Bidet, zwei Waschbecken – und ein ganz modernes Klo.

badezimmer noucentisme girona

Blick auf den Onyar Girona Casa Maso

Arbeitszimmer Casa Maso girona

Bad mit Fenster Noucentisme Girona casa maso
helle Küche casa maso Noucentisme Girona

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Noucentisme Casa Maso blick über den Onyar Girona

Noucentisme Maso Arbeitsplatz

Noucentisme Nähzimmer Casa Maso girona

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rekonstruierte Tapete casa maso noucentisme
originalgetreue rekonstruierte Tapete! 

schlafzimmer noucentisme casa masoInfos zur Casa Masó:

Adresse:
Carrer Ballesteries, 29
17004 Girona
Website: www.rafaelmaso.org

Hinweis: Vielen Dank an  Jordi von der Stiftung Casa Masó für diesen wunderbaren Einblick und an das Patronat de Turisme Girona, die mich zu diesen Besuch eingeladen haben.