An einer Stelle ist der Putz von der Wand gebröselt. Ein weißer Fleck im Krankenhaus-lindgrün, umgeben von schwarzen Streifen, an denen unzählige Betten und Rollstühle ihre Spuren hinterlassen haben.

Vor dem Fenster, draußen auf der Straße, tanzen vollbeladene Mofas, Mopeds und Autos in einem wilden Ballett umeinander herum. Aber das sehe ich nur, wenn ich aufstehe. Vom Bett aus blicke ich immer nur auf die riesigen Leuchtbuchstaben oben auf dem Einkaufszentrum gegenüber.  Und ich kann die Ameisenstraße beobachten, die sich von den Resten meines Joghurts bis zum Fenster hin erstreckt. Emsig schleppen die Tierchen kleinste Tröpfchen irgendwo hin. Auf dem Flur schreit irgendwo ein Baby, schon den ganzen Tag. Im Zimmer nebenan hört eine vietnamesische Familie Kinderfernsehen für Taube. Das bunte HubbaBubba Fernsehprogramm ist  mir irgendwie viel zu quietschig und zu grell. Verstehen kann ich ja sowieso nichts. Da bin ich gerade ganz dankbar für das Einzelzimmer, in dem ich hier liegen darf, und gucke lieber auf den weißen Fleck an der Wand.

Die Krankenschwestern geben sich alle Mühe mit mir. Die Ärzte sprechen Englisch, jedenfalls zwei von ihnen, und einige der Schwestern. Dennoch ist die Verständigung eher schwierig. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie ich in einem anderen Hospital, als dem internationalen KKH hier zurechtgekommen wäre. Am schwierigsten ist die Kommunikation mit der netten Frau, die mich dreimal am Tag fragt, was ich essen möchte. Das Menü ist mir wirklich so was von egal. Aber sie besteht drauf, dass ich mich für etwas entscheide. Ich entdecke auf dem vietnemesischen Speiseplan ein Gericht  auf Englisch, etwas mit „fresh fruit“ und zeige darauf. Das ist aber leider gerade aus. Na gut, dann eben was anderes, Reis, Nudeln, was auch immer. Irgendwann ist sie mit meiner Wahl zufrieden, vorerst. Morgen wird sie wiederkommen, dann bestelle ich einfach dasselbe nochmal.


Mittlerweile habe ich wahrscheinlich so ziemlich alle Apparate hier im Krankenhaus ausprobiert. Die haben mich so ausführlich durchgecheckt, das hätte in Spanien mindestens ein Jahr gedauert, um solche Termine zu kriegen. Aber andererseits bin ich hier in Vietnam ja auch so was wie ein Privatpatient und muss für meine Behandlung zahlen. Mit Geld geht eben alles leichter, das ist wohl leider überall auf der Welt so. Hoffentlich erstattet unsere Reiseversicherung uns wenigstens einen Teil der Kosten zurück. Michi ist die ganze Zeit damit beschäftigt, irgendwelche Papiere auszufüllen, mit Spanien zu telefonieren und andere bürokratischen Sachen zu regeln. Auch bei der Kommunikation mit den Ärzten, was mir denn nun eigentlich fehlt und wie lange ich noch hier bleiben muss, kommen wir selbst zu zweit nur mühsam voran.

Nachdem ich auf dem Flug hierher mehr oder weniger zusammengeklappt bin, mit Fieber, Schweissausbrüchen und Schmerzen in der Brust, sind wir gleich nach der Landung in diese internationale Klinik gefahren. Eine ausführliche Untersuchung ergab, dass ich eine Lungenentzündung habe. Ich bekam Antibiotika und die Anweisung, mich die nächsten Tage im Hotel auszuruhen. Das bedeutete dann leider, dass wir den ersten Teil unseres geplanten Trips canceln mussten. Kambodscha stand für den nächsten Tag auf dem Plan, da wollten wir zunächst durch die Ruinen von Angkor Wat wandeln und dann weiter in den Süden nach Koh Rong reisen. Das würde jetzt wohl auf jeden Fall ausfallen. So ein Mist. Aber der Arzt entliess mich immerhin mit der Auflage in vier Tagen wiederzukommen. Eigentlich hatten wir nur einen Tag in Ho Chi Minh City geplant, daraus waren nun fünf geworden. Aber wir hatten immer noch Hoffnung, das Ende der Reise, mit kleinen Umorgansationen in einer gekürzten Version, doch noch hinzukriegen.

Aber ärgerlich war das alles schon. Ich hatte mich so auf die Tempel von Angkor Wat gefreut. Ich wollte am Strand von Koh Rong und auf Phu Quoc spazieren gehen, tauchen und im Wasser planschen. Stattdessen lag ich nun schlapp in den weißen Leinen meines Hotelbetts. Immerhin hatten wir für die erste Nacht in Ho Chi Minh City ein schönes Hotel Resort gebucht, das wir so auf die Schnelle einfach verlängert haben. Eigentlich ist so ein Luxus für uns natürlich viel zu teuer, aber in dem plötzlichen Chaos noch schnell ad hoc ein anderes Hotel für das Wochenende zu finden, war gar nicht so einfach. Also blieben wir einfach ein paar Tage hier, ich würde mich brav ausruhen und am Dienstag würden wir weitersehen, wenn der Arzt uns dann hoffentlich weiterreisen lassen würde.

Doch es kam anders. Noch in der Nacht kriegte ich plötzlich merkwürdige Lähmungserscheinungen. Es kribbelte im Arm und im Gesicht wie tausend Ameisen, ich konnte nicht mehr sprechen und mich kaum noch bewegen. Michi fuhr mich direkt wieder in die Klinik. Und da blieb ich dann den Rest der Woche. Der anfängliche Verdacht auf Schlaganfall oder irgendetwas mit dem Herz stellte sich zum Glück als unbegründet heraus. Mein Hirn habe zwar einen kleinen Schaden, meinte die Ärztin, aber  es sei nichts Schlimmes, was auch immer das bedeuten soll 🙂

Letztendlich war mein Schwächeanfall wohl auf eine totale Unterversorgung mit Nährstoffen zurückzuführen. Auf dem Entlassungsschreiben, das ich mitgekriegt habe, steht so etwas wie Mangelernährung mit teilweisen Lähmungserscheinungen. Ob wir unsere Reise nach Phu Quoc fortsetzen könnten, fragten wir vorsichtig. Doch die Ärztin schüttelte entschieden den Kopf. Wir sollten in der Stadt bleiben, in der Nähe eines Krankenhauses, das sei besser. Und wenn alles gut gehen würde, dürfte ich am 1. März wieder fliegen. Also der Tag unseres Rückflugs. Das heißt vor dem ersten März war nicht an Weiterreise zu denken, aber immerhin den Rückflug nach Hause durfte ich antreten, wenn auch knapp.

Als wir dann endlich entlassen wurden – Michi hatte die ganze Zeit über auf einer schmalen Pritsche neben mir gewacht und war mir nicht von der Seite gewichen –  ging es ins Zentrum von Ho Chi Minh, in ein billigeres Hotel. Das Luxusresort konnten wir uns nicht länger leisten.

Statt Fotos vom Strand und Tempeln kann ich jetzt Röntgen- und Ultraschallbilder mit nach Hause nehmen. Statt von köstlichen vietnamesischen Spezialitäten und leckeren Drinks am Strand zu berichten, könnte ich Euch vom Essen im Krankenhaus erzählen, was übrigens gar nicht so schlecht schmeckt.

Nun galt es also noch fünf weitere Tage in dieser Metropole herumzubringen. Eine Stadt, die alles andere als schön und sehenswert zu sein scheint. Vielleicht liegt das auch nur an meinem zugegeben nicht mehr ganz so positiven Blickwinkel auf das alles hier. Zwei Wochen in Ho Chi Minh, mehr Slow Travel geht nicht. Noch nie habe ich mich so im Urlaub gelangweilt.

Eigentlich bin ich immer unterwegs, will viel sehen, Leute treffen, Sachen machen, alles ausprobieren. Hier in der City festzuhängen ist für mich eine echte Geduldsprobe, ein Härtetest. Auch für Michi und für die Beziehung. Aber es ist nun einmal nicht zu ändern. Ist nun mal echt dumm gelaufen. Dabei sollte ich im Grunde genommen dankbar sein, dass alles so glimpflich ausgegangen ist und ich wieder einigermaßen fit bin. Jeden Tag geht es mir dank der Medikamente, die ich tonnenweise in mich reinschütte, wieder besser. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so viele Tabletten genommen wie jetzt. Aber ich bin wieder auf den Beinen. Und ich will schnell wieder nach Hause. Ich habe zwar noch etwas Schiss vor dem langen Rückflug, aber ich freue mich so dermaßen darauf, bald wieder in Barcelona zu sein, wie noch nie auf einer Reise. So einen Urlaub hätte ich uns gern erspart, aber wir haben auch viel gelernt. Niemals wieder werde ich irgendwo hinfliegen, wenn ich nicht topfit bin.  Und geduldig sein und alles etwas langsamer angehen zu lassen ist definitv etwas, das ich noch üben muss. Auf jeden Fall ist krank sein in fernen Ländern ist echt kein Spaß.