Ich fliege nach Japan. Es ist für mich das allererste Mal, dass ich an einen Ort reise, an dem ich mich sprachlich absolut nicht verteidigen kann. Wo ich nicht einmal die Straßenschilder oder die Etiketten im Supermarkt lesen kann. Ich bin aufgeregt.
Als ich am richtigen Gate ankomme, fängt es ganz plötzlich an zu regnen, und zwar richtig dolle. Ich bekomme eine Wetterwarnung aufs Handy: Im Bereich des Flughafens soll innerhalb der nächsten paar Stunden ein sehr starkes Unwetter aufkommen. Plötzlich wird der Regen richtig laut. Ich höre sogar, wie das Wasser irgendwo ganz in der Nähe auf eine Fläche prasselt. Tatsache: Es regnet in den Flughafen hinein, und zwar richtig. Wahre Wasserfälle laufen von der hohen Decke hinunter. Innerhalb von wenigen Sekunden hat sich so viel Wasser angesammelt, dass es sich staut und nicht so schnell abfließen kann. Die meisten Flüge werden gecancelt oder nach Reus und Girona umgeleitet. Mein Flug nach Shanghai verspätet sich zwei Stunden – die Zeit, die der Regen braucht, um weiterzuziehen. Leider auch genau die Zeit, die ich gehabt hätte, um in Shanghai meinen Anschlussflug nach Osaka zu bekommen. Prima.
Einige Stunden und Turbulenzen später nehme ich in Shanghai schließlich doch noch einen Anschlussflug nach Osaka, denn dort in der Nähe, in der Kansai-Region, werde ich den nächsten Monat verbringen, bei T., den ich in Neuseeland kennengelernt habe. Vor der Abreise hat er mich schon vorgewarnt: ein Bett gibt es nicht, dafür jede Menge Futons. Ich bin gespannt, zu erfahren, wie es sich in einer japanischen Vorstadt so lebt.
Ankunft in Japan
Die Begegnung mit den Hightech-Toiletten oder auch „Washlets“ lässt nicht lange auf sich warten, denn nachdem ich gelandet bin, muss ich noch am Flughafen ziemlich zügig meine Blase entleeren. Zehntausende verschiedene Knöpfe verwirren mich, ich will einfach nur spülen. Aber ehe ich irgendeinen Knopf gedrückt habe, öffnet sich die Toilettentür offenbar automatisch.
Wenn T. in Neuseeland von Osaka erzählt hat, sprach er immer vom “Concrete Jungle”. Die Fahrt vom Flughafen in die Vorstadt Itami entsprach genau dieser Beschreibung. Viel Zement, viel Asphalt, und Industriegebiete. Doch zum Glück ist Itami selbst etwas ruhiger. Nachdem ich meinen Jetlag ausgeschlafen habe, mache ich mich also auf den Weg, um die Nachbarschaft zu erkunden.
Spaziergang durch die Nachbarschaft
In diesem Wohnviertel sind die Häuser klein und ganz dicht aneinander gequetscht. Kaum ein halber Meter trennt die Häuser voneinander. Insgesamt ist alles in Japan irgendwie klein und eng. Die Zäune sind so hoch und blickdicht wie Wände und stehen so nah vor der Haustür, dass sie den Ausblick (auch wenn nicht unbedingt sehr ästhetisch) verdecken. Alles hat so ein bisschen 80er Jahre Flair: beige Töne, braune Aluminium-Fensterrahmen und Gitter. T. erklärt mir, dass beim Bau der Häuser viel Holz und Aluminium verwendet wird. Man arbeitet mit leichten Materialien, denn Zement und Eisen sind sehr schwer und halten den häufigen Erdbeben nicht so gut stand.
Auch die Vorgärten sind eng, dafür mit “Niwaki” (geformten Bäumen) verziert. Die mühsam gestutzten Kugeln an den Enden der Äste sind ganz typisch für japanische Gärten. Bürgersteige gibt es in dieser Nachbarschaft keine, nur ein weißer Streifen am Rande der Straße dient als solcher. Wasser fließt in unverdeckten Kanälen an den Straßenseiten. Überall stehen Kabelmasten und bilden ein Netz über den Häusern. Manchmal rangelt sich eine Pflanze aus irgendeinem Vorgarten an den Kabeln hoch. Effizienz geht vor Ästhetik.
Autos sehe ich auf meinem ersten Erkundungsgang nur wenige. Und wenn doch, machen die Hondas, Nissans, Toyotas und Mazdas mit abgeflachten Motorhauben generell wenig Lärm. Wenn ich ab und zu einen Gemüsegarten oder ein Reisfeld entdecke, dann ist es von asphaltierten Straßen und Hochhäusern umzingelt. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, der Boden sei fruchtbar. Alles ist mit Zement oder Fliesen bedeckt. Kaum eine bepflanzte Allee mit Bäumen bietet Schatten oder Lärmschutz.
Das Essen in Japan
Ich lebe am Mittelmeer. Im mediterranen Raum sind die Mahlzeiten so heilig wie das Vater Unser. Auch für mich kommt es nicht in die Tüte, dass man nicht drei Mal am Tag eine Pause einlegt und sich die Zeit nimmt, etwas zu kochen und genüsslich gemeinsam zu essen. Wenn ich durch irgendwelche Umstände von einer Mahlzeit abgehalten werde, bin ich persönlich beleidigt. Aber auf Reisen muss man die eigenen Erwartungen und Bedürfnisse ablegen und sich auf das einstellen, was da ist. Mit Ansprüchen kommt man in fremden Ländern nicht weit.
Im Gegensatz zu dem, was ich von zu Hause kenne, scheint in Japan das Essen nur der puren Nahrungsaufnahme zu dienen. Heiße Soba-Nudeln werden laut weggeschlürft und der Reis wird gekonnt mit den Stäbchen aus der Schüssel geschaufelt. Wie vom Staubsauger wird das Essen eingesaugt und weiter gehts. Nichts mit Cafesito zum Abschluss, um den Moment noch etwas in die Länge zu ziehen.
Stattdessen wird in Japan viel “gesnackt”. Kombinis, die japanische Abkürzung für Convenience Stores, sind 24 Stunden am Tag geöffnet. Dort kann man jede Menge Chips und Kekse, Baumkuchen, Okashi (japanische Süßwaren) und abgepackte Fertigmahlzeiten wie verschiedene Sushi, Onigiri (Reisbällchen) oder Soba-Nudeln kaufen. Die meisten Snacks sehen chemisch aus und sind industriell hergestellt. Schade finde ich vor allem, dass so viel Einweg-Plastik verwendet wird: Kekstüten sind fünfmal verpackt (nicht nur die äußere Verpackung, sondern auch noch jeder Keks einzeln), selbst Bananen werden nochmal einzeln extra in Plastiktüten verpackt.
Brot gibt es nur in fertig geschnittenen Scheiben, in Brioche-artigen Toastvarianten, aber nichts, was knuspert oder einigermaßen bissfest ist. Nicht einmal richtige Schokoladentafeln gibt es, sondern nur kleine Schachteln, wo die Stücke schon einzeln voneinander getrennt sind. Dabei ist das Knacken beim Zerbrechen einer Tafel Schokolade doch Teil des Genuss, oder? Aber gut, Japaner essen eben nicht so viel Brot und Schokolade wie wir. Dafür gewöhne ich mich schnell an die Okashi mit Manju, einer süßen Füllung aus roten Bohnen, und Backwaren mit Süßkartoffeln- Kastanien- oder Bohnenfüllung. Auch alles mit Matcha-Geschmack, so einem Pulver aus grünem Tee, finde ich super lecker.
Ganz anders als diese Snacks ist es aber, wenn man ausgeht oder mit der Familie zusammen isst. Als T. und ich in einem schicken Restaurant essen gehen, müssen wir am Eingang die Schuhe ausziehen, denn das Restaurant hat Teppichboden. Die Tische sind sehr tief auf dem Boden. Stühle gibt es nicht. Man muss also hocken. Wie die Japaner das machen, ohne dass ihnen dabei die Beine einschlafen? Es bleibt mir ein Rätsel. Die Kellner watscheln auch barfuß durch die Gaststätte und gehen aus Höflichkeit tief in die Hocke, um die Bestellung aufzunehmen. Irgendwie witzig.
Es gibt auch ein gewisses Protokoll, wie was aufzutischen ist. Ich habe zwar nicht viel verstanden, aber hängengeblieben ist bei mir, dass der Reis links vom Hauptteller steht, vorausgesetzt man ist Rechtshänder, denn in seltensten Fällen ist Reis das Hauptgericht. Reis ist eher wie für uns das Brot, eine Sättigungsbeilage. Das „tägliche Brot“ ist in Japan eben der „tägliche Reis“.
Jedes Mal, wenn ich die Stäbchen in die Hand nehme, werde ich gelobt „du machst das ja ganz gut”. Und wenn mir mal etwas entflutscht, ist es wohl darauf zurückzuführen, dass ich aus Europa komme. Es ist schon erstaunlich, wie geübt die Japaner einhändig mit den Stäbchen Tofu-Würfel oder Tamagoyaki (Omlett) in kleinere Stücke teilen können. An meiner Feinmotorik muss wohl noch etwas feilen.
Die zu Hause gekochten Gerichte sind richtig lecker und gesund. Jedes Mal wenn ich mit T.’s Familie gegessen habe, gab es von allem reichlich. Miso-Suppen, in Kakibaum Blättern eingewickelter Sushi, gebratener Tofu mit Ingwer und Lauch und getrockneter Bonito obendrauf, Lachs-Sashimi, Tamagoyaki (ist im Grunde genommen nur ein Omelette), Okonomiyaki (etwa wie herzhafte Pfannkuchen), und natürlich jede Menge Reis.
In Japan habe ich gelernt, wie vielseitig Reis doch ist. Vor meiner Reise war es für mich nur ein fades Getreide, dass ich niemals als Hauptgericht essen würde, weil es mir zu langweilig ist. Aber wenn der Reis richtig gewaschen und zubereitet ist, reichen ein paar getrocknete Algen und schon ist es eine schmackhafte Mahlzeit.
Japanische Wohnungen
Wie bereits erwähnt, ist es in japanischen Städten ziemlich eng. So eng, dass die Parkplätze mehrstöckig sind und wie ein Getränkeautomat, die es übrigens auch an jeder Ecke gibt, funktionieren: Man wählt das Auto aus, dann wird es zum Ausgang geschoben. Das mit der Enge gilt auch für die Wohnungen. Das Haus in der Vorstadt von Osaka, in dem ich vier Wochen lang wohnen darf, ist etwas älter und geräumiger als die meisten anderen Wohnungen. Was mir an den japanischen Häusern aufgefallen ist, ist die Art der Einrichtung und die Raumaufteilung.
Zum einen ist da diese Möbellosigkeit. Ein Sofa zum Beispiel habe ich nirgendwo gesehen. Als wir einmal bei T’s Verwandten zum Abendessen eingeladen waren, saßen wir alle gemeinsam am Esstisch und mir wurde netterweise angeboten, mich auf dem Boden liegend auszuruhen. Weil ich mir komisch vorkommen würde, wenn die ganze Familie am Esstisch sitzt und ich dabei einfach auf dem Boden herum liege, antwortete ich: „Danke, aber ich bin gewohnt auf Stühlen, statt auf dem Boden zu sitzen”. Das löste natürlich eine Runde Gekicher aus. In Japan scheint es also durchaus vorzukommen, dass man sich auf den Fußboden neben den Tisch legt.
Da es nicht viel Raum gibt, muss der Platz praktisch und mehrzweckig genutzt werden. Deswegen werden auch Futons bevorzugt, denn die kann man schnell wieder wegräumen. Auch die Schiebetüren mit den Shoji-Papierfenstern transformieren den Raum und machen aus einem Zimmer zwei – oder umgekehrt. Oft gibt es ein oder zwei Zimmer mit Tatamiboden. Ansonsten wird auch viel Teppichboden genutzt. Daher bleiben die Schuhe auch unbedingt draußen. Selbst wenn der Klempner kommt, muss er die Schuhe im Eingang ausziehen, bevor er die Wohnung betritt.
Abschied
Natürlich gibt es in Japan tausendmal mehr zu sehen, als das was ich in vier Wochen entdeckt habe. Unzählige Schreine und Tempel, Legenden und Geschichten über Gottheiten, Samurai und Ninjas, leckeres Essen, eine sehr reiche und sehr eigene Kultur, an die man als Außenstehender schwer herankommt. Die Menschen in Japan sind sehr nett, höflich und empathisch, immer um das Wohlsein der Mitmenschen bemüht.
Insgesamt war ich einen Monat in Japan. Gerade genug Zeit, um einen kurzen Einblick in den Alltag zu bekommen. Gerade hatte ich angefangen, die Straßenschilder lesen zu können und hier und da einige Kanjis zu deuten, da musste ich schon wieder Abschied nehmen. Ich bin extrem dankbar dafür, dass mich T und seine Familie so nett aufgenommen haben und ich die Möglichkeit hatte, Japan von so nah zu erleben.
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