Knapp einen Monat haben wir gebraucht, um auf unseren vollgepackten Fahrrädern von zu Hause – nahe Barcelona – an der Nordküste Spaniens entlang, über den sogenannten ‘Camino del Norte’, den bergigen Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela, zu gelangen. Ein großer Meilenstein – aber längst nicht unser Endziel. Bis hierhin sind wir keinen Meter motorisiert gefahren, weder mit Bus noch Bahn oder Taxi – jeden Zentimeter bis Santiago haben wir aus eigener Willens-und Körperkraft erkämpft. Und es soll noch weiter gehen – bis Muxía, Finisterre und die Atlantikküste hinunter. Dieses Mal erlauben wir uns jedoch von Santiago bis Muxía einen Bus zu nehmen, um nicht unnötigerweise im Zickzack zu fahren. Von dort werden wir rückwärts, also praktisch gegen den Strom des ‘Camino Portugués’ pilgern. Also bauen wir die Vordereifen ab und lassen sie samt Fahrrad in Klarsichtfolie einwickeln, damit wir sie im Kofferraum des Reisebusses mitnehmen können.
Ausflug ans Ende der Welt
Muxía und Finisterre – Costa da Morte
Wir kommen gerade rechtzeitig in Muxía an, um den Sonnenuntergang zu sehen. Sobald wir unseren Kram in der Pilgerherberge untergebracht haben, suchen wir den Leuchtturm auf. Der Himmel ist rosarot und das Licht ist zu dieser Zeit am Abend besonders sanft und schön. Wir klettern auf einen felsigen Hügel, der etwas höher gelegen ist als der Rest vom Ort – von hier aus hat man eine wunderschöne Aussicht. Der Gedanke, das hinter diesem Meer Amerika liegt, ist schon verrückt.
Ich hatte schon viel über die Costa da Morte gelesen. Die felsige Küste dieser Region sei gefährlich und soll mit ihren vielen Strömen und Unterströmen schon vielen Seeleuten das Leben gekostet haben, daher der Name „Küste des Todes“. Außerdem verläuft hier der Camiño dos Faros, eine 200 km lange Strecke, entlang der Leuchttürme der kleinen Fischerorte, die sich hier an der galizischen Atlantikküste aneinanderreihen. Ich bin gespannt, was sich die nächsten paar Tage hier ergibt – aber eins ist klar: Baden werde ich an diesen Stränden nicht.
Am nächsten Morgen radeln wir weiter bis nach Finisterre (oder Fisterra). Viele Pilger, die in Santiago ankommen, wandern bis hierhin weiter. Es ist der westlichste Punkt Europas vor dem großen weiten Atlantischen Ozean. Kein Wunder, dass die Menschen früher dachten, hier sei das Ende der Welt. Bevor die Europäer von der Existenz Amerikas wussten, endete genau an diesem Punkt die damals bekannte Welt.
Der Weg bis Fisterra ist mal wieder typisch galizisch: ständiger Wetterumschwung, sehr dichter Nebel, Regen, dann wieder Sonne, dann wieder Regen. Gut, dass wir mittlerweile Geduld geübt haben. Der Leuchtturm ist nochmal drei Kilometer vom Dorf entfernt, aber das schaffen wir jetzt auch noch. Endlich angekommen, machen wir einen Moment Pause und halten inne. Wir sind am westlichsten Punkt des europäischen Kontinents. Vor uns Le Grand Bleu – ein endlos blaues Meer und blauer Himmel.
Dann geht es weiter, wir wollen den Anschluss zum Camino finden. Wir radeln weiter bis Cee und übernachten dort in einer Pilgerherberge, die von einer sehr netten Familie mit kleinen Kindern und Hunden betrieben wird.
Der Camino Portugués – gegen den Pilgerstrom radeln
Cee – Negreira
Von Cee geht es weiter bis Negreira. Die mittelalterliche Festung Pazo del Cotón umfasst den Stadtkern. Eine Skulptur fällt mir besonders auf, el Emigrante. Sie stellt einen Vater dar, der auswandern und seine Familie verlassen muss. Doch die Kinder ziehen am Hemdsaum, damit er sie nicht verlässt.
In Negreira übernachten wir in der Pilgerherberge, die wieder einmal abseits auf einem Hügel liegt. Wir kommen relativ früh an und teilen uns die Herberge mit einem weiteren Pärchen. Da der Herd nicht funktioniert und uns mitten beim Kochen der Nudeln das Campinggas ausgeht, muss Andreu an einem benachbarten Haus darum bitten uns die Tortellini zu kochen. Er kommt gut ins Plaudern und die Nachbarn sind lieb und ich habe meine Tortellini – alle sind zufrieden.
Negreira – Padron – Caldas de Reis – Pontevedra
Am nächsten Tag geht es weiter bis Padrón, dort wo die berühmten kleinen Paprikaschoten herkommen, die überall in Spanien als Tapas bekannt sind „algunas pican y otras non“. Diesem Spruch nach sind einige der kleinen Paprikas scharf, andere aber nicht, und derjenige, der eine scharfe Schote erwischt, muss zahlen. Da wir aber früh morgens dort ankommen, ist uns mehr nach einem Kaffee, denn es ist zu früh für Tapas. Auf dem Weg aus dem Dorf heraus kommen wir auf den Wochenmarkt und ich kaufe mir einen Churro, einen Einzelnen, denn unser Budget muss noch lange reichen.
Der Weg ist viel angenehmer zu fahren, als der Camino del Norte. Längst nicht so viel Höhenmeter, und die Temperatur ist angenehm. Wir richten uns danach, wo die meisten Leute herkommen, und fahren ihnen entgegen. Gefühlt sind wir die Einzigen, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs sind. Irgendwann merken wir, dass blaue Pfeile in unsere Richtung weisen und uns den Weg zeigen, während die gelben Pfeile natürlich nach Santiago führen.
Durch Weingüter, an Bauernhöfen, kleinen Dörfern und vielen kleinen Horreos vorbei, kommen wir schließlich in Caldas de Reis an und machen dort ein mittagliches Picknick. Danach geht es weiter bis zur Pilgerherberge von Pontevedra. Die ist riesengroß, wir kommen so spät an, dass Andreu und ich ein extra Zimmer zu zweit bekommen.
Pontevedra – Arcade – Redondela – Vigo – Baiona
Von Pontevedra geht es über Arcade und Redondela bis Vigo. Ein Morgen voller Parks, Waldwege und Pisten, die am Flussbett entlang führen. Einige anstrengende Anstiege, die sich aber wegen der Aussicht auf die Ria de Vigo und die Cíes-Inseln lohnen, gefolgt von der beeindruckenden Kirche San Juan de Panxón und den Stränden in der Nähe von Baiona.
Je näher wir Baiona kommen, desto besser wird das Wetter. Da wir von der Umgebung richtig verzaubert sind, entscheiden wir uns, zwei Nächte länger dort auf dem Campingplatz zu bleiben. Denn wenn das Wetter im Norden Spaniens gut ist, muss man es schließlich ausnutzen.
Während unserer zwei Tagen Ruhepause gehen wir entspannt in dem einen oder anderen Café etwas essen oder trinken, baden im Meer, spazieren mit den Füßen im Sand herum. Das erste Mal auf dieser Reise nehmen wir die Satteltaschen von unseren Rädern und fahren auch mal ganz leicht ohne schweres Gewicht auf den Rädern los, um die Festung von Baiona zu erkunden.
Wir kommen zur Pinta, der Karawelle, deren Nachbau hier im Hafen liegt. Als dieses Schiff von Kolumbus erster großer Entdeckungsreise zurück nach Europa kam und in diesem Hafen eintraf, erfolgte von hier aus die Bekanntmachung der Entdeckung der Neuen Welt.
An diesem entspannten Tag wird uns wieder klar, wie wichtig es ist, regelmäßige Ruhepausen einzulegen, den Körper auszuruhen und Kräfte zu tanken. Bisher sind wir jeden Tag fast wie gejagt immer weiter und weiter gefahren. Den ganzen letzten Monat über haben wir nur zwei oder drei Mal am gleichen Ort übernachtet. Als ob uns jemand vor sich her treiben würde. Vielleicht ist es auch die Euphorie, die Freude auf all das, was uns noch bevor steht, die uns bisher so getrieben hat. Vielleicht ist es auch der nahende Winter, die Tatsache, dass es immer kühler wird und die Tage immer kürzer werden, die uns auf den Fersen liegt. Was auch immer es ist, wir nehmen uns vor, von jetzt an entspannter zu fahren und auch mal längere Pausen einzulegen.
In Baiona fühlen wir uns so wohl, dass wir Galicien gar nicht wieder loslassen wollen.
Baiona – Oia – A Guarda
Nachdem wir uns auf dem Campingplatz in Baiona ordentlich erholt haben, unser Zelt zusammengepackt und die Satteltaschen montiert haben, geht es wieder weiter. Von Baiona aus verläuft die Strecke an der Küste entlang und ist zum Glück sehr flach. Wir freuen uns darüber, dass auf der ganzen Strecke der Fahrradweg von der Autostraße abgegrenzt ist. Eine Etappe mit tollen Aussichten, gutem Wetter und sehr schönen Stränden.
Besonders schön ist die Bucht von Oia, dort liegt ein altes Kloster direkt am Meer. Das Kloster Santa María la Real de Oya ist ein altes Zisterzienserkloster aus dem 12. Jahrhundert. Die Landschaft drumherum wirkt verschlafen, aber ist dabei einfach schön.
Nachdem wir das Kloster eine Weile aus der Ferne bewundert haben, geht es weiter bis A Guarda, denn dort bringt uns die Fähre über den Miño, den Fluss, der Spanien von Portugal trennt.
Zusammenfassung der Etappen
- Muxía – Finisterre – Cee
- Cee – Negreira
- Negreira – Padron – Caldas de Reis – Pontevedra
- Pontevedra – Arcade – Redondela – Vigo – Baiona
- Baiona – Oia – A Guarda (Fähre über den Miño nach Portugal)
Wenn Du unsere Geschichten über die dürre Wüstenlandschaft in Aragón lesen möchtest, über die grünen Weiden, hohe Berge und steile Kliffs der Nordküste, oder die moosbedeckten Schiefersteine in den nebeligen galizischen Wäldern, stay tuned!
Part 1: Der Camí de Sant Jaume
Part 2: Es geht weiter auf dem Camino Aragonés
Part 3: Der Übergang zum Camino del Norte in Navarra
Part 4: Fahrradpilgern am Atlantik – Baskenland
Part 5: Kantabrien – Jakobsweg in Nordspanien
Part 6: Auf zwei Rädern durch Asturien
Part 7: Ende des Jakobswegs mit Satteltaschen – Santiago de Compostela
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