Ein leerer Raum in einem alten Steinhaus, nicht weit von der turbulenten Küste entfernt. Doch hier oben ist es still und einsam. Wahrscheinlich war es genau das, was Carmen Amaya hier gesucht hat. Das Haus, in das sich der Superstar des Flamenco zurückgezogen hatte, ist heute eine Erinnerungsstätte. Fotos der Ausnahmekünstlerin zieren die Wände. Ansonsten sind die Räume leer. Möbel aus dieser Zeit sind leider nicht erhalten geblieben. Nur das Kreuz an der Wand gehörte einmal der großen Tänzerin.

Carmen Amaya Flamenco Begur

Carmen Amaya Flamenco Begur

Doch was machte diese Legende des Flamencos an der Costa Brava? Bisher dachte ich eigentlich, Flamenco sei etwas typisch Andalusisches. Im Grunde genommen stimmt das auch, aber es ist eben nur ein Teil der Geschichte.

Carmen Amaya war eine der größten und bekanntesten Flamencotänzerinnen aller Zeiten. Geboren wurde sie 1913 in Barcelona. Genau genommen erblickte sie in einem Armenviertel, das es heute gar nicht mehr gibt, das Licht der Welt. Im Zuge der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1992 ließ die damalige Stadtverwaltung das zwischen Barceloneta und Poblenou gelegene Somorrostro abreißen. Jahrzehntelang interessierte sich niemand für das direkt am Meer gelegene Schmuddelviertel der boomenden Stadt. Und so hatten sich hier die Ärmsten der Armen niedergelassen. Zuwanderer, die auf der Suche nach Arbeit in Barcelona gelandet waren und kein Dach über dem Kopf hatten. Barracas, Wellblechhütten, mehr oder weniger provisorisch zusammengeschusterte Barracken und ähnliche Behausungen, säumten die staubigen Straßen.

Unter diesen Bedingungen lebten viele ursprünglich aus dem Süden Spaniens stammende Familien der „Gitanos“. Die Familie Amaya war eine von ihnen. Carmens Vater verdiente den Lebensunterhalt für Frau und Kinder, indem er in Bars und Kneipen Gitarre spielte. Wenn die kleine Carmen ihn barfuß tanzend begleitete, begeisterte sie das Publikum.

Carmen Amaya Flamenco Begur

Carmen Amaya Flamenco Begur

In Begur stehe ich an einem hübsch gelegenen Aussichtspunkt vor dem Denkmal der Tänzerin. Mein Blick fällt auf die Überreste der alten Burg, die sich gegenüber auf einem anderen Hügel vor mir in den Himmel recken. Ein Schild erinnert daran, dass hier oben früher eine Korkfabrik stand.

Als die Blütezeit der Korkindustrie längst untergegangen und die Fabrikanlage selbst nur noch eine Ruine war, soll Carmen Amaya genau an dieser Stelle ihre allerletzte Vorstellung gegeben haben. Es war der Ausblick von den Ruinen der Fabrik zur Burg hinüber, der sie so sehr bewegt hat, dass sie die Burg mit ihrem Tanz erleuchten wollte. Damals war die Diva des Flamencos schon schwer krank. Wenige Monate darauf starb sie mit nur 50 Jahren.

Carmen Amaya Flamenco Begur

Carmen Amaya war eine außergewöhnliche Frau und eine unvergleichliche Tänzerin. Sie war ein Superstar, eine Ausnahmekünstlerin, die von Barcelona aus ihre Weltkarriere antrat: Paris, Lissabon, Buenos Aires, Brasilien, Kuba, Chile, USA. Sie bewegte sich in Kreisen der absoluten Superstars wie Charly Chaplin, Greta Garbo oder Gary Cooper. Zwischen den dreißiger und sechziger Jahren kannte wirklich jedermann Carmen Amaya, die spanische Tänzerin. Sie war die Madonna des Flamencos. Könige bewunderte ihre Darbietungen, Fred Astaire schätze ihr Können und Roosevelt lud sie nach Washington ins Weiße Haus ein.

Carmen Amaya Flamenco Begur

Ihre Bewunderer nannten sie la Capitana. Carmen galt als eine Naturgewalt des Flamenco. Die Bühne vibrierte unter ihren Schritten, wenn sie mit Leidenschaft und geradezu brutaler Präzision tanzte. Ihre Bewegungen und Drehungen habe sie sich bei den Wellen des Meeres abgeguckt, behauptete sie einmal.

Carmen Amaya Flamenco Begur Hotel AiguaclaraLebensgroßes Foto Carmen Amaya im Hotel Aiguaclara

Carmen Amaya war die erste Frau, die es wagte, in einer Hose Flamenco zu tanzen. Während beim Flamenco die Männer traditionellerweise die Beinarbeit leisteten, spielten bei den Tänzerinnen vorwiegend die grazilen und sinnlichen Bewegungen des Oberkörpers eine Rolle. Carmen Amaya konnte beides. Sie beherrschte die Beinarbeit des Flamenco auf so hohem Niveau, dass sie irgendwann auf wallende Röcke, die die Beine verdecken, verzichtete und stattdessen schlichte, enge Hosen trug. Damals ein absolutes Novum im Flamenco!

Carmen Amaya Flamenco Begur

Carmen Amaya Flamenco Begur

Carmen Amaya liebte das Meer mit dem sie aufgewachsen war. Anfang der sechziger Jahre kaufte die große Dame des Flamenco ein altes Bauernhaus in Begur. In der Masia Can Pinc suchte sie Ruhe und Erholung. Und hier stehe ich nun in einem leeren Raum, vor einem Kamin, vor dem einst die berühmte Künstlerin gesessen haben muss, und höre mir ihre Lebensgeschichte an.

Seit vielen Jahren litt die Tänzerin an einer schweren Nierenkrankheit. Hier in diesem Haus verbrachte sie die letzten Stunden ihres bewegten Lebens. Journalisten aus der ganzen Welt eilten in diesen Tagen nach Begur. Die Presse berichtete über den immer schlechter werdenden Gesundheitszustand der Künstlerin. Der Bürgermeister benannte noch eine Straße nach dem Legenden umwobenen Superstar. Am 19. November 1963 starb Carmen Amaya, drei Tage bevor in den USA Präsident Kennedy ermordet wurde. Da hatte die Presse ein neues Thema gefunden.

Carmen Amaya Flamenco Begur

carmen amaya

Auf dem kleinen Friedhof von Begur wurde die Legende des Flamenco beigesetzt. Doch heute ist die Grabstätte leer, denn ihr Mann liess die sterblichen Überreste der Künstlerin ins Familiengrab nach Zaragoza überführen.

Carmen Amaya Flamenco Begur

Infos Carmen Amaya in Begur:

Espai Mas d’en Pinc
Passeig Carmen Amaya 12
17255 Begur, Girona
Website: www.espaimaspinc.cat
Koordinaten: 41.958756, 3.212107

Im Espai Mas d’en Pinc befinden sich die Büros verschiedener kultureller Vereine der Stadt Begur. Besichtigungen der Räume, in denen Carmen Amaya einst gelebt hat, finden vormittags statt. Auf Anfrage bietet Guide Sandra Bisbe den Fans und Pilgern dort Führungen auf den Spuren des großen Flamencostars an. instagram: @sandra_trossets_compartits

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Auf dem kleinen Friedhof von Begur befindet sich die heute leere Grabstätte der Carmen Amaya. Der Friedhof liegt versteckt direkt neben einem Kreisverkehr.
Koordinaten: 41.953289, 3.202171

Jedes Jahr im August findet in Begur ein Festival zu Ehren Carmen Amayas statt:  www.historiasdeflamenco.com

Es hat echt lange gedauert, bis ich das erste Mal eine Flamenco-Aufführung gesehen habe. Ich war wirklich voller Vorurteile und habe viele Jahre über gedacht, Flamenco sei nur Kitsch für Touristen. Doch dann habe ich eine Tänzerin kennengelernt, die wirklichen, echten Flamenco tanzt und lebt. Während ich sie auf der Bühne beobachtet habe, ist das „Feuer“ übergesprungen, und ich habe verstanden, dass sie nicht nur komplizierte Tanzschritte und ausgefeilte Gesten vorführt, sondern mit ihrem ganzen Körper tanzt. Jeder Muskel im Körper, jeder Schritt, sogar der Gesichtsausdruck, sprechen mit den Zuschauern und teilen Emotionen mit. Von Leidenschaft und Freude über Trauer und Wut hin zu Stolz oder Trotz. Der Flamenco zieht dich mitten hinein in ein Gepräch ohen Worte.