Zum wohl berühmtesten Streitapfel Barcelonas, der Manzana de la Discordia, gehört auch die Casa Lleó Morera, die ich mir heute ansehe. Das Gebäude wurde als zweites der drei im selben Häuserblock miteinander wetteifernden modernistischen Bauten errichtet. Und zwar von Lluís Domènech i Montaner, der unter anderem auch den Palau de la Musica und das Hospital San Pau entworfen hat. Obwohl “errichtet” hier eigentlich nicht ganz stimmt, denn genau genommen sind diese drei Flaggschiffe des Modernisme lediglich Umbauten bereits vorhandener Gebäude.

Casa Lleó Morera Barcelona Modernisme Manzana De la Discordia

Die Casa Lleó Morera hieß zunächst Casa Rocamora, nach dem ersten Besitzer des Grundstücks, der sich hier einen schicken Palast bauen ließ. Als der Jugendstil dann als Modernisme in Barcelona Einzug hielt, ließen viele der Reichen ihre Häuser nach diesem neusten Modeschrei der Architektur restaurieren. Antoni Gaudí, Puig i Cadafalch und Domènech i Montaner waren die Stararchitekten dieser Bewegung. Als schließlich die Familie Morera das Grundstück am Passeig de Gràcia Nummer 35 erwirbt, dauert es jedoch noch eine Weile bis zum Umbau. Denn Morera stirbt und hinterlässt das Gebäude seiner Tochter. Diese gibt Domènech i Montaner zwar noch den Auftrag, verstirbt aber auch, sodass erst ihr Sohn Albert Lleó Morera die Fertigstellung des Hauses erlebt.

In den vierziger Jahren verkauft ein Nachfahre den Familiensitz. Vor allem an der Fassade müssen einige der modernistischen Elemente zeitgemäßeren Veränderungen weichen. Eine Bank und die Firma Loewe ziehen ein. In den oberen Etagen befinden sich seither Büroräume, bis Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein neuer Besitzer beschließt, zumindest im ersten Stock, dem ehemaligen pis principal, ein Museum einzurichten. Die Casa Lleó Morera wird aufwendig renoviert und 2008 für Besucher geöffnet.

Besuch in der Casa Lleó Morera:

Vor der Casa Lleó Morera ist Treffpunkt für die Besichtigungstour. Punkt zwölf Uhr erscheint Alba, die uns, eine kleine Gruppe älterer, katalanischer Damen und mich, durch die erste Etage führen wird. Bereits das Treppenhaus ist prächtig gestaltet und mit den Rosen, die auch einige Decken im Palau de la Musica zieren, geschmückt.

Treppenhaus Casa Lleó Morera Barcelona Modernisme

Der erste Eindruck, beim Betreten der leer stehenden Wohnung ist: “Wow!” Die Besucher sollten ganz offensichtlich vom Prunk beeindruckt werden. Das gelingt bis heute. Mit teurem Material wurde hier nicht gespart. Verschiedene Hölzer, viel Morera (auf deutsch Maulbeerbaum), rosa Marmor und prächtige Skulpturen. Das Auge weiß gar nicht, wohin es zuerst blicken soll, so viel gibt es zu sehen. Die großen Figuren an den Decken und Türbögen erzählen eine alte Legende, erklärt Alba. Von einem Königspaar, das auf Reisen gehen musste und den kleinen Sohn der Amme anvertraute. „Die Amme stellte das Kind am Abend vor den Kamin, damit der Junge es schön warm hatte und bald einschlafe. Wer jedoch einschlief, war die Amme selbst. Erst als sie wieder aufwachte, bemerkte sie, dass das Kind in der Wiege zu Asche verbrannt war. Was für ein Schreck! Sie betete und flehte und tat so einiges, damit ein Wunder geschehe, das ihr helfe. Als die Eltern zurückkehrten und ihr Kind sehen wollten, öffnete die Amme zögernd die Tür. Der Kleine spielte friedlich vor dem Kamin. Das Kind war also gerettet, aber die Amme wurde mit dem Tode bestraft.“

CAsa Lleo Morera Barcelona Material Holz Modernisme

Casa Lleo Morera Barcelona Modernisme Amme und Kind

Casa Lleo Morera Barcelona Modernisme Innenraum

So oder so ähnlich soll die Geschichte sein, die hier an den Wänden erzählt wird. Warum sich jemand so ein Thema als Wohnungsdekoration aussucht, kann ich nicht wirklich nachvollziehen, aber die Figuren sind immerhin sehr beeindruckend.

In die vorderen Räume der Casa Lleó Morera fällt erstaunlich viel Licht. Wer normale Wohnungen in Barcelona kennt, weiß, dass sie meist sehr dunkel sind und wenige, eher kleine Fenster haben. Hier besteht jedoch die ganze Frontseite aus Glas. Alba erklärt warum. „Man wollte natürlich einerseits sehen können, wer auf dem Passeig de Gràcia denn so hoch und runter promeniert. Andererseits wollte man aber auch selbst gesehen werden! Wenn man schon so viel Geld für einen prächtigen Palast ausgab, sollten ruhig alle wissen, was man sich leisten konnte.“ Da die vorderen Räume offizielle Empfangsräume waren, war Angeben angesagt: Ein schicker Kamin, eine raffinierte Schiebetür, Holzpaneele und Wanddekoration mit Goldfäden – es wurde an nichts gespart.

Casa lleo Morera Barcelona fussboden Mosaik

Casa Lleo Morera Modernisme Barcelona Wand Gold

Die hinteren Räume, in denen das Privatleben der Familie stattfand, sind da schon etwas “bescheidener”, wenn man dieses Wort in einer so prunkvollen Wohnung überhaupt verwenden kann. Statt aus Holz, besteht die Deckenverkleidung aus Gips und ist lediglich in Holzmanier angepinselt. Der kleine Schwindel fällt nur bei genauem Hinsehen auf. Die Wände sind nicht mehr mit Marmor, sondern mit Keramik, aber von der teuren Sorte, bestückt. Bunte Glasfenster, Fußböden mit römischen Mosaiken und teure Kacheln – auch der private Teil der Wohnung ist nicht gerade ärmlich ausgestattet.

Casa Lleo Morera Barcelona privatraeume drinnen
Casa Lleo Morera Barcelona privatraeume gips statt Holz
Casa Lleo Morera Barcelona roemisches Mosaik Fussboden

Die Herrschaften, die hier einst im ersten Stock lebten, schliefen offenbar getrennt. Es gibt nämlich ein Damenschlafzimmer, mit Libellen und Schmetterlingsmotiven auf der einen Seite des Salons, und ein Herrenschlafzimmer in männlicheren Farben und mit Drachenmotiven, auf der anderen Seite. Da wir Damen ja bekanntlich immer mehr Platz brauchen als die Männer, hatte die Frau des Hauses auch noch ein Ankleide- und ein Badezimmer, direkt neben ihrem Schlafgemach. Das Bad ist heute zwar leer, aber die Kacheln sind noch original erhalten. Domènech i Montaner hat in all seinen Entwürfen Küche und Bad immer mit Kacheln versehen, aus hygienischen Gründen. „Und wo ist denn dann die Küche?“ will ich wissen. „Die befand sich damals, wie oft in den hochherrschaftlichen Häusern dieser Zeit, im unteren Geschoss.“ Durch kleine, fast versteckte Kammern und Aufzüge konnten die Dienstboten so als unsichtbare Geister ihre Arbeit tun.

Dann kommt der mit Abstand schönste und letzte Raum, das Wohn- und Esszimmer. Eine Glaswand aus Buntglasfenstern trennt den Salon von der dahinterliegenden Terrasse. Hinaussehen kann man fast nicht, weil das Fenster über und über mit bunten Gockeln, Hühnern und anderen Bauernhofmotiven bestückt ist. Auf der gegenüberliegenden Seite sind die Wände mit aufwendigen Mosaiken getäfelt. Der ganze Raum ist ein buntes Meer aus Farben und Formen.

Casa Lleo Morera Modernisme Glasfenster Barcelona

Mosaik esszimmer Casa Lleo Morera Modernisme  Wand EsszimmerMosaik Casa Morera Barcelona Modernisme

Zum Schluss dürfen wir noch kurz einen Blick auf die Terrasse werfen, die von den Herrschaften damals allerdings nicht genutzt wurde. Hier wuschen die Dienstboten die Wäsche, oder sie hängten Wäsche auf, oder die Kinder spielten. Ein letzter Blick auf die Rückseite der Casa Lleó Morera zeigt, dass alle oberen Etagen ebenfalls diese pompösen Glasfenster im hinteren Salon haben. Jede Etage allerdings mit einem anderen Motiv. Nebenan kann ich auch das Dach der Casa Batllò und die nicht-modernistische Rückseite der Casa Amatller erkennen.

Casa Lleo Morera Barcelona Terrasse

Casa Lleo Morera Rueckseite glasfenster Barcelona Modernisme

Nützliche Infos zur Casa Lleó Morera

Adresse:
Passeig de Gràcia, 35, 08007 Barcelona
Website: www.casalleomorera.com

ACHTUNG: SEIT 1.8. IST DIE CASA LLEO MORERA LEIDER GESCHLOSSEN. DER GRUND FÜR DIE VORLÄUFIGE SCHLIESSUNG IST DIE SUCHE NACH EINER MÖGLICHKEIT, DIE DEN BARRIEREFREIEN ZUTRITT GEWÄHRLEISTET. 

Öffnungszeiten, Eintritt, Führungen:
Führen finden Dienstag bis Sonntag täglich statt:
um 11.00 Uhr auf Englisch,
12.00 Uhr auf Katalanisch
und 17.00 Uhr Spanisch

Tickets können online auf der Website oder an der Ticketbox am Palau de La Virreina (Rambla 99) gekauft werden (nur mit Kreditkarte).

Einfacher Eintritt: 15 Euro
Senioren ab 65 Jahre, Jugendliche bis 25 Jahre und Menschen mit Behinderung: 13,50 Euro
Kinder unter 12 Jahre: Eintritt frei (begrenzt auf jeweils 1 Kind pro Erwachsenen)
Für echte Modernisme-Fans: Es gibt übrigens, wie ich heute gesehen habe, ein „Manzana de la Discordia“-Ticket, mit dem man zwei der drei Gebäude besichtigen kann (Casa Amatller und Casa Lleó Morera): Preis 21,60 Euro.

Fassade Casa Lleo Morera Figuren

Die weiblichen Figuren der Fassade im zweiten Stockwerk sind von Eusebi Arnaud, einem der bekanntesten modernistischen Bildhauer Kataloniens. Sie stellen die modernsten Errungenschaften des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts dar: die Phonographie (ein Grammofon), die Elektrizität (eine Glühbirne), die moderne Fotografie (eine Kamera) und das Telefon. Arnaud fertigte u. a. auch Skulpturen für die Casa Amatller, den Palau de la Musica Catalana und das Hospital Sant Pau an. Einige der „verlorengegangenen“ Figuren der Fassade wurden von Salvador Dalí, einem großen Verehrer des Modernisme, höchstpersönlich gerettet, und befindet sich heute in seinem Museum in Figueres!

Casa Lleo Morera Barcelona Loewe fassade

Casa Lleo Morera Detail Dach

Casa Lleo Morera Modernisme Fassade heute