Dort wo sich die Ausläufer der Pyrenäen bis ins Mittelmeer erstrecken, liegt der letzte Rückzugsort der einheimischen Schildkröte. In der Serra de l‘Albera, zwischen Cap de Creus und der Ebene des Roussillons, ist die tortuga mediterrània zu Hause. Auf Deutsch wird die Schildkrötenart Testudo hermanni mit Griechische Landschildkröte übersetzt. Während das gepanzerte Reptil früher im gesamten Mittelmeerraum heimisch war, findet man heute nur noch vereinzelte Populationen in abgelegenen Gegenden Italiens, Frankreichs oder hier oben in der Serra de l‘Albera an der französischen Grenze.
Auf der gesamten Iberischen Halbinsel ist diese Bergkette nahe der Costa Brava der letzte Fleck, an dem die Schildkröte noch in freier Natur lebt. Neben Wildschweinen und Vögeln, für die Schildkröteneier ein Festschmaus sind, ist der Mensch leider der ärgste Feind der kleinen Reptilien. Menschen zerstören seit Jahrhunderten das Habitat dieser Tiere. Bei den immer wieder auftretenden Waldbränden kommen viele Schildkröten um, weil sie viel zu langsam sind, um rechtzeitig fortzulaufen und sich in Sicherheit zu bringen.
Doch selbst wenn sie einen Waldbrand überlebt haben, weil sie sich in der Erde vergraben konnten, finden sie in der zurück gebliebenen Wüste aus Staub und Asche keine Nahrung mehr. Doch auch ohne Waldbrände verschwindet das natürliche Habitat der Tiere immer mehr. Weite Küstengebiete in denen einst Schildkröten heimisch waren, sind bereits zu Ackerland, Weingütern oder in Wohngebiete umgewandelt worden.
In dem kleinen Ort Gariguella hat man ein Schutzzentrum für die selten gewordenen Panzerkröten eingerichtet. Hier dürfen die winzigen Babys ein paar Jahre behütet und beschützt heranwachsen, bis sie groß genug sind, um in der freien Natur ausgesetzt zu werden.
Am Eingang des Centre de Reproducció de Tortugues de l‘Albera stehen wir überraschenderweise vor einer hübschen kleinen Kapelle. Laut Inschrift über der Tür wurde die Santa Maria del Camp schon zu Zeiten Karls des Großen errichtet. Eine andere Plakette erinnert stolz an den Besuch eines Königs. Wir kaufen unserer Tickets und betreten den Parcours, der uns durch die Welt der Schildkröten führt.
Zuerst dachte ich, da seien gar keine Schildkröten in den Gehegen. Alles schien zwar schön grün und wild, aber keine Schildkröte war weit und breit zu sehen. Erst als wir einen Parkwächter treffen, zeigt er uns die winzigen Schildkröten-Babys. Bei genauem Hinschauen kann ich sie nun auch erkennen. Die erst vor Kurzem geschlüpften Babys sind nicht größer als eine Fingerkuppe. In dem wilden Gras sind sie wirklich kaum zu erkennen. Doch seit ich weiß, wonach ich Ausschau halten muss, entdecke ich gleich noch ein paar mehr. Ein bisschen wie bei einer Ostereiersuche jubilieren der Schatz und ich jedes Mal stolz, wenn wir eine Baby-Tortuga erspähen.
Die Panzer der kleinen Tiere sind noch so weich, dass sie leichte Beute für Füchse, Dohlen und Wildschweine sind. Als ich eines der Babys auf dem Rücken liegen und zappeln sehe, und eilig dem Parkwächter Bescheid gebe, bleibt der stoisch ruhig. Zu meinem Erstaunen meint er, sie müsse lernen sich selbst umzudrehen, wenn sie draußen überleben will. Das Leben ist hart.
Ab und zu knistert oder raschelt es im Gebüsch. Ich kann noch nichts sehen, aber ich bleibe still stehen und lausche. Dann wackelt plötzlich ein Ast, ganz eindeutig hat er sich bewegt. Und prompt kommt eine Schildkröte in Sicht, die gerade ein paar frische Blätter zu frühstücken scheint.
Weiter vorn sind direkt vor uns zwei Schildkröten damit beschäftigt, sich zu vermehren. Die Befruchtung scheint mühsam. Das kleinere Männchen läuft hinter dem Weibchen her und klopft an ihren Panzer. Er versucht wohl sie zu überzeugen, doch mal eben bitte stehen zu bleiben, damit er seine Arbeit machen kann. Sie verlangsamt zumindest ihren Schritt, sodass sich der junge Herr auf ihren Rücken wuchten kann. Dann gibt er zwei, drei Mal sehr merkwürdige Geräusche von sich und lässt wieder von seiner Gefährtin ab. Die zieht weiter ihrer Wege, als sei nichts geschehen.
Später, im Frühjahr werden die Weibchen drei bis sechs Eier pro Nest legen. Das ist weniger als andere Schildkröten, aber dafür kann die tortuga mediterrània zweimal im Jahr ein Nest bauen. Sobald die Eier gelegt sind, scharrt die Dame mit ihren Hinterpfoten etwas Erde über das Loch, in dem ihr Nachwuchs heranwächst. Die Wärme der sommerlichen Sonne brütet die eingegrabenen Eier dann aus, sodass im September die ersten Schilkrötenbabys schlüpfen. Diese Mini-Tortugas müssen von der ersten Minute an ganz allein zurechtkommen.
Gegen Ende der kleinen Anlage kommen wir zu den Gehegen, in denen andere Schildkrötenarten untergebracht sind. Meist sind es ausgesetzte Schildkröten, die die Menschen illegal gekauft und zu Hause gehalten haben – bis sie keine Lust mehr auf die Tiere hatten. Immer wieder werden exotische Schildkröten einfach an Seen oder im Wald und Wiesen ausgesetzt. Das ist nicht nur eine kleine Katastrophe für die heimische Flora und Fauna, sondern eben auch für die tortuga mediterrània.
Manche der exotischen Tiere sind so klein wie ein Schneckenhaus, andere so groß wie mächtige Felsbrocken. Die tortuga d‘esperons (Spornschildkröte) hätte ich beinah übersehen, weil sie SO unerwartet riesig ist! Weltweit gibt es nur noch die Galapagos Schildkröte und eine Riesenschildkröte auf den Seychellen die noch größer werden, als dieses Exemplar hier vor mir. Die Weibchen sollen bis zu 100 kg wiegen. Viele der exotischen Spezies sind ziemlich aggressiv. Die Tortuga mossegadora, die man am See von Banyoles gefunden und eingefangen hat, muss vermutlich deshalb ganz allein in einem Becken schwimmen. Sobald sie das Maul aufreißt, sieht es aus, als würde sie wütend zubeißen wollen. Vermutlich kommt daher auch ihr Name beißende Schildkröte oder auf Deutsch Schnappschildkröte.
Der Verkauf oder Handel mit der tortuga mediterrània, der Griechischen Landschildkröte, ist längst gesetzlich verboten und die Tiere unter Artenschutz gestellt. Zu oft leiden sie in Gefangenschaft unter falscher Haltung, falscher Ernährung und daraus resultierenden Deformationen der Panzer. Hier im Schildkrötenzentrum werden nicht nur ausgesetzte Tiere und die Eier der einheimischen tortuga geschützt. Bei Autounfällen oder Bränden beschädigte oder unter landwirtschaftliche Maschinen geratene Tiere werden hier nach Möglichkeit wieder aufgepäppelt, um irgendwann wieder auf freien Fuß gesetzt werden zu können.
Infos Schutzzentrum der Mediterranen Schildkröte
Centre de Reproducció de Tortugues de l’Albera
Santuari de la Mare de Déu del Camp
17780 Garriguella (Alt Empordà, Girona)
Website tortugues.cat
Kontakt: Tel. 0034 972 55 22 45 Mail: crt@tortugues.cat
Anfahrt: Von Roses oder Girona aus sind es nur wenige Minuten mit dem Auto. Vor dem Center steht ein Parkplatz zur Verfügung.
Die Griechische Landschildkröte ist in zwei Subspezies eingeteilt, die Testudo hermanni hermanni, die im westlichen Mittelmeerraum zu Hause ist, und die Testudo hermanni boettgeri, die man im östlichen Mittelmeerraum findet. Die Grenze des Verbreitungsgebietes dieser beiden Subspezies verläuft längs durch Italien.
Der Wikipedia Artikel sagt dazu im Abschnitt Gefährdung und Schutz : (ZITAT) „[…] Für die letzte Population der besonders gefährdeten Nominatform T. h. hermanni auf der iberischen Halbinsel wurde 1986 in den Ausläufern der östlichen Pyrenäen der Nationalpark Parc Natural de l’Albera eingerichtet, von dem aus auch drei Wiederansiedlungsprojekte in Katalonien betreut werden. In Südfrankreich kümmert sich das SOPTOM-Projekt in Gonfaron neben dem Erhalt von natürlichen Lebensräumen um die Versorgung von Verkehrs- und Brandopfern und die Vorbereitung zur Wiederauswilderung einiger lange in Gefangenschaft gehaltener Tiere. […]„
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