Auf dem Puntón de las Brujas der neben dem winzigen Pyrenäendorf Tella in den Himmel ragt, sollen einst die Hexen getanzt und ihr Unwesen getrieben haben. Tella ist bis heute ein Ort der Sagen und Legenden. So erzählt man sich hier die Geschichte vom Schafe raubenden Riesen Silban, der sich einst in eine hübsche Schäferin verliebt hatte und sie entführte. Marieta musste dem Riesen täglich die langen Haare kämmen, doch eines Tages fand sie eine Gelegenheit davonzulaufen. Silban war untröstlich und weinte und rief laut. Die Hirten aus dem Dorf dachten nicht daran, Marieta zurückzugeben und schenken ihm stattdessen vergiftete Milch, die Silban gierig austrank und starb. Bis heute soll man an manchen Tagen noch sein Schluchzen und Heulen hören, das aus einer Höhle komme, in der er seine Schätze versteckt habe.
Im Mittelalter war der sogenannte Hexenglaube in den Pyrenäen weit verbreitet. Das verwundert nicht weiter, wenn man bedenkt, dass die Menschen in weiten Teilen des Gebirges jahrhundertelang abgelegen von großen Städten, einen starken Naturglauben entwickelten und die Gottheiten des Waldes, der Erde und der Flüsse das Leben in den Bergen bestimmten. Erst spät hielt das Christentum Einzug in diese entlegenen Regionen und der neue Gott musste sich erst gegen die althergebrachten (meist baskischen) Gottheiten durchsetzen. Da die medizinische Versorgung auf dem beruhte, was die Natur an Heilmitteln bot, waren Kranke auf die Erfahrungen der Heilerinnen und der Kräuterfrauen angewiesen. Doch mit der Ankunft des Christentums waren die durch das Land ziehenden Frauen bald schon als Hexen verschrien. Oft schon genügte es, sich mit Heilpflanzen auszukennen oder ein Buch zu besitzen, um der Hexerei angeklagt zu werden.
Die katholische Kirche konnte diesem stark verwurzelten Natur- bzw. Hexenglauben nur entgegentreten, indem sie viele Gotteshäuser errichteten ließ. In 1.300 Metern Höhe finden sich daher zwischen dem Puntón de las Brujas und Tella gleich drei kleine Kapellen. Angeblich sollen es früher sogar noch mehr gewesen sein. Auf einem Spaziergang kann man innerhalb einer Stunde diese drei Kirchlein besuchen und dabei die fantastische Aussicht bewundern.
Ruta de las Ermitas de Tella
Der Rundwanderweg startet vor der Informationszentrale. Vorbei an der Dorfkirche, der Iglesia Parroquial de San Martín aus dem 16. Jahrhundert, schlängelt sich ein steiniger Pfad den kleinen Hügel hinauf bis wir über unzählige große und kleine Steine hinweg zu einem Wegweiser gelangen, der uns nach links in den Wald führt. Dicke Baumwurzeln ragen aus der Erde heraus auf den Pfad und verleihen dem Weg etwas Geheimnisvolles. Ein Teil des Weges ist mit Kopfsteinpflaster belegt, dann wieder schreiten wir über weichen Waldboden. Es dauert nicht lange, bis wir die erste der drei Kapellen erreichen.
Rau und ungezähmt ragt der Felsvorsprung Puntón de las Brujas in den Himmel. Der Legende nach war dieser Ort einer der “Aquelarres”, einer der Hexentanzplätze, an denen die Zauberinnen angeblich zusammenkamen, um den Teufel zu verehren oder sich mit ihm zu treffen. So mächtig wirkten die Natur und der Hexenglauben an dieser Stelle, dass man direkt zu Füßen des Felsens eine kleine Kapelle errichtete und sie vorsichtshalber gleich zwei Heiligen widmete nämlich San Juan und San Pablo.
Die Aussicht von hier oben ist fantastisch, der Blick reicht bis zu den “Gargantes de Escuain”, einer tiefen Schlucht, die zum nahe gelegenen Naturpark Ordesa y Monte Perdido gehört. Vor über tausend Jahren gebaut, ist die kleine Ermita die älteste der bis heute erhaltenen Kirchen hier oben.
Zurück auf dem Rundweg geht es wieder durch einen baumbestandenen Abschnitt des Pfades bis zur Ermita de la Virgen de la Peña. Der Weg ist gesäumt von üppig wucherndem Buchsbaum und stacheligem Igelginster. Erst kurz vor der Kappelle haben wir wieder freie Sicht auf die unter uns liegende Landschaft.
Wie die anderen Ermitas, ist auch diese kleine Kirche geöffnet, sodass man einen Blick in das alte Gemäuer werfen kann. Von der Ermita de la Virgen de la Peña aus kann man sowohl Tella als auch die Ermita de la Virgen de Fajanillas gut erkennen, die nächste und letzte Kapelle auf dem kleinen Rundweg.
Der Name “Fajanillas” kommt übrigens daher, dass man in Aragón einen schmalen Streifen Land eine Faja oder Fajanilla nennt. Direkt vor dieser letzten der drei Kapellen bilden die Überreste eines äußeren Portals eine wunderschöne Umrahmung des Bergpanoramas. Von hier aus führt der mit Kopfstein gepflasterte Weg an einer alten Steinmauer entlang zurück ins Dorf.
Im Dorf beherbergt eines der alten Häuser ein kleines Museum, die Casa de las Brujas, das sich dem Hexenglauben und der magischen Welt der Naturzauberei widmet. Leider ist es unter der Woche nicht geöffnet. Ebenfalls geschlossen ist das Museu del Oso mit der Bärenhöhle, die man außerhalb der Hauptsaison nur nach Voranmeldung besichtigen kann.
Eigentlich wollte ich mir noch den “Piedra de Vasar“ (Losa de la Campa) ansehen, einen gut erhaltenen, über 4.000 Jahre alten Dolmen, der nur wenige Meter von der Straße, die nach Tella hinauf führt, beinah am Wegesrand steht. Doch in der Infozentrale sagt man mir, der Weg dorthin führe direkt auf der asphaltierten Zufahrtsstraße entlang.
Jakobsweg durch die Sobrarbe
Nach einem kleinen Imbiss in der sehr netten Posada de Silvan, in der man auch regionale Produkte kaufen und sogar übernachten kann, habe ich es mir überlegt und entscheide mich gegen den Dolmen für einen anderen Weg. Auf mehreren Schildern in Tella habe ich nämlich die weithin leuchtenden Muschel-Wegweiser des Jakobsweges entdeckt. Tatsächlich führt eine alte, aus Frankreich kommende Strecke des Camino de Santiago durch Tella. Von hier geht es hinunter nach Hospital de Tella, weiter über Escalona und Ainsa bis nach Jaca, wo der Weg dann auf den traditionellen Camino Frances trifft, die bekannteste Strecke des Jakobswegs. In Spanien gibt es so viele Jakobswege, dass man beinah von überall loslaufen kann und garantiert irgendwann auf eine alte Pilgerstrecke stößt. Wie ein Wegenetz überziehen sie die Iberische Halbinsel. Dieser Jakobsweg scheint einer der wenig bekannten Abschnitte zu sein und entsprechend ruhig geht es hier zu.
Als ich die letzten Häuser des Dorfes hinter mir gelassen habe, führt mich der Wegweiser auf einen Trampelpfad, der im Zickzack und über eine grüne Wiese immer weiter nach unten geht. Auf den ersten Metern ist der Weg nicht sonderlich gut zu erkennen, aber ich weiß, es muss bergab gehen und so folge ich einfach den ausgetretenen Spuren, bis mir eine Markierung bestätigt, das ich hier richtig bin.
Da dieser Jakobsweg durch die Sobrarbe wenig bekannt ist, sind die gelb-weißen Kennzeichnungen manchmal etwas angekratzt, aber sie sind vorhanden und gut zu erkennen. Der Weg hinab ist kaum zu verfehlen, es geht nur ein schmaler Pfad ohne Abzweigungen den Berg hinab. Die Aussicht dabei ist fantastisch. Und es ist wunderbar ruhig und leise. Ein Camino der Stille. Nur einmal treffe ich ein Pärchen, das mir entgegenkommt und entgegen der Pilgerrichtung bergauf wandert.
Tief atme ich die frische Luft in meine Lungen und bestaune voller Hochachtung die stillen Riesen, die rund um mich herum in den Himmel ragen. Während ich einen Fuß vor den anderen setze und mein Herz mit jedem Schritt die Sorgen des Alltags hinter sich lässt, fühle ich mich immer lebendiger. Ich spüre, dass ich ein Teil der Natur bin, dass ich zwar allein durch diese stille Landschaft wandere, aber alles andere als einsam bin. Meine Gedanken sind leicht und beschwingt, als ginge eine Sonne in meinem Herzen auf.
Nach rund zweieinhalb Kilometern treffe ich auf die asphaltierte Straße, die sich den Berg hinauf nach Tella schlängelt. Der Weg führt durch drei enge Kurven auf der Straße entlang, an dem Dörfchen Cortalaviña vorbei, bis er an einem großen Jakobsweg-Schild, das merkwürdigerweise so angebracht ist, das man es nur von unten kommend sehen kann, wieder in die Natur abbiegt.
Vor mir kommt der Rio Cinca immer wieder in Sicht. Immer weiter nähere ich mich dem Gebirgsfluss, der in einem breiten Bett aus weißen Kieseln gen Süden plätschert, wo er zu großen Seen gestaut wird, ehe er in den Segre und später in den Ebro mündet.
Schließlich erreiche ich die wenigen Häuser von Hospital de Tella und schon stehe ich vor einem blauen Schild mit der gelb-leuchtenden Jakobsmuschel am Straßenrand.
Informationen und Links zum Weg:
Der aus Frankreich kommende Chemin de Saint Jacques de Compostelle de la Vallée d’Aure endet nicht an der französisch-spanischen Grenze. Über Lortet (Port d’Ourdissetou / Puerto de Ourdissetou) führte ein Weg durch die Sorbarbe nach Jaca und weiter bis nach Santiago de Compostela.
PDF Folleto Camino de Santiago Sobrarbe
Der Weg von Tella nach Hospital de Tella hinab ist nicht nur eine Etappe des Jakobswegs, sondern auch Teil eines regionalen Rundwegs PR-HU 39, der mit gelb-weißen Markierungen gekennzeichnet ist.
Noch mehr Links:
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