Die Autofahrt von Itami in die Präfektur Wakayama ist lang. Wir fahren früh los. Es geht an dem von Industrie geprägten Hafen und an der Universal Studio City vorbei. Schließlich lassen wir den Großraum Osaka hinter uns. Auf den Straßen und Schildern stehen überall Schriftzeichen, die ich nicht lesen kann. Nur ein paar Kanji, die sich dauernd wiederholen sind hängengeblieben: 出口 “deguchi” bedeutet Ausgang oder in diesem Zusammenhang: Abfahrt. Während der Fahrt spiele ich mit T. japanische Zahlen üben und lese die vorbeifahrenden Nummernschilder, die nur aus vier Ziffern bestehen, laut vor.
Wir lassen die Wolkenkratzer und den ganzen Beton hinter uns. Die grünen Berge kommen näher. Es geht nach Wakayama, denn wir wollen einen Teil des Kumano Pilgerwegs im Yoshino Kumano National Park (吉野熊野国立公園) wandern.
WAKAYAMA 和歌山 – Mystische Berge, Fischerdörfer und Thermalbad-Eier
Die Präfektur von Wakayama ist vor allem dafür bekannt, dass es eine Fischer-Gegend ist. Deswegen ist unser erster Stopp dort ein riesiger Fischmarkt. Der Toretore Fischmarkt in Ichiba riecht schon vom Parkplatz aus. Toretore ist der Kansai Begriff fürs Fischen. Als wir in die riesige Markthalle gehen, ist der Boden nass. Das Eis mit dem die Fische frischgehalten werden, ist um diese Uhrzeit schon geschmolzen. Blauflossen-Thunfische aus Plastik hängen von der Decke.
Fische und Meeresfrüchte gibt es hier in jeder erdenklichen Sorte: am Stiel, roh, gebraten, gekocht, eingelegt, sogar lebendig und wehrlos im Wassertank. Besonders schön fand ich das Meeresgetier nie. Es auch noch essen zu müssen ist eher nicht so meins. Im Nebensaal gibt es Imbissstände und Restaurants für alle, die so etwas mögen.
Shirahama 白浜町
Shiro (白) bedeutet weiß und Hama (浜) bedeutet so etwas wie Strand. Der schneeweiße Sandstrand macht seinem Namen alle Ehre. Auch wenn fast schon Winter ist, lädt die prall über die Bucht in Shirahama scheinende Sonne dazu ein, knöcheltief im Wasser entlang zu spazieren.
Nachdem ich wirklich lange überlegt und mit mir gerungen habe, ob ich Takoyaki probieren soll, obwohl ich keinen Tintenfisch (Tako) mag, entscheide ich mich schließlich doch noch dazu. Immerhin ist es eines der beliebtesten Nationalgerichte und die Tage, die mir in Japan noch bleiben, werden immer weniger. Also probiere ich einen dieser frittierten Tintenfischbälle. Die mehlige Masse ist eigentlich ganz okay, aber die kleinen Tintenfischstückchen muss ich doch herauspulen, denn die Textur des Tako etrage ich einfach nicht.
Nach diesem fehlgeschlagenen Versuch, gehen wir später am Abend noch etwas richtiges Essen. Ich überlasse es T, denn er kennt sich hier aus und weiß auch, was ich mag und was gar nicht geht. Er führt mich zu einer diskreten, unauffälligen Izakaya ( 浜食堂). Von außen sieht es so auf den ersten Blick etwas schäbig aus. Der Cola-Automat ist bestimmt älter als ich selbst, geschätzt aus den 80ern. Auf einem Flachbildschirm, der nicht ganz so flach ist, läuft nebenbei irgendein Programm. In Spanien würde man so etwas „Bar Manolo” nennen: ein sehr einfaches, rustikales Restaurant, ohne unnötigen Schnickschnack. Dafür gibt es in solchen Lokalen meistens das beste Essen, in diesem Falle, richtige japanische Hausmannskost.
Auf dem Tisch steht natürlich eine Kanne O-Cha. Der japanische Tee wird immer zum Essen dazu serviert und hat einen leicht holzigen, manchmal sogar nussigen Nachgeschmack, aber ich mag das. Ich bestelle ein Katsu-Kare. “Kare” ist die japanische Aussprache für “Curry”. Zu dem Gericht gehört eine fette Schüssel Reis als Beilage und eine kleine Misosuppe, in der vollgesogene Tofuwürfel schwimmen. Dazu noch ein kleiner Teller mit vier Fächern, in jedem davon kleine Portionen der unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen: eingelegter Ingwer, fermentierte Pflaumen, verschiedene Algenarten und viele andere Dinge, deren Namen ich bis heute nicht weiß.
Ein echter Gaumenschmaus. Um auszudrücken, wie sehr ich das Essen genieße, sage ich „Mecha Oiishiiiiiii!” weil T es mir so beigebracht hat. Das löst immer eine Runde Gekicher aus, denn T spricht “Osaka-ben” (Akzent aus Osaka), und das in der umgangssprachlichen Variante, oder mit seinen Freunden oft im Slang. Mir ist bewusst, wie wichtig es in Japan ist, den richtigen Höflichkeitsgrad zu treffen, je nachdem, an wen man sich richtet. Aber bisher habe ich wohl mit meinem Ausländerwelpenschutz noch niemanden beleidigt, denn alle reagieren immer mit viel Humor, egal was ich sage.
Jedenfalls tanken wir mit dieser leckeren Mahlzeit ordentlich Kraft für die Wanderung, die uns am nächsten Tag erwartet.
Kumano Kodo Pilgerweg 熊野古道
Der Kumano Kodo ist ein Netz verschiedener, uralter Pilgerwege, die alle miteinander verbunden sind. Wie der Camino de Santiago. Tatsächlich haben die beiden Pilgerwege sogar eine Art “Partnerschafts-Status” und sind beide Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Da die japanische Bevölkerung mehrheitlich nicht katholisch ist, wie in Spanien, führen die Wege hier nicht an Kirchen und Kapellen, sondern an Tempeln und Schreinen vorbei.
Kumano Kodo (熊野古道) bedeutet Weg des Kumano. Die verschiedenen Pfade befinden sich im Gebirge der Kii-Halbinsel im Süden Honshus, der größten Insel Japans.
Da es nur wenige Teehäuser und Unterkünfte auf dem Pilgerweg gibt, sind sie meistens schon Monate im Voraus ausgebucht. T und ich entscheiden uns deswegen für einen Tagesausflug. Wir parken an einer abgelegenen Stelle in Oyunohara (Tanabe) am Flussbett.Vom Busbahnhof aus nehmen wir einen Bus, der uns etwas höher auf dem Berg bei Hosshinmon Oji bringt. Von dort wandern wir die Strecke hoch und hinunter bis wir wieder zum großen Kumano Hongū Taisha Schrein am Ausgangspunkt gelangen.
Der Weg hat verschiedene Abschnitte, manchmal geht es durch einen Wald aus japanischem Zedern zu beiden Seiten, manchmal an kleinen Hütten vorbei. Bei einem alten Bauernhaus erklärt mir T dass das, was ich für eine Hecke hielt, grüner Tee ist, der hier angebaut wird. Bei dem kleinen Fushiogami-oji-Schrein machen wir eine Pause und beobachten die Landschaft. Immer wieder entdecken wir Felsen am Wegrand, die ein rotes Röckchen oder eine Schürze tragen. Davor häufen sich silberne und kupferfarbene Münzen. Angeblich soll das Glück bringen.
Kurz vor Ende der Route, noch bevor es den Berg wieder hinab geht, zweigen wir zu einem Aussichtspunkt ab. T und ich machen eine kurze Verschnaufpause. Der Blick fällt auf einen riesengroßen Torii. Dieses Tor ist mit über dreißig Metern Höhe und über vierzig Breite der größte Torii in Japan und wird deshalb OTorii (großer Torii) genannt. Es ist der allergrößte, eindrucksvollste Torii, den ich auf meiner ganzen Reise zu sehen bekomme. Wir laufen auf ihn zu. Dabei kommen wir noch am großen Kumano Schrein vorbei. Eine Figur fällt besonders auf. Es ist eine Krähe mit drei Krallen, Yatagarasu, Symbol des Kumanos und auch des japanischen Fußballteams.
Anschließend führt der Weg über unzählige Stufen, neben den beschriftete Fahnen wehen, weiter bergab. Ein winziges Schild weist auf einen kleinen Schrein hin, der für eine Gottheit errichtet wurde, die Frauen schützt. Dahinter steht der große, mächtige O-Torii zwischen gelben Reisfeldern. Wir laufen auf den riesigen O-Torii zu, schreiten hindurch und verbeugen uns sehr tief. Auch hier wacht Yatagarasu mit seinen drei Krallen über uns.
Yunomine Onsen 湯の峰温泉
Nach dem anstrengenden Wandertag wollen wir uns in Yunomine Onsen entspannen. Ein offener Kanal zieht sich direkt durch die Mitte des Thermalbad-Dorfes. Klapprige Holzbauten stehen links und rechts davon. Wasserdampf steigt aus allen möglichen Ecken auf und es stinkt nach Schwefel, wie in Rotorua.
Wie Neuseeland, ist Japan ein Inselarchipel, das durch die Eruption unterschiedlicher Vulkane entstanden ist. Es gibt hier auch noch aktive Vulkane und Stellen, an denen durch die geothermische Aktivität natürliche Warmwasserquellen entstanden sind, die schon vor Jahrhunderten als Onsen (温泉, Thermalbäder) genutzt wurden.
Wie genau das mit den Onsen funktioniert, habe ich bisher nicht verstanden. Es gibt kleine, private Bäder, aber die sind natürlich schon alle ausgebucht. Es gibt noch ein großes Bad, aber da müssten T und ich getrennt hineingehen, denn dort dürfen Männer und Frauen nicht zusammen baden. Die Vorstellung, alleine im Badewasser rumzuhängen, finde ich nicht so cool, aber ich schau mich gern in diesem kleinen Dorf um.
Ich sehe, dass es an einer Stelle rohe Eier in einem Netz zu kaufen gibt. Manche nutzen das heiße Wasser also dazu, die Eier zu kochen. Praktisch. Dann hat man danach gleich das Abendbrot fertig. Vielleicht sollte ich zu Hause auch mal mit Eiern baden. Allerdings frage ich mich, ob man überhaupt so heiß baden kann, dass die Eier dabei gekocht werden. Also recherchiere ich ein bisschen: Tatsächlich gibt es ein Rezept für Onsen Tamago (Thermalbadeier). Diese werden eine Stunde lang auf Temperaturen von 60 bis 70 Grad quasi leicht pochiert. Trotzdem etwas sehr heiß zum Baden, oder?
Kumano -Nachi Schrein 熊野那智大社 und Nachi Wasserfall
Am nächsten Tag wollen wir eigentlich nur kurz den Nachi-Wasserfall besichtigen, bevor es wieder heimgeht. Es ist der größte Wasserfall Japans. Als wir in Nachi-San angekommen, merken wir jedoch, dass uns ein ordentliches Stückchen Fußweg bevorsteht. Gänzlich unerwartet müssen wir tausend Stufen und Treppen steigen. Erst geht es auf steinernen Treppen durch den dichten Wald, dann noch eine Treppe und noch eine und noch eine, und schließlich geht es zum Kumano-Nachi-Taisha-Tempel hinauf. Zum Glück kann ich zwischendurch einen Getränkeautomaten ausfindig machen, denn ich bin komplett aus der Puste, schwitze und bin durstig. Hätte ich das voher gewusst, hätte ich mir Sportklamotten angezogen.
Von oben ist die Aussicht auf die Berge wunderschön. Sogar das Meer kann man sehen. Auf dem Platz steht ein großer, heiliger Baum. Das erkenne ich daran, dass eine Art Tau um ihn herum geschlungen ist. Im Shinto glaubt man an Kami, das können alle möglichen Wesen sein, denn auch Bäume, Steine und Flüsse haben eine Seele.
An einem der Schreine wedeln sich die Gläubigen den Rauch der ihnen aus einem Fass entgegenströmt, ins Gesicht, bevor sie den Tempel betreten. T erklärt mir, das reinige die Seele. Wir beräuchern uns also auch und folgen den anderen: Münze, Glocke läuten, klatschen, verbeugen. Manchmal fühle ich mich wie ein Betrüger, bei diesen Riten einfach mitzumachen, aber T erklärt mir, mitzumachen sei ein Zeichen von Respekt.
Schließlich geht es von dort oben über noch mehr steile Steinstufen hinunter zum Wasserfall. Der Aussichtspunkt an sich ist wie ein Tempel ausgerichtet, sodass man auf den Wasserfall schaut und sich vor ihm verbeugen kann. Auch ein Kessel mit Sand, in das man angezündete Räucherstäbchen steckt, steht dort. Von Weitem erkenne ich, dass auch der Nachi-Wasserfall oben, dort wo die Wassermassen in die Schlucht stürzen, so ein „Heiligen-Tau“ über sich gespannt hat (wie der Baum vorher). Ein schöner Anblick. Auch hier verbeuge ich mich wieder tief. Zur Belohnung für diesen taffen Tag, teilen wir uns noch ein knallgrünes Matcha-Softeis, dann fahren wir zurück in die Stadt.
Noch mehr Japan
Wenn du noch mehr über meine Zeit in Japan erfahren möchtest, kannst du etwas über meine ersten Eindrücke zu den kulturellen Unterschieden lesen, über meine Lieblingsorte im Ballungsraum Kansai oder über meinen Tagesausflug in die Stadt Nara.
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