Es war Frühling, als ich in Neuseeland ankam und alles blühte energisch, wie frisch aus dem Winterschlaf erwacht. Mittlerweile habe ich schon einige Monate in diesem Land, fernab von allem verbracht. Ich bin auf den Bergen und an den Stränden der Nordinsel unterwegs gewesen, und habe neuseeländische Gärten unsicher gemacht. Jetzt ist es Spätsommer und das Wetter steuert zielgerade auf den Herbst zu. Deswegen wird es Zeit wieder “back on the road” zu sein, bevor die winterliche Kälte eintrifft und die Tage zu kühl und zu kurz werden lässt.
Jetzt heißt es wieder all meinen Besitz in den Van quetschen und los geht der Roadtrip auf der Südinsel!
Erster Stopp: Milford Sound und die Fiordlands
So hätte ich mir das Tor zur Unterwelt vorgestellt, aber nicht den Milford Sound. Unter einem dicht mit grauen Wolken bedeckten Himmel, durch den kaum Tageslicht dringt, strecken sich die schwarzen kilometerhohen Fjorde des Milford Sound in die Höhe und werden vom Nebel, der über dem Wasser liegt, verschluckt. Die Luft ist kühl und feucht. Der Blick auf den Mitre Peak vor uns lässt den Berg so erscheinen, als ob sich hinter ihm vier Schatten seines Gipfels versteckten. Es ist irgendwie gruseliger als ich es mir vorgestellt hatte, aber gleichzeitig imposant und schön. Von hier aus startet eine zweistündige Bootsfahrt durch den Milford Sound.
Ich bin extra wegen des schlechten Wetters heute gekommen, denn Freunde verrieten mir, dass ich den Milford Sound unbedingt bei Regen sehen müsse. Dann bilden sich an den Klippen und Felswänden Tausende spontaner Wasserfälle, die es bei gutem Wetter gar nicht gibt.
Um an den Fjord zu gelangen, gibt es nur eine einzige Straße. Dann geht es nur mit dem Boot weiter. Doch schon auf dem Weg von Te Anau zum Milford Sound beginnt das visuelle Orchester. Wasserfälle, die wie hauchdünne weiße Schleier aussehen und sich auch so im Wind bewegen, ragen von irgendwo ganz oben im Nebel bis hinunter zur Erde. Dann führt die Straße durch den langen Homer Tunnel bis es auf der anderen Seite weitergeht. Auch dort sind die Fjorde mit weißen Schleiern verziert.
Als wir mit dem Van kurz anhalten, um ein gutes Bild zu bekommen, hält ein Bus voller Touristen neben uns. Bevor wir aussteigen, bemerken wir, dass alle Leute aus dem Bus auf unseren Wagen schauen. Dann klappert irgendwas. Es hüpft etwas auf dem Autodach.
Wir wurden schon gewarnt, dass sich Keas in dieser Gegend herumtreiben. Jetzt haben wir einen auf dem Autodach. Keas sind die Gangster unter den Vögeln hier in Neuseeland. Sie sehen eigentlich ziemlich harmlos aus, wie große Papageien. Aber sie organisieren sich in Gangs und überfallen gern Touristen. Wie alle guten Gangster haben sie eine Strategie: Erst kommt einer, der die Leute ablenkt, und dahinter kommen dann die anderen, die mit ihren Krallen und scharfen Schnäbeln auch gern das Gummi der Scheibenwischer zerpflücken. Da hilft nur: Motor an, und weiterfahren!
Es gibt auch eine Wanderstrecke durch die Berge des Milford Sound – der Milford Track, aber die Hütten auf dem Pfad sind fast das ganze Jahr über komplett ausgebucht und Campen ist dort verboten – also habe ich da keine Chance. Deswegen entscheide ich mich für die Rundfahrt mit dem Milford Sound Cruise.
Auf dem Deck gibt es Kaffee umsonst. Ich mache es mir gemütlich und höre den Erzählungen, die aus dem Lautsprecher kommen zu, während das Boot immer tiefer im Fjord verschwindet. An einigen Stellen des Milford Sound, den Rudyard Kipling einst als das „achte Weltwunder“ bezeichnete, ragen die Felswände bis zu 1.200 Meter aus dem Wasser.
Milford Sound liegt am nördlichsten Ende des Fiordland-Nationalparks, dort, wo er mit dem Tasmansee zusammenfließt. Er entstand vor Millionen von Jahren bei der Erosion durch Gletscher. Riesige Flüsse aus Eis gruben hier ein immer tieferes Flussbett, bis sie irgendwann schmolzen und diese Landschaft hinterließen. Heute fließt das Wasser noch immer von den Stirling Falls und den Lady Bowen Falls in den See.
Ostküste: den Pinguinen und Seelöwen auf der Spur
Meine Erinnerung an diesen Teil der Reise ist etwas verschwommen. Das könnte möglicherweise daran liegen, dass ich als Beifahrerin die ganze Zeit nur sorglos gehäkelt habe, und nur ab und an, wenn sich die Landschaft um mich herum veränderte, aus dem Fenster geschaut habe.
Was ich aber erinnere ist, abgesehen von dem starken Wind und der buschigen Landschaft zwischen Invercargill und Bluff, die an Sylt oder die Nordsee-Inseln erinnert, und dem Kaka-Point, wegen seines amüsanten Namens, ist mein fester Wille, Gelbaugenpinguine zu sichten. Oder zumindest Seelöwen oder Pelzrobben. Oder irgendeine Art von Wasser-Vieh, das hierher kommt, um sich von den arktischen Gewässern auszuruhen. Doch alles Wollen war vergebens. Bei sicherlich über zehn Versuchen in den frühen Morgen- und späten Abendstunden an den Ufern der verlassensten Strände der südlichen Ostküste traf ich auf gerade mal zwei Robben, die so faul im Sand herumlagen, dass, hätten sie nicht mit einer Flosse gezappelt, sie genauso gut tot gewesen sein könnten.
Dafür waren die Sonnenaufgänge ganz besonders. Hier im Osten von Neuseeland, bekam ich die erste Sonne der Erde zu sehen. Gerade ging sie noch bei meinen Freunden und bei meiner Familie zu Hause in Spanien unter, und nun ist sie hier und lässt uns als erstes Land der Erde den neuen Tag beginnen.
Ein Zwischenstopp irgendwo auf der Strecke, der mir in Erinnerung blieb, war in die Gegend von Owaka. Denn Owaka selbst ist für neuseeländische Verhältnisse ein niedliches kleines Dorf mit vielen Antiquitätengeschäften und skurrilen Künstlerläden. Es gibt sogar einen kleinen Vorgarten, in dem Tausende bunter Teekessel wohnen – das “Teapot Land Owaka”. Außerdem liegt ganz in der Nähe einer meiner Lieblingswasserfälle der Südinsel, die Barrs Falls, die aussehen, als hätte ein moderner Architekt sie designt. Ein bisschen so, wie ich mir die Hängenden Gärten von Babylon vorstelle – mit vielen Stufen und symmetrisch aufgebaut.
Lake Tekapo und Hooker Valley bei Mount Cook (Aoraki)
Ein kurzer Abstecher ins Landesinnere führt mich in die Neuseeländischen Alpen, die sich quer durch die Südinsel ziehen. Für die Lupinen, die jedes Jahr die Touristen mit ihren lila und rosa Blüten an den Lake Tekapo locken, bin ich zu spät dran. Aber der Nachthimmel über Lake Tekapo gehört zu den dunkelsten und klarsten der Welt. Bei einem Stopp am Lake Tekapo überlege ich, eine nächtliche Sternenhimmel-Führung zu buchen, denn dies soll einer der am wenigsten mit Licht kontaminierten Flecken der Erde sein. Ein Zufluchtsort für Sternengucker. Nie zuvor hatte ich darüber nachgedacht, dass das Sternbild im Süden der Südhalbkugel ist ja komplett anders als der Sternenhimmel, den ich kenne. Doch als ich beim Dark Sky Project Observatorium nachfrage, rät man mir davon ab, denn die nächsten Nächte soll der sonst so klare Himmel von Wolken bedeckt sein. Da es keine Sterne zu sehen gibt, fahre ich eben weiter.
Ganz in der Nähe des Lake Tekapo liegt der Mount Cook. Den zu besteigen, nehme ich mir gar nicht erst vor, schließlich ist es der höchste Berg in Neuseeland. Doch im Hooker Valley, dem Tal, direkt vor dem Mount Cook, gibt es einige Wanderwege, die an einem Tag zu schaffen sind. Ich entscheide mich für den Sealy Tarns Track.
Der Sealy Tarns ist ein kleiner Süßwassersee, der erst nach einer Steigung von über 600 Metern zu erreichen ist. Der Weg hinauf geht über eine steile Treppe, die aus über 2200 Stufen besteht. Es ist ein ziemlich hartes, aber gutes Bein- und Po-Workout. Ein paar Verschnaufpausen sind also angemessen.
Oben bei dem See angelangt, ist der Panoramablick tausendmal besser, als ich es mir hätte erträumen können. Der majestätische, mit Schnee bedeckte Mount Cook spiegelt sich auf der Wasseroberfläche des kleinen Sees. Im Hintergrund sieht man das ganze Tal und die Seen des Hooker Valley. Es ist zwar sehr windig, dafür ist die Luft dünn und rein und erfüllt mit dem frischen Duft grüner Bergwiesen. Manchmal kann man sogar eine Lawine hören, die an den fernen Gipfeln des höheren Gebirges mit voller Wucht hinuntersaust. Der Ausblick ist einfach atemberaubend und die Großartigkeit der Natur um mich herum ist so prächtig, dass ich mich ganz winzig klein und machtlos fühle. Dabei muss ich schon kräftige Oberschenkel haben, um überhaupt hier hochzukommen!
CANTERBURY REGION & CHRISTCHURCH
Banks Peninsula: Eine friedliche Zuflucht nahe der Großstadt
Kurz vor Christchurch liegt die Banks Peninsula. Als Capitain Cook Neuseeland umsegelte, hielt er diese Halbinsel vulkanischen Ursprungs fälschlicherweise für eine eigene Insel. Mit ihrer nach innen gewölbten Form bilden sich an den Enden ihrer sanften Hügel unzählige versteckte Buchten mit wunderschönen Sandstränden und Wanderwegen. In Banks Peninsula finden viele Städter aus Christchurch ein wenig Ruhe. Fernab des Trubels ihres Alltags können sie sich hier an Wochenenden und Feiertagen erholen.
Mittendrin liegt Akaroa, eine kleine charmante Stadt, die bis heute vom Einfluss der französischen Siedler sehr geprägt ist. Die Straßennamen klingen sehr Französisch, auch die Schriftzüge der Straßenschilder ähneln denen, die man in Frankreich sieht. An allen Ecken gibt es Boutiquen, Cafés und Bistros, Flaggen in „bleu-blanc-rouge“ zieren die Straßenlaternen.
Früher lebte diese Gegend von der Waljagd. Heute bieten die Boote im Hafen Rundfahrten an, bei denen man Delfine, Robben oder Pinguine sehen kann. Ich würde diese Tiere zwar schon gerne sehen, aber irgendwie ist mir bei dem Gedanken an diese Wasser-Safaris etwas unwohl. Ob das tiergerecht ist?
Lyttelton
Lyttleton liegt direkt am Wasser und hat einen der größten Häfen Neuseelands, in dem täglich Containerschiffe und Kreuzfahrtschiffe andocken. Samstags findet in Lyttleton der “Farmers Market” statt, ein Wochenmarkt, der gute Laune macht. Es gibt jede Menge Foodtrucks mit Leckerbissen aus aller Welt, Musik und Künstler, die ihre Werke verkaufen.
Sunmer, Scaborough und Taylors Mistake.
Ein beliebtes Ziel unter Surfern ist die Ecke von Sunmer und Scarborough bis Taylors Mistake. Die gehören zwar schon zu Christchurch, aber Großstadtflair spürt man hier überhaupt nicht. Im Sumner Viertel geht eine Promenade den ganzen Strand entlang bis zum Penya-Segat. Der Flowers-Track führt über mehrere Hügel erst hoch zum Nicholson Park und später wieder runter zur nächsten abgelegenen Bucht – “Taylors Mistake” . Bei diesem Namen frage ich mich natürlich, was dieser Taylor denn wohl falsch gemacht hat. Ob er sich verlaufen hat? Später erfahre ich, dass Taylor ein europäischer Siedler war, dem früher viel Land hier gehörte. Angeblich verwechselte er die Pigeon Bay mit der heutigen Taylors Mistake Bucht, und der Name blieb hängen.
In der Bucht von Taylors Mistake werde ich zum ersten Mal mit der Wucht des Erdbebens von 2010/ 2011 konfrontiert. Der schwarze Sandstrand ist zwar schön, aber direkt am Strand stoße ich auf zwei völlig heruntergekommene Gebäude, die zerquetscht und ohne Vorderwand am Felsrücken stehen. In einem der Räume erkennt man ein Mehrbettzimmer – es sieht aus, als sei das mal ein Hostel gewesen. Und nun, nur noch eine Ruine.
Christchurch: Aufstieg aus den Trümmern
Die Narben, die das Erdbeben von 2010 und 2011 hinterlassen hat, sind noch heute spürbar. Die Stadt soll eine andere sein, als sie vorher war. Jeder, den ich in Christchurch kennenlerne, spricht von einem „Vor“ und einem „Nach dem Beben“.
Ich persönlich bemerke die Auswirkungen des Bebens mehr anhand der Erzählungen der Leute, als an der Stadt selbst. Zwar findet man hier und dort schon einige Gedenkstätten und stößt auf Trümmer, die an das Erdbeben erinnern, aber ich spüre die “Wunden”, die es hinterlassen hat, viel mehr in den Geschichten der Menschen. In der Erinnerung der Leute sind die Erlebnisse von damals noch sehr präsent. Jeder kennt jemanden, der bei diesem Beben gestorben ist. Jeder erinnert sich ganz genau an diese wenigen Minuten. Wie beim 9-11, weiß jeder, wo er zu diesem ganz besonderen Zeitpunkt war.
Neben dem Hauptbeben waren auch die vielen Nachbeben schlimm. Die sogenannte Residential Red-Zone war besonders betroffen. Hier waren die Schäden so schlimm, dass es wegen Erdrutschgefahr und weiteren Risiken heute nicht mehr sicher ist, dort wieder zu bauen. Anders als der Name es vermuten lässt, ist die Residential Red Zone ein sehr grünes Fleckchen Erde, auf dem heute zahlreiche Fruchtbäume und Nusssträucher wachsen.
Mein Eindruck war, dass sich die Stadt wieder gut erholt hat. Gerade die Gegensätze zwischen Alt und Neu, von Überresten historischer Gebäude gemischt mit moderner Architektur und urbaner Streetart, machen Christchurch besonders lebendig. Ich empfand die Atmosphäre dort sehr positiv. Im Botanischen Garten, einem der schönsten, die ich je gesehen habe, mit hunderten knallbunten Dahlien und einem Rosengarten, und und und … , fand gerade ein Musikfestival statt. Überall lagen die Leute auf Picknickdecken oder saßen in Camping-Stühlen auf der Wiese und schleckten ein Eis.
Hinterlasse einen Kommentar