Unser erster Morgen auf dem nördlichen Jakobsweg – dem ‘Camino del Norte’ – beginnt in der Pilgerherberge von Orio mit einem mystischen Naturspektakel. Dichter Nebel legt sich in der frischen morgendlichen Kühle über das Tal. Gestern Abend sind wir zusammen mit Bella und Janis von @Radaventuras auf der Via Verde del Plazaola über Andoain bis hierher, an den Atlantik, gefahren. Unsere Herberge liegt oben auf einem Berg. Hier oben aus fühlt man sich, als könne man das Orchester der Natur dirigieren, verschiedene Schichten grüner Farbtöne gehen harmonisch ineinander über. Unten im Dorf Orio gibt es eine kleine Lokomotive, die die Touristen mehrmals am Tag zum Strand und wieder zurück fährt.
Von der Pilgerherberge aus führt der Weg hinunter ins Dorf. Wir wissen, jetzt kommt einer der anstrengendsten und schwierigsten Teile des nördlichen Jakobswegs. In Aragón war die Herausforderung, die langen und scheinbar endlosen Dürrestrecken in der sommerlichen Hitze zu überstehen, aber im Baskenland sind es die Berge, die uns ins Schwitzen bringen. Sie sind einfach mächtig. Nach jeder Abfahrt kommt schon wieder ein Anstieg. Eine echte Herausforderung.
Normalerweise fängt der Camino del Norte in Irun an, dem ersten Ort hinter der spanisch-französischen Grenze. Den Abschnitt zwischen Irun und San Sebastián werden wir sicher irgendwann nachholen, aber vielleicht eher zu Fuß, denn es ist ein sehr schmaler Pfad auf einem hügeligen Küstenweg. Der Weg von Orio nach Zarautz ist zwar anstrengend, aber dafür werden wir mit den schönsten Aussichten auf dem ganzen Jakobsweg, wenn nicht sogar ganz Spaniens, belohnt. Bis Getaria schlängelt sich eine Straße an der äußersten Küstenlinie an den Felsen entlang.
Es ist nicht das erste Mal, dass Andreu und ich hier sind. Der Gran Camping Zarautz ist ein Hotspot für Surfer. Die Bucht in Zarautz leidet allerdings schon jetzt an Overtourism. Surfer häufen sich hier an der Küste wie Sardellen.
Mit den Erinnerungen an unseren ersten Besuch an dieser Küste im Kopf, radeln wir entlang der Promenade nach Getaria, ein kleines Fischerdorf, in dem es leckere Sidra gibt, und nach Zumaia mit seinen eckigen schwarzen Felsen, das der Serie Game of Thrones als Kulisse diente. Hinter Zumaia führt die Straße landeinwärts, bis Deba geht hart bergauf und bergab, dafür wird man aber mit tollen Aussichten und sattgrünen Wiesen entschädigt.
Schließlich erreichen wir Ondarroa an und campen in der Nähe der Playa Saturraran. Vermutlich weil wir ihm mit unserer minimalen, billigen Campingausrüstung einfach Leid tun, schenkt uns ein Camper, der mit seinem Van unterwegs ist, ein paar Klamotten. Dabei war unsere Entscheidung eigentlich davon bedingt, möglichst wenig Gewicht mitzunehmen. Aber vielleicht sehen wir inzwischen auch abgemagert und arm aus.
Am nächsten Tag weichen wir kurz von der Küste ab und fahren über Markina ins Landesinnere, Richtung Gernika, in die Stadt, die Picasso zu seinem berühmtesten Gemälde inspiriert hat. Der Name ist in meinem Kopf so sehr mit dem Spanischen Bürgerkrieg verbunden, dass ich mir die Stadt irgendwie zertrümmert vorgestellt habe. Ist sie aber natürlich nicht. In einem Park stehen einige Chillida-Skulpturen herum und sehen aus, wie große versteinerte Roboter-Spinnen. Dann geht es weiter, die grünen, baskischen Berge hoch und wieder runter und wieder hoch bis zu der nächsten Übernachtungsmöglichkeit. Der Tag endet in einem “Caserío”, einem kleinen Bauernhaus, das von einer jungen Familie betrieben wird. Dort campen wir zwischen freilaufenden, gackernden Hühnern und Truthähnen.
Am nächsten Tag kommen wir an Bilbao vorbei. Kurz nach meinem 15. Geburtstag war ich schon einmal hier, zur Aste Nagusia. In Bilbao fahren wir am Fluss entlang bis zur Mündung. Dabei kommen wir auch am Guggenheim-Museum vorbei, das wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff aus Alufolie an der Promenade liegt. Je weiter wir aus der Stadt herauskommen, umso hässlicher wird es. Wir sehen viele Narben der Industrialiserung, verfallene, heruntergekommene Fabriken. Von Getxo aus überqueren wir auf der berühmten Hängebrücke nach Portugalete den Nervión. Dann geht es auf der Via Verde del Piquillo, einer weiteren, stillgelegten Eisenbahnstrecke mit dunklen Tunneln, von der baskischen Vizcaya bis nach Kantabrien, wo wir in Ontón übernachten.
Zusammenfassung der Etappen:
- Orio – Zarautz – Getaria – Zumaia – Deba – Ondarroa
- Ondarroa – Markina – Gernika / Lumo – Muxika
- Muxika – Bilbao – Portugalete – Ontón
Wenn Du unsere Geschichten über die dürre Wüstenlandschaft in Aragon lesen möchtest, über die grünen Weiden, hohe Berge und steile Kliffs der Nordküste, oder die moosbedeckten Schiefersteine in den nebeligen galizischen Wäldern, stay tuned!
Part 1: Der Camí de Sant Jaume
Part 2: Es geht weiter auf dem Camino Aragonés
Part 3: Der Übergang zum Camino del Norte in Navarra
Part 4: Fahrradpilgern am Atlantik – Baskenland
Part 5: Kantabrien – Jakobsweg in Nordspanien
Part 6: Auf zwei Rädern durch Asturien
Part 7: Ende des Jakobswegs mit Satteltaschen – Santiago de Compostela
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