Graue Wolken, grüne Wiesen, das Meeresrauschen und der Geruch nach gegorenen Äpfeln werden jetzt von dichten dunklen Wäldern, mit Moos bewachsenem Schiefer und dichtem Nebel abgelöst. Von der kühlen Atlantikküste geht es in dieser Etappe ins Landesinnere Galiciens. Das Wetter wechselt schneller, als man sich die Regenjacke an- oder wieder ausziehen kann. Entlang des Weges sehen wir vielen Hórreos – alte Getreidespeicher aus Schiefer, die aussehen wie kleine Häuser auf Stelzen. Gelbe Pfeile, die Wegweiser nach Santiago de Compostela, die die verbleibende Kilometerzahl anzeigen, werden immer häufiger, die Entfernung zum Ziel immer weniger. Santiago de Compostela: Unser Ziel, das am Anfang so fern und unerreichbar wirkte, liegt bereits zum Greifen nah.

Wegweiser Jakobsweg in Galizien

Horreo Getreidespeicher aus Holz und Schiefer

Ankunft in Galicien

Unsere Reise auf dem nördlichen Jakobswegs führt von der Küste ins galicische Inland. Über eine lange Brücke gelangen wir von Asturien nach Galicien. Ribadeo, das Tor nach Galicien, ist die erste Station dieser grünen Region Nordspaniens. Kurz vor dem Dorf trafen wir David, einen netten Familienvater aus Málaga, der uns auf seinem Hightech E-Rad mit Bluetooth immer wieder ein- und überholte, und schließlich auf ein paar Tapas einlud.

Brücke von Asturien nach Galizien

Lina auf dem Fahrrad in Galizien

Bis zum Ende der Route treffen wir David immer wieder. Zu Fuß pilgernd kommt man unterwegs immer wieder mit den gleichen Leuten zusammen, trifft sich in denselben Herbergen an den Enden der Etappen, findet Freunde, mit denen man sich austauscht. Bei den Radfahrenden Pilgern kommt es eher selten vor, dass man jemanden mehrmals trifft. Mit dem Fahrrad ist es komplizierter, weil die Rhythmen so unterschiedlich sind. Zwar findet man viele Menschen, die auch mit Satteltaschen unterwegs ist, direkt sympatisch, aber oft fährt man zu schnell oder zu langsam oder einfach aneinander vorbei und trifft sich nicht wieder.

 

Ribadeo und die letzten Strände der Nordküste

Ribadeo ist eine hübsche Hafenstadt mit einer beeindruckenden historischen Altstadt und einem großen Hafen. Ganz in der Nähe liegt Rinlo, ein kleines Fischerdorf, in dem wir die Nacht über campen. Das Zelt aufzubauen ist inzwischen wie Zähneputzen – es gehört zur täglichen Routine dazu. Da wir hier übernachten, steht uns automatisch ein Eintritt für den oft überfüllten Catedrais-Strand zu. Eigentlich war das gar nicht geplant, aber wenn wir schon hier sind, beschließen wir, unsere Route ein wenig zu umzugestalten, denn dieser Strand soll eine der Hauptattraktionen Galiciens sein.

Also legen wir einen Tag Pause ein und nutzen das schöne Wetter, um ein wenig am Strand zu gehen. Wir folgen der Ruta das Praias, die zu einigen der schönsten Strandabschnitten Galiciens führt. Es ist wie ein kleiner Abschied von der Küste, denn das Meer werden wir für eine Weile nicht mehr sehen, sobald unser Weg im Inland weitergeht.

Vollgepackte Fahrraeder in Galizien

Höhlen und Steinformationen in Galicia

Auf dem Weg zur Praia das Catedrais kommen wir an der Praia do Castro vorbei, einer malerischen Bucht mit lauter Steinhöhlen – ideal zum Verstecken spielen. Danach fahren wir auf dem Camino Natural del Cantábrico, einem Küstenweg, der atemberaubende Ausblicke auf den Atlantik bietet, bis zum Strand der Kathedralen.

Dieser berühmte Strand ist wegen seiner beeindruckenden Felsformationen ein beliebtes Ziel für Urlauber, denn bei Ebbe gibt das Meer den Blick auf spektakuläre Bögen und Höhlen frei. Es ist schon erstaunlich, dass Mutter Natur diese Kathedralen ähnlichen Skulpturen geschaffen hat, aber es ist auch ziemlich überlaufen. Da ist mir doch die Praia do Castro viel lieber.

Steinformation an der Praia das Catedrais

Strand Praia das Catedrais

Abschied vom Meer

Unsere geliebte Atlantikküste, der wir die letzten Wochen treu gefolgt sind, werden wir jetzt für eine Weile nicht mehr sehen. Es geht ins Landesinnere, Richtung Mondoñedo, eine historische Stadt mit einer riesigen beeindruckenden Kathedrale, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Wir übernachten in der Pilgerherberge, denn wir müssen uns ordentlich ausruhen. Die Strecke bis Baamonde am Folgetag ist angeblich eine der härtesten Etappen auf dem Weg – die Höhenmeter nehmen schnell und ständig zu.

Auf der Strecke von Mondoñedo nach Baamonde treffen wir David wieder. Zwei ältere Männer in Maillots mit kleinen Bierbäuchen holen uns ab und zu ein. Allerdings tragen sie kaum Gepäck hinten dran. Nachdem die Steigung geschafft ist, ist es eine ruhige Etappe. Kaum eine Menschenseele treffen wir auf dem Weg, dafür aber viele Kühe. Am Abend treffen wir in der Herberge dann doch wieder auf David und die beiden Bierbäuche (dabei dachten wir, wir hatten sie abgehängt).

Kathedrale von Mondoñedo

Fahrradpilgern im Wald von Galicien

Nachdem wir Baamonde am nächsten Morgen verlassen haben, verändert sich die Landschaft plötzlich. Vor uns erstreckt sich ein mystisches Galicien: neblig, mit dunklen und grünen Wäldern, in die wir eintauchen. Es duftet nach feuchter Erde und alles ist mit Moos überwachsen. Man merkt überall, dass diese Region von der keltischen Kultur geprägt ist. Alles wirkt verzaubert und verwunschen, wie in einem Märchenwald voller Kobolde, Hexen und verzauberter Tiere.

Die verbleibenden Kilometer nach Santiago de Compostela werden nun mit jedem Tritt in die Pedale weniger. Vorfreude und Aufregung steigen. Nach einem platten Reifen, der gekonnt und mit Geduld wieder geflickt wird, durchqueren wir die galicischen Wälder und Felder. Wir ziehen unsere Regenjacken zehnmal an und wieder aus. Erwischen das eine oder andere kräftige Schauer, aber kommen gut voran. Meter für Meter nähern wir uns Santiago de Compostela.

See bei Sobrado dos Monxes

Kloster bei Sobrado dos Monxes Jakobsweg

Bei wechselndem Wetter, zwischen Regen und Sonnenschein, erreichen wir den Bach von Sobrado dos Monxes, in dessen stiller, fast bewegungsloser Wasseroberfläche sich der Wolken bedeckte Himmel spiegelt. Das Zisterzienserkloster des kleinen Dorfes ist imposant und auf eine mysteriöse Weise schön, wie es große, religiöse Gebäude vergangener Zeiten oft sind. Ein Ort der Ruhe und Besinnung. Vor dem Kloster bietet ein großer Baum Schutz vor dem Nieselregen, also nutzen wir die Gelegenheit, und legen dort eine Mittagspause ein, ehe wir uns auf den Weg zu unserem heutigen Ziel, der Pilgerherberge von Arzúa, machen.

Je näher wir unserem Ziel kommen, umso mehr steigen Spannung und Vorfreude. Die letzten Kilometer sind geprägt von einer Mischung aus Aufregung und Erschöpfung, aber auch von einem tiefen Gefühl der Erfüllung.

Endspurt vor Santiago

Die letzte Etappe vor der Ankunft in Santiago löst in mir ganz widersprüchliche Gefühle aus. In Arzúa treffen viele Jakobswege aufeinander. Der Hauptstrom vom Camino Francés vereint sich hier mit allen anderen. Viele der Pilger, die hier unterwegs sind, sind erst in Sarria gestartet.

Es ist es spannend zu wissen, dass das Ziel mit jedem Tritt in die Pedale näher kommt, und zu sehen, dass das Schicksal des Lebens so viele andere Menschen auch genau zu diesem Zeitpunkt hierher geführt hat. Es entsteht ein Gefühl von Gemeinsamkeit, denn alle Pilger teilen das gleiche Ziel. Der gesamte Kult des Pilgertums nimmt immer mehr Gestalt an und die Vorstellung der Ankunft wird immer konkreter. Die Zahlen auf den Kilometersteinen werden immer kleiner, die gelben Pfeile erscheinen immer schärfer. Santiago scheint zum Greifen nahe.

Aber dieser Abschnitt ist auch der Teil des Weges, an dem die Kommerzialisierung und Überfüllung des Camino de Santiago am deutlichsten zu spüren ist. Es ist ein komisches Gefühl, wenn man seit Wochen unterwegs ist, mühsam so vielen unterschiedlichen Wetterlagen getrotzt hat und dann geführten Gruppen, die erst drei Tage unterwegs sind und ihre Rucksäcke transportieren lassen gegenübersteht.

Blick auf die Stadt Santiago de Compostela

Auf dem Monte do Gozo in Galizien

Die Herbergen sind voller Menschen, das Ambiente sehr unpersönlich und die Scharen der zu beherbergenden Pilger sind ihrer Umgebung und der Natur gegenüber wenig respektvoll. Nachdem wir in Arzúa einen Platz in der Herberge ergattert haben und eine Runde durch das Dorf laufen, sitzen auf den Terrassen der Bars viele Menschengruppen, die sich lärmend betrinken. Irgendwie wirkt dieses Panorama völlig absurd und nimmt dem eigentlichen Zweck des Pilgerns den Witz.

Auch der Waldpfad, auf dem wir am nächsten Tag unterwegs sind, erinnert mich an das Treiben auf der Rambla in Barcelona. Viele derer, die wie wir mit dem Fahrrad unterwegs sind, müssen sich mit Klingeln einen Weg durch die dichte Menschenmasse bahnen.

Kurz vor Santiago de Compostela gibt es einen letzten Berg zu überqueren: den Monto do Gozo. Von dort aus kann man in der Ferne die Stadt sehen. Das Gefühl, ganz bald das lang ersehnte Ziel zu erreichen, stellt sich ein. Krass.

Ankunft in Santiago

Am 15. September kommen wir in Santiago de Compostela an, einen Monat nachdem wir zu Hause die Tür hinter uns geschlossen haben und einfach losgeradelt sind, hinein in das große, weite Spanien.
Die Ankunft am Praza do Obradoiro, dem großen Platz vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, ist ein unvergesslicher Moment. Hier ist viel los. Junge Pilger mit riesigen Rucksäcken, Rentnergruppen mit Wanderstöcken, die ihr Gepäck haben transportieren lassen, asiatische Pilger mit Reiseleiter, Fahrradpilger und jede Menge Pilger mit Blasen an den Füßen. Hier treffen sie alle zusammen.

Ankuft in Santiago de Compostela vor der Kathedrale

Pilger kommen auf dem Platz an in Santiago de Compostela

Die frisch angekommenen Pilger weinen und lachen laut vor Freude, sie sind aufgeregt. Viele Menschen sitzen oder liegen erschöpft auf dem Boden, singen, plaudern oder spielen Gitarre, um diesen Moment auszukosten und dieses besondere Gefühl noch etwas länger auszukosten. Man spürt richtig das Dopamin, das hier ausgeschüttet wird – und es ist ansteckend.

Santiagos Altstadt ist wunderschön. Es wimmelt nur so an historischen Bauten, Kopfsteinpflaster in den engen Gassen, kleinen Läden und Kunstateliers. An jeder Ecke gibt es gelbe und goldene Jakobsmuscheln als Andenken zu kaufen.

Park von Santiago de Compostela

Dass ein traditionell religiöser Pilgerweg auch heute noch einen solchen Menschenstrom anzieht, finde ich faszinierend. Ich glaube nicht, dass all diese Menschen katholisch sind, aber irgendwie hat diese Strecke schon etwas Spirituelles. Ob es die Natur ist, die einen umgibt, oder die Verwandlung der eigenen Psyche, nachdem der Körper so viele Anstrengungen überwunden hat – etwas Magisches liegt in der Luft des Jakobswegs und es verändert dich. Denn eines steht fest: die Person, die man war, als man losfuhr, ist nicht derselbe Mensch, der in Santiago ankommt.

Zusammenfassung der Etappen

  • Asturien – Ribadeo – Rinlo
  • Rinlo – Playa Catedrales – Mondoñedo
  • Mondoñedo – Abadín – Vilalba – Baamonde
  • Baamonde – Sobrado dos Monxes – Arzúa
  • Arzúa – Santiago de Compostela

Wenn Du unsere Geschichten über die dürre Wüstenlandschaft in Aragón lesen möchtest, über die grünen Weiden, hohe Berge und steile Kliffs der Nordküste, oder die moosbedeckten Schiefersteine in den nebeligen galizischen Wäldern, stay tuned!

Part 1: Der Camí de Sant Jaume 

Part 2: Es geht weiter auf dem Camino Aragonés

Part 3: Der Übergang zum Camino del Norte in Navarra

Part 4: Fahrradpilgern am Atlantik – Baskenland

Part 5: Kantabrien – Jakobsweg in Nordspanien

Part 6: Auf zwei Rädern durch Asturien

Part 7: Ende des Jakobswegs mit Satteltaschen – Santiago de Compostela