Angeblich wurden schon im vierzehnten Jahrhundert die ersten Espardenyes gefertigt. Das steht jedenfalls in einem Zeitungsartikel*, auf den ich durch Zufall gestoßen bin. Ob es tatsächlich stimmt weiß ich zwar nicht, aber fest steht, diese einfachen Schuhe aus Hanf und Stoff waren lange Zeit die Fußbekleidung der ärmeren Bevölkerungsschichten und der Soldaten.
Ganz früher machte man die Schuhe aus Espartogras erklärt mir Joan Carles. Der Besitzer des kleinen Ladens in der Altstadt Barcelonas macht noch heute Alpargatas oder Espardenyes, die traditionellen katalanischen Schuhe aus Naturstoff. La Manual Alpargatera ist einer der ältesten Betriebe dieses noch älteren Handwerks. Doch irgendwann nahm man dann lieber Hanf als Espartogras, sagt Joan Carles. Das sei nämlich weicher und bequemer zu tragen als Esparto, aber es gibt immer noch genug Stabilität.
Leider wurde es im Laufe der Zeit jedoch immer komplizierter, an diesen Rohstoff zu kommen. Ein natürliches Material wie Hanf wächst zwar nach, aber man braucht heute jede Menge Genehmigungen, um es anbauen zu können. Viel zu oft werden die Anpflanzungen mit Marihuana, mit „dem Zeug das high macht“ verwechselt. Aus den pflanzlichen Fasern der Cannabis Sativa machte man früher nicht nur Schuhsohlen, sondern auch Textilien, Papier und natürlich Hanfseile. Doch um nicht mit den Gesetzeshütern in Konflikt zu geraten, liessen immer mehr Bauern schließlich die Finger vom Hanfanbau.
Heute setzt man also statt Hanf Jute ein, um daraus die Sohlen für die Espardenyes zu flechten. Während sich vor rund hundert Jahren ein Espardenya-Macher noch um alles selbst gekümmert hat, wird die Jute, oft schon geflochten, aus Bangladesch eingeflogen. Der Anbau von Jute ist harte Arbeit. Stundenlang im Wasser zu stehen, das hat eben seinen Preis, wenn man fair bezahlen will, so der Fachmann.
Lange Zeit haben diese Schuhe ein Aschenputtel-Dasein geführt. Zum Arbeiten waren sie gut. Die einfachen Leute schätzten sie. Es dauerte eine ganze Weile, bis auch die vornehmeren Herrschaften, die Stars der Film und Fernsehwelt, diese Schuhe entdeckten. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg, als viele Hollywood-Legenden ans Mittelmeer kamen und gerade die Costa Brava kennenlernten, erwachten auch Espardenyes aus ihrem Dornröschenschlaf. Vermutlich ist es prominenten Espardenya-Trägern wie Salvador Dalí, Lauren Bacall, Jackie Kennedy oder Yves Saint-Laurent zu verdanken, dass sich der Arme-Leute-Schuh bald zur eleganten Königin aller Schuhe entwickelte.
Joan Carles zeigt mir seine neusten Modelle mit Drachen zu Sant Jordi und Flammen zu Sant Joan. Es gibt welche mit dem Wappen Barcelonas und den Blumen der Gehsteige, sogar mit dem Gullydeckel als Muster. Auch japanisch, pakistanisch, orientalisch oder marokkanisch anmutende Stoffe passen zu den Naturschuhen. Egal ob katalanisch oder afrikanisch inspiriert, scheinbar passt wirklich jeder Stoff auf diese Schuhe.
Jeder der mich irgendwann mal im Sommer getroffen hat, kennt meine große Schwäche für diese Naturschuhe. Seit Jahrzehnten ziehe ich in den warmen Monaten des Jahres nichts anderes an. Außer vielleicht beim Wandern. Meine absoluten Favoriten unter den Espardenyes sind die Valencianes. Das sind die, die einen kleinen Absatz haben und mit einem langen gekreuzten Band um den Knöchel getragen werden. Normalerweise sind Espardenyes ja total geschlechtsneutral und werden von Damen und Herren gleichermaßen getragen. Die mit Absatz sind aber wohl doch eher für Damenfüße gedacht.
Versteh mich bitte nicht falsch, ich bin absolut kein Schuhfetischist und ich hasse einkaufen. Aus diesen beiden Gründen besitze ich auch nie mehr als drei Paar Schuhe gleichzeitig. Na gut, irgendwelche alten Schuhe liegen sicher noch irgendwo hinten im Schrank. Aber Espardenyes liebe ich einfach. Denen kann ich nun mal nicht widerstehen. Sie sind megabequem und ich finde sie auch wirklich schön.
Nur leider fangen sie nach ein paar Monaten meistens an zu stinken. Und zwar nach feuchtem Stroh. Das muss die Jute sein. Wenn sie vorher nass werden, falls es zum Beispiel heftig regnet, stinken sie manchmal auch schon früher. Es sind eben Schuhe aus Naturmaterialien. Und sie sind definitiv nur für gutes Wetter geeignet. Wenn es wieder so weit ist, werfe ich meine Espardenyes einfach in die Waschmaschine und stelle sie anschließend in die pralle Sonne zum Trockenen.
Viel getragen und viel gewaschen hält ein Paar meistens nicht viel länger als einen Sommer. Aber zum Glück sind meine Lieblingsschuhe nicht so teuer.
In den Regalen des kleinen Ladens stapeln sich die bunten Schuhe bis an die Decke. Es gibt sie in allen Farben und in ganz vielen unterschiedlichen Formen. Valencianes, meine Favoriten, nennt man die mit Absatz. Dann gibt es noch die Barcelonines, die Mallorquines, die Tarragonines oder die Espardenyes de Valls, das sind die, die auch heute noch Bestandteil der Polizeiuniform sind. Und noch ganz viele andere, die nicht nach einer Region benannt werden.
Stolz erzählt mir Joan Carles die Erfolgsgeschichte der Espardenyes, die in seiner Version eng mit der Geschichte des Ladens verbunden ist. Denn die kleine Werkstatt im Carrer Avinyó gibt es schon lange. In den vierziger Jahren, als nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs endlich wieder ein wenig Ruhe in Barcelona einkehrte, beschlossen Herr Olivetti und seine Frau den altbackenen Schuhen ein neues Image zu verpassen, und boten sie in elegantem, neuem Design an. Die Idee war ein voller Erfolg. Sicherlich half es auch, dass mittlerweile Stars wie Grace Kelly und Jackie Kennedy an den traditionellen Espardenyes Gefallen gefunden hatten.
Lange schon ist der kleine Laden nicht mehr der Einzige, der diese Naturschuhe verkauft. Sogar auf dem Weihnachtsmarkt werden sie mittlerweile schon verkauft. In manchen Orten werden Espardenyes nämlich nach wie vor, in kleinen Werkstätten, von Hand genäht. Es gibt aber auch gerade in Barcelona, viele neue Läden, die billige, industriell gefertigte Espardenyes für wenig Geld anbieten.
Mein Tipp: Auf jeden Fall Espardenyes als Souvenir oder zum Gleich-Anziehen kaufen – aber achte darauf, wo sie gefertigt wurden.
Infos zu Espardenyes
Falls Du Dich wunderst, warum ich immer „Espardenyes“ sage, das ist der katalanische Name. Alpargatas heißen die Schuhe auf Spanisch. In England und Deutschland hat sich nichtsdestotrotz der aus dem Französischen kommende Begriff Espadrilles durchgesetzt.
La Manual Alpargatera
Carrer Avinyó 7
08002 Barcelona
Website: www.lamanualalpargatera.es
Interessanter Artikel im www.leconomic.cat
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