Die Häuser am Onyar erkennt man gleich. Doch dieses Bild zeigt nicht die malerische, pittoreske Ansicht, an der man Girona normalerweise sofort erkennt. Auf dem Gemälde wirken die Häuser arm und kränklich, leicht krumm und schief. Die Kathedrale, die die traditionelle Postkartenansicht fast immer dominiert, kommt hier erst gar nicht vor. Ein beeindruckendes Bild, gemalt von einer Frau, die heute fast vergessen ist: Mela Muter. Das Kunstmuseum Gironas hat der Künstlerin eine eigene Ausstellung gewidmet.
Mela Muter – Postkarte vor dem Museu d‘Art Girona
Das Museu d‘Art liegt im ehemaligen Palast des Bischofs gleich neben der Kathedrale. In den Sälen des Museums ist vor allem kirchliche Kunst zu sehen. Romanik, Gotik, Renaissance und Barock sind hier reichlich vertreten. Heute will ich mir die Kunstwerke unter einem ganz besonderen Blickwinkel ansehen. In den altehrwürdigen Räumen mache ich mich auf die Suche nach den Frauen im Museum. Wo und wie kommen sie in den Kunstwerken vor?
In einem der ersten Säle stehe ich vor einem Holzbalken mit erstaunlich gut erhaltenen Malereien. Dieser Balken diente dazu das Altarbild des Sant Miquel in der kleinen Dorfkapelle von Cruilles zu stabilisieren. Die romanischen Malereien auf dem Balken sind eindeutig älter als das Bild, das er stützt. Ein eindeutiger Fall von Recycling. Vermutlich fand man die romanische Art der Darstellung überholt und konnte das Holz gut gebrauchen. Doch die Prozession auf dem Balken besteht ausschließlich aus Mönchen. Frauen kommen hier nicht vor.
Auf einem mittelalterlichen Kapitell, das sicher einmal eine Säule im Kreuzgang eines Klosters schmückte, entdecke ich zwei Frauen. Schlangen ringeln sich um die nackten Körper der beiden. Während es so aussieht, als beiße die erste Schlange einer Frau in die Zunge, verletzt die zweite Schlange die Brust der anderen. Die beiden Frauen werden hier als Symbol für sündiges Verhalten, für Lüge und Lust, dargestellt. Vermutlich ruhten auf den benachbarten Säulen andere Monster und Fabelwesen, die die Mönche bei ihren Spaziergängen daran erinnern sollten, welche Gefahren ihnen drohen, wenn sie nicht auf dem Weg der Tugend bleiben.
Eine Steinplatte aus dem Kloster Sant Pere Galligants zeigt eine sehr ungewöhnliche Szene: zwei Nonnen küssen sich auf den Mund. Vermutlich handelt es sich dabei aber nicht um die Darstellung zweier Liebenden (obwohl es sicher in dem einen oder anderen Kloster zu zwischenmenschlichen Begegnungen kam). Der Kuss hatte im Laufe der Geschichte schon viele unterschiedliche Bedeutungen. Wahrscheinlich ist hier eher eine Art Friedenskuss oder ein Zeichen der Achtung und Verehrung gemeint.
Aus der Zeit der Romanik sind hier viele sitzende Madonnen mit Kind vertreten. Fast immer blickt die Muttergottes dabei recht starr und ausdruckslos ins Leere. Hat man die Heiligen so ernst dargestellt, weil ein einfaches Lächeln schon als Sünde galt? Doch eine der Figuren ist anders als alle anderen. Sie fällt sofort auf, denn diese Madonna lacht. Sie strahlt geradezu fröhlich verträumt in die Welt. Vielleicht ist sie in schöne Gedanken versunken, ganz verzückt? Ist da sogar ein leicht verschmitzter Ausdruck zu erkennen? Offensichtlich ist sie jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Zu gern hätte ich mehr über die Geschichte dieser Statue gewusst!
In der gotischen Malerei werden die Frauen deutlich lebendiger. Sie bewegen sich und sind femininer als zuvor. Ihre Kleider werfen Falten, ihre Gesichter sind weicher und nicht mehr starr. Doch es sind ausschließlich Madonnen und Heilige. Vor einem der beeindruckenden gotischen Altarbilder im großen Saal des Museums bleibe ich stehen. Es stammt aus der kleinen Ermita Santa Cristina bei dem Dörfchen Corçà und ist der Heiligen gewidmet, zu deren Ehren auch eine kleine Kapelle in Lloret de Mar errichtet wurde.
Das Altarbild erzählt ganz ausführlich die Lebensgeschichte der jungen Märtyrerin. Die junge Frau lebte im Orient und war gläubige Christin. Da sie lesen und schreiben konnte, wollte sie ihr Wissen auch an andere junge Mädchen weitergeben. Ihr eigener Vater soll veranlasst haben, dass sie gefoltert wird. Der Legende nach erlitt Santa Cristina acht Mal grausame Qualen ohne ihren Glauben zu widerrufen, ehe sie schließlich starb. Allein bei dem Gedanken daran, dass dieses Bild, das sehr deutlich und detailliert zeigt, wie eine junge Frau gefoltert wird, einen Altar geziert haben soll, kann ich nur innerlich den Kopf schütteln. Was muss in den Menschen vorgegangen sein, wenn sie das angesehen haben?
Retaula Sant Pere de Púbol
Das mächtige Altarbild Sant Pere de Púbol hat auf denn ersten Blick weiter nichts mit einer Frau zu tun. Es hing ursprünglich in der kleinen Kirche des Dorfes Púbol, dem Ort, in dem Salvador Dalí seiner geliebten Gala ein Schloss kaufte. Angeblich hat der surrealistische Künstler sogar vergeblich versucht, dem Museum das Altarbild abzukaufen, um es wieder nach Púbol bringen zu lassen. Im Mittelalter gehörte das winzige Dorf zu den Ländereien der einflussreichen Familie Campllong. Auch wenn das Altarbild offiziell von Bernat de Corbera gestiftet wurde, ging die Initiative dazu auf seine Frau Margrarida de Campllong zurück. Als wohlhabende Erbin einer alten Adelsfamilie war sie es, die über die finanziellen Möglichkeiten verfügte. Wie viele Adelige war sie eine großzügige Schirmherrin und förderte die Kunst als Mäzenin.
Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in der Zeit der Modernisten und Impressionisten ändert sich die Rolle der Frau endlich. Josep Berga i Boada malte 1900 eine selbstbewusste, junge Frau, die problemlos allein auf einer öffentlichen Terrasse sitzt und einen Kaffee trinkt. Auch der der Postimpressionist Francesc Vayreda idealisierte die nackte Frau auf seinem Gemälde nicht. Weder verführerisch noch abstoßend, sondern überraschend realistisch zeigt er sie ganz natürlich, mit Falten am Bauch in einem unaufgeräumten Schlafzimmer sitzend.
Es gab und gibt sie also, die Frauen im Kunstmuseum. Hier tauchen sie als Modelle, als Mäzenin, als Muse oder als Künstlerin auf. Solange Kirche und Religion die Kunst mehr oder weniger dominierten, wurden Frauen entweder als Heilige verehrt oder sie galten als Inkarnation der Versuchung. Aufgrund ihrer Sinnlichkeit mussten sie als Sünderinnen angeprangert werden. Erst als die Kirche ihren starken Einfluss auf die Künstler verliert, tauchen realistischere und sehr unterschiedliche Darstellungen der Frauen auf, je nachdem, wie der Maler sie sieht und was er mit seinem Werk zeigen will.
Frauen als aktive Künstlerinnen waren viele Jahrhunderte lang jedoch undenkbar. Erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts erscheinen die ersten Malerinnen auf der Bildfläche. Einer von ihnen hat das Museu d’Art gerade eine Ausstellung gewidmet. Mehrere Säle zeigen zurzeit die Gemälde der polnischen Künstlerin Mela Muter. Eine Frau, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als aufstrebende Malerin von sich reden machte.
Mela Muter
Kaum jemand kennt heute die Werke der einst so vielversprechenden Künstlerin Mela Muter. Von der Kunstwelt mehr oder weniger vergessen, lebte sie bis in die sechziger Jahre zurückgezogen in Paris. Dabei war die in Warschau geborene Malerin zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein aufsteigender Stern am Himmel der Kunstwelt. Was war passiert?
Mela Muter (hieß eigentlich Maria Melania Mutermilch) und Freunde
Die außergewöhnliche junge Frau verkehrte in Paris im Kreise der bekanntesten Künstler ihrer Zeit. Unter dem Einfluss befreundeter Maler der Schule von Pont Avon in der Bretagne entwickelte sie ihren kraftvollen und ausdrucksstarken Stil. Ihre Porträts zeigen viele Frauen, Kinder und Greise. Mela Muter scheut sich nicht davor „hässliche“ Bilder, Armut und Elend, zu malen. Besonders blinde und gebrechliche Menschen kommen auf ihren Gemälden immer wieder vor.
In Paris machte der katalanische Künstler und Galerist Dalmau ihre Bekanntschaft. Er wollte moderne internationale Kunst nach Barcelona bringen, wo um die Jahrhundertwende Kunstwerke erstmals größere öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren. Dalmau lud Mela Muter nach Barcelona und beschloss eine neue Galerie mit den Werken der polnischen Malerin zu eröffnen. Für die damalige Zeit ein sehr ungewöhnliches und gewagtes Unterfangen!
1914 kam sie nach Girona. Während ihres mehrmonatigen Aufenthalts konzentrierte sich die junge Frau darauf, Landschaften zu malen. Sie war selbständig und unabhängig, fuhr allein durch die Gegend und diskutierte abends mit befreundeten Künstlern und Kollegen in Bars und Restaurants. Ihre Bilder waren nicht niedlich und sie wählte nicht nur unschuldige Blumen als Motiv. In dem kleinen Provinznest Girona nahm man Muter als eine bunte Exotin wahr. Eine ausländische Künstlerin, die sich wie selbstverständlich zwischen den Männern bewegte, war nichts Alltägliches. Auch nachdem sie wieder abgereist war, erinnerte man sich noch lange an die ungewöhnliche Besucherin.
Das Leben dieser Frau liest sich wie ein Roman. Sie war eng befreundet mit Leopold Gottlieb, und angeblich auch die letzte platonische Liebe Rainer Maria Rilkes. Mela Muter verlor ihr einziges Kind, den Sohn Andrzej, ließ sich von ihrem Ehemann scheiden. Ihr Geliebter, der Trotzkist Raymond Lefebvre, ertrank bei einem Unglück, vermutlich von Stalin veranlasst. Sie nahm die französische Staatsbürgerschaft an und trat vom jüdischen zum katholischen Glauben über. Private Schicksalsschläge und finanzielle Schwierigkeiten ließen die vielversprechende Malerin vereinsamen. Trotz ihres Talents wurden ihre Werke irgendwann vergessen. Ihre Art der Malerei war nicht mehr in Mode. Erst kurz vor ihrem Tod fand der Sohn des polnischen Malers Bolesław Nawrocki Mela allein in einer kleinen Wohnung in Paris lebend. 1965 malt sie ein Bild von ihm, es ist eines ihrer letzten Werke. 1967 stirbt Mela Muter im Alter von einundneunzig Jahren.
Santa Familia (Concarneau – Bretagne)
L’Onyar a Girona
Infos zum Museu d’Art Girona
Museu d’Art de Girona
Pujada de la Catedral, 12
17004 Girona
Website museuart.com
Die Ausstellung „De París a Girona. Mela Muter i els artistes polonesos a Catalunya“ ist noch bis Ende April 2019 im Museu d’Art zu sehen. Das Bild L’Onyar a Girona (1914) ist Teil der permanenten Ausstellung und hängt normalerweise in Saal 18 des Museums.
Mela Muter ßeigentlich Maria Melania Mutermilch
Von Zeit zu Zeit finden Führungen durch die permanente Ausstellung speziell zum Thema Frauen im Musem statt (md’A en clau de dona).
Eintritt:
Erwachsene: 4,50 Euro
Ermässigter Eintritt: 2,50 Euro
Für Kinder unter 16 Jahren ist der Eintritt frei. Von Oktober bis Juni (beide Monate inbegriffen) ist der Eintritt am letzten Dienstag des Monats für alle gratis.
Öffnungszeiten:
In den Sommermonaten (Mai bis September): an Werktagen von 10.00 bis 19.00 Uhr, Sonntags und feiertags von 10.00 bis 14.00 Uhr geöffnet.
In den Wintermonaten (Oktober bis April) an Werktagen von 10.00 bis 18.00 Uhr, Sonntags und feiertags von 10.00 bis 14.00 Uhr geöffnet.
Montags ist Ruhetag. Am 24, 25, 26. und 31. Dezember sowie am 1. und 6. Januar ist das Museum geschlossen.
Ein so schöner Beitrag. In die Ausstellung wollte ich mit meiner Freundin vom Malerbetrieb. Das wird schön.
Betrifft die Malerin Mela Muter
Sehr geehrte Damen und Herren, wir bearbeiten den Nachlass der Malerie Anta Rupflin (1895 _ 1986), die zwischen 1925 – 31 in Paris Schülerin und Freundin von Mela Muter war. In Rupflins Nachlass sind eine Reihe von Briefen Muters an Anta Rupflin, die für für Mela Muter interessante Details aus ihrem Leben und Schaffen wiedergeben. Anta Rupflin hat mit Mela Muter zusamen in Collioure gemalt; zum Teil sind gleiche Motive dargestellt, z. B.- haben beide die Kinder Rupflins in gleicher Position gemalt.
Beste grüße
Vielen Dank – die Infos leite ich gern an das Museum weiter.
LG
Nicole