Über die Via Verde del Piquillo kommen wir vom Baskenland nach Kantabrien. Unsere Herberge in Ontón liegt in einem Tal. Die Betreiberin der Herberge wartet schon auf uns, denn wir haben uns vorab telefonisch angemeldet. Alle anderen Gäste warten auch auf uns, denn hier wird gemeinsam zu Abend gegessen und wir sind die letzten, die heute eintreffen. Hinter der Herberge finden wir auf dem kleinen Hinterhof im hohen Gras eine Stelle, um das Zelt aufzubauen. Oft ist das Zelten bei den Herbergen günstiger, als ein Bett zu belegen.
Kantabrien
Zum Abendessen kommen alle an einem Tisch zusammen. Bevor wir essen, stellt sich jeder vor. Auch beim Abräumen und Saubermachen helfen alle ganz selbstverständlich mit. Es fühlt sich an, wie mit allen Cousins und Cousinen bei der Oma zu Besuch sein. Viele Spanier sind dabei, ein Tiroler, auch einige Deutsche. Während der abendlichen Gespräche wird uns immer wieder geraten, für die kommende Strecke mit dem Rad auf der Landstraße zu fahren, denn der Weg an den Klippen sei hier zu gefährlich, sogar für Fußgänger. Jedes Jahr gibt es Unfälle und Verletzte, weil der Weg an den steilen Felsen nicht richtig abgesichert ist.
Am nächsten Morgen erwarten uns Nieselregen und eine kilometerlange Asphaltstrecke. Zum Glück ist es hier so ländlich, dass die Straßen nicht sehr befahren sind und wir bequem fahren können. Es stimmt: Der Weg verläuft nicht mehr auf Pisten, Schotterwegen oder Pfaden – selbst die Pilger, die zu Fuß wandern, müssen hier Kilometer weit an der Küste entlang auf Asphalt laufen. Auch der Ausblick auf das Meer ist nicht immer schön – denn Kantabrien hat sehr viele Hafen- und Industriegebiete.
Obwohl Sommer ist, merkt man deutlich, dass das Klima hier anders ist, als am Mittelmeer. Der Norden Spaniens ist komplett anders, als der Rest des Landes. Regenwolken sind uns ständig auf den Fersen und kommen gefühlt jeden Tag näher.
So kommen wir nach Castro Urdiales, dann nach Liendo. Da wir in der Nähe von Laredo waren, dachten wir, von hier an ein Stück des ursprünglichen Caminos nehmen zu können, und folgten den gelben Pfeilen entlang der Küste um nach so viel Asphalt ein wenig Abwechslung zu haben.
Wie sich schnell herausstellt, ein fataler Fehler. Die Markierungen sind für Pilger gedacht, die zu Fuß unterwegs sind. Für Fahrräder ist dieser Abschnitt null geeignet.
Nachdem wir hinter einem kleinen Bauernhaus im Wald verschwinden, kommt uns wieder mal eine Herde wilder Bullen entgegen, die sich von einem Hirten, der sie begleitet, zum Glück noch im Zaum halten lassen. Dann wird der Weg sehr steil. Loses Gestein auf einem sehr schmalen Pfad, der von beiden Seiten dicht zugewachsen ist. Überall Wurzeln, Steine und lauter Hindernisse. Noch nie in meinem Leben hat mich etwas körperlich so angestrengt. Unter diesen schlimmen Bedingungen dann auch noch das Rad den steilen Berg hochzuschieben, mit über 10 kg Gewicht allein in den Satteltaschen … Immerhin war die Aussicht dafür prima, und ich habe wieder ein Abenteuer zu erzählen.
Schließlich, frag mich nicht wie, kamen wir dann doch in Laredo an. Wir waren so K.O., dass wir nur noch nach bis Santoña weiterfahren konnten. Die beiden Küstenstädte, Laredo und Santoña, sind mit einer Fähre verbunden. In der Herberge Les Marismas de Santoña sind gleichzeitig mit uns zwei galizische Pilger mit dem Fahrrad angekommen, die sich vorgenommen hatten, dasselbe zu tun wie wir. Auch die beiden hatten sich wohl verfahren. Es war der Tag mit den wenigsten Kilometern bisher, aber auch der anstrengendste, an dem wir am meisten aus der Puste waren.
Die Marismas de Santoña
Die Marismas de Santoña ist ein sumpfiges Marschland in Nordspanien, eines der wichtigen Feuchtgebiete des ganzen Landes. Über 130 Tierarten wohnen hier. Bei Ebbe spiegelt sich der Himmel in dem knöcheltiefem Wasser.
Am nächsten Morgen hat es der Regen auf uns abgesehen. Nachdem ich einem Platten flicken muss und das erste Regenschauer auf uns hinunterregnet ist, kommen wir in Güemes an. Wir haben über den Ort schon viel gehört, über die „Cabañas del Abuelo Peuto“. Der alte Ernesto Peuto, vor vielen Jahren war er selbst ein Pilger, soll dort jeden Abend dutzende Pilger aus aller Welt empfangen und ihnen die Geschichte zu erzählen – wie er darauf kam, selbst eine Pilgerherberge zu einzurichten. Er bietet viele unterschiedliche Möglichkeiten zur Übernachtung an bittet nur um eine Spende, damit die Herberge für die nächsten Pilger weiterfunktioneren kann. Die Zimmer auf dem Gelände sind alle unterschiedlich. Besonders begeistert sind viele Leute von einem Zimmer, in dem ein Landrover steht.
Aber wir wollen heute noch weiter, also radeln wir im Regen weiter nach Somo, wo die Fähre nach Santander abfährt, in die Hauptstadt Kantabriens. Zu meiner Enttäuschung ist die Stadt sehr grau und industriell. Wir halten nur kurz in einem Supermarkt,um Proviant aufzuladen und treten wieder in die Pedalen, bis wir Boo de Piélagos erreichen, wo wir im Vorgarten der Herberge zelten.
In Boo de Piélagos wird den Fußgänger-Pilgern empfohlen, mit der Bahn bis zum nächsten Dorf zu fahren, denn der offizielle Pilgerweg nach Mogro führt über eine schmale Passage, die gefährlich dicht an den Bahngleisen vorbeiführt.
Aber unser Stolz, nur mit der Kraft unserer Beine bis hierher gekommen zu sein, lässt uns nicht so einfach in die Bahn steigen. Wir entscheiden, diesen Teil mit dem Fahrrad zu umfahren und einen Umweg von ca. 6 km um den Fluss Pas zu nehmen. Die ganze Zeit über regnet es, aber trotzig fahren wir mit Regenmantel und vielen Schlammspritzern immer weiter bis wir Santillana del Mar erreichen, eines der angeblich schönsten Dörfer im Norden Spaniens.
Santillana de Mar
Klatschnass kommen wir in Santillana del Mar an und suchen uns als Erster unter steinernen Arkaden eine Zuflucht vor dem Regen. Der Ort sieht sehr mittelalterlich aus. Als hätte hier niemand die Entdeckung Amerikas und die Französische Revolution mitbekommen und alles ist noch wie vor ein paar hundert Jahren. In einer Bar hören wir, wie ein kleiner Junge eine „Inquisition“ bestellt – gemeint war ein Burger, der so auf der Speisekarte steht. Passt ja, denn hier gibt es sogar ein Museum für Folter und Inquisition.
In Spanien ist Santillana de Mar bekannt als die Stadt der drei Lügen, denn sie ist weder “santa” (heilig) noch “llana” (eben), noch liegt sie am “Mar” (am Meer).
Nachdem der Regen vorbeigezogen ist, erscheint die Stadt in einem ganz anderen Licht. Die Kopfsteinpflaster und alten Steinmauern strahlen jetzt in einem gelblich leuchtenden Ton, und auch die Blumen auf den Balkonen glänzen in buntesten Farben.
Comillas
Comillas ist bekannt für seine schöne nordspanische Küstenlandschaft. Als wir die Ortschaft durchqueren, fällt mir auf, dass die Architektur hier anders ist, in Comillas sind viele Gebäude vom Modernismus beeinflusst. Sogar eines der wenigen Bauwerke Gaudís, das außerhalb Kataloniens zu finden ist, steht hier: das Capricho de Gaudi.
Parque de Oyambre und San Vicente de la Barquera
Der Jakobsweg führt uns in den Naturpark von Oyambre. Gehört hatte ich den Namen bislang nur von Surfern. Doch dieser Naturpark ist der größte Kantabriens und die Atlantikküste ist hier besonders ruhig. Ein großer Kontrast zu der industrialisierten Küste, an der wir bisher entlang gefahren sind.
Zwischen steilen Klippen mit rauen Felsformationen, grünen Weiden mit grasenden Rindern, dichten Wäldern, Flüssen und Sümpfen und Teichen und Stränden, die sich mit den Gezeiten ändern, geht es schließlich nach San Vicente de la Barquera.
Wie in vielen Orten, ist die Pilgerherberge auch hier in der Nähe der Kirche, leider auf dem höchst gelegenem Teil der Stadt. Nach einem gefühlt endlos langen Tag, schieben wir die Räder die letzten Meter bergauf und kommen endlich in der Herberge an. Am nächsten Tag werden wir nach einem Zwischenstopp in Unquera, wo wir die ‚corbatas‘, ein typisches süßes Blätterteiggebäck probieren, nach Asturien fahren.
Mein Fazit zum kantabrischen Abschnitt des Jakobsweges: In Kantabrien sind der erste und der letzte Abschnitt sehr schön, aber die restliche Küste hat sehr viel Industrie und man fährt weite Abschnitte auf Asphalt, die einem auf dem Fahrrad ewig erscheinen. Für die, die zu Fuß pilgern, würde ich diesen Teil nicht unbedingt empfehlen.
Zusammenfassung der Etappen
- Ontón – Liendo – Laredo – Santoña (Marismas de Santoña)
- Santoña – Güemes – Somo – Santander – Boo de Piélagos
- Boo de Piélagos – Santillana del Mar – Comillas – Oyambre – San Vicente de la Barquera
Wenn Du unsere Geschichten über die dürre Wüstenlandschaft in Aragón lesen möchtest, über die grünen Weiden, hohe Berge und steile Kliffs der Nordküste, oder die moosbedeckten Schiefersteine in den nebeligen galizischen Wäldern, stay tuned!
Part 1: Der Camí de Sant Jaume
Part 2: Es geht weiter auf dem Camino Aragonés
Part 3: Der Übergang zum Camino del Norte in Navarra
Part 4: Fahrradpilgern am Atlantik – Baskenland
Part 5: Kantabrien – Jakobsweg in Nordspanien
Part 6: Auf zwei Rädern durch Asturien
Part 7: Ende des Jakobswegs mit Satteltaschen – Santiago de Compostela
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