Imposant ragen die massiven Mauern in den blauen Himmel über der Stadt. Mächtig und immer noch respekteinflößend ist dieser Ort bis heute für Viele, denn hinter diesen Mauern befindet sich la Model, ein 1887 entworfenes Gefängnis, das eigentlich als Vorbild anderer Anstalten diente sollte. 2017 wurde La Model geschlossen.
Ich habe mich zu einer der Führungen angemeldet, bei der ich mehr über die Geschichte dieses Gebäudes erfahren will. Denn welche Menschen wann hinter Schloss und Riegel gesperrt wurden, verrät viel über die Gesellschaft der jeweiligen Epoche.
Im Eingangshof blättert der Putz von den Wänden. Auf mich wirkt das imposante Gemäuer unangenehm kalt. Ein paar Grünpflanzen in den Ecken sollen vermutlich die beklemmende Ausstrahlung etwas auflockern, denn für die Menschen in Barcelona ist die Erinnerung an die Zeit der Diktatur Francos, in der diese Einrichtung als ein Symbol der Unterdrückung galt, noch sehr präsent. Erst 2017 entschied sich die Stadt, das Gefängnis zu schließen und die Räumlichkeiten anderweitig zu nutzen. Nur ein Teil von La Model soll zum Gedenken an das hier Geschehene bewahrt werden.
1904 wurde das Centro Penitenciario de Hombres de Barcelona, wie La Model mit offiziellem Namen heißt, als modernes, den neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften entsprechendes Gefängnis in Betrieb genommen. Noch vor der Fertigstellung zogen die ersten Gefangenen aus dem völlig überfüllten Prisión de Reina Amàlia hierher. Während in der ehemaligen Klosteranlage im Raval die Menschen schlicht und einfach weggesperrt und zwischen Ratten und Ungeziefer mehr oder weniger sich selbst überlassen worden waren, sollte die neue Anlage am Stadtrand nicht nur über bessere hygienische Verhältnisse verfügen. La Model war auch mit einer Küche, einer Krankenabteilung, einer Turnhalle und einem Garten ausgestattet. Die Gefangenen erhielten jeder eine Zelle mit Fenster, einem Bett, sogar fließendes Wasser, eine Toilette und elektrisches Licht gab es. Diese modernen Maßnahmen brachten La Model den Spitznamen „Hotel Entença“ ein, denn zur Jahrhundertwende konnten sich in Barcelona nur sehr wenige Bürger Strom oder ein Klo mit Wasserpülung leisten. Darüber hinaus hatte man sich zum Ziel gesetzt, die straffällig gewordener Bürger nach ihrem Aufenthalt wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren. Unter dem Motto in severitate humanitas sollte La Model als eine Erziehungs- und Besserungsanstalt mittels Isolation, Erziehung und Religion die Insassen zu besseren Menschen machen.
Die psychologischen Maßnahmen der Jahrhundertwende waren teilweise so unmenschlich, dass man recht schnell Abstand von diesen Methoden nahm. Die Zahl der geplanten 800 Insassen war schon bald überschritten, erste Konflikte zeichneten sich ab. Seinen geplanten Vorbildcharakter hatte La Model schon nach wenigen Jahren verloren.
Während der Guide uns die Entstehungsgeschichte erklärt, betreten wir das Gebäude, das jahrzehntelang für Angst und Schrecken gesorgt hatte, denn neben Taschendieben, Einbrechern und Betrügern, wurden hier zu Zeiten des Franco-Regimes vor allem politische Gefangene festgehalten.
Die erste Überfüllung erlebte La Model schon kurz nach der Inbetriebnahme. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als Barcelona aus allen Nähten platzte, weil die Industrialisierung für eine enorme Zuwanderung gesorgt hatte und ein großer Teil der Stadtbevölkerung in ärmsten Verhältnissen lebte, kam es immer wieder zu sozialen Unruhen. Kinderarbeit war an der Tagesordnung, die Sterblichkeit hoch. Spanien hatte seine Kolonien verloren. Als die Männer in Barcelona für Feldzüge in Marokko zwangsrekrutiert werden sollten, brach ein Aufstand aus, die Menschen rebellierten, Bomben explodierten überall in Barcelona. Während der Setmana Tràgica, der tragischen Woche, füllte sich das Gefängnis. Da man trotz alles Polizei- und Militäraufgebots der Anführer nicht habhaft werden konnte, verhaftete man schließlich einen Pädagogen, der für seine liberalen Ideen bekannt war, den unschuldigen Francesc Ferrer i Guardia, und verurteilte ihn als Sündenbock. Seine Hinrichtung fand auf dem Montjiuc statt.
Auch beim Generalstreik 1919 (Vaga de la Canadenca, span. Huelga de la Canadiense), als sich ganz Barcelona den Arbeitern und Gewerkschaften anschloss, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, versuchten die Autoritäten dem Kontrollverlust mit Massenverhaftungen entgegenzutreten. Wieder füllten sich die Zellen in La Modelo, auch mit Insassen, die nicht rechtmäßig verurteilt waren.
Die ursprünglich für eine Person gedachten Zellen wurden teilweise mit 10 oder gar 15 Menschen belegt. Ein eigenes Bett zu haben galt schon als Luxus, die meisten Gefangenen schliefen auf dem Boden, wenn überhaupt genügend Platz zum Hinlegen war.
Nachdem wir den Eingangsbereich passiert haben, in dem sich die Kabinen für die Besuche der Familienangehörigen befinden, gelangen wir durch mehrere Schleusen mit dicken Gitterstäben schließlich ins Herz der Anstalt, das Panoptikum. Im Zentrum des in Form eines Seesterns angelegten Gefängnisses befand sich der Kontrollraum, benannt nach dem Buch “Panopticon” des englischen Utilitaristen Jeremy Bentham, in dem er sein Konzept zur Diktatur des Blicks beschreibt. Der Zweck dieses Panoptikums war es, dass die Gefangenen sich jederzeit und überall beobachtet fühlen sollten, denn von diesem zentralen Punkt aus konnten die Wächter und Beamte alle Zellen im Auge behalten.
Gleichzeitig zu dieser Komplettüberwachung nahm man den Insassen die Möglichkeit, untereinander Kontakt zu haben. Mittels Angst und Isolation sollten die Gefangenen eingeschüchtert werden. Das Panoptikum diente auch als Kapelle. Zur Besserung der Gefangenen wurden Gottesdienste abgehalten. Wer nicht freiwillig teilnehmen wollte, wurde zur Anwesenheit gezwungen. Der Guide berichtet, dass es spezielle Vorrichtungen gegeben habe, die verhindern sollten, dass sich die Männer währenddessen untereinander verständigen konnten. Dazu sperrte man ihre Köpfe in ein Gitter, das keine Bewegung, nur den Blick nach vorn auf den Priester, zuließ. Es ist unglaublich kalt hier drin.
Während der Diktaturen von Primo de Rivera und nach dem Spanischen Bürgerkrieg unter Franco, saßen neben Straftätern vor allem Dissidenten und politische Gefangene in La Model. Nach den Gewerkschaftlern, Sozialisten und Anarchisten zählte schließlich auch die gewählte Regierung der Generalitat um Lluis Companys zu den Insassen.
Homosexuelle und transexuelle Personen wurden hinter hohen Mauern in einem eigenen Flügel versteckt. In medizinischen Experimenten versuchte man damals ihre „Krankheit“ zu heilen. Zwischen 1955 und 1963 waren auch Frauen, meist Gewerkschafterinnen oder Intellektuelle, und kleine Kinder im oberen Stockwerk untergebracht. Unter Franco hatten Frauen es im Gefängnis noch schwerer als Männer.
Antonio Vallejo Nájera, ein Arzt mit dem Spitznamen „der spanische Mengele“ , hatte sich in den Kopf gesetzt, das „rote Gen“ zu finden, das sozialistische oder kommunistische Mütter oder Frauen, die mit einem Mann verheiratet, verwandt oder verschwägert waren, der für die Republik gekämpft hatte, seiner Ansicht nach in sich trugen. Diese rote Pest galt es auszurotten, ihre Kinder in regimetreuen Familien umzuerziehen. Seine grausamen Experimente führte er mit Hilfe zweier deutscher Assistenten vor allem in Malaga und Santander durch (nicht in Barcelona).
Zu den Qualen, die viele Frauen in der Zeit nach des Spanischen Bürgerkrieg erleiden mussten, gibt es ein sehr gutes Buch (Las Rapadas von Enrique González Duro), das Berichte von Frauen gesammelt hat, die geschoren, geschlagen, vergewaltigt oder halbnackt unter menschenunwürdigen Umständen zur Belustigung der Kirchgänger durch die Dörfer getrieben wurden.
Während 1936 zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs 851 Gefangenen inhaftiert waren, sollen es nach dem Bürgerkrieg 13.000 gewesen sein. Unter Franco hatten regimetreue Klosterfrauen die Leitung der Gefängnisse übernommen. Zu den Feiern der Schutzpatronin wurde ein gemeinsames Essen veranstaltet, an dem allerdings nur diejenigen teilnehmen durften, die über anständige Kleidung verfügten. Wer keine entsprechende Kleidung hatte, blieb in seiner Zelle, denn an diesem Tag kamen Fotografen in die Anstalt, um zu zeigen, wie gut es den Gefangenen ginge.
In La Model wurden auch Todesurteile vollstreckt. Mindestens 24 Menschen wurden hier mit der Garrotte hingerichtet, eine unter Franco verbreitete Hinrichtungsform, bei der das Opfer durch langsames Ersticken qualvoll erdrosselt wird. Die Meisten jedoch wurden auf dem Camp de la Bota oder auf dem Montjuïc erschossen. Zum Tode verurteilte mussten oft lange darauf warten, zu erfahren, an welchem Tag das Urteil vollstreckt werden würde. Wochen oder monatelang zitterten sie, ob dieser Tag ihr letzter sein würde, denn wenn die morgendliche Liste mit den anstehenden Vollstreckungsurteilen verkündet wurde, blieben nur wenige Minuten bis zur Abfahrt. Sie hatten meist keine Möglichkeit, sich von den Angehörigen zu verabschieden.
Als La Model 1904 eingeweiht wurde, stand das Gefängnis im Grünen. Rundum befanden sich damals Äcker und Gärten. Doch Barcelona wuchs so schnell, das es die zwei Häuserblocks umfassende Anstalt bald verschlang. Rund um die Mauern patrouillierte ständig Polizei, damit Angehörige nichts über die mit Stacheldraht versehene Mauer auf den Gefängnishof werfen sollten.
Nachdem 1975 Luis Carrero Blanco, rechte Hand und geplanter Nachfolger Francos, bei einem Attentat ums Leben kam, verhaftete man bei einer Schießerei im Carrer Girona den 22-jährigen Anarchisten Salvador Puig Antich. (Ein sehr bewegender Film über die Geschichte des jungen Mannes, in der Daniel Brühl die Hauptrolle spielt ist Salvador – Kampf um die Freiheit.) Der zum Tode verurteilte wurde trotz zahlreicher internationaler Proteste hier in La Model hingerichtet. Der Raum in dem die Hinrichtung stattfand, ist der letzte Saal, den wir bei dieser Führung betreten. Über der Tür prangt ein Schild „Sense Sortida“, kein Ausgang. Die niedrige Decke und die kahlen Wände lösen sofort Beklemmungen aus. Hoffnungsloser könnte ein Zimmer nicht sein. Im Boden fehlt an einer Stelle die Fliese. Hier stand die Garrotte. Ein einfaches Schwarzweißfoto und ein paar Blumen erinnern an Salvador Puig Antich.
Salvador Puig Antich und Heinz Ches, ein aus Ostdeutschland geflohener junger Mann, der eigentlich Georg Michael Welzel hieß, waren die letzten Todesopfer die unter Franco hingerichtet wurden. 1978 schaffte Spanien die Todesstrafe ab.
In den 80er Jahren kam es abermals zu einer Überfüllung des inzwischen heruntergekommenen Gefängnisses. Die Gefangenen schlossen sich zusammen und versuchten durch die Festsetzung einiger Beamter bessere Haftbedingungen zu erpressen. Es kam zu koordinierten Aktionen, in denen hunderte von Insassen Matratzen verbrannten oder sich gleichzeitig selbst verletzten, die Arme ritzen oder gar den Mund zunähten. Heroin gelangte in die Anstalt, Spritzen waren jedoch Mangelware. Selbst rostig und stumpf teilten sich die Süchtigen die wenigen Nadeln. Es dauerte nicht lange bis 97% der Gefangenen an Aids erkrankt war. 2017 wurden die letzten Gefangenen abtransportiert und La Model geschlossen.
Als wir diese düsteren Mauern verlassen, ist es draußen bereits dunkel geworden. Auf dem Innenhof im Eingangsbereich ist eine Gruppe großer und kleiner Castellers gerade dabei, Menschentürme für ein baldiges Fest zu errichten. Sie nutzen den Platz jetzt zum Üben.
Informationen La Model Barcelona
Es gibt so viele Geschichte über diese Anstalt zu erzählen, dass dieser kurze Bericht gar nicht ausreicht. Hier ein paar Links mit Informationen zu La Model (Kat) oder La Modelo (Span.):
www.lamodel.barcelona
Una Prision en medio de Barcelona – La Modelo – sehr interessanter Video auf youtu.be/klju3s9jEHM
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