Der Dorfplatz ist mit bunten Girlanden und kleinen Sträußen gelber Mimosen dekoriert. Ihre leuchtenden gelben Blüten sind die ersten, die zu dieser Jahreszeit blühen. Der ganze Platz ist mit ihrem knackig-frischen Duft erfüllt. Die vorderen Reihen der hölzernen Klappstühle sind schon besetzt. Nicht nur Freunde und Verwandte haben ihre Plätze lange bevor es losgeht ergattert. Das ganze Dorf hat sich versammelt und wartet gespannt auf die Aufführung. Gleich treffen die Comparses (Musiker) und die Balladors i Balladores de Gitanes (Tänzer und Tänzerinnen) ein.
Der Brauch der „Ball de Gitanes” ist ein uralter Tanz der meist ländlichen Bevölkerung. Getanzt wird er heute noch in einigen Regionen Kataloniens und in der Comunidad Valenciana. Doch wie viele alte Traditionen wurden diese Tänze nach dem Spanischen Bürgerkrieg, in Zeiten der Diktatur Francos, verboten oder gerieten in Vergessenheit. Erst in den 80er Jahren, als Spanien eine Demokratie geworden war, konnten diese Bräuche wiederaufleben: die feurigen Tänze der Teufel (Ball de Diables und Correfocs), die Stocktänze (Ball de Bastons), und Menschentürme (Castellers) sind inzwischen längst wieder ein fester Bestandteil der Volksfeste und der Kultur.
Obwohl der Brauch schon sehr alt ist, wurde die Colla de Gitanes (Tanzverein der Gitanes) in meinem Dorf erst im Jahr 2018 gegründet. Doch von Jahr zu Jahr werden es mehr Tänzer und Tänzerinnen. Denn was den Ball de Gitanes so beliebt und lebendig macht, ist, dass jedes Dorf ihn auf seine eigenen Art und Weise feiert, dass er sich verändert und an die Entwicklung unserer Gesellschaft heute anpasst. Für die Choreografie gibt es keine festen Regeln, lediglich der Ablauf der Gitanes ist gleich.
In der Region des Vallès, nördlich von Barcelona, werden die Gitanes normalerweise Ende Februar, am Wochenende vor Karneval gefeiert, um den Frühling zu begrüßen. Im Penedès, in Tarragona und València, werden die Tänze zu Fronleichnam aufgeführt.
„La plaça és plena“
Der Platz ist voll und das Publikum wartet gespannt darauf, dass die Musiker und Tänzer eintreffen. Zuerst kommt die Figur des „Präsidenten“, dann kommt der Capità de Cavall angeritten und galoppiert einmal im Kreis um den Platz herum und bittet den Präsident um die Erlaubnis den Tanz zu beginnen.
Als Erstes stürmen „die Alten“ El Vell i La Vella, ein exzentrisches Paar, auf den Platz. El Vell steht für den vergangenen Winter, während La Vella den kommenden Frühling symbolisiert.
Besonders auffällig sind die Diablots (Teufel), groteske, in Felle und Pelze gekleidete Figuren, die in der katalanischen Kultur fest verankert sind. Sie stehen als Vertreter für das Böse, lärmen und erschrecken das Publikum. Ganz ähnlich wie der Krampus in der Vorweihnachtszeit in Süddeutschland und Tirol. Um ordentlich Krach zu machen tragen sie Xurriaques (eine Art Peitsche) und Esquellots (Kuhglocken). Meist sind sie auch mit einen Besen oder einer Mistgabel ausgestattet, zünden kleine Knaller, werfen mit Mehl um sich, um die Zuschauer einzuschüchtern. Denn bei den Gitanes sind diese nervigen Teufel dafür zuständig, dass der Tanzkreis frei bleibt.
Nach den Diablots führt ein Brautpaar (Els Nuvis) den Auftritt der Tanzgruppe an. Im Takt des Pasdoble tanzen die Pärchen Hand in Hand auf den Platz. Der Reihe nach füllen sie die Tanzfläche. Traditionell tragen Frauen einen langen geschwungenen Rock, eine weiße Bluse und ein mit blumen besticktes Schultertuch. Die Haare sind mit knallgelben Mimosen geschmückt und in den Händen halten sie Kastagnetten. Die Männer tragen schwarze Hose, weißes Hemd, Weste, Faixa (Stoffwickel auf Nierenhöhe, der auch bei den Castellers getragen wird) und Camals, um das Bein gebundene Tücher, die mit Picaroles (Glöckchen) verziert sind. Passend dazu tragen sie an den Füßen die klassischen Espardenyes (katalanische Espadrilles).
Da wir nicht mehr im 18. Jahrhundert leben, tragen heute auch einige der Männer Röcke und schmücken sich mit Blumen im Haar und die Mädels tanzen auch gerne in Hose. Auch die Tanzpaare sind gemischt – manche tanzen mit dem Partner, andere mit Freunden oder Nachbarn, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, mit Geschwistern oder Eltern, egal welches Alter oder welches Geschlecht.
Außerdem wird während des Ball de Gitanes ständig der Tanzpartner gewechselt, so tanzt jeder mit jedem. Zuerst erklingt eine Catxutxa (andalusischer Tanz), dann eine Polca (schneller böhmischer Paartanz), danach ein Xotis (schottischen Ursprungs mit gemäßigtem Rhythmus). Ein Teil wird ohne die Begleitung durch die Musiker getanzt, damit die Kastagnetten und die Glöckchen zur Geltung kommen. Den Abschluss bildet eine Jota ( ein lebhafter Rhythmus, von Kastagnetten begleitet, vermutlich valencianischen Ursprungs) bevor schließlich das Publikum zum Mittanzen aufgefordert wird.
Zum Ende werden die “Nuvis” für das kommende Jahr ausgelost und alle trinken zusammen Ratafia.
Ich finde es schön, wenn solche alten Bräuche von jungen Leuten wiederbelebt werden. Denn oft wird behauptet, die Jugend gucke nur noch auf das Handy und es gäbe kein Miteinander mehr. Die Gitanes sind der perfekte Gegenbeweis für eine lebendige, funktionierende Gemeinschaft. Ich finde es großartig meine Freunde auf dem Dorfplatz tanzen zu sehen. Ob ich nächstes Jahr selbst mitmache?
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