Auf dem Weg von Fontevraud nach Saumur schaue ich am Nachmittag noch auf einem der zahlreichen Weingüter vorbei. Schließlich bin ich ja an der Loire und die ist nicht nur für die schöne Landschaft berühmt, sondern auch für die leckeren Weine.
Domaine de Nerleux – bei den schwarzen Wölfen:
„Der Name Domaine de Nerleux ist Altfranzösisch. Ner bedeutet noire, also schwarz, und leux heißt loups, auf Deutsch Wölfe“, erklärt mir Amélie auch gleich. Die Domaine der schwarzen Wölfe wird nämlich von einer Frau regiert. Das ist nach wie vor noch eine kleine Besonderheit. Hier in der Gegend war sie die Erste, erklärt mir Amélie Neau. Sie ist schon ein wenig stolz darauf. “Mittlerweile gibt es noch drei andere Frauen, die ein Weingut hier in der Gegend führen.” Das ist doch schon mal ein guter Anfang, finde ich. Die Domaine Nerleux ist ein kleiner Familienbetrieb und das bereits in der neunten Generation. Das Wein-Machen steckt hier wirklich in den Genen. „Oder um bei den Wölfen zu bleiben, vielleicht habe ich es auch mit der Muttermilch aufgesogen“, meint Amélie lachend.
Wir gehen in den Keller. Wer sich jetzt einen ausbauten Hauskeller mit sauber gemauerten Wänden vorstellt, liegt allerdings völlig falsch. Amélie führt mich in eine unterirdische Höhle mit Eingangstür. „Das ganze Dorf ist kilometerweit untertunnelt.“ Denn der weiße Tuffstein wurde jahrhundertelang zum Bau von Klöster, Kirchen aber auch von prächtigen Wohnhäusern abgebaut. Zurück blieben die unzähligen Tunnel. Da die Temperatur hier unten immer gleich bleibt, egal wie warm oder kalt es an der Oberfläche ist, eignen sich diese Höhlengänge perfekt zum Lagern der Weine. Lange Zeit sind diese unterirdischen Gänge auch von den Winzern als Weinkeller benutzt worden. “Mittlerweile haben wir auch moderne Lager. Aber hier unten bewahren wir noch einige ganz besondere Weine auf.“ Alte Weine, die zum Teil schon fünfzig Jahre hier liegen, aber auch Weine aus der neuen Produktion, denn ein Teil davon wird hier nach althergebrachter Methode in Holzfässern gelagert.
Nach unserem Spaziergang unter Tage geht es wieder ans Tageslicht. Vom Hof des Weinguts aus zeigt mir Amélie einige der Rebstöcke, die zu ihrer Domaine gehören. Es ist wunderschön hier. Zur Zeit ist Amélie dabei, den Betrieb auf Bio umzustellen. Einige Rebstöcke sind umgestellt, einige wenige fehlen aber noch. “Schließlich will ich meinen Kindern auch noch Rebstöcke hinterlassen. Es ist einfach sehr wichtig, verantwortungsbewusst mit der Erde umzugehen. “Nicht nur die Weine, sondern auch die Nachhaltigkeit beim Anbau liegen ihr sehr am Herzen.
Zum Abschluss unserer kleinen Runde darf ich die Weine auch noch kosten. Weiß, Rot und Rose und Schaumwein werden auf der Domaine Nerleux produziert. Und alles aus denselben Rebsorten. Nur aus Chenin, Chardonnay und Cabernet Franc Trauben machen sie hier so komplett unterschiedliche Weine!
Die Hugenotten Hochburg Saumur
Doch dann muss ich weiter. In Saumur wartet Susi auf mich, die ich bereits aus dem Kloster Fontevraud kenne. Begeistert wie immer zeigt sie mir heute ihre Stadt, ihre Wahlheimat, die sie offensichtlich sehr liebt und in der sie schon seit vielen Jahren lebt.
Die steinerne Altstadt von Saumur ist auffallend hell und sauber. Das liegt vor allem an dem fast weißen Tuffstein, aus dem der gesamte Untergrund hier besteht und aus dem auch viele Häuser und Kirchen gebaut sind. „Ganz früher bauten die Leute ihre Häuser aus Holz. Als als sie zu immer mehr Wohlstand gelangten, verwendeten sie dann jedoch lieber Stein. Jeder, der es sich leisten konnte, baute mit Tuffstein.“ Manchmal reichte das Geld wohl allerdings nur für die Fassade. Denn bei einigen Häusern ist nur die Frontseite steinern, der Rest ist nach wie vor aus Holz.
Auf der ruhigen Straße, auf der wir stehen, herrschte im Mittelalter hektisches Treiben. Das behauptet jedenfalls Susi. „Dies war die Hauptstraße Saumurs, die zur Brücke führte.“ Die mittelalterliche Brücke war lange Zeit der einzige Weg weit und breit über die Loire. Händler und Reisende kamen von weither, um hier den Fluss zu überqueren. Dementsprechend viel Verkehr muss auf dieser Straße entlanggerumpelt sein. An einigen Gebäuden kann man noch für die mittelalterlichen Läden typischen Steinbögen erkennen. Heute ist dieser Teil der Altstadt jedoch eine sehr stille Wohngegend für die betuchteren Einwohner.
Die alte Brücke führte über sieben Inseln, denn die Loire war damals wesentlich breiter als heute. Diese Inseln sind heute aber verlandet. Auch die Brücke gibt es längst nicht mehr. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde ein paar hundert Meter weiter, außerhalb der alten Stadtmauern, eine neue Überquerung gebaut, die Pont de Cessart. Jeder von Norden kommende Reisende, der nach Saumur wollte, sah als Allererstes das prächtige, neue Rathaus, den ganzen Stolz der Einwohner.
Das Rathaus ist ein merkwürdiges Gebäude. Es besteht aus drei Teilen, die so gar nichts miteinander zu tun haben wollen. Der älteste Teil war ursprünglich wohl ein Abschnitt der Festungsmauer und stammt noch aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ein neuerer Teil aus dem sechzehnten Jahrhundert, ist zumindest auf der Rückseite genau so gebaut, wie der ursprüngliche erste Teil. Vorn an der Fassade springen einem die Unterschiede im Baustil jedoch geradezu entgegen: Während die wichtigste Funktion des alten Gebäudes eindeutig eher schutzgebend war, sollte der Erweiterungsbau vor allem repräsentativ sein. Hier ist alles verschnörkelt und hübsch verziert. Der dritte Anbau stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert, wie mir Susi versichert. Unglaublich, denn diese letzte Erweiterung könnte stilmäßig auch aus den achtziger Jahren stammen und hat weder mit dem ersten noch mit dem zweiten Bau irgendeine Ähnlichkeit. Es ist ein lustiges Drei-Teile-Puzzle.
Außer dem Rathaus sind auch noch andere Wachtürme erhalten geblieben. Als die Türme nicht mehr zum Bewachen der Stadtmauer benutzt wurden, funktionierte man sie zu Gefängnissen um. Ab dem dreizehnten Jahrhundert war der Salzschmuggel ein einträgliches Geschäft in der Gegend. Aufgrund der Gabelle, einer sehr einträglichen Salzsteuer, die von jedem Einwohner gezahlt werden musste, wurde eben viel geschmuggelt. Die Schmuggler, die man erwischte, wurden in diese Türme gesteckt. Hinter den Mauern hatten die Armen sicher nicht viel Platz und noch weniger Licht. Die müssen sich da in den engen Zellen auf wenigen Metern regelrecht zusammengepfercht haben.
Leider bleibt keine Zeit mehr für den Besuch des Chateau de Saumur. Dafür erzählt mir Susi bei einem Glas Wein ausführlich die Geschichte des Schlosses und der Bedeutung dieser friedlichen kleinen Stadt als Hochburg der Hugenotten.
Protestantischer Tempel in Samur
Ab dem sechzehnten Jahrhundert sammelten sich immer mehr Hugenotten, also Protestanten, in Saumur. Im Edikt von Nantes war den nicht katholischen Christen nämlich ein Art Religionsfreiheit zugesichert worden und das Recht, eigene Tempel zu errichten. In Saumur entstand sogar eine protestantische Akademie. In dieser relativ friedlichen Zeit blühte Saumur wirtschaftlich auf. Leider dauerte diese Religionsfreiheit aber nicht sehr lange. Bereits nach ungefähr hundert Jahren bekämpften Kardinal Richelieu und König Ludwig XIV die Protestanten abermals. 1685 wurde das Edikt zurückgenommen und hunderttausende Hugenotten mussten vor den katholischen Machthabern in die Niederlande oder nach Preußen fliehen. Die Stadt Saumur verliert praktisch von einem Tag auf den anderen zwei Drittel ihrer Einwohner. Industrie, Kultur und Handel kommen mehr oder weniger zum Erliegen. Nur um die sechtausend Bewohner bleiben hier zurück und Saumur verfällt in eine traurige Stille.
Von den tragischen Ereignissen damals hat sich Saumur längst wieder erholt: Eine gemütliche, mittelgroße Stadt, die sich vorwiegend auf Obst und Weinanbau spezialisiert hat. Und das ist auch gut so, denn der Wein hier ist köstlich 🙂 Prost!
Aber nächstes Mal will ich mir unbedingt noch das Schloss ansehen!
L’église Saint-Pierre – Die Petruskirche
Alte Fachwerkhäuser
Nützliche Infos zum Nachreisen:
Domaine de Nerleux
4 Rue de la Paleine
49260 Saint-Cyr-en-Bourg
Website : domaine-de-nerleux.com
übernachtet habe ich in Saumur, in einem gemütlichen kleinen Hotel, gleich hinter der Kirche in der Altstadt:
Hôtel Saint Pierre
8 Rue Haute Saint-Pierre
49400 Saumur
Website: www.saintpierresaumur.com
Hinweis: Meine Reise entlang der Loire wurde von Atout France unterstützt. Ganz besonderen Dank an Susi, die mich durch die Stadt und ihre Geschichte begleitet hat! Die hier dargestellte Meinung spiegelt selbstverständlich ausschließlich meine eigenen Ansichten und Erlebnisse wieder.
Ich liebe historische Orte und bin immer hellaufbegeistert, wenn ich an Orten bin, die ich sonst nur aus Büchern kenne.
Jaaa!! Das geht mir auch so! Ich finde so etwas voll spannend 🙂