Tout est art. Alles ist Kunst. Nirgends trifft dieser Satz den Nagel so auf den Kopf wie in Montpellier. Diverse Galerien und Museen verteilen sich über die Stadt, die meisten zeigen ihre Kunst sogar gratis. Im Pavillon Populaire findet gerade eine Fotoausstellung des Amerikaners William Gedney statt. Das Panacée ist eine Galerie kontemporärer Kunst und gleichzeitig Treffpunkt von Künstlern, Designern, Kunstschaffenden und Besuchern.
Und dann gibt es noch Theater, Ballett, Architektur … sogar Geigenbauer sammelt diese Stadt wie keine andere.
Pavillon Populaire
Panacée
Das Musée Fabre
Das größte und bedeutendste Kunstmuseum der Stadt ist wohl das Musée Fabre. Im neunzehnten Jahrhundert von dem Maler selbst gegründet, ist die Sammlung seither ständig gewachsen. Heute ist das Museum enorm, sowohl von seinen Ausmaßen, mit Ausstellungsräumen, die sich mittlerweile auf mehrere Gebäudekomplexe erstrecken, als auch von den Werken, die es beherbergt.
Hôtel Sabatier
Neben dem Hauptgebäude des Musée Fabre liegt das Hôtel Sabatier. Ursprünglich als Privathaus errichtet, leistete sich die sehr wohlhabende und monarchistisch orientierte Familie den Luxus weder Badezimmer noch Strom einzubauen. Vermutlich fühlten sie sich so dem Sonnenkönig und Schlössern wie Versailles verbunden.
Mittlerweile gibt es natürlich sowohl Strom als auch fließendes Wasser und ein Bad. In der Hälfte des Hauses, in der die Abteilung Arts décoratifs des Musée Fabre untergebracht ist, findet gerade eine Ausstellung der Designerin Constance Guisset statt. Die kreative Künstlerin entwirft Teller, Lampen, Möbel oder auch Louis Vuitton Reisesets für die wohlhabenden Air France Passagiere der Ersten Klasse. Also eigentlich alles.
Hier hat sie nun Möbel aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in einen Dialog mit kontemporären Möbeln gestellt. Und das wortwörtlich. Die Möbel unterhalten sich wirklich miteinander. Aus Lautsprechern tönen die Gespräche des Sofas, der Lampe und der Sessel. So wie die Designerin mit den Materialien und Gewichten spielt, verschwinden die Gegensätze. Sie schafft es, Möbel in einem ganz neuen, anderen Licht zu zeigen.
Kunst zum Anfassen
Im Eingangsbereich des Musée Fabre gibt es gerade eine Ausstellung, die von hier aus auf Wanderschaft gehen wird. „Skulpturen zum Anfassen“ ist für Sehende gedacht, die mit verbundenen Augen Kunstwerke ganz anders wahrnehmen lernen. In einer dunklen Ecke kann ich üben, mit meinen Fingern zu sehen. Ich stecke die Hände durch einen Vorhang und beginne eine Büste zu ertasten. Über Kopfhörer leitet mich eine Nicht-Sehende und erklärt, wie ich mit meinen Händen die Ausmaße der Figur wahrnehmen kann. In kreisenden Bewegungen gleiten meine Fingerspitzen über den kalten Stein. Ist die Oberfläche glatt oder uneben? Stellt die Figur einen Menschen oder ein Tier dar? Sind die Haare kurz oder lang? Ist die Nase groß oder klein? Wie sind die Lippen? Eng geschlossen oder geöffnet? Wie nehme ich den Ausdruck des Gesichts wahr?
Nachdem ich mich unter Anleitung an der Büste eingetastet habe, kann ich nun theoretisch die großen Skulpturen erfühlen. Es sind natürlich nicht die Originale, sondern Kopien der Kunstwerke aus dem Museum. Eine wirklich spannende Erfahrung.
Kopien der Skulpturen von Houdon
Permanente Ausstellung
Zunächst bestand das Museum nur aus zwei Sälen. Den Grundstock bildete die Sammlung des Malers Fabre, der seine Werke der Stadt Montpellier schenkte. Er stellte allerdings zwei Bedingungen: einerseits zum Direktor des Museums auf Lebenszeit ernannt zu werden und anderseits dort auch wohnen und arbeiten zu dürfen. Die Stadt ging darauf ein und so lebte Fabre in den Räumen, direkt neben den großen Kunstwerken.
Mittlerweile reicht die Sammlung von alten Meistern aus dem fünfzehnten Jahrhundert über die Moderne bis zur abstrakten Kunst der Gegenwart. Längst gehören auch auf die umliegenden Gebäude zum Museum und der heutige Direktor wohnt natürlich auch woanders.
In Montpellier ist die Kunst der Motor, der die Stadt antreibt und am Laufen hält. Die Künstlerszene ist hier sehr lebendig. Wie in keiner anderen Stadt atmet man Kultur an jeder Ecke. Na gut, mit Ausnahme von Paris vielleicht.
Das war schon zu Zeiten der Impressionisten so. Van Gogh und Picasso liebten das Licht dieser Gegend und waren begeistert von der Landschaft um Montpellier herum. Seit Jahrhunderten strömen die Künstler hierher und werden auch heute noch wie magnetisch angezogen.
Ich bewundere die Augen einer Skulptur von Jean-Antoine Houdon. Houdon hat die Augen ausgehöhlt und durch das Zusammenspiel von Licht und Schatten dem Gesicht einen unglaublich lebendigen Ausdruck verliehen.
L’été – Houdon
Vor den Femmes d‘Alger Delacroix‘ versuche ich mir die ursprünglichen Farben des Bildes vorzustellen. Angeblich sollen van Gogh und Gauguin völlig fasziniert vom Lila der Vorhänge im Bild gewesen sein. Heute kann ich die Vorhänge selbst leider kaum erkennen, denn das Bild ist nachgedunkelt. Wie schade.
Ich schlendere durch die Säle der romantischen Malerei und der Moderne, bewundere die Werke der Fauvisten und Künstler wie Vireria da Silva, Nicolas de Staël und Aurélie Nemours.
Pierre Soulages
Dann sehe ich nur noch Schwarz. Ich bin bei den Werken Pierre Soulages angekommen, einem Künstler, der mit verschiedenen Materialien arbeitet und durch die Veränderung von Licht und Textur viele unterschiedliche Schwarztöne schafft.
Il n’existe pas un noir, mais des noirs.
(Yves Saint Laurent)
Simon Hantaï aus Ungarn arbeitet mit einer besonderen Technik des Knotens und Faltens, Genovieve Asse zeigt in ihren blauen Werken die Landschaften der Bretagne, das Meer, den Himmel und die Erde.
Simon Hantaï
In Montpellier formierte sich in den achtziger Jahren eine Künstlergruppe zu einer Strömung namens Support/ Surface, deren erklärtes Ziel es war die Kunst aus den Museen heraus zu holen. Sie stellten die klassischen Techniken der Malerei infrage, indem sie nicht einfach auf Leinwand, sondern mit unterschiedlichen Stoffen und verschiedenen Formen arbeiteten. Durch das Ausstellen ihrer Werke unter freiem Himmel sollte Kunst in den Dialog mit der Außenwelt treten.
Support/ Surface
Bacon und Naumann
Die aktuelle Ausstellung ist eine Gegenüberstellung der Künstler Francis Bacon und Bruce Naumann. Naumann beginnt in den sechziger Jahren damit, Kunst als Erfahrung zu entwickeln. Alles was er in seinem Atelier macht, ist Kunst. Neue Kunstformen wie Performance Art und Video Art entstehen. In seinen Werken macht Naumann oft sich selbst und seinen Körper zum Kunstwerk.
Ob er seinen eigenen Körper bemalt, um damit Malerei infrage zu stellen, ob er sich selbst immer wieder in monotonen Bewegungen in eine Ecke schmeißt, oder Menschen wie Laborratten durch enge Gänge im Dunkeln wandeln lässt. Videos, die Lippenbewegungen zeitversetzt zum monotonen Wiederholen der Silben zeigen oder Tierkörper, die aus „falsch“ zusammengesetzten Teilen als Mobile unter der Decke hängen. Naumann entpersonalisiert die Körper und verzerrt sie in seinen Werke zu etwas Absurdem.
Bruce Naumann
Francis Bacon
Francis Bacon konzentriert sich hingegen in fast schon traditioneller Weise auf die Malerei. Seine ausdrucksstarken Bilder erzählen vom harten Leben des Künstlers in der Schwulen- und Drogenszene in Berlins wilden Jahren. Der Selbstmord seines Geliebten machte ihm schwer zu schaffen. Immer wieder bringt er seinen Schmerz und menschliches Leid in besonderen Farben auf die Leinwand. Die Seitenansichten der verzerrten Gesichter erinnern an die afrikanischen Masken Picassos, von dem sich Bacon offenbar inspirieren ließ.
Kunst in der Tramway:
Sogar die Straßenbahnen Montpelliers sind „Kunst“. Nachdem ich das Museum verlassen habe und auf dem großen Platz vor dem Bahnhof stehe, entdecke ich, dass die verschiedenen Linien der Straßenbahn bunt und kunstvoll bemalt sind. Die blauen Wagen mit den Schwalben symbolisieren den Himmel, die blumengeschmückten Wagons sollen für die Erde stehen. Dann gibt es noch eine Straßenbahn mit Meeresmotiven und eine, die die Elemente Feuer und Licht darstellen soll.
In Montpellier ist wirklich alles Kunst.
Infos – Kunst in Montpellier:
Musée Fabre
39, Boulevard Bonne Nouvelle
34000 Montpellier
Website: museefabre.montpellier
Ausstellung: Bacon face à Nauman (noch bis zum 5. November 2017)
Hôtel Cabrières- Sabatier d’Espeyran
6. bis rue Montpelliéret
34000 Montpellier
Pavillon Populaire
Esplanade Charles de Gaulle
34000 Montpellier
Website: Les expos du pavillon populaire
Ausstellung: „Only the Lonely“, 1955-1984 des amerikanischen Fotografen William Gedney
La Panacée
14, Rue de l’École de Pharmacie
34000 Montpellier
Website: lapanacee.org
Ausstellung: Drawing Room, Collection des Designers Jean-Charles de Castelbajac
… und wen es interessiert, hier noch mehr Infos zur Straßenbahn: www.tramway.at
Dieser Artikel entstand im Rahmen des #FrenchCultureAward 2017 auf Einladung von Atout France, dem Musée Fabre und Montpellier Tourisme. Meine Meinung ist davon unberührt. Mit diesem Beitrag nehme ich am French Culture Award 2017 teil.
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