Eigentlich wollte ich mal Archäologin werden. Unter anderem. Die Vorstellung in alten Ruinen nach kleinsten Überresten vergangener Kulturen zu suchen, finde ich genauso faszinierend und aufregend, wie die vielen Sprachen auf dieser Welt. Jedenfalls bin ich megagespannt auf die Ruinen der alten iberischen Siedlung bei Ullastret. Doch als ich am Morgen aus dem Fenster sehe, schwant mir nichts Gutes: Der Himmel ist grau und mit dichten Wolken verhangen. So ein Mist. Es dauert auch nicht lange, da stürzt das Nass von oben auf uns herab.

Ullastret Iberer im Regen

Lina und ich fahren natürlich trotzdem los. Mit Regenschirm bewaffnet, steigen wir oben auf dem Puig de Sant Andreu aus dem Auto und gehen einen kurzen Weg den Hügel hinauf, zum Museum, das sich inmitten der Ruinen befindet. Gabriel, der Direktor des archäologischen Museums von Ullastret, erwartet uns bereits. In der Hoffnung, dass sich das Wetter noch bessert, beginnen wir mit einem Rundgang durch die Ausstellungsräume des Museums.

Lange bevor die Römer die iberische Halbinsel eroberten, lebten hier schon verschiedene iberische Stämme. Von den meisten dieser iberischen Stämme, weiß man leider nicht viel. Nur wenig ist aus dieser vorrömischen Zeit erhalten geblieben.

Ullastret iberische Siedlung Ausgrabungen

Erst in den dreißiger Jahren hat man diese bedeutende Siedlung in Ullastret, mehr aus Zufall, überhaupt entdeckt. Die Leute aus der Gegend nutzten die Steine der alten Stadtmauer zum Bau neuer Gebäude. Ein Spaziergänger ahnte damals jedoch, dass es sich hier womöglich um eine archäologische Fundstätte handeln könnte und benachrichtigte die Behörden. Die schickten auch tatsächlich Spezialisten vorbei, die ohne zu graben feststellten, dass hier wirklich eine historische Siedlung im Boden versteckt sein musste.

Es war die Zeit kurz vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs. „Da hatte man andere Sorgen, als archäologische Ausgrabungen.“ meint Gabriel. So wurde das Gelände zwar sofort geschützt, aber die ersten Ausgrabungen fanden erst 1947, Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs statt. Bei der zweiten Ausgrabung 1949 war man sich sicher, dass hier eine bedeutende Siedlung aus dem sechsten bis vierten Jahrhundert vor Christus begraben lag, also eine Zeit des Übergangs von Bronze- zur Eisenzeit, lange bevor die Römer die Küste besiedelten.

 

Ullastret Reste eines TempelsReste eines Tempels

Ullastret zisterneZisterne

Die Diputaciò de Girona begann sofort, den Bauern die Felder auf dem Hügel abzukaufen, um das gesamte Gelände zu schützen und die Geschichte der Siedlung zu erforschen. Es kamen immer mehr Besucher, Studenten und Wissenschaftler, so dass schließlich ein kleines Museum errichtet wurde. In den Ruinen einer alten Kirche aus dem dreizehnten Jahrhundert baute man einen Ausstellungsraum, Toiletten und einen kleinen Kiosk. Zur feierlichen Einweihung dieser kleinen Anlage 1961 kamen nicht nur lokale Größen, wie Salvador Dalí mit seiner Frau Gala und der katalanische Dichter Josep Plà, sondern auch bedeutende Persönlichkeiten und Direktoren aus Madrid angereist.

Seither ist viel Zeit vergangen, viele neue Schätze wurden zu Tage befördert und warten darauf, einen Platz in den Vitrinen zu finden. Schon bald muss hier renoviert werden. Gabriel und seine Mannschaft haben den Umbau längst geplant.

ullastret

Ein verschwundener See: Illa de Reixac

An einem alten Modell erklärt Gabriel zunächst die Lage der Iberer Siedlung. „Die Stadt hatte einen doppelte Stadtkern, ein Teil der Siedlung befand sich hier oben auf dem Berg, ein anderer Teil weiter unten auf einer bebauten Insel.“ Ich bin verwirrt und frage nach „Eine Insel? Hier ist man doch aber bestimmt zehn Kilometer vom Meer entfernt?“ Gabriel drückt ein paar Knöpfe und auf dem Modell erscheint die Umrandung eines riesigen Sees, der sich einst am Fuße des Hügels ausgebreitet hat. Die bebaute Insel liegt mittendrin. „Heute gibt es den See nicht mehr, aber früher lag die Illa de Reixac in einem ziemlich großen Gewässer, doppelt so groß wie der See von Banyoles.“ Anfang des neunzehnten Jahrhunderts legten die Bewohner der Gegend den See trocken, um Platz für neue Felder und Ackerbau zu schaffen. Dreißig Jahre haben sie dafür gebraucht!

ullastret

Die alten Iberer erreichten den unteren Teil ihrer Stadt über einen aufgeschütteten Erdwall. Spuren davon hat man mit neusten Techniken erst in den letzten Jahren entdeckt. Die Stadt auf dem Hügel war von einem mächtigen Schutzwall und einem tiefen Graben umgeben. Sechs Meter tief und zwölf Meter breit war die Vertiefung vor der eigentlichen Stadtmauer. „Das ist ein immenser Aufwand für diese Zeit. Hier muss sich also eine große und wichtige Siedlung befunden haben.“

Dank modernster Forschungsmethoden hat man herausgefunden, dass sich diese Stadt unter der Erde über ein insgesamt fünfzehn Hektar großes Gelände ausbreitet. Bisher hat man nur einen kleinen Teil, nicht einmal ein Viertel der vergrabenen Mauern und Ruinen, ausgegraben. Um uns die Größe und Bedeutung der Siedlung zu verdeutlichen, erklärt Gabriel, wie man die wahrscheinliche Anzahl der Einwohner anhand einer bestimmten Formel ausrechnet. Demnach lebten hier bereits Jahrhunderte vor Christus an die 6.000 Menschen! Ullastret muss für die damalige Zeit eine wahre Großstadt gewesen sein! Wahrscheinlich war dies hier sogar eine Art Hauptstadt der iberischen Kultur, die sich quer über die Halbinsel von Huelva im Süden Spaniens, bis kurz vor Montpellier im Süden Frankreichs, erstreckte.

ullastretEingangsstraße der iberischen Siedlung(Ausschnitt aus dem 3D-Film)

Wenn Gabriel von den Resten der im Boden liegenden Siedlung der Iberer spricht, nennt er sie das „Oppidum von Ullastret“. Obwohl das Wort lateinischen Ursprungs ist und mich zunächst an römische Siedlungen denken lässt, nennen die Archäologen auch keltische oder iberische Siedlungen so, wenn es sich dabei um befestigte Anlagen handelt.

ullastret

Die Nekropole von Ullastret:

In der außerhalb der Stadt gelegenen Nekropole haben die Archäologen für die Größe der Siedlung nur wenige Gräber gefunden. Kleinere iberische Siedlungen in der Gegend hatten gar keine Friedhöfe. Normalerweise verbrannten die Iberer ihre Toten nämlich. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass nur sehr wichtige Persönlichkeiten, wie Herrscher oder Adelige, begraben wurden. Denn die rund achtzig bisher entdeckten Gräber waren alle reich mit Amphoren, Schmuck und zahlreichen anderen Gegenständen bestückt, die sich einfache Bauern sicher nicht leisten konnten.

Ullastret Demetergriechische Fruchtbarkeitsgöttin Demeter

Ullastret Sphinxägyptische Sphinx

Ullastret lag auch strategisch günstig. Oben auf einem Hügel, geschützt durch dicke Mauern und in unmittelbarer Nähe wichtiger Häfen wie Empúries und Roses, von denen aus die Iberer mit den Griechen und Phöniziern Handel trieben. Das Mittelmeer war damals eine wichtige Verbindung zu anderen Völkern. Mit den Schiffen kamen nicht nur Handelswaren aus der ganzen damals bekannten Welt nach Ullastret, auch Religion und Wissen anderer Kulturen nahmen die Iberer in ihre eigene Kultur auf. Viele Fundstücke in den Vitrinen zeigen den Einfluss der Griechen, Phönizier und Ägypter: fein gearbeitete griechische Vasen waren wertvolle Statusobjekte, die man sogar aufwendig zu reparieren versuchte, Figuren der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter oder eine Sphinx deuten darauf hin, dass hier verschiedene religiöse Kulte parallel existierten.

Ullastret wertvolle grriechische vasen repariertreparierte“ Vase griechischen Ursprungs – ein Statussymbol?

Raue Sitten – Caps tallats:

Von den Kelten im Norden haben die Iberer offenbar eine ganz andere Tradition übernommen, nämlich die, ihren Feinden den Kopf abzuschlagen und das Haupt dann an einem gut sichtbaren Ort, z.B. vor der Haustür, festzunageln. Gleich mehrere mit dreiundzwanzig Zentimeter langen Nägeln, die extra zu diesem einen Zweck angefertigt wurden, durchbohrte Schädel hat man in Ullastret gefunden. Caps tallats, abgetrennte Köpfe, heißen diese Kriegstrophäen. Den am besten erhaltenen und einzigen fast vollständigen Schädel dieser Art fand man hier erst kürzlich, 2012. Da er so gut erhalten ist, muss er entsprechend oft auf Reisen gehen, weil andere Museen dieses wertvolle Stück auch gern ausstellen wollen.

Ullastret Caps tallat schädel mit NagelKriegstrophäen, ein ursprünglich keltischer Brauch

Neben geschmiedeten Schwertern und anderen Gegenständen aus Eisen, entdecke ich in einer der Vitrinen ein paar kleine, alte Geldstücke. Obwohl die Iberer keine eigenen Münzen prägten und vom Tauschhandel lebten, hat Gabriel hier in Ullastret vor ein paar Jahren einen echten Schatz gefunden. „Ein einmaliges Erlebnis im Leben eines Archäologen!“ Die vorwiegend aus Griechenland stammenden Silbermünzen nutzten die Iberer zum Handel mit den Griechen oder tauschten sie zum Gegenwert des Silbers.

Auch eine Schrift hatten sie schon, die Iberer. Sie ähnelt der phönizischen und der griechischen Schrift und bestand aus Zeichen, die sowohl Silben als auch Buchstaben bedeuten konnten. „Mehr oder weniger hat man zwar inzwischen ableiten können, wie diese iberische Schrift gelesen und ausgesprochen wurde, aber bisher fehlt uns noch der Rosettastein.“ lacht Gabriel. Bis heute hat noch niemand diese Schrift entschlüsselt! Wir wissen also nicht sicher, was auf den Dokumenten steht.

Ullastret Münzen
Ullastret schrift der Ibererdie bis heute nicht entschlüsselte Schrift der Iberer

… und Ullastret heute?

Im vierten Jahrhundert gab es mehrere große iberische Siedlungen auf dem Boden des heutigen Kataloniens. Eine davon befand sich in der Nähe von Tarragona, die dann von den Römern komplett aufgesaugt wurde, eine andere lag im Maresme, in der Nähe von Matarò. Ullastret war jedoch bedeutend größer als diese beiden. Jedenfalls bis zur Ankunft der Römer.

Während die Eroberer kleinere Dörfer und Ortschaften bestehen ließen und sie sogar für ihre eigene Versorgung nutzen, scheint es als ob die große Stadt auf dem Hügel dem Erdboden gleichgemacht worden wäre. Auch das spricht für die Bedeutung der iberischen Siedlung, die hier einst stand. Warum hätten sich die Römer sonst die Mühe gemacht, sie zu vernichten, wenn sie nicht Rebellion und Aufstände befürchteten? Eine andere Theorie besagt jedoch, dass Ullastret von den Iberern verlassen wurde, weil es zu einer wirtschaftlichen Krise gekommen sei und andere, kleinere Städte, immer mächtiger wurden. Mehr Gewissheit werden da wohl erst weitere Ausgrabungen schaffen.

Nach diesem Rundgang gehen wir dann doch nach draußen. Es regnet leider noch immer in Strömen. Unter Regenschirmen Schutz suchend, können wir nur einen kurzen Blick auf die ausgegrabenen Reste der Iberersiedlung werfen.

Was man heute sicher weiß, ist dass die Siedlung zur Blütezeit der römischen Herrschaft an der Küste bereits verlassen war. Erst als Karl der Große im Norden der iberischen Halbinsel die Spanische Mark errichtete, bauten die Truppen der karolingischen Herrscher hier auf dem Hügel eine kleine Burg. Der Blick über die gesamte Ebene ist schon genial. Gabriel zeigt uns die Reste der alten Burgtürme. Weiter unten sehen wir den Kirchturm des im Mittelalter entstandenen Dorfs von Ullastret.

Eigentlich wollten wir von der Ausgrabungsstätte hier oben einen alten Weg hinab bis ins mittelalterliche Dorf spazieren. Ich komme sicher bald wieder, aber dann bei Sonnenschein, und dann spaziere ich auf dem alten Weg von den Ruinen hinunter ins Dorf!

(NACHTRAG) Ullastret bei Sonnenschein: 

Es hat zwar länger gedauert, als gedacht, aber gerade war ich wieder in Ullastret und habe Michi die alten Ruinen der Iberersidelung gezeigt. Mit dem Audioguide sind wir bei schönstem Sonnenschein durch die Anlage spaziert. Er war von den alten Iberern und von der Tatsache fasziniert, dass hier mal ein riesiger See gewesen ist. Total megagenial ist der neue 3D-Film im Museum, ganz oben auf dem Hügel. In einem kleinen Raum entsteht um uns herum die Stadt der Iberer und aus den Lautsprechern erklingt eine Geschichte (auf Deutsch). Wir waren so begeistert, wir haben den Film gleich zweimal gesehen!

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Hinter Michi, dort wo jetzt die grünen Felder sind, lag einst der große See

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Infos zu Ullastret und iberischen Siedlungen:

Archäologisches Museum Ullastret
Afores, s/n.
Puig de Sant Andreu
17114 Ullastret/ Girona
Website: www.mac.cat
Eintritt: für Erwachsene 4 Euro

Links zum Thema:

Die hier ansässigen Iberer gehörten zum Stamm der Indigeten.
patrimoni.gencat.cat 
www.xtec.cat

Hinweis: Vielen Dank an Gabriel für die spannende Führung in die Welt der Iberer und an das Patronat de Turisme de Girona Costa Brava für die Unterstützung bei der Recherche.