Was Tourismus mit Menschenrechten zu tun hat:
Wie kann es sein, dass trotz Corona und Klimakrise die Zahl der Flugreisen in den letzten Jahren und Jahrzehnten exponentiell gewachsen ist? Tourismus ist eine Industrie geworden, eine profitable Maschine, die nicht aufhört zu laufen und Geld zu produzieren. Das Problem dabei ist, dass gleichzeitig die Armut in genau den Ländern, Städten und Regionen steigt, in denen die Besucherzahlen explodieren. Wasserknappheit, Wohnungsmangel, prekäre Arbeitsbedingungen, Tierquälerei, Kinderarbeit sind genau dort drängende Probleme, wo die Touristen am allerliebsten Selfies auf Instagram posten. Was machen wir falsch? Und was können wir anders machen?
Das Problem ist, dass wir uns gar nicht bewusst sind, was wir alles kaputt machen, indem wir reisen, wie wir heute reisen. Während wir in den 80er Jahren mit dem Rucksack auf den Schultern und der Landkarte in der Hand ganz ohne Internet und Handy durch die Welt zogen, billige Hotels zu Fuß abklapperten, um ein freies Zimmer zu finden, ist das Abenteuer des Reisens längst zu einem Konsumgut geworden. Als ich vor beinah 40 Jahren Tulum besuchte, gab es neben den Ruinen der Mayatempel nur eine Ansammlung weniger, sehr einfacher Hütten. Um von Mexico D.F. dorthin zu gelangen, hatte ich eine mehrtägige Busfahrt hinter mir… Ich weiß nicht, wie es dort heute aussieht und will es auch gar nicht wissen.
Drei Monate war ich bei meiner ersten Reise in Mexiko unterwegs, habe viele Bücher über das Land und die Menschen gelesen, ihre Sprache gelernt und versucht, ihre Kultur zu verstehen. Michi hat ähnliche Erlebnisse in Brasilien gemacht und wir pflegen noch immer Freundschaften aus dieser Zeit. Ich will nicht sagen, das früher alles besser war. Das war es bestimmt nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass die Essenz des Reisens, das, was das Reisen ausmacht, in der Zwischenzeit verloren gegangen ist. Wir bemühen uns nicht mehr, etwas über die Menschen und die Länder, die wir besuchen, zu lernen. Im Gegenteil. Wir benehmen uns so schlecht, wie wir uns zu Hause nie benehmen würden. Wir betrinken uns, lärmen und produzieren Müll, respektieren weder fremde Tempel, Kulturen, noch die Umwelt der Orte, die wir besuchen.
Schon öfter habe ich hier meine Gedanken mit dir geteilt. Probleme des Massentourismus in Barcelona, Nachhaltig reisen und Nachhaltig reisen an der Costa Brava. Auch Lina hat in ZDF und ARD Online-Plattformen mehrfach über das Problem des Massentourismus diskutiert. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir uns einfach nicht darüber im Klaren sind, was wir alles anrichten, wenn wir so reisen, wie wir das heute tun.
„Safari“ im Reisfeld
Verantwortung übernehmen
Vor Kurzem fand in Sitges ein Treffen statt, bei dem sich verschiedenste Akteure aus den Bereichen der Stadtverwaltung, politische Entscheidungsträger, Weinbauern, Tourguides, Campingplatzbetreiber, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an einen Tisch gesetzt haben, um das Thema Tourismus neu zu behandeln. Dieses von Forum anders Reisen und Katalonien organisierte Symposium hatte sich zum Ziel gesetzt, die Problematik von allen Seiten zu betrachten und diesem dringenden Thema mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Denn der erste Schritt, um eine Verbesserung der derzeitigen Situation herbeiführen zu können, ist herauszufinden, wer die Akteure sind. Wer leidet unter dem Massentourismus, wer profitiert davon? Worin liegt die Unzufriedenheit der Bevölkerung begründet? Worüber beschweren sich die Einheimischen und was wünschen sie sich?
Reisen ist wichtig, denn es kann uns Menschen miteinander verbinden, unsere Augen dafür öffnen, dass es andere Kulturen, andere Lebenswege gibt, als die, die wir aus unserer Heimat kennen. Wir können andere Landschaften, andere Küchen, andere Tänze, Traditionen und Geschichten kennenlernen. Doch das funktioniert nur, wenn wir wirklich in Kontakt miteinander treten und nicht nur Länder sammeln, um Selfies zu veröffentlichen. In den von Billigflügen, Internet und Social Media geprägten Generationen (oder Gesellschaften?) ist aber die eigentliche Erfahrung des Reisens verloren gegangen.
Besser Informieren
Je besser wir uns vor einer Reise informieren, je mehr wir über eine Destination wissen, umso eher können wir uns vor Ort nachhaltig verhalten. Wir können dank des Internets herausfinden, welche Unterkünfte und Aktivitäten den Einheimischen nutzen bringen und welche womöglich Schaden anrichten. Allein sich die Frage zu stellen, wohin fließt das Geld, das ich für dieses Hotel oder diese Tour ausgebe, kann dazu beitragen, eine wichtige Entscheidung zu treffen. Wenn meine Reiseausgaben die Kassen großer internationaler Unternehmen klingeln lassen, ist es ziemlich sicher, dass kleine Familienbetriebe vor Ort nicht von dem „Geld, das wir dort lassen“ profitieren werden. Im Gegenteil, wir machen die Reichen noch reicher und die Armen immer ärmer. Ob Mallorca, Malediven oder Bahamas, viel zu oft werden Einheimische aus ihren Städten vertrieben und können sich das Leben nur noch in den Randgebieten der Metropolen oder fern ab der luxuriösen Beach-Ressorts leisten. Besonders die Kreuzfahrtschiffe tragen daher – sehr zu Recht, wie ich finde – zum Unmut der Bevölkerung bei. Und das nicht nur in Barcelona oder Málaga wo diese mächtigen Schiffe tagein tagaus Tausende Menschen aus ihren Bäuchen in die engen Gassen der Altstadt spucken, ohne dass die kleinen Läden, Hotels oder Restaurants irgendetwas an diesen Touristenmassen verdienen.
Natürlich hat jeder Mensch das Recht darauf, sich von der Arbeit zu erholen und zu entspannen. Aber Strandurlaub ist kein Menschenrecht. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Zugang zu Wasser und ein bezahlbares Dach über dem Kopf schon.
Was kann ich tun?
Damit nachhaltiges Reisen nicht nur ein gut klingender Begriff ist, den sich große Firmen zum Greenwashing auf ihre Fahne schreiben, können wir alle etwas beitragen. Angefangen damit, jede Entscheidung, die wir beim Reisen treffen, wirklich zu hinterfragen. Welchen Einfluss hat diese Entscheidung auf die Umwelt und auf die Menschen der Destination, die ich bereise? Denn nachhaltig unterwegs zu sein, meint nicht nur die Umwelt zu schützen, sondern auch wirtschaftlich und sozial verträglich mit dem Leben vor Ort umzugehen.
Seit mehreren Jahren bin ich fast nur noch in Spanien und Portugal, also bei mir vor der Haustür unterwegs, fahre so viel wie möglich mit der Bahn (was in Spanien meist ziemlich gut funktioniert), und übernachte meistens in kleinen Unterkünften oder Pensionen. Gerade auf dem spanischen Festland gibt es noch so viele wunderschöne Regionen, die kaum von Touristen „entdeckt“ sind, dass ich jedes Mal aufs Neue verwundert bin, wieso sich die Menschen ständig an denselben Orten stapeln, während andere beinah leer sind. Vermutlich wird dir auch aufgefallen sein, dass dieser Blog nicht versucht, dir irgendwelche Reise-Gadgets, Selbstverwirklichungskurse, Online-Tickets oder sonst etwas zu verkaufen. Meine Artikel und meine Bücher sollen vielmehr Hintergrundinformationen liefern, Lust darauf machen, außerhalb der üblichen Touristenpfade das vielleicht weniger glamouröse, aber dafür authentische Spanien mit gastfreundlichen, bescheidenen und herzlichen Menschen kennenzulernen. Denn ich bin fest überzeugt davon, dass man auf Reisen viel mehr sieht und lernt, wenn man sich vorher schon mit der Region beschäftigt hat.
Weitere Links zum Thema
Roundtable Human Rights in Tourism : www.humanrights-in-tourism.net/resource-center
BBC World auf youtube Overtourism: How to be a responsible tourist
Unbedingt ans Herz legen will ich dir den Spanien-Podcast der beiden Korrespondentinnen Julia Macher und Antonia Schäfer: open.spotify.com Sangría und sonst?
Liebe Nicole, Du schreibst mir aus der Seele!!!