Covilhã, die Stadt aus Wolle und Schnee, war lange Zeit ein wichtiger Standort der Textilindustrie, das „Manchester“ Portugals. Durch die Nähe zur Serra da Estrela, in der die Schäfer ihre Herden weiden lassen, und die beiden kleinen Flüsse, die praktisch durch den Ort fließen, war Covilhã prädestiniert für die Verarbeitung der Wolle. Jahrzehntelang bestimmten die Textilfabriken das Stadtbild und das Leben der Menschen. Oben in den Bergen kann man im Sommer noch heute Schäfer antreffen, die dort ihre Herden grasen lassen. Aber die Wahrscheinlichkeit auf Wanderer oder Mountainbiker zu treffen, ist mindestens genauso groß.

Die Textilindustrie erlitt nach dem Boom zu Anfang des letzten Jahrhunderts eine schwere Krise, von der sie sich bis heute kaum erholt hat. Während der Kolonialkriege Portugals unter Diktator Salazar und auch noch nach der Nelkenrevolution war das Land von einer Welle der Emigration betroffen. Die Menschen zogen weg aus den heimatlichen Dörfern, weil das Einkommen nicht mehr zum Überleben reichte. Viele von ihnen gingen nach Frankreich, Deutschland, Amerika, in die ganze Welt hinaus. Ein wahrer Exodus, der auch die Region um Covilhã betraf.

 Textilindsutrie Covilhã Burel Factory Manteigas Foto Burel Factory in Manteigas

Das historische Zentrum von Covilhã begann zu zerfallen. Die Häuser wurden verlassen und kaum jemand hatte Geld für die notwendigen Reparaturen. Das soziale Gefüge der Stadt in den Bergen war durcheinander geraten. Alte Strukturen griffen nicht mehr und die Menschen mussten sich neu organisieren. Zum Glück wurde eine Universität gebaut, die Studenten und junge Menschen hierher brachte und den Menschen half, einen neuen Zusammenhalt zu finden.

Vor ein paar Jahren haben Elisabet und ihr Mann Pedro es sich zur Aufgabe gemacht, das historische Viertel wieder mit Leben zu füllen. In ihrem kleinen Laden A Tentadora erzählt Elisabet von dem großen Projekt, dem Street Art Festival. Mit der Gründung des WOOL haben sie einen ersten großen Schritt gemacht. (Fast) jedes Jahr gelingt es ihnen, neue Künstler aus Portugal, Spanien, Argentinien, Belgien, Polen oder den Niederlanden einzuladen, die dann mit ihren bunten Werken den alten Wänden neues Leben einhauchen.

A tentadora Street Art Wool fest in Covilhã

Natürlich überlegen sie zusammen mit den Künstlern welche Wand und welches Thema am besten passen könnte, denn nicht jeder arbeitet gleich. Einige der Urban Artists haben sich auf Porträts, andere auf Tiere oder Natur spezialisiert. Auch die angewandten Techniken sind sehr verschieden. Während der drei Wochen, die das Street-Art-Festival dauert, arbeiten alle gleichzeitig an verschiedenen Wänden im Viertel. Was aber allen Teilnehmern gemeinsam ist, ist der Bezug auf die Region. Jeder Künstler kann das Thema seinem eigenen Stil entsprechend interpretieren, nur der Bezug auf das Leben in und um Covilhã muss irgendwie gegeben sein.

Wool Festival

Doa Oa zum Beispiel hat Pflanzenmotive gewählt. Es sind natürlich nicht irgendwelche Pflanzen, sondern die, aus denen die wichtigsten Farbstoffe zum Färben der portugiesischen Uniformen gewonnen wurden.
(Nr. 8 – 2014)

ODA OA Street Art Wool fest in Covilhã

Der Argentinier Bosoletti hat zusammen mit den Tänzerinnen des Balletts von Covilhã eine ganz besondere Art der Darstellung gewählt. Sein Negativbild zeigt den schwierigsten Moment in der Geschichte der Stadt, nämlich den Zerfall der alten Strukturen und die Wirkung auf die Einwohner. Fallend, im leeren Raum schwebend, greifen die Frauen nach den Händen der Anderen und versuchen sich gegenseitig Halt zu geben.
(Nr. 15- 2017)

Bolsoletti Street Art Wool fest in Covilhã

 Street Art Wool fest in Covilhã bolsoletti

HalfStudio hingegen kommt ganz ohne Bild aus und arbeitet stattdessen mit Buchstaben. Sein Text ist ein Zitat aus einem berühmten Fado, nämlich Covilhã, Cidade Neve der Sängerin Amália Rodrigues. Erst bei genauerem Hinsehen erkenne ich im Hintergrund der Zeilen auch die Buchstaben hinter dem Text: Amor steht da, riesengroß in Dunkelblau.
(Nr. 17-2017)

HAlfstudio Street Art Wool fest in Covilhã

Fado Street Art Wool fest in Covilhã

Third hat sich für die Darstellung einer Maschine als Herz der Stadt entschieden. Titel: Coração
(Nr. 18 – 2017)

THIRD Street Art Wool fest in Covilhã

Kram erzählt mit seinem Bild eine ganze Geschichte. Es ist die Legende einer Schlange, die die Bewohner eines Dorfes der Gegend quälte und immer mehr Tiere und Menschen auffraß. Als sie eines Tages Licht in einem der Häuser sah, schlängelte sie sich hinein, um die Bewohner zu fressen. Doch das Licht kam von einem großen Feuer im Kamin und die böse Schlange, gefangen im Haus, verbrannte.
(Nr. 5 – 2012)

KRAM Street Art Wool fest in Covilhã

Add Fuel hat das Thema der traditionellen portugiesischen Kacheln abgewandelt. Seine Kacheln zeigen nur scheinbar die typischen Motive der azulejos. Erst wenn Du genauer hinsiehst, erkennst Du, dass er die traditionellen Motive entfremdet und durch Geister und Fratzen ersetzt hat. In Covilhã hat er seine azulejos mit verfremdeten Motiven der traditionellen Wollstoffe ergänzt. Wie ein überdimensionales Musterbuch blättert sich seine Version der Stoffmuster an einer Mauer entlang.
(Nr. 6 – 2014)

ADDFUEL Street Art Wool fest in Covilhã

Besonders beeindruckend finde ich Tamara Alves Weberin, eine Frau die mit drei Armen wie eine indische Göttin, an einem traditionellen Kleid webt. Die Fäden dazu kommen aus ihrem eigenen Herzen. Augen haben die Figuren bei Tamara Alves grundsätzlich nicht, weil sie den Fokus nicht das Gesicht, sondern auf die Gesten legen will.

TAMARA ALVES Street Art Wool fest in Covilhã

Pantonio stammt von den Azoren und arbeitet mit einer besonderen Technik. Er grundiert zunächst schwarz und holt das gewünschte Bild dann nach und nach hervor. Jeder Bewohner von Covilhã erkennt in seinem Bild sofort den morgendlichen Ansturm der Schwalben auf die Altstadt. Jedes Jahr im Frühjahr erobern die kleinen blauen Zugvögel am Morgen den Himmel und geben ihr nicht zu überhörendes Konzert. Dann verschwinden sie wieder, bis zum nächsten Jahr.
(Nr. 11 – 2015)

PANTONIO Street Art Wool fest in Covilhã

Senhor Viseu ist ein Nachbar aus dem Viertel. Er selbst war mehr als überrascht und ehrlich gerührt, als er sein Konterfei auf einer Wand im der Rua das Portas do Sol erkannte. Samina hat den netten älteren Herrn als Symbol hier verewigt. Er steht für die nette Nachbarschaft, den Zusammenhalt der Bewohner und die Gemeinschaft des kleinen Viertels.
(Nr 12 -2015)

SAMINA Street Art Wool fest in Covilhã

Die blauen Schäfer des Arm Collective, bestehend aus RAM und MAR, sind die Nummer 1 auf dem Rundgang. Die beiden Künstler spielen mit den Blautönen der benachbarten Kirche Igreja de Santa Maria Maior und ihrer Verkleidung in traditionellen azulejos.
(Nr.1 – 2011)

Arm Collective Street Art Wool fest in Covilhã

Direkt um die Ecke befindet sich das Werk des Niederländers Gijs Vanhee. Es zeigt die Legende der Freundschaft zwischen einem Hirten und einem Stern, nach der die Serra da Estrela ihren Namen erhalten haben soll.
(Nr.13 – 2016)

 Street Art Wool fest in Covilhã

Regg Salgado zeigt die Hände der Frauen, die die fehlerhaft gewebten Stoffe per Hand nachbereiten mussten. Draw hat am ehemaligen Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr ein Porträt des in Covilhã geborenen Dichters Barat angefertigt. Barat macht poesia visual und lebt in Brasilien. Bordalo II hat in seiner weisen Eule jede Menge Material recycelt, die Katalanin BTOY hat einen traditionellen portugiesischen Schäfer dargestellt, Mr. Dheo ein nähendes Mädchen. Es gibt noch viel mehr große und kleine Kunstwerke. Poesie in Bildern. Lata 65 hat eine tolle Aktion, einen Graffiti Workshop für ältere Menschen, veranstaltet. Und immer wieder kommen neue Wandgemälde dazu und einige verschwinden leider auch.

Bordalo II Street Art Wool fest in Covilhã

BTOY Street Art Wool fest in Covilhã

MR DHEO Street Art Wool fest in Covilhã

DRAW Street Art Wool fest in Covilhã

Langsam wird wieder investiert im Viertel. Häuser werden repariert und der lange Zeit etwas heruntergekommene historische Stadtkern von Covilhã strahlt wieder Lebensfreude aus. Das Festival hilft dabei, kleine Läden, Restaurants und junge Bewohner in die alten Gassen zu holen. Wenn die Künstler während des Festivals tagtäglich an ihren Werken arbeiten, verfolgen die Bewohner das Voranschreiten der Bilder genaustens mit. Sie kommentieren die Skizzen die da vor ihren Augen entstehen, und freuen sich über die farbenfrohen Wände, die ihr Viertel wieder schön machen. Alle freuen sich über die Künstler, man kennt sich und grüßt sich.

 Street Art Wool fest in Covilhã

Infos zum Wool Festival und Covilhã

In Elisabets kleinem Laden A Tentadora kriegst Du einen Stadtplan, auf dem alle Wandgemälde eingezeichnet sind (Die Zahlen, die ich hier bei den Fotos angegeben habe, beziehen sich auf diesen Plan, auf dem die Namen der Künstler und die Jahreszahl des Festivals angegeben sind). Mit etwas Glück hat Elisabet Zeit, und Du kannst Dich noch ein bisschen mit ihr oder ihrem Mann über das Festival unterhalten. Die beiden sind super nett und wirklich engagiert dabei, das alte Viertel (wieder) liebenswert zu machen. Mittlerweile finden sie immer wieder kleinere Kunstwerke, die unaufgefordert auch außerhalb des Festivals an den Wänden des Viertels entstehen. Auf Woolfest kannst Du die Entwicklung der Urban Art mitverfolgen. Jetzt fehlt eigentlich nur noch Aryz. Ich bin sehr gespannt, ob eines seiner Bilder hier auch bald von den Wänden strahlen wird  🙂

A Tentadora 
Rua Alexandre Herculano 21
6200-138 Covilhã
FB: @atentadora

Lecker essen kannst Du in der Casa das Muralhas, zu Füßen der ehemaligen Burg, die hier einst stand. Ein 2018 also noch relativ neu eröffnetes Restaurant, mit sehr leckerer Küche. Chef Pedro Rosa sorgt dafür, dass auch Vegetarier und Veganer viele leckere Optionen zur Auswahl haben! In dem kleinen Hotel nebenan werden auch Zimmer vermietet.

Casa das Muralhas
Rua Pedro Álvares Cabral 5,
6200-162 Covilhã
Website: casadasmuralhas.pt

Casa das Muralhas Covilhã

casa das muralhas Street Art Wool fest in Covilhã

casa das muralhas Street Art Wool fest in Covilhã
casa das muralhas Street Art Wool fest in Covilhã

Übernachtung:
Geschlafen habe ich im Puralã Hotel, in dem sich alles ums Thema Wolle dreht. Sogar Wollmassagen haben sie dort!

Puralã Wool Valley Hotel & Spa 
Rua Alameda Pêro da Covilhã
6200-050 Covilhã
Website: www.puralahotel.com.pt

Hotel Purala in Covilhã   Hotel Purala in Covilhã
Der Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise, zu der ich von TCP/ARPT Centro de Portugal eingeladen wurde.