Der Mond scheint hell in mein Fenster, als ich am Morgen in der Sierra Espuña aufwache. Gegenüber fällt sein Licht auf einen Felsen, über dem ein hübsches rotes Gebäude thront. Keine Autos, keine Maschinen, kaum ein Vogel zwitschert. So still ist es hier. Totale Ruhe. Als ich zum Frühstück hintergehe, strahlt die Sonne bereits über die Hügel der Sierra hinweg und trifft auf das kleine Hotel, das Andres mit seiner Familie und ein paar Angestellten betreibt.

Bajo el Cejo besteht aus mehreren alten Landhäusern, bzw den Ruinen der ersten Häusern, die die Einwohner von El Berro errichtet hatten. Aufwendig und sehr liebevoll restauriert fügte Andres die Gebäude und eine alte Mühle zu einem kleinen Ecohotel zusammen. Der Name bedeutet „unter dem Felsüberhang“, denn die ersten Häuser hatte man im Schutze dieses Cejos gebaut. Zum Abendessen gestern habe ich bereits den hauseigenen Wein und das hauseigene Olivenöl probiert. Auch die Marmelade zum Frühstück ist hausgemacht und extrem lecker. Ich liebe es, wenn die Küche wie hier mit regionalen Zutaten arbeitet.

Von El Berro aus breche ich zu einer kleinen Entdeckungsreise durch die Sierra Espuña auf. Viele Wander- und Radwege soll es hier geben, die ich natürlich nicht alle an einem Tag machen kann, leider. Wie so oft erschnuppere ich heute die Möglichkeiten, um irgendwann einmal mit mehr Zeit wieder zukommen.
Los Barrancos de Gebas
Auf dem Weg in die Sierra bin ich an zahllosen Mandelhainen vorbeigekommen. Im Februar, wenn die Mandelblüte ansteht, muss die Gegend sich in ein Meer aus zartrosa und weißen Blütenblättern verwandeln. Jetzt im Herbst stehen die Bäume ziemlich leer und nackt auf den Feldern. Ein feiner morgendlicher Nebel hängt um diese Jahreszeit über der Landschaft. Erst gegen Mittag klart es auf und die Sonne strahlt beinah sommerlich warm vom Himmel.


Die erste Station meiner Entdeckungsreise durch die Sierra ist ein Aussichtspunkt, von dem aus man die wüstenartigen Barrancos de Gebas überblickt, hinter denen sich das türkisfarbene Wasser des Embalse de Algeciras staut. Diese Gegend ist so trocken, dass es weniger regnet als in der Sahara, erklärt mein Guide Javier, der sich in der zum regionalen Naturpark erklärten Sierra bestens auskennt. Das Wasser, das sich bei dem Dörfchen Alhama de Murcia staut, ist Regenwasser, das so viele Mineralien und Salze aus dem Boden gelöst hat, dass es extrem salzig ist. Javier zeigt mir Fotos von einer Stelle, an der er mit seinem Sohn große Salzflocken sammelt, denn es gibt hier tatsächlich Salinen. Heute morgen ist nicht viel Wasser in dem Stausee, aber auch so ist die Landschaft umwerfend schön. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es zu einer anderen Jahreszeit aussehen muss, wenn die Sonne auf das Wasser inmitten der mondkraterartigen Hügel scheint. Wahnsinnig schön.


Javier zeigt mir nicht nur die Landschaft, sondern erklärt mir auch ein paar der Pflanzen am Wegesrand. In dieser kargen Gegend wächst zum Beispiel eine Staude, die dem wilden Fenchel ähnlich sieht, und ein grünblättriges Kaperngewächs. An dem eher flachen Strauch mit relativ harten Blättern und ein paar Dornen entwickeln sich im Frühjahr die Blüten, aus denen dann die Früchte wachsen. Hier isst man nicht nur die Blüten und Früchte, sondern legt ganze Stängel der jungen Pflanze in Salzlake und Essig ein. So haltbar gemacht, kommen die Tallos de alcaparras auf Salate oder werden als Beilage serviert.

Gebas ist der kleine Ort bei der wüstenartigen Landschaft Barranco de Gebas.Vereinzelte kleine Häuser, eine beliebte Radstrecke. Paul, ein Engländer, hat dort ein Gästehaus und sorgte dafür, dass die Straße asphaltiert wurde. Von Gebas aus machen wir uns auf den Weg in die Wälder der Sierra Espuña, die vor etwas über hundert Jahren ganz anders aussah als heute. Jahrhunderte lang hatten die Menschen die Bäume abgeholzt, um Schiffe zu bauen oder im Winter ihre Häuser mit einem Feuer zu heizen.
Sierra Espuña
Im 19. Jahrhundert waren die Hügel der Sierra eine öde Steppenlandschaft. Die nackten Böden konnten das Regenwasser nicht mehr halten, sodass es 1879 zu einer schlimmen Flutkatastrophe kam, La Riada. In einer Oktobernacht fiel in der Gegend der Sierra so viel Regen, dass die Flüsse über die Ufer traten, in der Ebene standen Gärten und Felder unter Wasser. Besonders schlimm traf es die Stadt Murcia. Zahllose Häuser wurden zerstört, viele tausend Menschen starben bei dieser Flutkatastrophe.

Sofort wurden Stimmen laut man müsse eine Mauer errichten, um die Stadt vor solchen Wassermassen zu schützen. Doch es gab einen Mann, der diese Überlegungen sofort verwarf und stattdessen einen Plan zur Wiederaufforstung der Sierra vorschlug. Ricardo Codorníu, auch der Apostel der Bäume genannt, war ein einflussreicher Mann, auf den man hörte. Dank seiner Kontakte gelang es, Geld für das Mammutprojekt aufzutreiben. Mit Spezialisten wie Ramón Melgarez, Juan Ángel de Malrienda und José Musso machte sich Ricardo Codorníu an die Arbeit. Doch die ersten Bäume, die sie als Samen in die Erde setzten, gingen nicht an. Schließlich gelang es, die zuvor in einer Baumschule gezogenen Setzlinge der Bäume anzupflanzen. Es war ein langwieriges, schwieriges Projekt.
Heute besteht die Sierra vor allem aus pinos carrascos, Aleppo-Kiefern, in den höheren Lagen wachsen Schwarzkiefern. Nach rund 20 Jahren hatten er und sein Team nicht nur Zigtausende Bäume gepflanzt um die Erosion zu stoppen, sondern auch unzählige Forstwege angelegt. Heute ist das kleine Informations- und Bildungszentrum inmitten der Sierra nach ihm benannt.

Auf unserem Weg entdecken wir immer wieder spannende Kräuter: la Bolsa de Pastor (dt. Hirtentäschelkraut), das die Frauen als blutstillendes Mittel oder bei Menstruationsbeschwerden nutzten, oder Marrubio (dt. Andorn) ein typisch mediterranes Kraut, das gegen Verdauungsbeschwerden, Koliken oder Entzündungen hilft.

Als ich Javier nach Waldbränden frage, die in vielen Regionen Spaniens aufgrund der Trockenheit ein echtes Problem sind, beruhigt er mich. Diese Gefahr sei hier zum Glück seit vielen Jahren, besonders seit die Sierra Espuña zum Regionalen Naturpark erklärt wurde, unter Kontrolle. Seit Jahren habe es keinen Brand gegeben. Vermutlich hilft auch die Tatsache, dass hier niemand mit den Waldflächen spekulieren kann

Inmitten der Sierra kommen wir auf unserem Weg an ein paar ganz besonderen Gebäudekomplexen vorbei. Da ist ein verlassenes Sanatorium, das in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet wurde, um Tuberkulosekranke zu behandeln, die Casa Marina, einen ehemaliger Rückzugsort für Marinesoldaten und das Informationszentrum Ricardo Codorniu. Ganz in der Nähe des Zentrums liegt die Casa Avión, ein Anfang der dreißiger Jahre in Form eines Flugzeugs entworfener Gebäudekomplex für Piloten der Luftwaffe, der jedoch aufgrund des Ausbruchs des Spanischen Bürgerkriegs nie fertiggestellt wurde. Bis heute sind die Mauern der unvollendeten Grundstrukturen erhalten geblieben. In der Anlage gibt es sogar einen kleinen Aussichtsturm.

Schließlich erreichen wir den Collado Bermejo, einen Aussichtspunkt auf 1200 Metern Höhe, an dem sich die tiefste und gleichzeitig auch die höchste Stelle der Sierra kreuzen. An guten Tagen reicht der Blick von hier aus bis nach Andalusien, Javier meint, man könne dann sogar die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada sehen. Heute ist die Sicht leider nicht die beste, aber dennoch kann man den Blick von hier aus über die grünen Hügel um uns herum und die Gipfel über uns schweifen lassen. Zahlreiche Wanderwege wie der über die Dientes de la vieja, zur Peña Apartarda starten hier, sogar ein alter Transhumanz-Pfad, auf dem die Hirten einst die Tiere die Berge hinauf, bzw hinab trieben, führte hier entlang.



Schneehäuser – Pozos de Nieve
Immer wieder entdeckt Javier Pflanzen und Kräuter, die er mir erklärt, wie die Oreja de liebre, Hasenohren, aus denen die Menschen früher einen Docht für ihre Lampen flochten. Aus den harzigen Wurzeln des Wachholderbeerstrauchs gewannen sie ätherische Öle, die gegen unangenehmen Schlangenbisse der hier verbreiteten Vipern helfen sollten. Er zeigt mir ein stacheliges Kissen aus harten Gräsern, das den Namen Culo de Monja trägt, ein nach Zitrone duftendes Kraut aus der Familie des Majoran und eines, das mich an Anis oder Lakriz erinnert.

Schließlich erreichen wir die Pozos de Nieve, ehemalige Schneehäuser, die wie steinerne Iglus in der Landschaft stehen. 28 Stück waren es, die in rund 1.400 Metern Höhe noch bis 1926 als Eisfabriken dienten. Von hier aus wurde das in den Pozos hergestellte und gelagerte Eis des Nachts nach Cartagena transportiert. Obwohl man die kühleren nächtlichen Temperaturen nutzte, schmolz rund 60 % des Eis auf dem Weg dorthin.


Die Schneehütten stehen wie stumme Wächter auf einer Lichtung. Diese Lichtung gehörte praktisch zu den Pozos de nieve dazu, denn da es hier keinen Fluss gab, dessen gefrorenes Wasser man Schneiden und aufbewahren konnte, musste man den gefallenen Schnee zusammenkratzen, und zu Eisblöcken pressen. Um möglichst sauberes Eiszu erhalten, reinigten die Arbeiter die Umgebung der Lichtung vor dem ersten Schneefall, in dem sie Grünzeug und Geröll entfernten. Sobald dann die weiße Pracht vom Himmel fiel, kratzte man den Schnee zusammen und stapelte je eine Schicht Eis und eine Schicht der ausgerupften Kräuter, das war notwendig, damit das Eis nicht zu einem einzigen, großen Block verschmolz. Auf diese Weise wurde der Eisbrunnen bis oben hin gefüllt.

Abnehmer für das Eis aus der Sierra Espuña waren zunächst vor allem Krankenhäuser, die Impfmittel kühl halten mussten. Bald jedoch entwickelte sich das Produkt zu einer begehrten Luxusware.
Javier führt mich zwischen den Pozos herum, von denen einige aus den verlassenen Überresten rekonstruiert wurden, viele jedoch nur noch aus einem Steinhügel bestehen. Ursprünglich errichtete man die ersten dieser Pozos im 16,/17, Jahrhundert aus Trockenstein, also ohne Zement. Ungefähr 12 Meter tief war so eine Hütte. Im Winter mussten die Männer in wechselnden Schichten arbeiten, weil es auf längere Zeit einfach zu kalt war. Insgesamt stellten sie hier jedes Jahr mehrere Tausend Tonnen Eis her. Es gab ein kleines Wohnhaus und sogar eine Kapelle für die Arbeiter. Die Blöcke wurden so geschnitten, dass sie auf den Rücken eines Esels passten, das einzige Transportmittel, das man damals zur Verfügung hatte.


Javier erzählt, dass es sogar Überfälle gab und das schwer erarbeitete Eis auf dem Weg nach Cartagena geraubt wurde. Als 1926 im Tal die erste Eisfabrik errichtet wurde, stellte man die Produktion in den Pozos de Nieve ein und die Hügel begannen zu verfallen..
Bevor wir uns auf den Rückweg machen, entdeckt Javier mit dem Fernglas noch ein paar einheimische Bergziegen, Arruí, die auf einem entfernt gelgenen Felsvorsprung grasen.

Voll mit Eindrücken erreichen wir das Restaurante Los Donceles, in dem unsere Entdeckungsreise durch die Sierra Espuña ausklingt. Zu den typischen Gerichten der Sierra gehören nicht nur die eingelegten Kapernzweige, die ich hier probieren darf, sondern auch Jarullos, ein püreeartiges Eintopfgericht und einen Pisto Murciano, ein Gemüsegericht. Zum Schluss gibt es noch einen leuchtend gelben Chupito, den Javier Mantellina nennt. Dieses süße Getränk aus Zitronen, Honig und Anisschnaps gilt in der Gegend von Totana als sommerlicher Erfrischung. Aber darüber wie Murcia schmeckt, schreibe ich demnächst noch einen eigenen Artikel.


Informationen zur Sierra Espuña
Hotel Bajo el Cejo
Calle el Paso 1
30848 El Berro, Murcia
bajoelcejo.com



Restaurante Los Donceles
(Parque Regional de Sierra Espuña)
Las Alquerías
30859 Totana, Murcia
restaurantelosdonceles.com

Nützliche Links:
Centro visitantes Ricardo Codorniu


Hinweis: Pressereise
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