Heute verleihe ich mir selbst mein drittes Gipfelkreuz. Mein absolutes Highlight heute in Rio ist der Parque da Catacumba. Abgesehen von der Sonne, dem Strand und überhaupt natürlich. Denn in Rio kann ma ja jeden Tag etwas Neues entdecken und wird einfach nicht fertig.

Blick auf den Gipfel des Parque Catacumba Rio de Janeiro

Eigentlich war ich wieder einmal einfach nur neugierig. Neben der Lagoa de Freitas liegt dieser Park, der Parque da Catacumba, der früher eine Favela war. Nach einem kurzen Spaziergang am Ufer der Lagune entlang sehe ich schon bald den Eingang. Allerdings auf der anderen Straßenseite. Die Straße, die um die Lagoa herum führt, ist viel befahren. Fast immer staut sich hier der Verkehr. Weit und breit kein Übergang für Fußgänger zu sehen. Eine Familie wartet, genau wie ich, am Rande der Tankstelle, auf ihre Chance. Die Schlange der vorbei rasenden Autos will kein Ende nehmen. Dann ergibt sich plötzlich doch eine kleine Lücke und wir rennen alle schnell los.

Parque da Catacumba

Der Eintritt in den Parque da Catacumba ist gratis. Ich gehe einfach drauf los und sofort stehe ich im Wald. Hier und da sind ein paar Kunstwerke und Statuen in das Grün gestreut. Es geht erst ein wenig, dann richtig steil bergauf. Ein Trampelpfad führt durch die Wildnis. In der Nähe des Eingangsbereichs fliegt ab und zu jemand laut juchzend durch die Bäume, direkt über meinen Kopf hinweg. Da ist irgendwo eine Zip-Line. Weiter oben wird es schnell sehr viel ruhiger und einsamer.

Kunst im Parque da Catacumba Rio

Statue im Parque da Catacumba

Die spärlichen Hinweisschilder kann ich nicht entziffern. “Trilha” und “Mirador” steht da. Aber was bedeutet das nun? Mirador hört sich nach Aussichtsplattform an, also nehme ich den Weg. Der Weg wird immer enger. Eine Aussichtsterrasse oder so etwas in der Art ist nicht in Sicht. Das ist ja hier wie Bergsteigen. An einer kleinen Quelle angekommen, entdecke ich ein paar große Schilder mit Erklärungen zur Geschichte des Parks. Total unauffällig kann ich etwas verschnaufen, während ich ganz aufmerksam und in aller Ruhe diese Tafeln lese. Natürlich auf Portugiesisch, nur darum brauche ich etwas länger.

wandern im Parque da Catacumba

FAvela Historia Parque Da Catacumba Rio
im Parque da CAtacumba Rio de Janeiro

Jedes Stadtviertel Rios hat eigentlich eine oder meist gleich mehrere Favelas. Diese Siedlungen der vorwiegend armen Bevölkerung entstanden gegen Ende des achtzehnten, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, nachdem auch in Brasilien die Sklaverei offiziell verboten worden war. Die Großgrundbesitzerin, der die gesamte Gegend um die Lagune gehörte, überließ Ende des neunzehnten Jahrhunderts dieses Fleckchen hügeliger Erde ihren Sklaven, damit sie hier leben konnten. Man sagt, dass schon die indischen Ureinwohner, die vor der Ankunft der Portugiesen hier lebten, an diesem Hügel ihre Toten begraben hatten. Daher kommt auch der Name „Catacumba“.

In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts siedelten auf diesem kleinen Berg dann schon Tausende Menschen. In den siebziger Jahren beschloss irgendjemand in der Verwaltung Rio de Janeiros, dass diese gute Lage, so dicht an der Lagoa, doch eigentlich zu Schade für eine Favela sei. Und man begann prompt mit einer groß angelegten Umsiedlungsaktion. Bzw. genau genommen wurden die Menschen, die hier lebten, einfach fortgejagt. Viele zogen in die Cidade de Deu oder sie fanden in der Nähe des Flughafens eine neue Bleibe, eine Gegend die später als Faixa de Gaza bekannt wurde, weil es dort so viele Todesfälle und Morde gab. Das Gelände an der Lagune wurde schließlich aber doch nicht bebaut, sondern begrünt und in einen Park umgewandelt.

Blumen Parque da Catacumba

Im Parque da Catacumba
Wanderweg im Parque de Catacumba Rio de Janeiro

Als ich endlich wieder locker atme, kämpfen sich zwei Männer und eine Frau den Weg hinauf. Auch völlig aus der Puste! Zum Glück bin ich nicht die Einzige, die hier hechelnd ankommt. Einer der Männer spielt auf seinem Handy einen kleinen Film ab, den er den anderen beiden laut lachend zeigt. Offenbar hat er sie gefilmt, wie sie fluchend und schwitzend über den anstrengenden Aufstieg stöhnen. Derweil konzentriere ich mich höflich auf die Hinweistafeln. Dann ziehen sie weiter bergauf und verschwinden in den grünen Büschen und Bäumen. Ich warte noch einen Moment, dann gehe ich auch weiter.

Parque da Catacumba Lagoa Grüner Park Rio de Janeiro

Am nächsten kleinen Seitenweg sehe ich sie schon wieder. Sie haben nur ein paar Meter höher eine längere Verschaufpause eingelegt. Ich grüße lächelnd und ziehe weiter. Je höher ich komme, umso steiler wird es. Ich schwitze. Vielleicht sollte ich doch umdrehen? Ein paar Meter mache ich noch. Vielleicht gibt es ja doch hinter der nächsten Kurve eine Terrasse oder so. Aber es wird immer wilder und enger. Und steiler. Und kein Mensch ist in Sicht. Langsam höre ich mein Herz schon in den Ohren schlagen. Aber jetzt bin ich einmal hier, jetzt will ich das auch sehen. Was auch immer da oben ist. Irgendwann muss ja irgendetwas kommen. Ich mache noch eine Pause. Der Herzschlag beruhigt sich etwas. Ich gehe weiter. Hinter der Kurve steigt der Weg weiter an. Nichts als Gebüsch zu sehen. Weiter, immer weiter. Mein Herz pocht. Was für eine bekloppte Idee, in der tropischen Mittagshitze auf einen Berg zu steigen! Auch wenn es nur ein Kleiner ist. Ich habe nicht einmal eine Flasche Wasser dabei. Kann man das denn auch ahnen, wo ich hier lande? Super vorbereitet, Nicole! Aber ich gebe nicht auf. Mein Trotzköpfchen meldet sich. Ich will da jetzt hoch.

Parque da Catacumba Rio de Janeiro

Schließlich kann ich durch die dichten Blätter luschern (*) und sehe die Lagoa! Sie liegt ganz weit unter mir. Jetzt kann es einfach nicht mehr weit sein. Mittlerweile bleibe ich immer öfter stehen, um Luft zu schnappen. Alle fünf Minuten eine kleine Pause. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Und wenn ich hier oben jetzt umfalle? Ob mich dann jemals irgendwer findet? In den gewundenen Ecken meines Gehirns machen sich komische Gedanken breit. Die drei Leute von vorhin müssen ja hier auch noch irgendwo sein. Das wird schon. Ich rede mir selbst gut zu und male mir schon mal aus, wie sich das anfühlt, wenn ich oben auf dem Gipfel stehen werde.

Nach einer kleinen Ewigkeit lichtet sich das dichte Gebüsch. Auf einem kleinen Felsvorsprung sitzt ein Vater mit seinen Kindern und macht Fotos. Ich bin oben! Aber wann sind die denn an mir vorbeigekommen? Wahrscheinlich während einer der Verschnaufpausen in einer der grünen Nischen. Egal. Ich lasse mich auf ein Stück Holz im Schatten fallen und schnaufe tief durch. Während die anderen beiden ein Foto nach dem anderen schießen, beruhigt sich mein Puls. Puh, ich sehe wohl genauso kaputt aus, wie ich mich fühle, denn der nette Vater bietet mir Wasser aus seiner Flasche an! Wie lieb! Solidarität unter Bergsteigeramateuren 🙂

Beste Aussicht auf Rio de Janeiro vom Gipfel Parque Catacumba

Dann ziehen sie wieder los und ich bin auch endlich so weit, mich dem Felsvorsprung zu nähern. Als wohl verdiente Belohnung für die Anstrengung genieße ich die Aussicht! Hammer! Was für einen Blick man von hier oben hat. Viel schöner, als die Aussicht vom Corcovado! Vielleicht liegt das auch an der Anstrengung vorher. Auf den Corcovado bin ich ja gefahren worden. Ganz klein unter mir treiben die Boote auf der Lagune im Wasser. Das Meer am Strand von Ipanema, die grünen Berge ringsum. Ich bin entschädigt für meine Mühen! Das hat sich echt gelohnt. Einfach nur ein freier Blick nach unten, sonst gibt es hier oben gar nichts. Kein Kiosk, kein Café, keine Menschenmassen, nicht einmal Müll. Hier ist nichts, nur Natur und diese wunderbare Aussicht.

Parque Da Catacumba beste Aussicht auf Rio de Janeiro

Nützliche Infos Parque da Catacumba

Av. Epitácio Pessoa, n. 3000
Rio de Janeiro
direkt an der Lagoa Rodrigo de Freitas

Offizielle Website www.parquedacatacumba.com.br

Noch mehr Infos – auf Portugiesisch:
Blog Lagoa Aventuras: parque-da-catacumba
Blog Vala comum: catacumba-a-favela-que-virou-parque

(*) mir ist erst später aufgefallen, dass das Wort luschern offenbar gar nicht Hochdeutsch ist. Ich hab es trotzdem drin gelassen, weil es einfach so schön passt. Für alle nicht-norddeutschen Leser: Luschern heißt gucken, sehen, schauen.

Hinweis: Nach Rio de Janeiro bin ich mit der Unterstützung von Condor geflogen.