Als 2011 die Nachricht durch die Presse ging, wollte ich es kaum glauben: El Bulli schließt für immer seine Türen. Man hatte es munkeln hören, aber so richtig real schien die Nachricht nicht. Jahrelang musste man viele Monate im Voraus reservieren und konnte sich glücklich schätzen, einen Tisch in diesem unglaublichen Restaurant, das in einer abgelegenen Bucht der Costa Brava lag, zu ergattern. El Bulli war der Ort, an dem Ferran Adrià mit seinem Team die Welt der Gastronomie revolutionierte.
Revolution der Kochtöpfe
Ihren Anfang nimmt die Geschichte im Jahr 1956, als das aus der Schweiz stammende Ehepaar Schilling ein Grundstück in der Cala Montjoi erwarb. 1963 eröffnen sie die Bulli Bar, ein nach ihrer geliebten Bulldogge benanntes kleines Restaurant. Aus der anfänglichen Strandbar mit frischer, einfacher Küche, entwickelte sich bald ein elegantes Restaurant. Unter der Leitung französischer Küchenchefs wie Jean Louis Neichel begann El Bulli sich auch unter Feinschmeckern einen Namen zu machen, sodass es bald den ersten Michelinstern gab.
Mit Juli Soler kam 1981 Bewegung in die Leitung des Restaurants. Der junge Geschäftsführer war ein perfekter Gastgeber, brachte neue Ideen mit und setzte auf innovative Kreativität. Schon bald nachdem er den 22 Jahre alten Ferran Adrià eingestellt hatte, begann die Verwandlung des kleinen, versteckt gelegenen Restaurants zum legendären El Bulli. 1987 übernahm der junge Koch die alleinige Verantwortung der Küche und beschloss als erstes, alle Kochbücher zur Seite zu legen. Auf der Suche nach einem eigenen Stil ließ er sich vor allem von seiner Umgebung, Kindheitserinnerungen und der Landschaft inspirieren.
Unter dem Motto „Kreieren heißt nicht kopieren” führte ihn sein Weg weg von der klassisch-französischen Küche, hin zu einer mediterranen Küche. Dabei griff er auf traditionelle Zubereitungstechniken und vor allem auf lokale Produkte zurück, die das Meer und die Landschaft liefern. Zeitgleich mit dieser ersten Mediterranisierung des Bulli, begann Ferran Adrià auch bislang unangefochte Konzepte und Werte der Gastronomie infrage zu stellen. Eine tiefgehende Reflexion über Zutaten, Werkzeuge, die Struktur der Gerichte und neue Arten des Servierens begann.
Ferran Adrià zerlegte das Kochen in immer kleinere Schritte, dekonstruierte die Gerichte in winzige Bestandteile und betrachtete die Gastronomie aus Winkeln, wie niemand vor ihm das getan hatte. Nach dem zweiten Michelinstern, mit dem El Bulli 1987 gekürt wurde, errang Ferran Adrià 1997 auch den dritten Stern der Haute Cuisine. In den frühen 2000er Jahren wurde das Restaurant gleich fünfmal auf den ersten Platz der 50 besten Restaurants weltweit gewählt. 2010 belegte El Bulli den zweiten Platz, dann schloss es seine Tore für immer.
elBulli1846
Mit strahlend blauen Augen begrüßt uns Lluís Garcia Lacuesta am Eingang des Bulli. Es duftet nach Pinien und den Sommerferien meiner Kindheit. 2023 wurde an der Stelle, an der das Restaurant einst seine Gäste bewirtete, das Bulli1846 eröffnet. Die abgeschiedene Lage in einer Bucht des Cap de Creus, die inzwischen zum Naturpark erklärt wurde, macht einen Teil des Zaubers dieses Ortes aus, sorgte aber in der Vergangenheit auch für Diskussionen. Innerhalb des sensiblen Spannungsbogens zwischen Naturschutz und kulturellem Erbe, hat man auf respektvolle Weise versucht, beide Aspekte in Einklang zu bringen.
Die Ausstellung zeigt nicht nur die Räume des legendären Restaurants, sondern will die Besucher in die Welt des Bulli eintauchen lassen. Mit einem Audioguide oder bei einer Führung kann man einen Blick hinter die Kulissen werfen und lernt all die Prozesse verstehen, die ablaufen, bevor ein Gericht überhaupt zustande kommt.
Lluís erklärt uns die verschiedenen Abschnitte der Ausstellung und nimmt uns mit, in dieses unglaubliche Universum der Gastronomie. Zunächst führt er uns durch den Park der Anlage, in dem Hinweistafeln und Skulpturen die Philosophie des Restaurants erklären. Schon hier wird klar, wie das Kochen im Bulli zu verstehen war: als ein äußerst komplexes Zusammenspiel aus Kunst und Handwerk, aus Wissenschaft und Kreativität.
Dann betritt man den nostalgischen Teil, den Bereich, in dem das Restaurant im Originalzustand erhalten ist. Die altmodisch einfache Einrichtung steht dabei in einem offenkundigen Gegensatz zu den avantgardistischen Gerichten, die hier serviert wurden. Man wandelt durch ein lebendiges Archiv aus charmanten alten Fotos, dutzenden Auszeichnungen, Zeitschriften und Dokumenten, bis man vor dem respekteinflößenden Stierkopf steht, der das Reich der Kochtöpfe von den Sälen des Restaurants trennte.
El Bulli war mehr als ein Restaurant. Unter Ferran Adrià wurde es zum Synonym einer gastronomischen Revolution, die Kulinarik, Kunst und Wissenschaft zu einem neuen, nie da gewesenen Konzept verband. Seit der Schließung des Restaurants widmet sich die El-Bulli-Foundation philosophisch, experimentell und wissenschaftlich dem Prozess der Innovation und der Entstehung von Kreativität.
Neben mir wandelt ein junges Pärchen durch die Anlage. Beide arbeiten offenbar in der Gastronomie und betrachten die Ausstellung geradezu ehrfürchtig. Für viele Besucher ist der Aufenthalt in der Cala Montjoi beinah so etwas wie eine Pilgerfahrt. Auch mich hat der Besuch der Anlage tief beeindruckt. Es ist eine Erlebnisreise, bei der man aus dem Staunen nicht herauskommt. Ich verstehe, dass el Bulli viel mehr ist, als das Spiel mit ausgefallenen Konsistenzen und Texturen. Es geht nicht nur um unerwartete Gaumenfreuden, Schaumkreationen und die Kombination von Aromen, sondern es geht um das Wie und das Warum, um die Denkprozesse und die Planung. Und es geht um das Teilen, denn Ferran Adrià und sein Team haben alle Rezepte des legendären Restaurants veröffentlicht. Das Wissen und die Arbeit der Bullifoundation werden heute in zahlreichen Veröffentlichungen und Workshops weitergegeben. Der Geist des Bulli lebt also weiter.
Hinweis: der Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise.
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