Klassische Musik schallt über den Fluss. Vom Boot aus betrachte ich die endlos grünen Wälder des Amazonas, die sich am Ufer erstrecken. Fitzcarraldo kommt mir in den Kopf, der Film von Werner Herzog über den exzentrischen Erbauer der Oper in Manaus. Irgendwie passen die wohllautenden Klänge der klassischen Musik zur imposanten Natur. Eigentlich müsste es ja ein heftiger Gegensatz zwischen Zivilisation und Naturgewalt sein, aber diese reine, wilde Kraft, die die Musik verströmt, trifft genau das Gefühl von ungebändigter Weite, das diese Landschaft in mir auslöst.

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Spontan haben wir uns gestern entschieden, den Tag heute auf dem Rio Tapajós zu verbringen, in einem kleinen, aber traumhaft schönen Boot. Karlos organisiert solche Bootsausflüge normalerweise mit seinem kleineren Schnellboot, aber aus irgendeinem Grund sind wir heute mit dem großen Hausboot unterwegs. Glück gehabt. Schon beim ersten Anblick des Bootes fange ich an zu träumen. Von Abenteuern in der Einsamkeit der Wildnis, und davon mit meinem Schatz auf diesem Boot über den Amazonas zu schippern. Es ist groß genug, dass wir uns mit insgesamt zwölf Personen an Bord nicht auf den Wecker gehen, und jeder eine ruhige Ecke findet.

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Morro da Pira oca:

Nachdem wir früh am Morgen den kleinen Hafen von Alter do Chão verlassen haben, steuert Karlos zunächst ein Stück Strand an, hinter dem ein Hügel weithin sichtbar aus dem Wald herausragt.

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Der Morro da Pira oca ist die einzige Erhebung weit und breit. Wir legen an und machen uns auf den Weg zu einer kleinen Bergbesteigung. Eine Weile laufen wir einfach immer geradeaus durch das Gestrüpp, bis sich ganz plötzlich der kleine Hügel vor uns erhebt. Ungefähr fünfzehn Minuten lang geht es nun steil bergauf, dann haben wir den Pira oca erklettert. Bei der Hitze, es ist zwar noch am Vormittag, aber die Sonnen steigt schnell, braucht man schon etwas von einer Bergziege, um da elegant hochzukommen. Ich bin bald aus der Puste und muss kurz verschnaufen. Die Aussicht während meiner kleinen Kletterpause ist fantastisch. So genieße ich abwechselnd den Blick auf den Wald und den Fluss unter mir, klettere wieder ein paar Meter weiter, dann stehe und gucke ich wieder.

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Noch ganz außer Atem von dem kleinen Aufstieg und der Sonne, die mir auf den Schädel brennt, komme ich schließlich oben auf dem Gipfel an. Kein Baum, kein Schatten. Es ist heiß. Rings um mich herum sind grüner Urwald und blaugraues Wasser. Ein spektakulärer Anblick. Ein paar Schritte weiter am Ende der Klippe weht eine angenehm frische Brise. Versunken in die Landschaft blickend erholt sich mein Atem langsam.

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In dem kleinen See direkt vor uns gäbe es dicke Piranhas, sagt Karlos. „Dort hinter der Biegung liegt der Rio Amazonas“. Er zeigt weiter vorne, irgendwo in die Ferne. „Da hinten ist ein kleines Encontro das aguas, ein Punkt, an dem zwei Flüsse mit ganz unterschiedlichem Wasser zusammenfließen. Nicht so spektakulär wie bei Manaus, aber wohl auch sehr schön. Gern würde ich mir das ansehen, aber für heute ist es leider zu weit weg. Stattdessen höre ich zu, wie Karlos einer älteren Brasilianerin die Geschichte des Botos, des rosa farbenen Flussdelfins aus dem Amazonas erzählt.

Die Legende des Boto:

Wenn ein junger, gut aussehender Mann in weißer Kleidung in einem der Dörfer am Amazonas auftaucht, werden die Leute misstrauisch. Einer alten indianischen Legende nach verwandelt sich der rosa Flussdelfin in einen kräftigen Burschen, um die Mädchen zu verführen. Der Boto versteckt das Gesicht und seine große Nase unter einem weißen Hut und mischt sich beim Dorffest unerkannt unter die Feiernden. Schafft er es, eine junge Frau zu einem Spaziergang am Flussufer zu überreden, dann schwängert er sie noch in derselben Nacht. Am nächsten Morgen ist der Boto verschwunden. Längst schwimmt er wieder als Flussdelfin im Amazonas.

botorosa Boto und grau-blauer Flussdelfin auf dem Dorfplatz in Alter do Chao

Karlos findet es unglaublich, dass es in den indigenen Siedlungen des Amazonasheute noch heute junge Mädchen gibt, die an diese alten Geschichten glauben. Es soll tatsächlich sogar noch Geburtsurkunden geben, in denen als Vater “Boto – Cor de Rosa” angegeben ist. Auch wenn uns das etwas merkwürdig erscheinen mag, ich finde, es klingt netter als “Vater unbekannt”. Doch Karlos meint, das sei alles Humbug und kann so gar nicht verstehen, wie jemand mystisch verklärte Erzählungen den wissenschaftlichen Tatsachen vorzieht.

Der Abstieg geht wesentlich schneller als der Aufstieg. Im Nu sind wir den Berg hinunter und laufen zurück zum Boot. Mein Kopf ist mittlerweile hellrot angelaufen. So fühlt er sich zumindest an. Am Strand angekommen, schmeiße ich mich einfach nur noch ins Wasser. Es ist so herrlich erfrischend. Eine angenehme Abkühlung. Ich glaube es hat sogar gezischt, als ich rein gesprungen bin.

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Nach einem kurzen Spaziergang vom Mureta Beach zu einem kleinen Süßwassersee holt Karlos, der mit dem Boot außen herumgefahren ist, uns auf der anderen Seite des Strandes wieder ab.

Nicht zum letzten Mal bin ich an diesem Tag überrascht, wie weiß der Sand, wie menschenleer und sauber diese fast unberührten Strände im Amazonas sind. Doch diese Traumstrände gibt es nicht immer. Nur zwischen September und November, wenn das Wasser der Flüsse niedrig steht, kommen die Sandbänke zum Vorschein. Nächsten Monat schon, wenn die Trockenzeit vorüber ist, wird das alles hier verschwunden sein.

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Einer der Höhepunkte unserer Tagestour auf dem Rio Tapajós ist der Strand von Pindobal. Als wir näherkommen, sieht der Strand zwar wunderschön aus, aber ich verstehe nicht gleich, was daran so besonders sein soll. Dann erklärt Karlos die Geschichte des kleinen Ortes.

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Pindobal und das Erbe Henry Fords:

Als sich der amerikanische Autobauer Henry Ford 1920 von den Rohstoffimporten aus Asien unabhängig machen wollte, suchte er nach einer Möglichkeit das Gummi für die Produktion von Autoreifen selbst herzustellen. So kam er auf die Idee, im Amazonas Kautschuk zu gewinnen. Damals boomt die Kautschukindustrie in Brasilien. Er schickte seinen Sohn und einige Berater los, die Region zu erkunden. Entlang des Rio Tapajós fanden sie bald, was sie suchten, ein riesengroßes und offenbar perfektes Gelände für die Anpflanzung von Kautschukbäumen.

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Auf Geheiß Henry Fords wurde das Land gekauft und eine komplette Kleinstadt errichtet: Fordlândia. Neben einem Kraftwerk und einem Krankenhaus gab es sogar ein Kino für die Arbeiter. Doch etwas ging schief. Die Bäume wurden von Schädlingen befallen, und angeblich hatten auch die aus Nordamerika stammenden Arbeiter Schwierigkeiten, sich im Urwald an die strengen Regeln des Herrn Ford zu halten. Rauchen, Alkohol, Frauen, ja sogar Fußball war streng verboten. Um einheimische Arbeiter zu gewinnen, versprachen die Manager ihnen das Blaue vom Himmel. Schließlich kam es, wie es kommen musste: Rebellion und Aufstand der unzufriedenen Arbeiter und die komplette Missernte sorgten für ein baldiges Ende des Projekts Fordlândia.

Doch Ford gab so schnell nicht auf. Etwas weiter nördlich gründete er eine zweite Siedlung, Belterra, nicht weit von Pindobal entfernt. Die Einheimischen der indigenen Völker kannten sich mit den Pflanzen des Amazonas wesentlich besser aus als die nordamerikanischen Arbeiter. Sie hatten geraten, die Bäume in größerem Abstand voneinander anzupflanzen. Doch Ford legte auch die neue Plantage wieder in geraden Reihen an und scherte sich nicht um den Rat der Einheimischen. Durch die geraden Linien sollte die Ernte des Kautschuks erleichtert werden. Doch auch die Schädlinge hatten es durch Fords dickköpfige Unbelehrbarkeit wesentlich leichter, von einem Baum zum anderen zu gelangen. Wieder war die gesamte Ernte von Schädlingen befallen. Auch dieser zweite Versuch, den wichtigen Rohstoff im Urwald zu produzieren, scheiterte.

Als es dann 1945 schließlich den Wissenschaftlern gelang, synthetisches Gummi aus Erdöl herzustellen, bedeutete dies das Ende des Kautschukbooms. Die Blütezeit der Kautschukindustrie im Amazonas fand ein abruptes Ende. Henry Ford überließ die beiden von ihm gegründeten Städte dem Urwald.

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Fordlândia liegt sechs Stunden flussabwärts von hier entfernt. Es soll ein echter lost place sein, eine Geisterstadt im Urwald. Doch auch hier am Strand stoßen wir noch auf Überreste der Geschichte. Zwischen den Büschen steht leicht verrostet, aber noch gut zu erkennen, eine Lokomotive am Strand von Pindobal. Karlos meint, viele Leute wissen gar nicht, welche Geschichte sich hinter der alten Maschine verbirgt. Auch von den Anwohnern erinnert sich kaum jemand daran. Ein paar Meter neben der alten Lok liegen die Reste eines ehemaligen Eisenbahnwaggons im Sand. Eigentlich sind es nur noch Hölzer und Metallteile. Es braucht schon etwas Fantasie, um zu erkennen, dass sich hier vor rund hundert Jahren einmal eine Verladestation befunden haben muss.

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Die Hütten der ehemaligen Kautschukzapfer soll es in Belterra noch immer geben. Von der alten mit Rost übersäten Lok am Strand sind die meisten Teile bereits abgefallen. Räder hat sie auch nicht mehr. Man erkennt gerade noch, dass der unglückliche Haufen vor langer, langer Zeit einmal eine Lokomotive gewesen sein muss.

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Heute treffen sich an dem Strand, an dem einst die Verladung des Kautschuks stattfinden sollte, Familien und junge Pärchen zum sonntäglichen Picknick. Ein kleines Restaurant hat einfache Hütten direkt ans Wasser gestellt, sodass man sich dort im Schatten sitzend, mit den Füßen im Wasser, sein Essen servieren lassen kann. Reis, Bohnen und Fisch, einfache Gerichte für wenig Geld gibt es hier.

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Ponte do Cururu:

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Nach dem Essen fahren wir noch an einen anderen, wunderschönen Strand, dem Ponte do Cururu. Das letzte Ziel der Bootstour heute. Dort sitze ich etwas später, als die Sonne untergeht, allein auf dem alten Holzboot. Gerade sind alle anderen von Bord, um das letzte Mal in den Wellen zu baden und vielleicht ein paar Delfine zu sehen. Ich genieße den Moment der Ruhe für mich und lausche der klassischen Musik.

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Infos Ausflüge in die Natur des Amazonas: 

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Für unseren Tagesausflug ( von 9 – 19 Uhr) haben wir 150 Reais pro Kopf gezahlt und waren in einer Gruppe mit ein paar Brasilianern. Allein oder als Gruppe kann man das Boot auch mieten, dann kostet es allerdings entsprechend mehr 🙂 Unter Deck sind noch viele Liegeplätze, Badezimmer und Küche gibt es auch.  Website: selvagem.net  Wenn Dich die Geschichte des Kautschuks, die „história da borracha na Amazônia“ interessiert oder wenn Du so richtig verlassene Orte magst, Karlos bietet auch (mehrtägige) Fahrten bis Fordlândia an!

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Vielen Dank an TAP Airlines für den Flug nach Brasilien. Meine Meinung ist davon nicht beeinflusst und die hier dargestellten Ansichten beruhen einzig und allein auf meiner persönlichen Erfahrung.