Endlose Kurven ziehen sich durch die Berge. Erst seit den sechziger Jahren ist das Dorf Beget über eine Straße erreichbar, erklärt mir Montse, mit der ich hier oben, im Hinterland der Costa Brava, kurz vor den Pyrenäen, unterwegs bin. „Und vorher?“, frage ich natürlich nach „Tja, vorher gab es nur Waldwege.“
In der kleinen Kirche von Beget empfängt Jaume die wenigen Besucher, die sich hier her verirren. Für einen Euro Eintritt dürfen wir diese so versteckt gelegene Esglesia de Sant Cristòfol betreten. Die Lage in den Bergen, noch dazu jahrhundertelang ohne Zufahrtsstraße, war ein Glück für diesen alten romanischen Bau. Denn nur dadurch, dass das Dorf so schwer erreichbar ist, konnte die Kirche der Zerstörungswut von Revolutionären und plündernden Soldaten entgehen.
Über dem Altar thront ein romanischer Christus. Darüber stampft ein riesiger Christophorus mit dem Jesuskind durch Wasser. Montse erklärt mir die Legende des Heiligen Christophorus, nach dem die Kirche benannt ist „Christophorus war ursprünglich ein Soldat. Eines Tages beschloss er, er wolle nur noch dem höchsten Herrn dienen und machte sich auf die Suche nach ihm. Auf seinem Weg kam er an einem Fluss, an dem ein Kind saß. Er nahm es auf die Schultern, um es über den Fluss zu tragen. Je tiefer das Wasser wurde, umso schwerer wurde das Kind. Als Christophorus endlich das andere Ufer erreichte seufzte er, er fühle sich, als habe er die Last der ganzen Welt zu tragen. Daraufhin offenbarte sich das Kind als Christus der Heiland, der ja tatsächlich die Last der ganzen Welt trägt.“ „Und wie geht die Geschichte aus?“ „Als Dank durfte er sich von da an Christopherus nennen, weil er den Christ getragen hat.“ Eine merkwürdige Geschichte. Aber ich muss ja auch nicht alles verstehen.
Der Jesus ist da viel spannender. Im Gegensatz zu späteren Jesusdarstellungen ist dieser hier in ganz gerader, symmetrischer Haltung, mit einer langen Tunika bekleidet dargestellt. Er guckt auch gar nicht so leidend, sondern blickt eher stoisch ruhig, fast schon entspannt, in die Welt.
Im Spanischen Bürgerkrieg haben die Leute aus Beget ihre Christusstatue eingemauert. Sie hatten gerade noch rechtzeitig mitgekriegt, dass plündernde Soldaten auf dem Weg hierher waren. Zu dieser Zeit wurden viele Kirche im ganzen Land verbrannt und zerstört. Die Dorfbewohner schraubten Jesus also ab und versteckten ihn in der Schule hinter einer eilig hochgezogenen Mauer. Vor der Kirche verbrannten sie einen Stapel Holz, damit es so aussah, als sei die Kirche schon geplündert und der Christus verbrannt worden. Die Soldaten suchten auch nicht lange und zogen weiter. Um auf Nummer sicher zu gehen, luden die Leute von Beget anschließend ihren Christus auf Eselskarren und ließen in auf geheimen Wegen in die Schweiz bringen. Von dort kam er erst wieder zurück, als der Krieg vorbei war.
Auffällig ist, mit wie viel Gold hier in der Kirche alles geschmückt ist. Es sind nicht nur einzelne Fragmente, nein ganze Figuren, große Statuen und komplette Altäre sind über und über vergoldet! Es ist echt erstaunlich, dass die Dorfbewohner diesen wertvollen „Schatz“ bis heute hüten konnten.
Die Häuser, die im Umkreis von circa dreißig Metern um die Kirche herum gebaut wurden, stehen heute noch fast genau so da, wie vor Hunderten von Jahren. Hier hat sich fast nichts verändert, als ob die Zeit einfach stehen geblieben wäre. Nur der Friedhof, direkt neben der Kirche, den gibt es jetzt nicht mehr.
Bei unserem Bummel durch das Dorf fallen einige Gebäude mit Holzbalkonen auf. Alle Balkonen zeigen in dieselbe Richtung, nach Süden. Merkwürdig, denn es kamen ja wohl keine Touristen zum Sonnenbaden hierher. Montse erklärt mir, dass diese Balkone auf der Südseite dem Trocknen von Mais und Getreide dienten! Durch das Holz und die direkte Sonneneinstrahlung wurde die Feuchtigkeit schnell entzogen.
Auf dem kleinen Dorfplatz steht ein Baum, ein Freiheitsbaum, wie mir Montse erklärt. „Solche Bäume pflanzte man nach der Französischen Revolution an vielen Orten als Zeichen der Freiheit in die Mitte des Dorfes. Einige von ihnen stehen noch heute, wie dieser arbre de la llibertat.“
In einer kleinen Bar treffen wir Maria, die Cousine eines früher sehr bekannten Multitalents aus Begets, einem Barbier, Musiker und Maultiertreiber, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe. Maria muss schon um die neunzig sein. Sie freut sich über Besuch und wir kommen schnell ins Gespräch. Sie erzählt, wie sie im Dorf aufgewachsen ist, und zeigt auf schwarz-weiß Fotos an der Wand: Ihre Eltern lebten damals vom Transport der Kohle. Sie hatten viele Maultiere und waren für die Dorfbewohner eine Art Verbindung zur Außenwelt. Als das Butangas erfunden war, habe ihr Vater gesagt, das war es dann wohl mit dem Geschäft. Von da an brauchte niemand mehr die Kohle und die Maultiere hatten immer weniger zu tun.
Maria erinnert sich auch noch daran, wie sie früher in die Schule gegangen ist. Direkt gegenüber der Bar befindet sich nämlich das ehemalige Schulgebäude, in dem auch der Christus eingemauert worden war. „Mädchen oben, Jungs unten“, sagt sie und kichert fröhlich bei dem bloßen Gedanken daran, dass es so etwas wie gemischte Klassen gegeben haben könnte.
„Früher gab es hier alles“, erklärt sie mir. „Wir hatten eine Polizeistation, einen Pfarrer, mehrere Bars und jede Menge Leute. Die spielten hier abends immer Karten, das weiß ich noch. Es war immer etwas los.“ So ruhig und abgelegen wie Beget hier oben in den Bergen liegt, kann ich mir das heute nur schwer vorstellen. Es ist wirklich wie eine Reise in die Vergangenheit.
Hinweis: Meine Recherche wurde von Turisme Ripoll und Turisme Girona unterstützt, die mir eine Übernachtung in Ripoll ermöglicht haben. Vielen Dank an Montse für die Entdeckungstour durch Beget!
Oh, ist das schön. 🙂 Ich liebe Orte, in denen man die Vergangenheit noch so richtig spüren kann. Das ist eine ganz besondere Atmosphäre, finde ich. Da muss ich auch gar nicht großartig Urlaub in luxuriösen Brixen Hotels machen. 😉
Beget ist wirklich ein besonderer Ort, still und schön, weit ab von allem und sehr, sehr ländlich. Nix mit Luxus 🙂
Das sind tolle Ortschaften, die mich reizen würden. Aber ich merke nie im Leben diese Namen, worüber du immer im Blog scheibst. Wenn ich einmal in die Umgebung reise, müsste ich davor komplett deinen ganzen Blog wieder durchkämmen. 🙂
Bei mir fängt jetzt der Island Bericht an.
Liebe Grüße
Oh auf den Island Bericht freue ich mich schon! Wegen der ganzen „Namen“ die sich keienr merken kann, bin ich gerade dabei eine Seite im Blog einzurichten, auf der Du alle die kleinen Orte an der Costa Brava ganz einfach finden kannst. 🙂
bis bald!!
Nicole