Das Klappern der Störche ist wirklich laut. Schon auf dem Parkplatz am Eingang des Parc Natural Aiguamolls kann ich sie hören! Zusammen mit Sergio und Rosa Maria, vom Parc Aiguamolls, darf ich heute das Sumpfland an der Costa Brava durchstreifen.

Storch im Nest Aiguamolls

Der Naturpark ist fast 5000 Hektar groß und reicht von L’Escala bis Roses. Sergio ist der Direktor des Parks. Während wir auf dem Weg zu einem kleinen See im nördlichen Teil des Naturschutzgebietes sind, erklärt er mir, dass es ganz verschiedene Habitats gibt: Einmal gibt es die Zone direkt am Strand, mit Meerwasser, dann gibt es kleine Teiche und sumpfiges Gebiet, eine bewaldete Zone und den etwas hügeligen, steinigeren nördlichen Teil des Parks. Und es gibt „bewohnte Gebiete“, also kleine Städte und Dörfer, die innerhalb des Parks liegen. Das kommt daher, dass in dieser Gegend schon immer Menschen lebten. Früher lebten die Einwohner des Empordà vorwiegend von der Landwirtschaft. Heute gibt es natürlich immer noch landwirtschaftlich genutzte Felder, aber eben auch immer mehr Campingplätze, Hotels etc.

aiguamolls

Innerhalb des Parks wurden daher Gebiete eingerichtet, die ganz besonders geschützt sind. Hier darf nichts mehr gebaut werden. Mitten zwischen den hell- und dunkelgrünen Zonen auf der Landkarte des Parks sticht die Siedlung Empuriabrava als grauer Fleck heraus. Eine Stadt, die genau zwischen zwei besonders geschützten Teilen des Parks liegt. „Wie ist das denn möglich?“, frage ich ganz erstaunt. „In den siebziger Jahren wurde Empuriabrava sozusagen aus dem Boden gestampft, ein modernes Tourismusprojekt. Ursprünglich sollte der gesamte Bereich zwischen den Flüssen Muga und Fluvià zu einem schicken Wohngebiet mit marinem Flair gemacht werden.“ erklärt mir Sergio. Der gesamte Bereich des Aiguamolls sollte also mit Hotels und Apartments bebaut werden. Zum Glück erhob sich dann aber der Widerstand in der Bevölkerung.

estany vilataut Aiguamolls

Menschen haben schon immer in die Natur eingegriffen und sie verändert. Schon die ersten Siedler in Empuries, die Phönizier und Römer hatten Teile der sumpfigen Gebiete trockengelegt, um hier Ackerbau betreiben zu können. Über die Jahrhunderte hinweg geschah dies in kleinem Maßstab, und es blieb noch genügend Lebensraum für die Vögel und anderen Tiere. Die in den siebziger Jahren entworfenen Pläne zur Urbanisation dieser letzten verbleibenden Feuchtgebiete hätten aber das endgültige Aus dieser einmaligen Naturlandschaft bedeutet. Eine Bürgerbewegung verhinderte die Umsetzung der erweiterten Urbanisationspläne in den restlichen Feuchtgebieten. Anfang der achtziger Jahre wurden die Bebauungspläne gekippt und die verbliebenen Zonen konnten endlich unter Naturschutz gestellt werden. So entstand 1983 der Naturpark Aiguamolls. Und Empuriabrava liegt mittendrin.

Wie gut, dass das geklappt hat. Denn die Zugvögel, die zwischen Afrika und Island, Norwegen oder anderen europäischen Ländern hin und her pendeln, finden hier eine Raststätte. Manchmal hindert sie der starke und kalte Wind aus den Pyrenäen nämlich am Weiterflug. Daher ist es so wichtig, dass sie hier im Norden der spanischen Halbinsel sowohl Ruhe als auch genügend Futter finden. „Wann kommen denn die Zugvögel aus Afrika zurück?“, frage ich. „Noch sind sie nicht da, aber innerhalb der nächsten Wochen werden sie kommen“. Um das sehen zu können, werde ich wohl im Mai noch einmal herkommen.

Dafür ist jetzt gerade aber Brutzeit. Viele Vögel brüten jetzt im April ihre Eier aus und füttern die Nachkommen. Einige Bereiche des Parks sind daher gesperrt, um die Vögel nicht zu stören.

Brutkasten aiguamolls

Stolz erzählt Sergio, dass die Anzahl der aus Afrika kommenden Mandelkrähen (Gaig blau) im Park sich in den letzten Jahren verdreifacht hat, seit sie besondere Brutkästen an Strommasten aufgehängt haben. Diese blau glänzenden Vögel nisten normalerweise in Löchern abgestorbener Bäume. Da es davon aber immer weniger gibt, ging auch der Bestand der Mandelkrähen stark zurück. Leider sehe ich heute keinen der blauen Vögel, denn sie kommen auch erst in ein paar Wochen.

Plötzlich stehen wir vor einem Stück verbrannter Erde am Rande eines Ackers. Da scheint ein Bauer ein Feuerchen mit dem trockenen Schilfgras gemacht zu haben. Traurig schüttelt Sergio verständnislos den Kopf. Mit den wenigen Leuten und den knappen Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, um die Anlagen des Parks in Ordnung zu halten, ist er gegen so etwas machtlos. Wertvoller Lebensraum für viele Kleintiere wird durch so ein Feuer auf Jahre vernichtet. Wenn die Tiere nicht einmal mehr hier im Aiguamolls einen Platz zum Leben finden, wo sollen sie dann hin?

Wir kommen an einen kleinen Teich, den Estany de Vilaüt. Flamingos staksen mit ihren langen Beinen zwischen wilden Wasserpflanzen herum. Genauso hatte ich mir die berühmte Camargue vorgestellt. Obwohl der See eigentlich in Privatbesitz ist, wurde er glücklicherweise naturbelassen. Am anderen Ufer kann ich ein paar Pferde und Büffel grasen sehen. Wir gehen zu einem kleinen Ausguck, einer Art Hochsitz. „Psst!“ steht an der Tür des kleinen Häuschens. Drinnen befinden sich Sichtklappen, die wir öffnen, um die Vögel auf dem kleinen See ganz nah sehen zu können. Eine Peepshow mit Vögeln.

fliegender flamingo aiguamolls verschneite berge

Wie geheime Beobachter verfolgen wir das Treiben auf dem Teich. Sergio hat ein Fernglas dabei, das er mir reicht, sobald er etwas Interessantes entdeckt hat. Als Erstes zeigt er mir eine Schnarchente. Das, was hier die ganze Zeit so schnarchend quakt, sind die schwarzen Enten mit dem weißen Strich auf der Nase. Blesshühner heißen sie auf Deutsch. Die schnarchen schlimmer, als ein betrunkener Bär. Dabei sehen sie doch so elegant aus, in ihrem schwarz-weißen Gefieder. „Guck mal hier, eine Schildkröte!“, ruft Sergio aufgeregt. Er hat schon wieder was entdeckt. Auf einem Stein sonnt sich eine fette Schildkröte. Zuerst erkenne ich sie gar nicht, weil sie fast dieselbe Farbe hat, wie der Stein, auf dem sie sich sonnt. Doch dann bewegt sie ihren Hals. Eine zweite, kleinere Schildkröte gesellt sich zu ihr. Sie ist leichter zu erkennen, weil sie kohlrabenschwarz ist. „Die sieht nur schwarz aus, weil sie nass ist“, erklärt mir Sergio, der von Haus aus Biologe ist und sich natürlich bestens auskennt. Dass Schildkröten zu den einheimischen Tieren gehören, wusste ich gar nicht. Flutsch, da ist die kleine Schwarze wieder zurück ins Wasser geplumpst.

schildkroeten Aiguamolls

blesshuhn ente aiguamolls
Nachdem wir den Ausguck verlassen haben, kommen wir an einer großen Herde Wasserbüffel vorbei. „Bufalas“ an der Costa Brava? „Die werden für die Herstellung von Mozzarella gehalten.“ Ich erfahre, dass die Tierhaltung von Rindern eigentlich gut für den Park ist. Denn die Tiere grasen auf natürlichen Wiesen, also in der natürlichen Flora des Parks. Das ist besser, als so manche Anbaumethoden der Bauern, die sich eher danach richten, was die EU gerade subventioniert, als danach, was in der lokalen Umgebung nachhaltig und sinnvoll wäre. Ein kompliziertes Thema.

Auf dem Weg vom nördlichen zum südlichen Teil des Parks kommen wir immer wieder an verfallenen Gebäuden vorbei. Die meisten davon waren früher Wohnhäuser für die Feldarbeiter. Heute sind die Gebäude verlassen und verfallen langsam. Auch einige Höfe verfallen. Ein besonders großes und eigentlich wunderschönes Anwesen fällt mir auf. Das war vor hundert Jahren ein Stall des spanischen Heeres. Hier hatte die Kavallerie ihre Pferde untergebracht. Heute steht der ganze Gebäudekomplex leer. Wie schade. Da müsste man doch was draus machen können, überlege ich. Aber wie immer ist auch das wieder eine Frage des fehlenden Geldes. Im Rückspiegel des Jeeps sehe ich das Anwesen langsam verschwinden.

verlassene Anwesen Aiguamolls

sumpfgebiet aiguamolls ausblick turm

turm aussicht aiguamolls

Der zweite Teil meines Besuchs beginnt auf einem Turm. Einer von insgesamt vier Türmen, in denen ursprünglich Reis getrocknet wurde, ist zu einem Aussichtsturm umgebaut worden. Über eine Wendeltreppe geht es nach oben. Damit einem nicht zu langweilig oder schwindelig wird, sind auf die Stufen Fußabdrücke verschiedener Tiere gemalt worden. Sehr süß. Auf ungefähr zehn Stufen sehe ich also immer dieselbe Spur und habe Zeit zu überlegen, welches Tier solche Abdrücke hinterlässt. Erst dann wird in großen Lettern verraten, zu welchem Tier die Spuren gehören. Total konzentriert erklimme ich also die Treppe, und ehe ich mich versehe, bin ich schon oben auf dem Turm. Mir klappt wieder einmal die Kinnlade runter. Eine wahnsinnige Aussicht. Vor mir erstreckt sich das sumpfige Feuchtgebiet in der Ebene. Bei einem Blick durch das Fernglas wimmelt es nur so vor Vögeln. Überall fliegt, kreucht und paddelt es. Ein Entenpaar sitzt auf einem Nest im Teich. Stelzenläufer und Flamingos stolzieren auf der Suche nach Futter durch das niedrige Wasser. Und irgendwo klappert schon wieder ein Storch.

wanderwege durch aiguamolls sumpfgebiete

Von den Türmen aus geht es dann zu Fuß weiter. Es gibt so viele Spazierwege durch den Park, die kann ich gar nicht alle heute erlaufen. Ich entscheide mich also für einen davon, und mache mich mit Rosa Maria zusammen auf den Weg. Sergio muss leider wieder zurück ins Büro. Ich bedanke mich bei ihm und bin echt froh, dass er sich Zeit für mich genommen hat, obwohl er so viel zu tun hat.

stelzenläufer aiguamolls

Rosa Maria erzählt mir, dass Aiguamolls für Ornithologen ein echtes Paradies ist. Es gibt sogar Facebookgruppen, auf denen die Vogelbeobachter sich gegenseitig darüber informieren, welche Tiere sie wann im Park sichten. Ich kann leider nur gerade so einen Flamingo von einem Storch unterscheiden, aber ich genieße diese friedliche Ruhe beziehungsweise die Abwesenheit von zivilisationsbedingten Geräuschen im Park. Denn wirklich still ist es hier nicht. Es quakt und klappert und plätschert. Aber das sind angenehme Geräusche, die irgendwie beruhigend auf mich wirken. Ein Chill-out Sound der Natur.

Je nach Habitat können wir ganz unterschiedliche Tiere im Park finden. Rosa Maria hat mir ein kleines Faltblatt gegeben, in dem alle Vögel dargestellt sind. Darunter stehen die Namen der Tiere und wann sie im Park anzutreffen sind. Viele Zugvögel sind nämlich nur zu einer ganz bestimmten Jahreszeit zu sehen. An den kleinen Holzhäusern, von denen man die Vögel aus beobachten kann (so eine Art Hochstand), sind aber auch Wandtafeln angebracht, auf denen das alles erklärt ist.

sumpfgebiet reisanbau aiguamolls

Plötzlich fliegt ein Storch ziemlich tief und ziemlich dicht über mich hinweg. Der ist ja echt groß! „Hier vorne kannst du gleich noch mehr sehen“, meint Rosa Maria und zeigt auf ein paar hohe Bäume weiter vorne. Als wir näher kommen, entdecke ich die Nester. In fast jedem Baum ist mindestens ein Storchennest. Überall brüten Storchenpaare, stehen in ihrem Horst und gucken oder fliegen Futter für die Kleinen holen. Ganz in meiner Nähe fängt einer der Störche an zu klappern. Er lehnt sich ganz weit nach hinten, sodass der Schnabel senkrecht nach oben in den Himmel zeigt, und dann macht er dieses Geräusch. Ich bin ganz hypnotisiert.

Storch im Horst Aiguamolls

Aiguamolls Storch

Eigentlich gibt es noch einen extra angelegten Pfad, eine Art hölzerne Brücke, von der aus man eine besonders gute Sicht auf die Storchenester haben soll. Leider ist der heute aber wegen Reparaturen oder um die Vögel nicht zu stören, gesperrt. Schade. So kann ich die Horste, so heißen die Nester der Störche nämlich eigentlich, nur durch die Bäume sehen. Die Vögel nisten ziemlich nah beieinander. Manchmal sind sogar zwei oder drei dieser Horste auf einem Baum und sie sind richtig groß. Da kann so ein Storchenbaby ja fast drin stehen. Ich muss mich richtig losreißen, von diesen fantastischen Geschöpfen. Kein Wunder, dass Störche die Dichter zu so vielen Legenden und Märchen inspiriert haben!

Am Wegesrand, dort wo das Wasser in einem kleinen Bächlein plätschert, wachsen Schwertlilien wie Unkraut. Alles ist knallgrün. Ab und zu leuchtet schon eine gelbe Blüte aus dem Meer der grünen Blätter hervor. „Ich kann es gar nicht erwarten, bis das hier alles gelb ist“, seufzt Rosa Maria. „Ein Meer von Schwertlilien. Das muss wunderschön aussehen.“ OK, OK, ich sehe schon. In drei bis vier Wochen kommen auch die Zugvögel. Ich weiß also schon, was ich dann vorhaben werde …

Schwertlilie Aiguamolls

Nützliche Infos:
Der Eintritt zu den Aiguamolls ist gratis! Der Park ist öffentlich frei zugängig. Lediglich für einige der Parkplätze muss man das Parkticket zahlen. Im Park gibt es ganz unterschiedliche Spazierwege. Alle Wege sind aber für jedermann machbar, auch für Familien mit Kindern oder Omas und Opas. Es gibt auch Wege für Radfahrer und Rollstuhlfahrer! Zwischendrin gibt es Bänke zum Ausruhen und gekennzeichnete Picknickzonen (Aber keine Mülleimer! Bitte den eigenen Müll wieder mitnehmen!)

El Cortalet ist ein kleines Informationszentrum, mit Schautafeln zur Tier und Pflanzenwelt – auch gratis.

Anfahrt:
Aiguamolls de l’Empordà
Carretera de Sant Pere Pescador km 13,6
17486 Castelló d’Empúries

Wie kann ich als Besucher helfen?
Jeder, der die Natur im Park erleben will, sollte auf die Hinweisschilder achten und sich nur auf den vorgegebenen Wegen bewegen, um die Tiere so wenig wie möglich zu stören.
Um im Park zu Campen, bitte vorher eine Erlaubnis einholen.
Müll bitte in die Papierkörbe entsorgen oder wieder mitnehmen!

Websites:
parcsnaturals.gencat.
www.empordaturisme.com

blühende Bäume aiguamolls

baum wurzeln auf stein aiguamolls
flamingos Aiguamolls
planschende Ente aiguamolls
Schwertlilie Naturpark Aiguamolls

vogel aiguamolls

Und was ich noch gelernt habe: Vögel zu fotografieren ist noch viel schwieriger, als andere Tiere abzulichten. Sie sind nämlich noch kleiner und noch schneller. Dieser freche, kleine Bergpiper (wenn ich das richtig erkannt habe, und das hier ein Grasset de muntanya (Bergpieper) ist – ansonsten korrigiert mich bitte!) hat mir sogar das Hinterteil zugedreht, als ich gerade abgedrückt habe.

unterwegs im aiguamolls