Die Bäume rauschen, um uns herum ist es grün und überraschend still. Die Arbeitersiedlung Colonia Güell, die rund um eine große Textilfabrik gebaut wurde, liegt weit vor den Toren der Stadt. Céline und ich haben uns auf den Weg gemacht, dieses Projekt einer Stadt für die Arbeiter anzusehen.
Hintergrund:
Ende des neunzehnten Jahrhunderts war endlich auch in Barcelona das industrielle Zeitalter angebrochen. Eine industrielle Revolution, wie sie bereits Jahre vorher halb Europa erlebt hatte, gab es in Spanien noch nicht. Nur die reichen Kaufleute Kataloniens hatten damit begonnen, moderne Maschinen aus dem Ausland zu kaufen, um am technischen Fortschritt teilzuhaben.
In Barcelona führte das Einsetzen der maschinellen Produktion bald zu einem sozialen Chaos. Die Arbeitsbedingungen waren unglaublich schlecht. Viele Menschen lebten in dunklen Löchern, arbeiteten zwölf oder mehr Stunden am Tag und konnten dennoch ihre Familien kaum ernähren. Frauen und Kinder mussten arbeiten, und bekamen noch geringere Löhne als die Männer. Hinzu kam, dass Barcelona noch von der alten Stadtmauer eingezwängt war. Die Stadt platze aus allen Nähten und war dem raschen Anwachsen der Bevölkerung einfach nicht gewachsen.
Während der Renaixença versanken viele der wohlhabenden, konservativen Bürger Barcelonas in romantischen Träumereien vom katalanischen Landleben. Doch es gab auch ein paar liberal und fortschrittlich denkende Zeitgenossen, Utopisten wie Narcís Monturiol, Anselm Clavé oder Ildefons Cerdà, die von einer moderneren, besseren Welt träumten.
Eusebio Güell war einer der reichen Industriellen, die es geschafft hatten, ein kleines Imperium zu errichten. Bei dem Entschluss seine neue Textilfabrik hier oben, vor den Toren der Stadt zu errichten, waren auch wirtschaftliche Interessen mit im Spiel. Weit weg vom Hexenkessel der sozialen Unruhen, in den sich Barcelona verwandelte, hatte dieser Standort den Vorteil, dass er seine Arbeiter besser im Blick hatte.
Sein Plan war es jedenfalls, eine komplette Anlage mit einer Rundumversorgung seiner Arbeiter zu bauen. Neben der Fabrik sollten Wohnungen errichtet werden, eine Schule, eine Arztpraxis, ein Theater und Geschäfte, in denen die Menschen günstig einkaufen konnten.
Aber Güell war nicht nur Unternehmer, sondern auch einer der wichtigsten Mäzene des Modernisme. Mit dem Bau der Kirche seiner Siedlung beauftragte er Antoni Gaudí.
Die Krypta Gaudí
Nachdem wir uns im Besucherzentrum der Colonia Güell unsere Eintrittskarte und einen Audioguide geholt haben, stapfen Céline und ich erst einmal zur Krypta. Der Weg führt quer durch das Dorf zu einem Hügel. Umgeben von Pinien sehen wir sie dann, die unvollendete Kirche. Da sie genau genommen ja nur das Untergeschoss des geplanten Kirchenschiffes ist, heißt sie eben Cripta Gaudí.
Angeblich hat Gaudí viele seiner architektonischen Neuerungen, die seine Bauten so leicht wiedererkennbar machen, hier bereits ausprobiert. Die Säulen vor dem Eingang sind alle unterschiedlich gestaltet und stehen auf den ersten Blick fast wild durcheinander. Trotzdem wirkt das unfertige Gebäude beeindruckend harmonisch. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die von Gaudí ausgewählten Materialien sich so gut in ihre Umgebung anpassen. Nur die bunten Mosaikverzierungen stechen leuchtend aus dem ansonsten steinfarbenen Eingangsbereich hervor.
Dieser Eindruck einer Höhle, den ich bereits draußen gespürt habe, wird im Inneren der Krypta noch verstärkt. Irgendwie haben die rundliche Form des Grundrisses, die relativ niedrige Decke und die Kombination aus Holz und Stein etwas Beruhigendes, Beschützendes.
Die edlen Kirchenbänke soll der große Architekt selbst entworfen haben, behauptet der Audioguide. Als Gaudí von seinem Freund und Sponsor Güell den Auftrag zum Bau der Kirche erhielt, hatte dieser ihm keinerlei Einschränkungen oder Bedingungen gesetzt. Gaudí war weder zeitlich noch finanziell eingeschränkt und konnte arbeiten, wie er wollte.
Warum er letztendlich die Krypta nicht fertigstellte, weiß man heute nicht so ganz genau. Aber es gibt die naheliegende Vermutung, dass Güells Söhne nach dem Tod des Vaters nicht gewillt waren, die kostspieligen Bauten des freakigen Architekten weiter zu finanzieren. Wahrscheinlich erklärten sie die Zusammenarbeit mit Gaudí für beendet. Der widmete sich fortan nur noch der Sagrada Familia, seinem Lebenswerk.
Foto © by Céline, Barcelona-Museum
Die eigentliche Kirche der Siedlung ist also nie gebaut worden. Über eine Treppe erreichen wir die obere Etage, wo sich laut Gaudís Entwurf einmal das Kirchenschiff befinden sollte. Die leere Fläche ist wie eine Terrasse, von der wir einen Blick auf die Landschaft werfen.
Nachdem wir die Krypta ausgiebig erkundet haben, machen wir uns auf den Weg, die anderen Gebäude zu suchen. Alles ist natürlich nicht mehr erhalten, aber viele der modernistischen Bauten stehen noch heute.
Obwohl die Fabrik 1973 geschlossen wurde, wirkt das kleine Dörfchen recht lebendig. Es gibt ein paar Bars und kleine Läden. In den Hauseingängen sitzen manchmal ältere Herren, die die letzten Sonnenstrahlen genießen. Die rund siebenhundert Leute, die heute noch in der Siedlung leben, sind entweder ehemalige Fabrikarbeiter oder deren Kinder und Kindeskinder.
Ca l’Ordal:
Im Stil einer katalanischen Masia gebaut, war dieses Gebäude für drei Bauernfamilien gedacht. Die Bauern lebten in der Siedlung, um die Arbeiter mit frischen Lebensmitteln zu versorgen.
Ca L’Espinal:
Das wohl schönste Haus der Siedlung ist das am Hügel gelegene Wohnhaus des leitenden Managers der Textilfabrik, Senyor Espinal.
Schule:
Der Schulkomplex besteht aus zwei Gebäuden. Links befanden sich die Schulräume, rechts das Haus, in dem der Lehrer mit seine Familie lebte. Laut Audioguide legte man in der Colonia viel Wert auf die Bildung der Arbeiterkinder. Zu einer guten Erziehung gehörte neben Sprachen, Zeichen- und Musikunterricht auch die körperliche Ertüchtigung.
Dann gab es noch ein Nonnenkloster, ein Theater, eine Arztpraxis und eine Bibliothek.
Infos zur Colonia Güell und der Cripta Gaudí:
Durch die kleine Siedlung kann man natürlich einfach so laufen, ohne Eintritt zu zahlen. Lediglich für den Besuch der Krypta muss man sich ein Ticket holen. Viele interessante Infos zur Colonia Güell findest Du natürlich unter Barcelona Museum oder auch bei Laura-Lee auf ihrem Blog The Travellette.com.
Anfahrt:
Mit der S8, S33 oder S4 von der Plaça Espanya bis zur Haltestelle Colonia Güell fahren. Die einfache Fahrt kostet drei Euro. Danach einfach den blauen Fußspuren folgen die auf den Gehweg gemalt sind.
Colonia Güell
Carrer Claudi Güell s/n
08690 Santa Coloma de Cervelló (Barcelona)
Website: www.gaudicoloniaguell.org
Öffnungszeiten der Colonia Güell:
Im Sommer (Mai bis Oktober): Mo-Fr, 10 – 17 Uhr, Sa – So 10 – 15 Uhr
Im Winter (November bis April): Mo-Fr, 10 – 19 Uhr, Sa – So 10 – 15 Uhr
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