Cristina holt mich an dem kleinen Bahnhof von Sant Sadurní d’Anoia ab. “Gleich werde ich dich in eine ganz andere Welt entführen”, sagt sie auf dem Weg in die Weinberge. Und so erfahre ich schon unterwegs die Geschichte des kleinen Familienunternehmens Llopart, das seit über hundert Jahren Cava herstellt, den katalanischen Schaumwein, der dem berühmten französischen Champagne in Nichts nachsteht.
Statt zu großen Tanks aus Edelstahl, fahren wir mitten in die Weinberge. Ich steige aus und muss erst einmal die Aussicht bestaunen. Winterliche Weinberge erstrecken sich vor meinem Auge an den Hängen und Hügeln. Vor den zackigen Felsen des Montserrat, die noch etwas nebelverhangen in den Himmel ragen, kann ich die Ruine des Castell de Subirats erkennen. Es ist total ruhig und einfach wunderschön hier oben. Mit der Kamera versuche ich, diese herbstliche Stimmung und die goldgelben Blätter der Weinreben einzufangen. Während ich noch mit dem Fotografieren beschäftigt bin, baut Cristina auf der anderen Seite des Feldes ein kleines Picknick auf. Ein hübsch gedeckter Tisch mit Spezialitäten der Region wartet auf mich: carquinyolis (Mandelgebäck), catanias (Mandeln mit Schokolade umhüllt) und natürlich eine Flasche Llopart! Den Rosé öffnen wir auch gleich und lassen uns den guten Tropfen schmecken.
Die Weinberge um uns herum gehören alle dem Unternehmen, denn “Herr Llopart legt viel Wert darauf, den gesamten Prozess kontrollieren zu können.” Hier werden keine Trauben zugekauft. Jeder Tropfen Llopart stammt aus eigenem, kontrolliert biologischem Anbau, jede Traube ist handgepflückt. Natürlich kann man bei dieser Arbeitsweise keine so großen Mengen Cava produzieren, wie andere Anbieter in der Region. Denn mit gleich drei großen Sektherstellern ist Sant Sadurní d’Anoia sozusagen die Hauptstadt des katalanischen Cavas.
Cristina erzählt von Herrn Llopart, der noch immer sehr aktiv ist. Aber so langsam denkt der mittlerweile 87 Jahre alte Herr daran, die Geschäfte an seine Kinder zu übergeben, von denen vier in der einen oder anderen Weise mit dem Unternehmen verbunden sind. Ich merke schnell, dass hier wirklich eine Verbundenheit mit der Natur und eine echte Philosophie hinter dem Produkt stecken. Llopart scheint viel mehr zu sein, als nur irgendein Sekthersteller.
So hat der alte Herr stets auf die aufwendigere und langsamere traditionelle Arbeitsweise bestanden. Hier geht es definitiv noch rustikal und authentisch zu. Auch als in den sechziger und siebziger Jahren billigere, halbtrockene Sekte für die Massenproduktion in Mode kamen und sich gut verkaufen ließen, hielt Senyor Llopart an seinen Prinzipien fest und produzierte auch weiterhin ausschließlich naturherben, hochwertigen brut nature Sekt als Reserva und Gran Reserva.
Cristina zeigt mir, dass die alten Weinreben noch in dem traditionellen Gobelet-System gezogen sind. Gobelet nennt man die Art, die Reben so zu pflanzen, wie es schon die alten Griechen und Römer machten. Ohne Pfähle und ohne Drähte wachsen die Triebe weitgehend ungehindert. Bei dieser ältesten Art der Reberziehung können die Trauben natürlich nicht mit Maschinen gelesen werden. Jedes Jahr im Herbst rücken hier daher die Pflücker an, um per Hand Traube für Traube zu sammeln. “Das macht schon einen Qualitätsunterschied, denn ein Mensch kann eine unreife oder schlechte Traube wegschmeißen, während eine Maschine alles pflückt.” Auch die Nähe der Weinberge zur Produktionshalle ist ein Qualitätsvorteil. Dadurch sind die Wege kurz und die Trauben werden schnell verarbeitet.
Nachdem wir fast eine Dreiviertelstunde die Stille der Weinberge genossen haben, fahren wir zur Masia, dem alten Bauernhaus der Lloparts, wo die Familie im vierzehnten Jahrhundert lebte. Ein Bauer namens Bernardus Leopardi, so besagt ein altes Dokument auf Latein, baute hier 1385 Oliven, Getreide und Wein an.
Sobald ich die Schwelle überschritten habe, fühle ich mich in ein anderes Jahrhundert zurück versetzt. Dieses uralte Gebäude ist zwar renoviert und restauriert, aber ich kann mir total gut vorstellen, wie die einfachen Leute damals hier gelebt haben. Als wir in den Keller hinabsteigen, ein Loch im Boden, strömt mir ein Duft aus der Kindheit entgegen. Im Kartoffelkeller meiner Großeltern roch es ganz genauso wie hier, nach alten Mauern, Holz und Erde. Es ist ziemlich dunkel. Meine Augen müssen sich erst einmal an das wenige Licht gewöhnen. Um mich herum sind jede Menge Fässer fein säuberlich aufgereiht. In denen ruht der zukünftige Cava, der jetzt gerade dabei ist, das Holzaroma der Eichenfässer in sich aufzusaugen.
Hier unten haben die Bauern früher ihr Getreide und ihr Obst aufbewahrt, um durch den Winter zu kommen. Durch eine kleine offenstehende Luke kann ich einen Blick in den doch sehr engen Getreidespeicher werfen. Wenn man da rein klettern will, sollte man wohl besser nicht unter Klaustrophobie leiden.
Das Etikett von damals ist bis heute fast unverändert geblieben!
An einem kleinen Gewölbe machen wir Halt. „Genau hier wurden die ersten Llopart Sektflaschen abgefüllt“, sagt Cristina und zeigt mir eine uralte Flasche. Auch einige der ersten Etiketten sind zwar leicht vergilbt, aber noch original erhalten geblieben. Die Idee, aus den angebauten Trauben Cava herzustellen und zu verkaufen entstand erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Als die berüchtigte Reblaus Phylloxera die Weinernten in Frankreich zunichte gemacht hatte, kamen ein paar schlaue Katalanen wie Herr Codorniu und Herr Llopart auf die Idee, mit ihren eigenen Trauben nach der Champagnermethode einen Schaumwein für die Franzosen herzustellen. 1887 wurde daraufhin die erste Flasche Llopart Cava abgefüllt. Eine geniale Idee, die so lange prima funktionierte, bis die Phylloxera auch über die Pyrenäen kam.
Viele kleine Bauern mussten aufgeben. Ihre Weingüter waren ruiniert. Die meisten von ihnen sattelten auf den Anbau von Pfirsich, Mandeln oder andere Früchte um. Aber die Lloparts hatten einen langen Atem und Durchhaltevermögen. Aus Amerika holten sie sich neue Reben, die gegen diese fiese kleine Reblaus resistent waren. Einmal eingepflanzt pfropften sie auf den amerikanischen Wurzelstock die autochthonen Weinsorten, die so von der Fliege verschont bleiben. Allerdings war diese Lösung auch eine echt langwierige Angelegenheit. Die Fahrt nach Übersee dauerte damals mehrere Wochen, dann mussten die Pflanzen sich an das hiesige Klima gewöhnen, und wenn nach der gelungenen Pfropfung die Reben schließlich Früchte trugen, mussten diese noch verarbeitet werden. Erst nach rund zehn Jahren konnte die Cavaproduktion endlich weitergehen.
Zwischen den zukünftigen Cavas, die in Holzfässern rings um mich herum ruhen, darf ich noch einen anderen Sekt probieren, den Leopardi. Ein absolut köstlicher Tropfen, sehr elegant und mit ganz feinen Bläschen. Jetzt weiß ich, womit wir Weihnachten zu Hause anstoßen werden! Gut gestärkt und bester Laune verlassen wir den Keller der alten Masia und Cristina begleitet mich in den modernen Teil der Anlage, die sich ganz unauffällig in den Berghang hinein schmiegt.
Erst nachdem der Cava eine Weile in den Fässern geruht hat, wird er in Flaschen abgefüllt. Ein Crianza reift mindestens 9 Monate, ein Reserva 15 Monate und ein Gran Reserva sogar 30 Monate. Nach dieser ersten Gärung, bei der aus dem Most eine Art Grundwein entsteht, kommt bei der Sekt- und Champagnerherstellung ein zweiter, entscheidender Gärprozess hinzu. Sobald der Grundwein in die Flasche gefüllt ist, wird etwas Hefe und Zucker dazugegeben. Die Hefe verwandelt den Zucker in Alkohol. Ist diese zweite Gärung abgeschlossen, setzt sich die restliche Hefe als „Depot“ in der Flasche ab. Durch eine ganz bestimmte Lagerung und ausgeklügelte Drehtechnik der Flaschen, natürlich auch alles von Hand, kann dieser Bodensatz ganz leicht aus der Flasche entfernt werden. Der provisorische Kronkorkenverschluss wird geöffnet und das Depot entfernt bevor der echte Korken, der später einmal so schön ploppt, die Flasche wieder verschließt.
Zum Abschluss meines Besuchs bei diesem Familienunternehmen, das sich voll und ganz dem Cava gewidmet hat, darf ich noch einen Blick in das Llopart Archiv werfen. Hinter Gittern ruhen hier die ausgewählten Exemplare der einzelnen Jahrgänge. Einige Flaschen sind mit einer wunderbar dicken Staubschicht bedeckt. Die müssen richtig alt sein! Aber leider kann man die nicht mehr trinken, denn im Gegensatz zu Wein, wird aus einem Sekt nach einigen Jahren Essig.
Während wir nach unserer Tour in dem nahe gelegenen Restaurant Cal Blay zu Mittag essen, kommt die Kellnerin mit einem Anliegen auf Cristina zu. Unterwegs hatte sie mir schon von all den vielen Veranstaltungen berichtet, die sie hier schon organisiert hat. Da gibt es neben einem wunderbaren Picknick in den Weinbergen oder besonderen Geburtstagen auch eine Weinlese, bei der die Besucher die Trauben pflücken und mit den Füßen selbst den Most stampfen dürfen. Hier im Restaurant sitzt an dem Tisch hinter uns ein offenbar sehr verliebtes Pärchen. Die beiden werden gleich eine Besichtigung des Weinkellers machen und der junge Mann möchte seiner Angebeteten offenbar direkt im Weinkeller einen Ring anstecken! Wie schade, dass ich da nicht mehr dabei sein kann. Zu gern hätte ich noch mit angesehen, was Cristina sich dazu einfallen lässt!
Infos zum Cava Llopart :
Heretat Can Llopart – Caves Llopart
Ctra. de Sant Sadurni a Ordal, Km.4
Els Casots
08739 Subirats – Barcelona
Website: www.llopart.com
Das kleine Dorf Sant Sadurní d’Anoia liegt südlich von Barcelona. Mit der Bahnlinie R4 fährst Du von Barcelona Sants bis zum Bahnhof von Sant Dadurní. Mit dem Auto nimmst Du die AP7 in Richtung Tarragona und fährst bis zur Abfahrt 27. Am Kreisverkehr Richtung Els Casots – Subirats abbiegen. Von da aus ist es nicht mehr weit und Llopart ist ausgeschildert. Für eine Besichtigung muss man sich vorher anmelden! Es gibt verschiedene Touren in mehreren Sprachen. Die Preise liegen zwischen 15 und 28 Euro, genauere Infos gibt es auf der Website.
Was genau ist Cava? Cava nennt man die in Katalonien hergestellten Schaumweine. 96% der spanischen Cavas stammen aus der Region des Penedès bei Barcelona. Die Gärung erfolgt wie bei der Champagner-Methode in der Flasche. Zur Herstellung eines Cavas dürfen nur bestimmte Traubensorten verwendet werden: Xarel·lo, Macabeo, Parellada. Zu einem bestimmten Anteil werden auch rote Trauben, wie Garnatxa, Monastrell, Trepat und Pinot Noir eingesetzt. Die geschützte Bezeichnung des Cavas als D.O. Denominació d’Origen Cava, bezieht sich jedoch auf die Qualität, nicht auf den Ort der Herstellung.
Wenn Dich die Geschichte des Weinbaus interessiert, findest Du hier einen guten Artikel über die fiese Reblaus: Der Schrecken des Weinbaus
Während die alten Weinreben nach dem Gobelet-System gezogen werden, sind die neueren Reben schon auf moderne Art gepflanzt. So wird sichergestellt, dass die Trauben ausreichend belüftet werden und genug Sonne abkriegen. Aber auch hier wird ausschließlich von Hand gepflückt! Jetzt im Winter werden die Reben zurückgeschnitten, damit sie im nächsten Frühjahr wieder neue kräftige Triebe bilden können.
Zu der Führung wurde ich eingeladen. Meine Begeisterung für diese authentische und nachhaltige Philosophie bei der Produktion ist davon jedoch unberührt und beruht einzig und allein auf meiner persönlichen Meinung.
Ich war bisher ja nie ein großer Freund von Schaumwein, aber nach diesem Artikel sehe ich das Produkt mit neuen Augen. Von Hand gepflückte Trauben: dem muss man doch mal eine Chance geben! Gerade in der Weinherstellung finde ich die althergebrachten Arten oft die besten, das ist auch bei manchen unserer Defereggental Sorten so. Man schmeckt es einfach, wenn Liebe in der Herstellung steckt. 🙂
Wie recht Du hast! Das ist wie beim Kochen und ganz vielen anderen Dingen: wenn etwas mit Liebe gemacht ist, macht das manchmal eben doch den Unterschied!