Im Frühling, wenn es wieder wärmer wird und die Bäume und Blumen zu blühen beginnen, zieht es mich nach draußen. Drei Tage waren Lina und ich rund um La Seu d’Urgell in den Naturlandschaften der Pyrenäen wandern.
In den Pyrenäen gibt es spektakuläre Gipfel und viele Routen, auf denen man mehrere Tage unterwegs sein kann. Für die ganz Ehrgeizigen und Energiegeladenen gibt es sogar eine Ost-West-Durchquerung, die Transpirinaica-Route. Dafür bin ich leider weder fit genug, noch habe ich so viel Zeit. Drei Tage entschleunigt durch kleinere Täler und Berge zu wandern, in den winzigen Gasthäusern der abgelegenen Bergdörfer einkehren und dort lecker zu essen, reicht mir völlig.
Unser erster Anlaufpunkt ist Meranges. Ich mag dieses kleine Dorf, das an einer Nebenroute des Camí dels bons homes liegt, der Strecke auf der die Katharer vor der Inquisition über die Grenze Richtung Süden geflohen sind. Meranges ist winzig und besteht aus kaum mehr als einer Handvoll Häuser. Aber von hier aus geht ein Weg zu einem kleinen Bergsee, dem Estany de Malniu, um den sich Legenden ranken von Hexen und Zauberinnen, die sich hier getroffen haben sollen. Da wollen wir hin. Eigentlich. Doch sobald wir in der Cerdanya ankommen und in Meranges aus dem Auto aussteigen, weht der Wind so heftig, dass wir uns schräg dagegen stemmen müssen, um irgendwie vorwärtszukommen. Überrascht von der Windstärke kehren wir erstmal in eine kleine Bar ein. Die Einheimischen wissen sicher, wie das Wetter weiter oben aussieht.
Nachdem wir uns eine Tasse Kaffee bestellt haben, fragen wir den netten Gastwirt. Und tatsächlich sollen am See noch weit höhere Geschwindigkeiten herrschen als hier. Wir müssen nicht lange überlegen. Der Plan wird geändert, das steht fest. Die Frage ist nur, was machen wir stattdessen? Welche Strecke könnte weniger von diesen heftigen Böen betroffen sein? Meranges liegt auf rund 1539 Meter, der See auf ca. 2.126 Meter.
La Seu d’Urgell
Wir hoffen auf besseres Wetter und fahren Richtung La Seu d’Urgell, um dort unser Glück zu versuchen. Der kleine Ort nahe Andorra liegt in einer Talebene der Pyrenäen und tatsächlich ist es dort beinah windstill.
Unsere kleine Wanderung ist zwar weniger spektakulär, als der Bergsee, aber schön und bei dem Wetter sehr viel angenehmer. Die Route, die Lina entdeckt hat, geht in einer weiten Schleife zu ein paar Dörfern in der Umgebung und kommt nach circa vier Stunden wieder nach La Seu d’Urgell zurück. An dem von hundertjährigen Platanen umstandenen Passeig Joan Brudieu, der die Altstadt von den modernen Wohnvierteln trennt, startet unsere Wanderung. Längs dieser grünen Promenade verlief bis ins 19. Jahrhundert die Einfriedungsmauer des mittelalterlichen Stadtzentrums.
Zwischen grünen Wiesen hindurch führt der Weg uns Richtung Calbinyà, ein einsam liegendes Dorf an einem ziemlich steilen Berg. Aber die hübschen Häuschen sind noch bewohnt. Alles ist adrett gepflegt, Blumen blühen vor den Haustüren und Fenstern, Wäsche flattert an einer Leine. Kurz hinter dem Dorf gibt es einen Aussichtspunkt, von dem aus wir die ganze Ebene um La Seu d’Urgell sehen können. In der Ferne leuchten die strahlend vom Schnee bedeckten Gipfel des Cadí. Dann geht es nur noch bergab und bald lassen sich die ersten Häuser der Stadt erkennen. Über eine Brücke erreichen wir das nördliche Viertel, von dem aus es nur wenige Minuten zum Hotel sind.
Im Hotel Andria war ich nun schon mehrmals. Ein unauffälliges, kleines Hotel mit einer tollen Veranda auf der man – wenn nicht gerade Winter ist – toll frühstücken kann. Jetzt blüht der Flieder und Lina und ich nutzen die hübsche Terrasse, um uns im Sonnenschein von der Wanderung auszuruhen.
La Seu d’Urgell war im Mittelalter die Hauptstadt der Grafschaft von Urgell. Der Name “La Seu” erinnert daran, dass der Ort bereits im sechsten Jahrhundert ein Bischofssitz war. Dieser Bischof, also der Posten an sich, nicht eine konkrete Person, war früher so einflussreich und bedeutend, dass er bis heute, gemäß einer uralten Regelung, gemeinsam mit dem französischen Präsidenten als “Doppelspitze” das Staatsoberhaupt des Fürstentums Andorra ist. Zu den Sehenswürdigkeiten gehören neben der romanischen Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert und dem Museu Diocesà, in dem man neben dem alten Kreuzgang vor allem romanische Kirchenkunst bewundern kann, auch das kleine Stadtmuseum “Espai Ermengol”. Da gibt es außer archäologischen Fundstücken und Kunstwerken eine Dauerausstellung zum Thema Käse des Cadí, also den traditionellen Sorten, die in der Bergregion hergestellt wurden und werden.
Kräuterwanderung:
Am nächsten Tag geht es genau dorthin, ins Cadí, denn Tuixent, das Dorf, in das wir fahren, ist umgeben von den Bergen des Naturparks Cadí-Moixeró. Allerdings liegt hier alles so dicht beieinander, dass ich gar nicht genau unterscheiden kann, wo die Gipfel des Vorgebirges aufhören und die eigentlichen, offiziellen Pyrenäen anfangen.
Durch nicht enden wollende Kurven erreichen wir nach beinah einer Stunde Fahrt endlich das kleine Dorf. Die Strecke wirkt entschleunigend. Hier herrscht ein anderer Rhythmus als an der Küste und viel Verkehr gibt es definitiv nicht (uns begegnete ein einziges Auto, das war gelb und trug das Logo der Post).
Das Museum de les Trementinaires, das ich mir eigentlich ansehen wollte, bevor wir zu unserer kleinen Kräuterwanderung in Tuixent aufbrechen, war leider geschlossen. Theoretisch kann man sich dort darüber schlau machen, wer diese Kräuterfrauen, die trementinaires, denn eigentlich waren, was sie genau taten und wie sie lebten, ehe man selbst auf Kräutersuche in den Wäldern und Wiesen geht.
Die Trementinaires waren mutige, selbständige Frauen, die bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein davon lebten, heilende Kräuter und Harze zu sammeln. Ihr Name im Katalanischen leitet sich von den Baumharzen ab, denn das Wort trementina bedeutet genau genommen „Terpentin“, also das Kiefernöl der Koniferen. Um ihre selbst herstellten Tinkturen, Cremes und Kräutermischungen zu verkaufen, mussten sie mit Tiegeln, Töpfen und riesigen Stoffbeuteln bepackt, zu Fuß von Dorf zu Dorf wandern, teilweise sogar bis an die Küsten. Mit der Herstellung und dem Verkauf ihrer “Medizin” trugen sie zum Unterhalt der Familie bei, denn die Menschen in den Dörfern waren arm und hatten nichts als das, was die Erde ihnen schenkte.
In Tuixent hat man nun vor einiger Zeit einen kleinen Rundwanderweg angelegt, der dieser Kräuterfrauen gedenkt, indem die verschiedensten Pflanzen am Wegesrand auf kleinen Schildchen erklärt werden. Über grüne Wiesen, entlang eines Gebirgsbaches, der an Äckern und Feldern vorbeifließt, führt der Camí de les Trementaires in den Wald. Das Rauschen des Wassers und das Zwitschern der Vögel begleitet uns, während wir von einem Schildchen zum nächsten gehen und die jeweiligen Kräuter, Blumen und Pflanzen suchen. Manche der Heilkräuter kenne ich aus der Küche, wie Rosmarin, Thymian, Oregano oder Bohnenkraut, das ich zu Hause gern in Gemüseeintöpfe tue. Aber ich lerne auch viel Neues. Wusstest Du, dass die Soldaten früher angeblich immer eine Handvoll Schafgarbe (Millfulles) bei sich getragen haben sollen, weil sie eine wundheilende Wirkung hat?
Der Weg ist angenehm leicht zu laufen, ein Spaziergang eher, und endet bald an einem kleinen Picknickplatz. Auf einer Schotterpiste geht es durch den Wald zurück nach Tuixent. Dort lassen wir uns in der kleinen Bar Cal Farragetes ein echt rustikales Mittagesessen schmecken. Es gibt das Tagesgericht mit Fleisch oder ein anderes Fleischgericht oder ein Gericht mit Huhn(?!). Netterweise bietet mir die Köchin an, eine Escalivada, die traditionelle Vorspeise aus gebackenen oder gebratenen Auberginen und roter Paprika zu bringen, die sie noch in der Küche hat. Am Ende schmeckt Linas Huhn mit Pflaumen und Pommes aber wesentlich besser (also die Soße und die Pommes). Zum Glück ist die Portion so riesig, dass wir beide satt werden.
Nach dem üppigen Mittagsmahl wäre eine Siesta schön gewesen. Aber unser Bett ist weit weg und auf dem Weg zurück nach La Seu d’Urgell gibt es noch eine andere kleine Wander-Spazier-Route, die wir uns ansehen wollen. Statt zu ruhen, machen wir also tausend Schritte.
Geo-Wanderweg:
Kurz hinter dem Dörfchen Adraen soll sich ein geologischer Pfad befinden, auf dem man besondere Gesteinsformationen entdecken kann. Die Strecke startet unterhalb des Miradors de la Trava an einem kleinen Parkplatz. Wie in einer großen Acht führt der Weg in einer Schleife die kleinen Erhebungen hinauf und hinunter. Die Strecke ist nicht lang, aber das Gelände ziemlich uneben. Teilweise muss man sogar ein wenig klettern, doch zum Glück haben wir beide feste Wanderschuhe an. Bei Regen, bzw. wenn der Boden aufgeweicht ist, kann das sicher schon rutschig werden.
Das Spannende an diesem teilweise futuristisch wirkenden Stück Land, das mich ein wenig an Bilder der rote Marsoberfläche erinnert, ist seine Geschichte. Als sich vor vielen Millionen Jahren die Pyrenäen in den Himmel erhoben haben, weil zwei tektonische Platten an dieser Stelle gegeneinander gestossen sind, müssen unvorstellbare Kräfte auf die Erde eingewirkt haben. Es kam zu Verwerfungen, Brüchen, dem Falten und Einsacken von Schichten, während sich andere Schichten immer weiter nach oben schoben, um hohe Gipfel zu bilden. Natürlich spielten auch mächtige Wassermassen eine große Rolle bei der Entstehung dieser Landschaften. Wie genau sie entstanden sind, habe ich noch nicht herausgefunden, aber die runden Abdrücke an einem Felsüberhang, erinnern in beeindruckender Weise an die Naturkräfte, die hier vor langer Zeit gewaltet haben.
Unser Hotel in La Seu d’Urgell:
(älteres Foto von einem früheren Aufenthalt im Hotel)
Hotel Andria
Passeig de Joan Brudieu, 24
25700 La Seu d’Urgell
Website www.hotelandria.com
So früh im Jahr sind die Zimmer echt günstig. Wir haben für ein Doppelzimmer pro Nacht nur 50 Euro gezahlt. Frühstück geht extra, ist aber auch nicht teuer und war richtig gut. Zur Hauptsaison steigen natürlich die Preise.
Ruine Santa Margarida de Calbinyà
Hinterlasse einen Kommentar