Eine völlig verrückte Geschichte. Wer bitte schön, will denn ernsthaft Ninja werden? Anna Sanner hat es wirklich gemacht. Und sie hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Schon auf der ersten Seite hat mich die Autorin mit der Schilderung ihres Lebens in Japan gefesselt. Das Buch hat mich nicht mehr losgelassen. Aufregende Erlebnisse, mega schön erzählt.

Ohne jemals auch nur einen Fuß in das Land der aufgehenden Sonne gesetzt zu haben, oder vielleicht gerade deswegen, hat Japan für mich noch immer etwas Exotisches, Außergewöhnliches. Ich gebe zu, dass ich am liebsten in Ländern umherreise, in denen ich mich mit den Menschen verständigen kann. So gut ich kann, möchte ich eintauchen in die Kultur und den Alltag. Da ich der japanischen Sprache nicht mächtig bin, ist das bei einer Reise dorthin natürlich schwierig. Aber selbst wenn man fließend Japanisch spricht, ist es offenbar dort schwerer als anderswo, sich unter die Einheimischen zu mischen.

wie man in japan ninja wird

Vor vielen Jahren habe ich bereits die Bücher Amélie Nothombs verschlungen (Stupeur et Tremblements oder Ni d’Ève ni d’Adam), einer belgischen Schriftstellerin, die zwar keine Ninja werden wollte, aber deren Geschichten eindrücklich davon handeln, wie es ist, in Japan als nicht-japanischer Mensch zu leben. Diese in Worte gefassten Bilder eines fremden Landes haben mich damals tief beeindruckt. Nun flattert mir also ein Buch in die Hände, dessen Titel zunächst wie eine Gebrauchsanleitung klingt: „Wie man in Japan Ninja wird“. Aber natürlich geht es nicht nur darum, Ninja zu werden, obwohl es eigentlich genau darum geht:

Anna, die Autorin, lebt in Osaka und arbeitet dort als Englischlehrerin. Die Arbeitsbedingungen sind, sagen wir „japanisch“. Einfach und relaxt geht anders. Man muss das streng hierarchische  Gesellschaftssystem verstehen und verinnerlichen, um nicht ständig in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten. Ohne der Landessprache mächtig zu sein, ist das ein so gut wie unmögliches Unterfangen. Doch selbst wenn man die Sprache beherrscht, wie Anna Sanner, ist es eine echte Herausforderung. Doch die Autorin stürzt sich unerschrocken ins japanische Leben. Wir erfahren von ihren Fähigkeiten in diversen Kampfkünsten und begleiten sie auf einen Besuch nach Iga, in das Dorf der Ninjas. Dort wird die Begegnung mit einer Familie der Show-Ninjas zum Schlüsselerlebnis. Von nun an schildert das Buch Annas Weg, eine „Kunoichi“ zu werden.

Trotz der ganzen Verrücktheit, dem Mut und der Selbstbeherrschung, die diese Ninja-Geschichte ausmachen, hat das Buch mich ein klitzekleines bisschen an meinen eigenen „Ausbruch“ aus der Welt, die mich vor vielen Jahren umgab, erinnert. Gerade flügge geworden, in den 80er Jahren, flog ich allein nach Mexiko. Das war damals noch viel weiter weg als heute, wo jedes Kind schon andere Kontinente bereist hat. Bis dahin kannte ich nur Urlaub mit den Eltern am Wolfgangsee. Weiter weg als Mexiko ging also quasi fast gar nicht. Es war der krasseste Unterschied zu dem Leben, wie ich es kannte, den ich mir nur vorstellen konnte. Vom idyllischen Weserbergland, in dem ich aufgewachsen war, nach Mexico City, das damals gefühlt genausoweit entfernt war, wie der Mond.

Aber Japan?! Ist noch eine Nummer heftiger. Dieses Land, das sich jahrhundertelang komplett von der Außenwelt abgeschottet hat und auch heute noch eher distanziert erscheint, ist so etwas wie ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Weltkarte. Ehe im März 2020 die Pandemie plötzlich unser aller Leben veränderte, hatte ich eigentlich zusammen mit einer lieben Freundin eine Reise dorthin geplant. Aus bekannten Gründen ist dann nichts daraus geworden.

Nun kommt Japan also durch eine andere Tür in meinen Kopf. Durch Anna Sanners Augen darf ich einen Blick in die japanische Kultur (und ihre Seele) werfen. Obwohl Anna Japanisch spricht und die vielen Regeln beherrscht, die es im respektvollen Miteinander zu beachten gilt, ist es dennoch für sie nicht immer leicht, im Alltag zu bestehen. In ihrem Buch geht es nicht nur um die Erlebnisse selbst, die schon spannend sind, sondern um die innere Entwicklung, die mit den Erfahrungen, die sie macht, einhergeht.

Annas Bemühungen zu lernen und alles richtig machen zu wollen, sind so einfühlsam erzählt, dass sie beim Lesen gleichzeitig Kopfschütteln und Bewunderung in mir ausgelöst haben. Einerseits möchte ich ihr am liebsten laut zurufen “lass dich nicht so klein machen”, „das hast du gar nicht nötig” und andererseits fühlt es sich an, als sei sie schon einen Schritt weiter. So als ob sie in der Lage ist, hinter den schrägen Sitten und Bräuchen dieser für mich unverständlichen Kultur, Sinn und Schönheit zu sehen.

Meine „Wahlheimat“ ist quasi das Gegenstück zu dieser sich-zurücknehmenden-Kultur. Hier reden ständig alle durcheinander, jeder so laut er kann, um die anderen zu übertönen. Echtes Zuhören ist hier eine selten anzutreffende Tugend. Obwohl ich alles andere als glücklich über die Hektik und das Geschrei bin, habe ich meinen Platz gefunden. Denn auch wenn man es nicht immer auf Anhieb sieht, im Grunde ihres Herzens sind die Menschen hier großzügig, herzlich, hilfsbereit und bescheiden. Wenn ich mich an japanische Lebensweise anpassen müsste, würde mir das definitiv sehr viel schwerer fallen oder wäre vermutlich unmöglich. Ich kann zwar sehr höflich Kritik formulieren, aber ich kann nicht die Klappe halten. Kontrolle der Emotionen und stiller Gehorsam – das wäre nichts für mich.

Da ich wohl nicht nach Japan reise werde und auch die Chance diese Sprache zu lernen (ich habe es sogar mal versucht ;-)) längst vertan ist, war dieses Buch für mich eine spannende Reise in ein aufregendes Land. Danke an die Autorin, dass sie mich auf diese Reise im Kopf mitgenommen hat.

Wie man in Japan Ninja wird
von Anna Sanner
Reisedepeschen Verlag
(erschienen am 10. Oktober 2022)
ISBN-10 ‏ : ‎ 3963480238
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3963480232