Seit einer Ewigkeit war ich nicht mehr im Zirkus. Bis gestern. Obwohl, genau genommen habe ich nicht einfach „einen“ Zirkus, sondern ein Festival besucht. An mehreren Tagen zeigen Trapezkünstler, Clowns, Akrobaten, Jongleure und Kontorsionisten aus der ganzen Welt in Figueres ihre unglaublichen Kunststücke. Kunst im wahrsten Sinne des Wortes. Alle Künstler sind echte Ausnahmeartisten, die Nummern sind spektakulär. Es gibt sogar eine Jury, bestehend aus den Top-Zirkusdirektoren verschiedener Länder, die die Auftritte hier in Figueres bewerten.
Wir kommen rechtzeitig an, suchen unsere Plätze und sind froher Erwartung. Zunächst spielt das Orchester, das man nur schemenhaft durch dichte Nebelschleier auf der anderen Seite der Manege erkennen kann. Oh, James Last dirigiert! Auf den ersten Blick sieht der Dirigent echt so aus.
Dann kommen die ersten Artisten: Yunnan Acrobatic Troupe aus China. In bunten Kostümen jonglieren die zierlichen Damen und Herren mit ihren Füßen, was ich im Traum nicht mit den Händen hinkriegen würde. Es gibt großen Applaus.
Dann wird es romantisch. Gustavo Sartori aus Brasilien kommt im schicken Anzug in die Manege. Zunächst zieht er sich aus. Ist auch besser, denn in den Bändern, in denen er sich gleich in die Luft schwingen wird, würden Jackett und Krawatte sicher nur stören. Voll schön anzusehen. Es gibt wieder großen Applaus.
Als Nächstes kommt ein Jongleur. Der Conférencier, oder Moderator des Festivals, Zirkusdirektor ist er ja nicht, stellt den jungen Mann aus der Ukraine vor. Andrey Maslov wurde erst letztes Jahr als junges Talent entdeckt und hat irgendeinen Preis gewonnen.
Selbstverständlich darf auch ein Clown bei diesem Festival nicht fehlen. Rulo Clown kommt aus Mexiko und ist richtig gut mit dem Diabolo! Später tritt Rulo noch einmal mit seinem Einrad auf. Er bezieht einen Jungen aus dem Publikum auf eine sehr niedliche und überhaupt nicht alberne Weise mit in sein Spiel ein. Ich glaube, Clown zu sein ist gar nicht so leicht. Aber bei diesem hier musste sogar ich lachen!
Nach der Clownsnummer kommt ein kubanisches Pärchen, das als Quick Change angekündigt wird. Ich habe keine Ahnung was das sein soll. Aber als die beiden die Manege betreten, wird es schnell klar: Innerhalb von Sekunden wechseln sie ihre Klamotten! Echt unglaublich. Selbst wenn sie alles übereinander angezogen haben und nur einen Knopf oder Reißverschluss öffnen müssen, um an die unterliegende Kleidungsschicht zu gelangen, sind sie megaschnell! So schnell, wie die sich umziehen, kann ich gar nicht gucken und schon ist aus dem Badeanzug ein Abendkleid geworden (nicht umgekehrt wohlgemerkt!). Beide Künstler sind zum Ende der Vorstellung hin sichtbar dünner als zu Anfang. Dennoch ist es wahnsinnig, wie man ein langes Kleid unter einem Badeanzug verstecken kann, bzw. eigentlich sind es ja sogar mehrere Kleiderschichten. Echt nicht schlecht!
Dann fliegen die Mongolian Angels am Trapez über die Köpfe der Zuschauer hinweg und die aus fünf jungen Männern bestehende russische Troupe Bayramukov zeigt waghalsige Sprünge am Boden.
Das ganze Spektakel verzaubert mich irgendwie richtig. Und das, obwohl ich echt kein Zirkusfan bin. Aber hier geht es um Ästhetik, um Körperbeherrschung, um Kunst. Nach fast eineinhalb Stunden gibt es eine kurze Pause. Während wir uns einen Hotdog und etwas zu trinken im Vorzelt holen, wird in der Manege kräftig umgebaut.
Der zweite Teil der Vorstellung beginnt mit einer Stange. You and Me ist ein Mix aus Luftbändern und Stange. Eine unglaublich schöne Vorstellung! Es hat etwas von leidenschaftlichem Tanz, der Leichtigkeit des Fliegens und unglaublicher Körperbeherrschung bei der Akrobatik an der Stange. Von allen Künstlern am ganzen Abend ist dieses Pärchen für mich das allerbeste!
Aber auch danach kommen noch spektakuläre Künstler, wie die Solis Brothers aus Nicaragua, die eine erstaunliche Kraftnummer zeigen, bei der ich richtig mit zittere, ob das denn auch gut geht. Dann gibt es noch einen Jongleur im Dali-Outfit, der sich passenderweise Salvador nennt, und einen Kontorsionisten, Alexander Batuev aus Russland. Bisher habe ich immer nur Frauen gesehen, die sich verbiegen können, als ob sie keine Knochen im Leib hätten. Aber dieser Typ scheint echt aus Gummi zu sein. Ein Mister Fantastic, der am Ende in einer kleinen Kiste verschwindet. Hammer.
Der letzte Auftritt ist eine Hochtrapeznummer. Ich muss an die Fernsehserie „Salto Mortale“ aus den siebziger Jahren denken. Als Kind habe ich diese Sendung geliebt! Und Horst Janson riskierte damals waghalsig sein Leben unter der Decke des Zirkuszelts. Jetzt sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben vor einem echten Hochtrapez. Es sieht aus wie im Fernsehen. Und ich habe Angst. Auch wenn da ein Netz gespannt ist, kann ich mich nicht des Gedankens erwehren, dass da ja vielleicht doch was passieren könnte. Oh mein Gott, bitte nicht. Ich bete, dass alle Schrauben richtig angezogen sind, alle Seile ordentlich gespannt sind und dass niemand flutschige Hände hat.
Dann geht der Scheinwerfer an und beleuchtet die Artisten, die schon im Dunkeln, hoch auf ihr Trapez geklettert sind. Die Truppe gehört zum nordkoreanischen Nationalzirkus und sie sind richtig berühmt. Und richtig gut. Mit schlafwandlerischer Sicherheit werden diese menschlichen Flieger von den kräftigen Händen ihrer Kollegen aufgefangen. Pirouetten, Drehungen, zwei- und dreifache Saltos, dass mir fast schwindlig wird. Einer der zierlichen Artisten legt sogar einen vierfachen Salto Mortale hin. Mir bleibt echt die Luft weg und der Applaus will kein Ende nehmen.
Es gibt Standing Ovations für alle Artisten, die sich noch einmal in der Manege versammelt. Jetzt würde ich gern mit einem von ihnen sprechen. Fragen, wieso sie diese waghalsigen Verrenkungen machen, wie lange sie brauchen, um eine Vorstellung so hinzubekommen, seit wann sie das schon machen, … tausend Fragen!
Mehr Infos:
Es gibt drei verschiedene Shows: rot, blau und gold. Ich bin in der roten Show gelandet. Mehr Informationen zum Festival und den Künstlern findet Ihr auf der Website: www.festivaldelcirc.com
Hinweis: Vielen Dank an das Patronat de Turisme Girona, die mich zu diesem atemberaubenden Spektakel eingeladen haben!
Oh ich war bestimmt auch seit 10 Jahren in keinem Zirkus mehr. Klasse Fotos – da will man sofort dabei sein und sich mitreißen lassen.
LG Mel
Hallo Mel,
echt ein super schönes Festival! Wenn Du mal nach Figueres kommst und gerade wieder Zirkuszeit ist – es lohnt sich echt! 🙂
LG